Herr der Ringe / Der Hobbit (10 000 Wörter)
"Mama! Papa!", schallte es in meinem Kopf immer wieder. Dunkelheit hatte mich umfangen. Ich spürte, wie mein Körper zu zittern begann. Ganz alleine in einer Leere.
"Wo seid ihr?", rief die kindliche Stimme wieder. Sie klang verängstigt und panisch. Ein kleines Mädchen, das seine Eltern verloren hatte.
Ich riss meine Augen auf, doch es war stockfinster. Mein Herz pumpte Adrenalin durch meinen Körper. Was geschah mit mir?
Mein Atem ging schnell und unregelmäßig. Ich merkte, wie mir langsam etwas schwindelig wurde. Es war so dunkel, dass ich nicht mehr sagen konnte, ob ich saß oder immer noch in meinem nicht unbedingt sehr weichem Bett lag.
Ich krallte meine Hand in das Laken und rollte mich herum (ich war wohl starr auf dem Rücken gelegen). Ich spürte, wie dieses kleine Mädchen auf mich Einfluss nahm. Doch ich kannte sie nicht! Ich wusste doch nicht wo ihre Eltern waren!
Panisch stolperte ich in Richtung meines Tisches, welchen ich noch gerade so erwischte. Ich zog die Schublade auf und kramte gestresst nach den Streichhölzern.
Als ich sie endlich fand, zündete ich das erste sofort an und merkte, wie die Ruhe langsam wieder zurückkehrte. Ich atmete kurz durch und hielt das Holz dann an den Docht einer Kerze, welcher das Feuer schnell übernahm.
Ich kehrte immer noch zitternd auf mein Bett zurück. Die kleine Lichtquelle reichte, um mir die nötige Sicherheit zu geben. Die Stimme war verschwunden.
Einige Minuten saß ich einfach da und starrte vor mich hin. Ich hatte das Mädchen eine sehr lange Zeit nicht mehr gehört. Früher hatte sie mich öfter heimgesucht, immer nur in meinen Träumen.
Ein lautes Klopfen an meiner Tür ließ mich zusammenzucken. Ich war normalerweise überhaupt nicht schreckhaft, doch die Erfahrung gerade, hatte mich einfach zu tief erschüttert.
Ich erhob mich und streckte kurz meine müden Glieder. Es war eine der Wachen gewesen, die mich jeden Morgen aufweckte. Ich hatte nicht gedacht, dass es schon so spät war.
Leise murmelte ich einen Zauberspruch vor mich hin, der die restlichen magischen Lampen in meinem Zimmer zum Leuchten brachte. Als ich noch jung war, wollte ich immer zumindest ein Fenster in meinem Raum haben, doch nach den vielen Jahren, in denen es mir verboten war, hatte ich mich irgendwie daran gewöhnt. Schließlich verbrachte ich schon den ganzen Tag an der frischen Luft und durch die Magie, die den ganzen Ort durchzog, war es auch niemals stickig hier drinnen.
Ich hatte einen sehr guten Lehrer gehabt, als ich klein war, welcher mir das Zaubern beigebracht hatte. Als Elbin besaß ich schließlich die Anlagen dafür. Mir wurde immer gesagt, dass ich sehr mächtig wäre, was mich das ein oder andere Mal ein wenig zu blind für die Gefahr, die damit einher ging, gemacht hatte. Doch das lag weit zurück. Inzwischen wusste ich die Dunkle und Helle Magie zu kontrollieren und auch zu vermischen, wodurch ich hier sehr angesehen war.
Sobald ich mich fertiggemacht hatte, trat ich auf den steinernen Gang, in welchem bereits geschäftiges Treiben herrschte. Es waren hässliche, zerkratzte Kreaturen, deren Aussehen auf ihre schwarze Seele abgefärbt hatte. Sie waren grausam und zögerten keine Sekunde jemanden zu töten.
Ich hatte viele Eigenschaften von ihnen übernommen, schließlich war ich hier aufgewachsen, doch hatte noch meine Würde. Ich war größer, stärker und geschickter als alle anderen hier, was mich enorm wertvoll für das wachsende Böse in diesen Mauern machte. Ich stellte meine Loyalität zu Sauron keine Sekunde in Frage. Als Kind war ich viel geschlagen und gequält worden, doch ich nahm es ihnen nicht mehr übel. Nur so war ich zu dem geworden, was ich nun war. Ich hatte nicht gehorcht oder war zu schwach gewesen und das musste eben bestraft werden.
Ich ignorierte die vielen sich vorbeugenden Wachen und schritt erhobenen Hauptes an ihnen vorbei. Orks waren wie Tiere: nicht eines Blickes wert.
Wie so oft befand ich auf dem Weg auf das große Plateau. Nur dort wurde mit dem großen Herrscher gesprochen. Ich mochte es mit ihm zu reden. Er war schlau, schlauer als die ganzen engstirnigen Orks, die sich auf Befehl selbst auffressen würden. Ich hatte viel von ihm gelernt. Er war als Kind fast schon eine Vaterfigur für mich gewesen, auch wenn ich eigentlich kaum gute Erfahrungen mit ihm gemacht hatte. Die einzige andere Bezugsperson, die ich noch gehabt hatte, war mein Lehrer gewesen, doch an den dachte ich seit langer Zeit nicht mehr zurück. Sauron war erfahren und gerissen, kein anderer hatte jemals so oft ganze Völker täuschen können. So jemandem konnte man doch nur nacheifern!
Mit ernstem Gesicht trat ich ins Freie und bis ans Ende der Mauern. Ich war immer allein, wenn ich mit ihm sprach.
Es dauerte nicht lange und schon bildeten sich die schwarzen Wolken vor mir, die sich schnell verdichteten und einen dunklen, dröhnenden Ton von sich gaben. Ich verneigte mich tief und wartete, bis er mir die Erlaubnis erteilte, mich wieder zu erheben. Jedes Mal war ich aufs Neue froh, dass ich nicht mehr diese schwarze, schwere Rüstung tragen musste, welche bei jeder Bewegung irgendwo stach. Orks waren eben viel kantiger und irgendwie klumpiger gebaut als Elben. Inzwischen durfte ich eigens angefertigte, natürlich komplett schwarze, Kleidung tragen, die sich jeder meiner Bewegungen anpasste.
"Ingólwen", begrüßte er mich mit tiefer Stimme, die mir bis ins Mark ging. Ich erhob mich und hielt den Blick gesenkt. "Mein Herr, Ihr habt mich rufen lassen", antwortete ich ehrfürchtig. "Es wurden gestern Truppen gesichtet. Sie befinden sich auf direktem Wege hierher. Es sind Waldelben aus dem Norden. Ich habe bereits Befehl erteilt, dass sich alle sammeln. Wir werden sie in einen Hinterhalt laufen lassen", erklärte er mit zischender Stimme.
Ich knirschte genervt mit den Zähnen. Ich hasste es, wenn mir nicht immer sofort alles mitgeteilt wurde. Ich war eigentlich nach Sauron die Höchstrangigste hier und erteilte alle Befehle, nur dieser eine, ich musste zugeben, starker, für seine Spezies, hoch gewachsener, Ork mischte sich immer wieder ein. Da würden wohl ein paar Köpfe rollen müssen.
"Ja, mein Herr", sagte ich sofort und verbeugte mich noch einmal. Ich wartete auf weitere Worte, doch die Wolke zischte schon davon. Immerhin hatte ich es von ihm gehört, nicht von diesem Möchtegernstellvertreter.
Sobald es still war, drehte ich mich um und machte mich auf den Weg nach oben. Deswegen war heute so viel los. Alle waren schon informiert und bereiteten sich auf den Angriff vor. Da blieb für mich nicht mehr unbedingt viel zu tun. Wir hatten schon früher standgehalten, dieses Mal würde nicht anders sein. Ich liebte es gegen Elben zu kämpfen, sie setzten sich so schön zur Wehr. Orks waren lange keine Konkurrenz mehr.
Ich stellte mich auf den großen Platz ganz oben, von welchem aus man den Wald überblicken konnte. Dol Guldur war in der Umgebung das einzige so hohe Bauwerk.
Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit. Misstrauisch kniff ich die Augen zusammen und suchte die Bäume ab. Irgendetwas stimmte nicht.
Obwohl ich eigentlich vorgehabt hatte hier auf den Angriff zu warten, begab ich mich schnellen Schrittes wieder nach unten.
"Ihr da! Verbreitet die Nachricht: Es dauert nicht mehr lange", befahl ich, als ich an einer Gruppe Orks vorbeiging. Sie sprangen sofort auf und liefen, die Nachricht groß hinausposaunend, in alle Richtungen davon. Mein Gefühl hatte mich noch nie getrügt.
Es dauerte keine paar Minuten, bis die ganze Festung auf den Beinen war. Am liebsten hätte ich alle angeschrien, dass sie doch gefälligst leise sein sollten, doch in der Aufregung würde keiner auf mich hören. Sie waren zu blind in ihrem Durst nach Blut.
"Ingólwen! Was ist los?", rief mir einer der Offiziere zu, welcher sich durch die Massen drückte. Ich stand nachdenklich auf der Seite und befestigte meine Waffen an meinem Gürtel und Rücken.
"Irgendetwas stimmt nicht", antwortete ich bloß und steuerte auf die nächste Tür zu, welche ins Freie führte. Hier drinnen fühlte ich mich zu eingepfercht. Der Ork kam mit mir. Auch auf seinem geschwollenen, zerkratzten Gesicht, hatte sich Sorge ausgebreitet, soweit man das bei solchen Wesen beurteilen konnte.
"Was meinst du?", bellte er und sah sich paranoid um. Wir standen bei einigen Zellen, welche im Moment leer waren.
Ich antwortete nicht und lauschte. Außer die vielen Stimmen und teilweise ein Schreien von zerdrücken Orks, war nichts zu hören, bis plötzlich ein Horn ertönte; es war elbisch. Alarmiert schaute ich auf und warf einen Blick in die Festung. Ich konnte nur einige wenige Elben erkennen, welche sich ohne große Probleme durch die Reihen schlugen. Sie mussten sich unbemerkt in der ganzen Burg eingeschlichen haben!
Ich zögerte nicht länger, zog eines meiner Messer und rammte es in die Brust des Orks neben mir.
Er stieß einen erstickten Schrei aus und ging mit einem überraschten Blick zu Boden. Ich zog meinen Mantel und Gürtel aus und warf sie mit all ihren Waffen über die hohe Mauer. Im Hintergrund war nicht zu überhören, dass wir am Verlieren waren.
Seelenruhig, doch keinesfalls langsam, nahm ich den Schlüssel vom Gürtel des toten Offiziers und sperrte mich selbst in eine der Zellen, wo ich ihn wieder nach draußen warf und anfing meine rabenschwarzen Haare ein wenig zu zerwuscheln, was bei Elben gar nicht so leicht war. Auch, wenn ich uns zum Sieg führen könnte, war es doch um einiges einfacher mich in ihre Reihen einzuschleichen und dort so viele wie möglich zur Strecke zu bringen.
Mit einem Seufzen gab ich es auf und setzte mich ganz nach hinten, wo ich noch mein letztes Messer, welches ich in meiner Hose gehabt hatte, zog. Es musste realistisch sein und ich wusste nur zu gut, wie Orks ihre Gefangenen behandelten. Also begann ich mir kleine Schnitte zuzufügen. Sie würden schnell wieder heilen, elbische Körper waren schließlich sehr widerstandsfähig.
Ich ließ die Waffe wieder in der Seitentasche meiner Hose verschwinden und wartete. Die Schreie der Orks, in welche - selten, aber doch -, auch welche von der gegnerischen Seite eingebaut waren, klangen hell in meinen Ohren weiter. Die meiner Kameraden war ich schließlich gewohnt und auf die anderen war ich trainiert positiv zu reagieren.
"Ich habe jemanden gefunden! Geh dem Prinzen Bescheid sagen", rief plötzlich jemand vor meiner Zelle. Ich sah gespielt überrascht auf und erhob mich langsam. Der braunhaarige Elb stellte sich zu dem Gitter und lugte interessiert hinein. "Wir holen dich hier raus, keine Sorge", lächelte er, als ich näher kam und musterte mich kurz. Ich tat auf erschöpft, nickte bloß und stützte mich ein wenig an der Wand ab. So weit so gut, man hatte mich zumindest einmal entdeckt.
"Der Schlüssel", murmelte ich und nickte hinter ihn. Er drehte sich etwas verwirrt um und sah den toten Offizier, bei welchem der Schlüsselbund lag. Mit erhobenen Augenbraun ging er darauf zu, schnappte sich ihn und sperrte auf, wobei er seinen paar Kameraden mit einer Handbewegung deutete, dass sie weitergehen sollten.
"Ich bin übrigens Cuinfaras", stellte er sich vor, während er die Tür öffnete. Er sprach Elbisch. Ich hatte die Sprache lange nicht mehr benutzt, doch sie niemals verlernt.
"Ingólwen", antwortete ich und erwiderte sein Lächeln ein wenig. "Dann lass mich dich mal nach unten bringen", sprach er und deutete mir mit einer ausladenden Armbewegung, dass ich hinauskommen konnte. Ich versuchte mich wirklich in diese gefolterte, tief verletzte Elbin, welche schon so lange Zeit gefangen gehalten wurde, hineinzuversetzen und trat vorsichtig nach draußen. Zu Anfangs war das in meinem Leben vielleicht wirklich der Fall gewesen, doch das lag so lang zurück, dass ich diese Erinnerungen längst verdrängt hatte.
"Wie lange bist du schon hier?", fragte er vorsichtig, als wir wieder die Mauern betraten. Ich schlang unsicher meine Hände um meinen Körper und zögerte. Ich war mir nicht ganz sicher, was ich darauf antworten sollte. Sollte ich die Wahrheit sagen? Wäre vermutlich das Klügste, ich kannte alle Gebräuche und Geschichten der Elben aus dem Düsterwald, mein Lehrer hatte sie mir eingängig gelehrt, doch trotzdem war ich mir nicht so sicher, ob sie mich sofort als eine von ihnen erkennen würden.
"Lange", antwortete ich also einfach und warf ihm einen kurzen Blick zu. Er war recht klein für einen Elben, doch seine ganze Ausstrahlung zeigte, was er eigentlich für eine nette Person war. Nichts, was ich unbedingt gewohnt war.
Unsicher strich ich mir meine Haare auf eine Seite, um zu überprüfen, ob sie immer noch so durcheinander aussahen, was vermutlich nicht mehr unbedingt der Fall war. Ich war schließlich kein Ork, ich hatte mich mein Leben lang immer gut um meinen Körper gekümmert, sobald ich eben die Möglichkeit dazu hatte.
Ich tat so, als wäre ich viel zu beschäftigt mit den ganzen Eindrücken von der Festung, damit er nicht noch ein Gespräch mit mir anfing. Ich brauchte nicht sein Vertrauen, sondern das des Prinzen, der ja anscheinend dabei war. Mein Ziel war klar, vielleicht wusste Sauron auch längst davon.
"Ingólwen?", fragte er leise, als wir am Haupttor nach draußen traten. Ich zuckte leicht zusammen und sah ihn etwas verängstigt an. Er lächelte bloß freundlich. "Schon gut, ich wollte nur sagen, dass dort schon unsere Leute sind", beschwichtigte er mich schnell und nickte geradeaus. Ich hätte kotzen können bei dem Wort unsere, aber musste natürlich so tun, als ob mir das viel bedeuten würde.
Tatsächlich enttarten sich einige Waldelben vor uns, als wir näherkamen. Ich hatte von mir selbst nicht erwartet, dass ich so ruhig bleiben würde, doch keine unerwünschte Nervosität ließ den Plan ins Schwanken geraten.
Sobald wir zwischen die ersten Bäume traten, näherten sich auch schon zwei Personen. Der eine trug eine offensichtlich edlere Rüstung, hatte blondes Haar und stechend blaue Augen, die mich schon von Weitem genau musterten. Der andere trug die gewöhnliche Kleidung einer Wache, so wie die meisten anderen es auch taten, hatte hellbraune Haare und recht dunkle Augen. Ich nahm an, dass es die Wache war, die Cuinfaras vorhin losgeschickt hatte, und der Prinz, den sie holen sollte.
"Mein Herr Legolas", begrüßte mein Begleiter ihn und verbeugte sich knapp, als er vor uns zum Stehen kam. Ich zog ein wenig den Kopf ein und starrte zu Boden, bis ich mich dazu entschied es ihm gleich zu tun. Immerhin war ich immer noch eine Waldelbin in ihren Augen.
"Das ist Ingólwen, ich habe sie in einer der Zellen gefunden", stellte Cuinfaras mich vor und warf mir einen Blick zu. Der Prinz nickte der Wache neben sich kurz zu, welche schnell, mit einer kurzen Verbeugung, verschwand. "Wie lange bist du schon hier?", fragte er, wobei er versuchte etwas Gefühl in seine kalte Stimme zu bringen, doch es nicht unbedingt schaffte. Vielleicht war es auch andersrum, das konnte ich noch nicht genau sagen.
Wieder zögerte ich. Warum war das denn immer so wichtig? "Lange", gab ich ihm schließlich dieselbe Antwort, wie vorhin schon. Er kniff seine Augen leicht zusammen und wartete auf eine genauere Erklärung, welche nicht kam. "Nun gut, du kannst die nächsten Tage mit uns reisen und dann zu deiner Familie zurückkehren, wenn du willst", befahl er und wandte sich dann ab. Ich sah ihm etwas überrascht hinterher. "Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie froh sie sein müssen, wenn sie dich wiedersehen", lächelte Cuinfaras und trat ein paar Schritte vor, um nach einem Beutel Wasser zu greifen. Ich starrte wieder zu Boden. "Wenn sie es könnten", flüsterte ich leise und merkte, wie dabei ganz tief in mir ein leiser Stich war. Ich unterdrückte ihn sofort und konzentrierte mich auf die vielen Jahre, die ich durchaus freiwillig in Dol Guldur geblieben war.
Der Elb sah etwas geschockt auf und wusste nicht ganz, was er antworten sollte. Ich schüttelte leicht den Kopf und lächelte bitter. "Tut mir leid", murmelte er leise und hielt mir das Wasser hin. Ich nahm es dankend an und trank ein wenig.
Einige Stunden später hatten wir einen Schlafplatz etwas weiter im Norden gefunden. Die Erkundung der Festung - welche sehr leer ausging - war anscheinend abgeschlossen und auch ich war froh etwas Zeit zum Nachdenken zu haben. Die Sonne war bereits untergegangen und langsam wurde es auch kühl, was dem Herbst zu verdanken war. Ich, die ihren Mantel die Burgmauer hinabgeworfen hatte, krümelte sich ein wenig zusammen und schlang ihre Arme um den eigenen Körper. Nachdenklich fuhr ich über die frischen Schnittwunden.
Ein leises Rascheln ließ mich aufmerksam werden. Ich hatte mich etwas abseits von den anderen niedergelassen. Ich kannte die Lieder zwar, doch hatte sie nie wirklich aus Spaß oder Gemeinschaftssinn gesungen.
Als ich aufsah, näherte sich mir jemand gegen das Feuer, sodass ich zunächst das Gesicht nicht erkennen konnte, doch in den Händen lag eine wärmende Decke.
Ich sah verwirrt auf. So wie ich erzogen wurde, musste man sich um alles selber kümmern. Nur die Stärksten überlebten. Etwas zögerlich nahm ich sie an.
"Also, willst du mir jetzt vielleicht etwas mehr erzählen?", fragte die Person, welche sich nun als der Prinz entpuppte. Noch überraschter beobachtete ich ihn dabei, wie er sich neben mir niederließ. Er lehnte sich ebenfalls gegen einen Baumstamm und lächelte amüsiert.
"Du bist schließlich die einzige, die wir in der Festung gefunden haben", erklärte er und musterte mich eingängig. Ich nickte verstehend. Er fragte sich - zurecht-, warum ich noch am Leben war.
"Ich weiß nicht, warum sie mich nicht einfach umgebracht haben. Vielleicht, weil ich schon so lange dort bin", antwortete ich leise und breitete die Decke ein wenig über mir aus. "Das erklärt es nicht wirklich, immerhin verbrauchst du trotzdem ihre Nahrung und Wachen." Ich warf ihm einen etwas genervten Blick zu. Er lächelte leicht und nickte kurz. "Ich vertraue dir nicht", stellte er fest und zuckte mit den Schultern. Ich sah ihn etwas verwirrt an. Warum sollte er das denn nicht? Ich war doch eine gefangene Waldelbin?
"Und warum?", fragte ich schließlich und beobachtete ihn genau. Er nickte zu meinen Armen. "Alle Wunden haben dasselbe Alter: heute. Und du willst mir anscheinend nicht sagen, wie lange du dort warst, doch sagst selbst, dass es lange war", fing er an zu erklären. Ich mochte es, dass er so ehrlich war, doch das machte das Misstrauen nicht weniger gefährlich.
"Wollt Ihr damit sagen, dass ich mich den Kreaturen angeschlossen habe, die mich so lange Zeit gequält und gefoltert haben?", fragte ich ungläubig und legte auch etwas Wut mit hinein. Legolas zögerte kurz mit seiner Antwort. "Ich sage nur, dass das alles ein wenig komisch ist. Orks geben ihren Gefangenen schließlich normalerweise auch keine maßgeschneiderte schwarze Kleidung", antwortete er, wobei er aufstand und sich abwandte. Er hatte wohl bekommen, wonach er gesucht hatte.
"Legolas", hielt ich ihn noch schnell auf. Sofort fuhr es mir heiß durch den ganzen Körper, als ich merkte, dass ich ihn falsch angesprochen hatte. Ich war es schließlich auch nicht gewohnt, dass jemand über mir stand und Sauron hatte eine ein wenig eindrucksvollere Gestalt als er.
Wie erwartet drehte sich der Prinz langsam um und sah mich etwas verwirrt und nachdenklich zugleich an. "Danke", fügte ich hinzu und wandte schnell den Blick ab. Diesmal war das nicht einmal so gespielt gewesen. Egal, welchen Stand ich in Dol Guldur hatte, er war ein Prinz und den sollte man nicht so einfach ansprechen.
Legolas nickte kurz und ging dann mit einem tief nachdenklichen Blick zurück zu den Feuern. Ich seufzte schwer und hätte mich selbst schlagen können. Wenn ich so weitermachte, würde es nicht mehr lange dauern, bis ich enttarnt war.
Die Decke war warm und bracqhte mich überraschend gut durch die kühle Herbstnacht. Eigentlich war ich nicht sonderlich oft im Wald unterwegs, ich kannte das Gebiet um die Festung, doch hielt mich lieber in den bekannten Wänden auf. Ich betrachtete die Orks mit einer gewissen Hassliebe, wie eine Familie, die man nicht ändern konnte.
Der Morgen brach schleichend und düster herein, doch trotzdem war es ungewohnt viel Licht für mich, die sonst immer in einem dunklen Kerker schlief. Allerdings musste ich sagen, dass ich kaum ein Auge zugetan hatte. Ich hatte versucht eine Lösung für das kleine Problem mit dem Prinzen zu finden, doch war nicht wirklich weit gekommen. Vielleicht würde es einfach reichen, wenn ich nicht mehr von mir verriet. Immerhin hatte ich das gute Argument, dass sich eine Waldelbin niemals den Todfeinden ihres Volkes anschließen würde und das schien auch ganz gut bei ihm zu punkten. Er war sich nicht sicher und das sollte auch noch so bleiben, zumindest bis wir eine Weile zusammen gereist waren.
"Guten Morgen", begrüßte Cuinfaras mich, als die anderen sich bereits zum Aufbruch zusammenrichteten. Auch ich hatte meine Decke gefalten und sie gerollt, sodass sie möglichst wenig nervte bei den langen Märschen. Die nächtlichen Pausen würden weniger werden, das war mir klar. Elben hatten viel Kraft und konnten tagelang laufen wenn nötig, also würden wir davon auch Gebrauch machen.
"Guten Morgen", antwortete ich und wurde mir schnell wieder der Rolle bewusst, die ich zu spielen hatte. "Warum hast du dich letzte Nacht nicht zu uns gesetzt?", fragte der braunhaarige Elb und musterte mich etwas besorgt. "Ich habe mich noch nicht wirklich bereit gefühlt", antwortete ich und vermied Blickkontakt. Ich wusste nicht, ob ihm klar war, woher ich die Decke hatte, doch würde es ihm auch nicht von selbst erzählen.
Der Tag verlief recht ruhig. Etwa um die Mittagszeit setzte leichter Nieselregen ein, weshalb ich die Decke um meine Schultern legte. Sie würde sowieso nass werden, dann konnte sie mich auch gleich ein wenig wärmen dabei. Eigentlich war das, was ich von meiner schwarzen Rüsung noch hatte im Allgemeinen noch genug Schutz, um zu überleben, doch alleine schon die neugierigen Blicke der anderen Elben um mich herum, ließen mich ein wenig unwohl fühlen. Ich war es gewohnt jeden, der mich blöd ansah, einfach den Kopf abzutrennen, doch mir war natürlich klar, dass das hier nicht möglich war - noch nicht.
Spätestens am Nachmittag wurde mir bewusst, dass ich schon die ganze Zeit ein heimeliges Gefühl in meiner Brust hatte. Ich konnte mir vorstellen wovon es kam, doch wir hatten viel zu viele Leute verloren, als dass sich ein Angriff auf die Elben lohnen würde? Vielleicht wollten sie auch einfach mich zurückholen oder fragen was los war?
Also fiel ich ein wenig zurück und warf verstohlene Blicke in den schwarzen Wald um uns herum. Es war nichts zu sehen, doch ich vertraute dem Gefühl in meiner Brust blind. Etwas lauerte in der Dunkelheit.
"Hey, alles in Ordnung?", fragte Cuinfaras besorgt neben mir und schob sich ein wenig in mein Blickfeld. Ich nickte knapp und holte wieder auf. Meine Beine meldeten sich langsam. Ich war es nicht gewohnt so lange zu laufen, wenngleich ich sonst immer eine gute Ausdauer aufwies.
"Du solltest etwas essen", lächelte er bloß und hielt mir ein Stück Lembasbrot hin. Ich schenkte ihm ein kurzes Lächeln und nahm es an. Es wäre dumm diese nahrhafte Wegproviant abzulehnen. Ich selbst hatte es nur sehr selten gebacken, es war nicht unbedingt etwas, worauf viel wert gelegt wurde. Mein Lehrer hatte es mir fast schon im Geheimen gezeigt. Der Geschmack brachte einige schmerzliche Erinnerungen zurück, die mich kurz nachdenklich werden ließen und gleichzeitig unaufmerksam.
Ich zuckte etwas erschrocken von mir selbst zusammen und sah mich schnell um. Es war nichts geschehen, doch mir war dieser kleine Moment der Unachtsamkeit mehr als unangenehm.
Neben mir konnte ich den brennenden Blick meines Begleiters erkennen, doch er war nicht adelig, er konnte mich nicht in die Position bringen, in die ich wollte. Er konnte mir egal sein.
Ich hatte recht behalten. Selbst als die Nacht einbrach, ließ sich kein Zeichen von einer nahenden Pause zu erkennen geben. Ich war zwar müde, doch noch lange davor aufzugeben. So etwas gab es nicht in meiner Welt.
Doch mit der noch tieferen Dunkelheit wurden unsere Verfolger unachtsamer. Cuinfaras hatte ich zu seinen Freunden geschickt. Ich kam gut selbst zurecht und hatte mir vorgenommen bei dem nächsten Ruheplatz nochmal mit dem Prinzen zu sprechen, schließlich konnte ich nicht erwarten, dass er immer zu mir kam.
Ich konnte mir ein Augenrollen nicht verkneifen, als ich abermals ein leises kaum merkbares Rascheln vernahm. Die Elben vor mir schien das wenig zu interessieren. Sie waren in ihre Gespräche vertieft und schoben das Geräusch leichtsinnig auf Tiere, die von ihnen in die Flucht geschlagen wurden, doch ich wusste es besser.
Langsam wurde es zu auffällig und ich wollte schließlich auch nicht, dass noch mehr von meinen Leuten den Tod fanden, also nahm ich mir meine Decke von den Schultern und faltete sie so zusammen, dass ich sie provisorisch an meiner Rüstung befestigen konnte.
Es gefiel mir nicht, mich mit bloß meinem kleinen Messer, welches weiterhin in meinem Stiefel war, von den anderen zu entfernen, doch was sollte mir schon passieren? Schließlich waren sie die Feinde und ich ein Spion in ihren Reihen.
Mit zusammengekniffenen Augen verließ ich den Weg und sah mich aufmerksam um. Noch war nichts zu erkennen.
Meine Finger kribbelten unangenehm so ganz ohne eine Waffe in den Händen. Natürlich waren sie irgendwo meine Familie, doch es war nichts Unbekanntes, dass wir uns hin und wieder in den Haaren lagen und abhängig davon welche Wesen uns denn nun verfolgten, hatte ich mehr oder weniger eine Chance gegen sie.
Auf meinen Lippen zuckte ein leichtes Lächeln, als ich mir einer Person hinter mir bewusst wurde.
Wie erwartet schob sich ein elbisches Schwert vor mich. "Ganz schön mutig sich so ganz ohne Waffen von der Gruppe zu entfernen - wenn man auf unserer Seite steht zumindest", sprach der Prinz und ließ die Waffe ein wenig sinken. Ich sah ihn von der Seite an und versuchte einen Weg aus der Situation zu finden.
"Ich habe etwas gehört", antwortete ich einfach und hob ein wenig meinen Kopf. "Die Rolle, die du in den letzten zwei Tagen gespielt hast, würde sich niemals von den anderen trennen", murmelte er abwertend und hob erwartungsvoll die Augenbrauen.
Ich setzte zu einer Antwort an, doch schwieg, als sich Gestalten zu unseren Seiten zu erkennen gaben. "Und du warst nicht schlau genug noch andere mitzunehmen?", fragte ich herausfordernd und verschränkte meine Arme. Es hatte nun keinen Zweck mehr, er war nicht mehr umzustimmen, dann musste ich es eben auf eine andere Art machen.
"Ich kann mich gut selbst verteidigen", fuhr er zurück, doch schien erst jetzt wirklich zu bemerken, wie viele Warge sich gerade um uns sammelten. Es waren etwa sieben oder acht und zusammen mit mir hatte er keine Chance.
"Wie kannst du das mit dir selbst vereinbaren?", zischte er und musterte mich kopfschüttelnd, während er seine Gegner so gut wie möglich im Auge behielt.
"Ich bin schon lange keine Waldelbin mehr", antwortete ich und merkte, wie sich mit den Worten das kleine Mädchen in mir meldete.
"Ich kann dir zwar nicht sagen, wie der Prinz inzwischen ausschaut, doch er hatte genauso blonde Haare, wie sein Vater, als er geboren wurde", erzählte Forodren mit leuchtenden Augen, während er auf das Bild des großen König Thranduils schaute. Ich kuschelte mich enger an ihn und vergrub meinen kleinen Körper in der viel zu großen rauen Decke um mich herum.
"Dann muss er etwa so alt wie ich sein", lächelte ich und fuhr mit meinem Finger über die wunderschöne Krone auf dem Kopf des erhabenen Elben vor uns. "Du hast recht, sein Name ist Legolas. Er war erst einige Jahre alt, als -", erzählte er und brach nachdenklich ab. Ich sah mit großen Augen auf und presste mein Gesicht gegen seinen Arm. Ich hasste es, ihn so traurig zu sehen.
"Es tut mir leid", murmelte ich leise, worauf er seinen Arm um mich legte und liebevoll auf mich hinabschaute. "Dafür brauchst du dich nicht entschuldigen, Ingólwen. Die Erinnerungen an damals sind schön, sie sind das, was mich die Liebe und den Glauben in mir aufrecht erhalten lassen. Du wirst schon merken, wovon ich spreche. Es sind Momente wie diese, die uns daran erinnern, wer wir wirklich sind", lächelte er und strich mir sanft eine schwarze Strähne hinter die Ohren. "Selbst wenn ich einmal nicht mehr hier sein sollte."
Ich hob meine Hand, worauf die Warge sofort stehenblieben und mich erwartungsvoll ansahen. Ich seufzte schwer. "Kehrt zurück", befahl ich und wandte meinen Blick ab. Die wolfartigen Wesen zögerten verwirrt. "Das war ein Befehl", fuhr ich sie wütend an, worauf die meisten schnell abhauten, doch einer von ihnen fletschte mir gegenüber die Zähne. Ich griff schnell nach dem Schwert vor mir, welches immer noch in Legolas' Hand lag und richtete es auf ihn. Eigentlich hatte ich selbst nicht erwartet, dass der Prinz so leicht zu entwaffnen war, doch er schien schnell zu begriffen haben, dass ich ihm nichts anhaben wollte.
"Du hast wohl vergessen wer ich bin", knurrte ich gefährlich und trat näher. Der Warg sah zu seinen Kollegen, die neben uns auf ihn warteten und zog den Schwanz ein. Zufrieden beobachtete ich, wie auch er endlich seinen Weg zu den anderen fand.
Als die kleine Gruppe verschwunden war, hielt ich dem Prinzen sein Schwert hin, welcher mich bloß nachdenklich musterte.
"Behalt es", murmelte er schließlich und drehte sich um. Verwirrt blieb ich stehen und sah ihm hinterher. Was sollte das denn bedeuten?
"Die anderen haben schon ein wenig Vorsprung, wir sollten aufschließen", rief er, als er sich noch einmal nach mir umsah. Ich löste mich aus meiner Starre und folgte ihm.
"Das musst du mir erklären", sprach ich, als ich bei ihm angekommen war und wir zusammen den Weg fortsetzten. Ich nahm mir das Recht heraus ihn so ansprechen, da ich klargemacht hatte, welchen Rang ich in meiner Welt hatte und auch nicht mehr meine Loyalität vorspielen musste.
"Ich denke du hast gerade klargemacht, dass du zumindest nicht vorhast, mich umzubringen", antwortete er bloß und beschleunigte ein wenig. "Aber du weißt, dass ich auf der Seite deiner Feinde stehe?" Er lächelte leicht. "Also danach hat es gerade nicht ausgesehen." Ich kniff die Augen zusammen. Das vorhin hatte nicht zu bedeuten, dass meine Loyalität zu Sauron gelitten hatte unter diesem kleinen Flashback - oder zumindest hoffte ich das. Aber ich sollte wohl besser einfach froh sein, dass mein Plan noch keiner Bruchlandung zum Opfer gefallen war. Er würde mir zwar nicht mehr wirklich vertrauen, doch vielleicht war es ganz gut, dass er nun die Wahrheit kannte. Zumindest solange er mich nicht umbrachte. Eine ruhige Nacht würde es für mich von nun an wohl nicht mehr geben.
Sobald wir die anderen eingeholt hatten, gesellte ich mich zu Cuinfaras und Legolas nahm wieder die Führungsposition ein.
Die Freunde des Braunhaarigen warfen mir einige fragende Blicke zu, doch sprachen kein Wort. Es ging gerade darum, wer sich wann von der Gruppe trennen würde, das war wohl kein Thema, das so einfach unterbrechen werden konnte.
Anscheinend trennten sich Cuinfaras und ein Freund von ihm, bereits morgen vom Rest. Die anderen planten dies erst in einigen Tagen zu tun.
Ich trottete still neben ihnen her und lauschte dem Tropfen um mich herum. Der Regen war schon abgeklungen, doch von den Blättern lösten noch die letzten Tropfen.
Meine Gedanken kreisten immer noch um Legolas' Entscheidungen. Wie um alles in der Welt konnte er jemanden wie mich in seinen Reihen dulden? Ich hatte schließlich immer noch sein Schwert. Ich könnte jederzeit mit nur einem Streich mindestens drei seiner Leute ums Leben bringen und ihn interessierte das nicht? Dachte er wirklich, dass meine Loyalität so leicht zu brechen war?
"Ingólwen?", fragte Cuinfaras neben mir und tippte mich leicht an. Ich sah schnell zu ihm und hob fragend meine Brauen. Ich hatte nicht mehr zugehört.
"Willst du mit mir und Cúran gehen?", wiederholte er seine Frage. Ich zögerte kurz und warf einen Blick vor uns, wo durch einige Vorgänger der Prinz zu erkennen war, welcher sich mit seinen Offizieren unterhielt.
Ich lächelte leicht. "Das würde mich sehr freuen, danke", antwortete ich und sah wieder zu Cuinfaras. Dieser nickte zufrieden und wandte sich wieder seinen Freunden zu. Ich hatte eine Hand auf dem Heft des Schweres liegen und fuhr nachdenklich über den vergoldeten Griff. Er war eingedreht und sehr handlich. Die ganze Waffe selbst war fast federleicht und umso tödlicher. Die Schmiedekunst der Elben war offensichtlich um einiges weiterentwickelt als die der Orks, doch das hatte ich schon vorher gewusst. Die Elben verzauberten jedes Objekt, das sie fertigten, seien es Waffen, Kleidung oder Spielzeuge.
Bald wurde es Morgen. Wir hatten durch unser hohes Tempo bereits Gebiete erreicht, die von den kalten Sonnenstrahlen durchdrungen wurden. Sie fühlten sich merkwürdig an auf meiner Haut. Ich war in meinem Leben nur äußerst selten der direkten Sonne ausgesetzt gewesen. Ein dunkler Zauber lag auf Dol Guldur, den die Elben nicht komplett hatten lichten können.
Ich wusste noch nicht ganz, ob ich dieses Gefühl mochte. Es jagte mir Gänsehaut über den Körper.
Meine Reisebegleiter jedoch genossen sie offensichtlich. Einige baten um eine Pause, um die Helligkeit zu genießen, doch Legolas drängte auf eine Weiterreise.
Meine Beine schmerzten, doch zumindest war ich mir recht sicher, dass Cuinfaras und sein Freund eine Pause machen würden, sobald wir uns von der Gruppe trennten. Aus ihrer Sicht war es immerhin auch logisch, dass eine Elbin, die ihr Leben in Gefangenschaft verbracht hatte, nicht sonderlich ausdauernd war.
Um die Mittagszeit herum, legten wir doch eine kleine Pause ein. Wir hatten eine Lichtung erreicht, die geflutet von Sonnenlicht war.
Ich ließ die anderen vorangehen und setzte mich in der Nähe in die schattigen Bäume. Auch, wenn es Herbst war, war ich mir ziemlich sicher, dass meine Haut die plötzliche Sonne nicht so gut vertragen würde.
Also saß ich alleine auf einigen Wurzeln und aß das letzte Lembas Brot, das ich noch hatte. Mein Plan, in der nächsten Pause mit dem Prinzen zu sprechen, hatte ich wieder vergessen. Es war am besten, wenn ich einfach, ohne ein weiteres Wort, verschwand.
Doch so einfach wurde es mir natürlich nicht gemacht. Legolas erhob sich und sah sich suchend um. Mir war klar, dass er nach mir Ausschau hielt, doch ich hatte nicht das Bedürfnis es ihm noch einfacher zu machen.
Also blieb ich sitzen, bis er mich endlich erblickt hatte und sich auf den Weg zu mir machte. Ich seufzte schwer und senkte den Blick auf meine Hände, in denen ich an einem Blatt herumzupfte.
"Denkst du es hilft deinem Plan, dich als ehemalige Gefangene auszugeben, wenn du hier alleine in den Schatten sitzt?", fragte er mit einem besserwisserischem Lächeln und blieb mit verschränkten Armen vor mir stehen, um auf mich herabzublicken.
Ich verdrehte leicht die Augen. "Du bist also der Meinung, dass eine Elbin, die seit ihrer Kindheit in einer Zelle gesessen ist, es nun kaum erwarten kann ins volle Sonnenlicht zu gehen?", antwortete ich abschätzig. "Keine Ahnung, tust du?", fragte er immer noch mit einem Lächeln und hob seine Brauen. Ich kräuselte widerwillig meine Lippen und wandte den Blick ab. "Ich wurde bloß einige Jahre gefangen gehalten. Dann habe ich schnell erkannt, dass es schlauer ist mit ihnen zusammen zu arbeiten", knurrte ich, worauf der Prinz doch etwas ernster schaute.
"Inwiefern soll es auch nur im Geringsten schlauer sein, den Kreaturen zu helfen, die dich gefoltert haben, dein Volk kaltblütig morden und dir alles genommen haben?", antwortete er durch zusammengebissene Zähne. Nun stand ich doch auf und sah ihm direkt in die eisblauen Augen. "Es ist mir nicht schlecht bei ihnen ergangen. Ich bin dort hoch angesehen und das aus gutem Grund. Also, wenn du mich umbringen willst, dann tu das, aber erwarte nicht von mir, auch nur im Leisesten, die Loyalität zu wechseln. Das wird niemals passieren", zischte ich wütend, worauf er seine Augen leicht zusammenkniff. "Das werde ich nicht - noch nicht. Solange du niemandem schadest, bist du keine Gefahr", antwortete er verbissen und wandte sich ab. "Willst du warten, bis ich jemanden umbringe, oder was?", rief ich ihm hinterher, worauf er nicht reagierte.
Ich sollte wohl einfach froh sein, dass er mich in Ruhe ließ.
Als die Pause zu Ende war, gesellte ich mich wieder zu Cuinfaras, welcher gerade aus Richtung Legolas kam. Ich hoffte, dass ihm nichts erzählt wurde, doch seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, musste ich mir keine Sorgen machen.
"Ich habe Cúran und mich abgemeldet. Bist du dir immer noch sicher, dass du mit uns kommen willst?", fragte er mit einem sanften Lächeln. "Ich habe vorhin mit ihm gesprochen", antwortete ich und nickte. Es war immerhin nicht ganz gelogen. Legolas würde sicher nicht wollen, dass ich nun einfach abhaute, doch wenn ich hierblieb, würde ich nichts erreichen können. Wenn ich mit Cuinfaras ging, konnte ich in einigen Tagen nachkommen und sie würden mich problemlos zum Palast führen, so zumindest der Plan.
Während wir uns von der Gruppe entfernten, achtete ich sorgfältig darauf, dass ich niemals in das Blickfeld des Prinzen geriet, indem ich mich hinter Cuinfaras oder Cúran versteckte, welche dies glücklicherweise nicht bemerkten.
"Also, Cuinfaras hat mir erzählt, dass du kein Zuhause mehr hast, zu dem du zurückkehren könntest. Was hast du jetzt genau vor?", fragte Cúran geradeheraus, als die Stimmen der anderen hinter uns langsam verklangen.
Cuinfaras sah seinen Freund sofort anklagend an, worauf dieser unschuldig seine Hände hob. "Stimmt doch", verteidigte er sich leise und sah wieder nach vorne in den Wald. Er hatte wohl die Hoffnung auf eine Antwort meinerseits aufgegeben, doch ich würde dieser Frage auf Dauer sowieso nicht entgehen können.
"Ich bin mir nicht sicher, aber ich habe nicht all diese Jahre in Gefangenschaft überlebt, nur, um jetzt aufzugeben", sprach ich also, ohne ihn anzuschauen. Er schien etwas überrascht, doch antwortete nicht mehr.
Ich ließ mich zurückfallen, um nicht mehr weiter reden zu müssen und fuhr wieder nachdenklich über den goldenen Schwertgriff an meinem Gürtel. Ich hatte die Waffe sorgsam unter meiner Decke versteckt, damit keine Fragen auftauchten. Nicht, dass es mich interessieren würde, doch hatte ich damit nicht gerade den Prinzen des Waldlandreiches bestohlen?
Wie gehofft, fingen die beiden Elben vor mir ein gewöhnliches Gespräch an und achteten nicht mehr groß auf mich. Ich hatte kein Problem damit zu lügen, doch langsam musste ich aufpassen, dass ich mich nicht in ein Lügenkonstrukt verstrickte und mir am Ende noch selbst widersprach. Deswegen sollte ich einfach so wenig wie möglich sprechen.
~
Es waren inzwischen mehr als zwei Tage vergangen. Der dunkle Zauber, an den ich mich mein Leben lang so gewöhnt hatte, war kaum noch zu spüren. Das verunsicherte mich ein wenig, da ich immer das Gefühl gehabt hatte, Kraft aus diesem Zauber zu ziehen. Nun war alles in den verschiedensten Farben gefärbt, wie der Herbst mir früher immer beschrieben worden war.
Unangenehme Erinnerungen waren in mir erwacht, die ich größtenteils versuchte zu verdrängen, doch die nette, mitfühlende Art meiner beiden Begleiter machte das nicht gerade einfacher.
"Ingólwen?", holte mich Cuinfaras aus meinen Gedanken und lächelte, als ich leicht zusammenzuckte. Ich verspannte mich wieder ein wenig und warf ihm einen fragenden Blick zu. Er hielt mir bloß eine kleine Holzschüssel mit einigen Beeren hin.
"Sie werden dir Kraft geben", fügte er hinzu, als ich zögerte. Ich legte meinen Kopf etwas schief und sah ihn ungläubig an. Er lachte kurz. "Ich meine nicht körperlich", ergänzte er, worauf ich leise seufzte und die Schüssel annahm.
Als ich sie genauer betrachtete, war es als ob ein Blitz durch mein Hirn zuckte.
"Sie werden Gûrpië genannt. Warte, noch nicht essen, Kleines!", rief meine Mutter aufgeregt und führte meine Hand schnell wieder von meinem Mund weg. Mit einem tadelnden Blick, hockte sie sich neben mich. "Du kannst sie doch nicht einfach so essen, Ingólwen. Nicht, bevor du ihre Bedeutung kennst", lächelte sie, wobei sich ein gut bekanntes Glitzern in ihre Augen legte.
Ich schloss meine Finger um die prallen roten Beeren und ließ die Faust langsam sinken. Ihre Geschichten waren immer spannend, ich liebte es ihr zuzuhören.
"Es war vor vielen hundert Jahren, manche sagen sogar noch bevor dieses Zeitalter seinen Anfang fand. Eine blonde Silvanelbin war von zuhause weggelaufen. Ihre Eltern wollten immer, dass sie nur auf dem Hof blieb und arbeitete, doch das Mädchen wollte die Welt sehen.
Der Wald stand in voller Blüte, während sie laut singend durch die Bäume tanzte. Einige Blätter und der goldene Staub der Blumen hatte sich in ihren Haaren verfangen. Barfuß tanzte sie über die saftigen Wiesen, keinen Gedanken an morgen verschwendend.
Doch als es Abend wurde, merkte sie, dass sie bereits viel zu weit weg war von zuhause, als dass sie es noch im Hellen erreichen hätte können.
Sie setzte sich zu einem alten Baum und begann zu weinen. Ihr Anblick war so schön und die Trauer in ihrem Schluchzen so tief, dass sich der Wald ihrer erbarmte.
Ein sanftes rotes Licht, drang durch die fortgeschrittene Abenddämmerung und ließ das Mädchen für einen Moment innehalten. Es sah auf und erkannte, dass die großen Beeren auf dem Strauch vor ihr, zu leuchten begonnen hatten. Weitere Büsche, die in derselben Farbe schimmerten, bildeten einen Weg tiefer in den Wald hinein.
Also stand sie auf und folgte der magischen Spur, bis sie auf eine kleine Lichtung traf, auf dem einige Elben rasteten. Sie war schlau und wusste die Gesichter zuzuordnen, da sie ihr Leben lang begehrt hatte, aus dem Trott ihres Alltags auszubrechen.
Und so erhob sie ihre Stimme und bat um Unterkunft für diese eine Nacht", meine Mutter legte eine Pause ein und nahm selbst eine der roten Beeren in die Hand, um sie nachdenklich zu betrachten.
"Auf diese Weise haben sich der König und seine Frau kennengelernt. Ihr Glück spiegelt sich in diesen Beeren wider und jeder, der auch nur eine von ihnen isst, erfährt, dass es immer Hoffnung und Liebe gibt in dieser Welt", beendete sie und sah mir wieder in die Augen. Ich lächelte.
"Aber ich bin doch auch so glücklich, Mama", antwortete ich etwas verwirrt und lehnte mich gegen sie. Sie seufzte kaum merkbar und nickte. "Ich weiß, mein Schatz, ich weiß."
"Scheint, als hättest du doch noch ein paar Erinnerungen aus deiner Kindheit", holte Cuinfaras mich leise aus meinen Erinnerungen. Ich konnte ihn nicht ansehen und ließ die Schüssel sinken. Es fühlte sich nicht richtig an, diese heiligen Beeren zu essen, wenn mein Herz doch so tief schwarz war.
"Wo ist Cúran?", wechselte ich das Thema und sah mich kurz um. Es war bereits dunkel und vor uns knisterte ein Feuer. "Spazieren. Er hat gesagt, dass er glaubt sich hier bereits auszukennen. Er wollte irgendeinen Ort wiederfinden", antwortete mein Sitznachbar und zuckte mit den Schultern. Ich nickte nachdenklich und zögerte wieder.
"Danke, dass du mich mitgenommen hast", murmelte ich schließlich leise und starrte in die Flammen. Cuinfaras sah überrascht auf.
"Jeder hat eine zweite Chance verdient. Du mehr als die meisten anderen", lächelte er sanft, worauf ich mir bitter auf die Lippe biss und den Kopf schüttelte.
"Du bist zu hart zu dir selbst. An niemandem würde solch ein Erlebnis spurlos vorbeigehen", sprach er weiter und legte seine Hand auf meine Schulter. Ich schnaubte belustigt. Wenn er wüsste.
"Meine Mutter ist gestorben als ich noch sehr jung war. Ich glaube ich bin nie wirklich darüber hinweggekommen. Willst du mir von deinen Eltern erzählen?", fragte er vorsichtig. Ich schluckte schwer und zögerte einige lange Sekunden.
"Weißt du, wenn du diese Dinge dein Leben lang nur verdrängst, werden sie dich früher oder später mit noch viel mehr Intensität einholen." Ich wusste, dass er recht hatte, doch irgendwie machten seine Worte mich plötzlich nur noch wütend.
"Vielleicht muss ich das zuerst selbst herausfinden", knurrte ich entschlossen, doch rührte mich nicht vom Fleck.
Cuinfaras lächelte wissend und ließ die Hand von meiner Schulter gleiten. "Etwas, was jeder einmal durchmacht, wenn die Zeit gekommen ist", beendete er unser Gespräch und erhob sich.
Wie ein Schlag kam plötzlich all mein Pflichtbewusstsein zurück. Was tat ich hier? Ließ ich diese Erinnerungen wirklich zu? Warum sollte ich? Ich hatte ein gutes Leben gehabt! Ich war hoch aufgestiegen und wusste, dass ich auf der richtigen Seite stand, zumindest auf der, die letztendlich gewinnen würde. Sauron war sehr mächtig, das wusste ich besser als die meisten Waldelben, die so nah an der Festung wohnten. Ich hatte am eigenen Leib erfahren, wie viel er anrichten konnte! So leicht war meine Loyalität nicht zu brechen!
Ich wusste, was ich zu tun hatte, ich musste mich auf meine Aufgabe konzentrieren.
Also stand auch ich auf und zog mein Schwert, worauf Cuinfaras überrascht und verwirrt die Augen aufriss, doch ihm blieb keine Chance zu reagieren. Er erkannte die Gefahr erst, als die Schneide wenige Zentimeter von seinem Hals entfernt war, dann fiel der Kopf bereits dumpf zu Boden, zusammen mit dem leblosen Körper.
Ich atmete tief durch und starrte kurz auf die Leiche vor mir. Das war richtig. Ich hatte nicht so viele hunderte Jahre das Böse in mein Herz gelassen, nur, um jetzt so schnell umgedreht zu werden.
Ich spannte entschlossen mein Kiefer an, nickte und wandte mich ab.
Sobald ich mich dem dunklen Wald näherte, blieb ich wieder wie erstarrt stehen.
Cúran stand wortlos einige Meter von mir entfernt und hatte seinen gespannten Bogen auf mich gerichtet. Sein Gesichtsausdruck war kalt. Er wusste, was ich getan hatte und vielleicht sogar auch warum.
Ich hob langsam meine Hände, doch zögerte noch das Schwert aufzugeben.
Er war davon offensichtlich nicht groß beeindruckt und zuckte erwartungsvoll mit den Brauen. Etwas widerwillig ließ ich das goldene Heft aus meinen Fingern leiten. Dann musste es eben anders gehen.
"Du hast genau eine Chance dich zu erklären", knurrte er und trat einen Schritt näher, wobei er die Waffe weiterhin gespannt hatte.
"Lieber sterbe ich", zischte ich zurück und kniff meine Augen zusammen. "Das lässt sich einrichten", erwiderte mein Gegenüber und ließ den Pfeil auf mich losschnellen. Das hatte ich natürlich erwartet, weshalb ich mich gerade rechtzeitig zu Boden fallen lassen konnte und eine Rolle auf ihn zu machte.
Während dem Sprung zurück auf die Füße, streckte ich ein Bein in seinen Bogen, womit ich diesen aus seinen Händen riss. Doch er war offensichtlich nicht so ein unfähiger Gegner wie die meisten Orks, denn schon sah ich im Augenwinkel die Spitze eines Pfeiles aufblitzen.
Er wollte ihn kurzfristig als kleines Messer verwenden. Eine schlaue Idee, doch nicht schlau genug für mich.
Ich umklammerte mit meiner rechten Hand die seine und hielt sie damit von mir fern. Er hatte offensichtlich die Ansicht, dass er stärker wäre als ich, denn schon spürte ich, wie er den Druck immens verstärkte.
Ich gab ein wenig nach, in dem Wissen, dass ich um einiges kräftiger war. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen, worauf er bloß wütend die Augen zusammenkniff.
Ich wartete noch eine Sekunde und drehte die Hand dann zur Seite, worauf sie kurz knackte.
Ohne zu zögern, versetzte ich ihm einen harten Schlag ins Gesicht und schleuderte ihn gegen einen Baum hinter ihm. Er hatte zwar noch andere Waffen an sich, doch keine Möglichkeit eine von ihnen zu ziehen.
Nun war es eine leichte Übung meine Hand an seinen Hals zu legen und so stark zuzupressen, dass er nur noch damit beschäftigt war, den Griff um seine Kehle zu lockern, dass ich ruhig eines seiner Messer aus seinem Mantel ziehen und ihm tief in den Bauch rammen konnte.
Er riss die Augen auf und wollte nach Luft schnappen, die ihm verwehrt blieb.
Elendig ging er auf dem Waldboden zu Grunde, als ich ihn endlich freigab.
Ich zog ihm kurz entschlossen den Mantel aus, bevor er durch das Blut besudelt werden konnte und streifte ihn mir über. Man würde mich damit wohl viel eher in den Palast einlassen.
Nachdem ich ihm auch noch seine Waffen geraubt hatte, sammelte ich Legolas' Schwert wieder auf, das ich statt Cúrans nahm, und setzte meinen Weg in Richtung Osten fort. Die Elben hatten schon einigen Vorsprung, doch ich würde sie vielleicht noch rechtzeitig einholen.
~
Fast eine Woche war vergangen. Ich hatte gestern einen Ruhetag eingelegt, da meine Beine mich schon fast nicht mehr hatten tragen wollen. Ich musste zugeben, dass die Reiseproviant nicht die Schlechteste war. Mein Lembasbrot war schon lange aufgebraucht, doch von da an hatten Nüsse, Beeren oder Tiere herhalten müssen. Mehr, als ich zeitweise bei den Orks bekommen hatte.
Ich hatte es im Gefühl, dass ich kurz vor dem Palast war. Mein Plan stand schon seit einiger Zeit. Ich musste mein ganzes Wissen, das mein Lehrer mir damals beigebracht hatte, zusammenzusuchen und anwenden. Ich würde eine gute Waldelbin spielen. Nur so konnte ich zu der Königsfamilie vordringen und König und Sohn umbringen. Damit hatten die Elben keinen Anführer mehr und würden hoffnungslos unter der großen Faust Saurons zerschmettert werden.
Mit neuer Motivation beschleunigte ich mein Tempo und konnte tatsächlich die ersten Mauern durch die Bäume blitzen sehen.
Ich atmete nochmal durch und richtete mich zu meiner vollen Größe auf. Soweit ich wusste, mochten die Silvanelben Besucher nicht sonderlich, doch ich war immerhin eine von ihnen. Für mich würden die Türen schon offen stehen.
Ruhig und von mir selbst überzeugt, schritt ich auf die große Brücke zu, die zum Haupteingang führte.
Ohne ein Wort, nickte ich den Wachen am ersten Ende, kurz zu und trat dann auf den steinernen Untergrund.
Ich musste zugeben, dass der Palast sehr eindrucksvoll war. Um Welten schöner, als alles, was ich jemals zu Gesicht bekommen hatte. Ich war aber auch in einer alten, vermoderten Festung aufgewachsen, in der nichts als stinkende, hässliche Wesen mit unfassbar schlechten Manieren wohnten. Hier war alles rein, bestand großteils aus Holz und hin und wieder glänzte mich eine handgeschmiedete Schönheit an.
Das Waldlandreich war nicht das reichste von allen Ländern, doch Thranduil wusste mit dem, was hatte anzugeben.
Als ich näherkam, wurden mir tatsächlich bereits die großen Flügentüren geöffnet. Ich war etwas überrascht, dass es wirklich so einfach war, in den mächtigen Palast einzubrechen, doch andererseits hatten die Elben gegenseitig wohl nichts zu erwarten. Warum sollte eine Waldelbin dem König etwas Schlechtes wollen?
Die Hallen waren riesig. Wäre ich nicht mein Leben lang darauf getrimmt worden die Elben zu verachten, hätte mein Herz wohl zu bluten begonnen, nach all den verschwendeten Jahren meines Lebens. Doch in mir blieb alles kalt.
So gut ich konnte, versuchte ich nicht komplett orientierungslos zu wirken. Natürlich kannte ich mich nicht aus und wusste nicht, wo der König seinen Sitz hatte. Also rannte ich erst einmal eine Weile so entschlossen wie möglich herum und erkundete den Palast.
Es dauerte nicht lange, bis ich einfach den höchsten Punkt des mächtigen Gebäudes bestieg. Tatsächlich konnte man schon von weitem den riesigen Thron mit einem Hirschgeweih erkennen.
Von einem kleinen Plateau aus konnte man den König erkennen, doch nicht verstehen, was gesagt wurde. Er war gerade in ein Gespräch mit einigen Elben vertieft.
Als sich diese zum Gehen wandten, ließ ich meine Hand auf dem Heft Legolas' Schwertes liegen. Es zu werfen würde Thranduil umbringen, doch ich würde sicherlich geschnappt werden.
Nachdenklich fuhr ich über das Gold in meiner Hand und zögerte.
"Schatz, du kannst das Schwert nicht einfach so offen herumliegen lassen", erklang es dumpf durch die angelehnte Tür. "Was denkst du, wie dumm unsere Tochter ist? Sie wird es schon nicht anfassen", erwiderte mein Vater. Ich trat interessiert näher und drückte die Tür ein wenig weiter auf. "Es geht dabei nicht um Dummheit, sondern Neugierde und du weißt, wie neugierig sie ist!", rief meine Mutter aufgebracht zurück und zeigte auf das lange Schwert auf dem Esstisch.
"Ich war für eine Sekunde aus dem Raum! Außerdem weißt du sehr gut, wie groß die Bedrohung aus dem Süden in letzter Zeit geworden ist." Die Elbin schnaubte verächtlich und schüttelte den Kopf.
"Wie könnte ich, du bist ja kaum zu Hause", knurrte sie und verschränkte die Arme. "Ich versuche euch beide zu beschützen. Diese dunklen Kreaturen werden keine Sekunde zögern jeden umzubringen, den sie in die Finger bekommen, oder sogar Schlimmeres", antwortete mein Vater schon viel ruhiger und trat näher. Seine Frau schien wieder in tiefen Sorgen gefangen. Nun war das Schwert doch nicht so wichtig?
"Diese Bedrohung wird nicht für immer bestehen. Wenn das alles vorbei ist, werden wir ein ruhiges, glückliches Leben führen, ich verspreche es dir", lächelte er leise und umarmte sie.
"Wirf es", riss eine Stimme hinter mir, mich aus den Gedanken. Ich hasste es, so abwesend zu sein.
Ich drehte mich langsam um und versuchte meine Überraschung zu überspielen.
"Kannst du es nicht erwarten, König zu werden?", fragte ich mit hochgezogenen Brauen und ließ meine Hand von dem Heft gleiten.
Legolas schnaubte belustigt und trat ebenfalls an das Geländer, wo er kurz zögerte.
"Was tust du hier?", fragte er schließlich, womit er meine Frage unbeantwortet ließ, doch sie war auch mehr rhetorisch gemeint.
"Deinen Vater und dich umbringen", antwortete ich sofort, als wäre es selbstverständlich. "Und dann?", erwiderte er bloß und sah mir interessiert in die Augen. Ich seufzte genervt.
"Wann habe ich dir Anlass gegeben, mich so sehr zu unterschätzen?" Er lachte kurz und sah wieder zu seinem Vater. "Ich glaube dir, dass du hier bist, um mich umzubringen. Zumindest hat dein Kopf das vor", erklärte er amüsiert. "Du glaubst ich habe ein Herz?", brummte ich grimmig, worauf er fast schon etwas besserwisserisch in meine Richtung sah. "Woran hast du gedacht, bevor ich dich aus den Gedanken gerissen habe?" Ich kniff wütend die Augen zusammen und wandte schnell den Blick ab.
"Wenn dich diese Erinnerungen gar nicht beeinflussen würden, würde ich jetzt nicht hier stehen." Ich schob trotzig mein Unterkiefer etwas vor. "Du solltest mich nicht reizen", knurrte ich und drehte mich zum Gehen. "Der Letzte, der mit mir über meine Gefühle sprechen wollte, hat es ziemlich bereut", ergänzte ich und schritt an ihm vorbei. "Ingólwen", hielt er mich schnell auf und zog mich an meinem Oberarm zurück. Ich konnte gerade noch meinen Reflex unterdrücken, mich sofort zu wehren.
"Ich habe einen gewissen Respekt dir gegenüber und ich denke du hast ihn auch vor mir. Deswegen werde ich dich jetzt nicht umbringen", fing er an, worauf ich ihn schnell unterbrach: "Nicht, dass du es könntest." Er legte seinen Kopf etwas schief und sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ich senkte kurz den Blick. Diese Art brachte bei ihm wohl nicht mehr viel.
"Was würde denn passieren, wenn mein Vater und ich tot wären?", fragte er einfach und ließ mich wieder los. Ich sah ihn etwas überrascht an.
"Dieses Reich würde untergehen", erwiderte ich knapp. "Unter welcher Armee? Dol Guldur ist besiegt. Die wenigen Lakaien, die dort noch leben, können nicht viel ausrichten", antwortete, als hätte er diesen Satz von mir bereits erwartet.
Ich erwiderte nichts mehr und schürtzte bloß meine Lippen. Wenn er wüsste.
"Nun gut, was müsste passieren, um dich reden zu lassen?" Ich schnaubte belustigt und blickte ihm ungläubig in die hellblauen Augen. Dachte er wirklich, dass das so einfach möglich wäre?
"Ich glaube, dass du tief in deinem Herzen keine so schlechte Person bist, wie du selbst denkst. Du wirst diesen Palast nicht mehr verlassen, bis du nicht redest, auf welche Art auch immer." Er schlug endlich den Tonfall an, den man von einem Prinzen erwartete. War er doch pflichtbewusster, als ich gedacht hatte?
Ich kniff wieder die Augen zusammen und wollte wortlos abhauen, doch er streckte bloß die Hand erwartungsvoll aus und nickte zu seinem Schwert.
"Ich dachte ich darf es behalten?", fragte ich argwöhnisch und warf einen Blick hinter mich. Eine böse Vorahnung hatte sich in meinem Kopf breit gemacht.
Tatsächlich standen am Ende der Brücke zu dem Plateau einige Wachen, die außer Hörweite waren.
"Es ist eigentlich nicht üblich, dass Gefangene hier mit ihren Waffen herumlaufen, noch weniger mit meinen", antwortete Legolas erwartungsvoll. Ich konnte ein Lächeln nicht zurückhalten. "Bist du dir plötzlich doch noch bewusst geworden, was es heißt Prinz zu sein? Zu schade, muss ich dich wohl doch umbringen", grinste ich und holte blitzschnell eines von Cúrans Messern hervor, mit welchem ich haarscharf Legolas' Gürtel durchtrennte, welcher dadurch für eine Sekunde aus dem Konzept gebracht wurde. Seine Waffen waren nicht mehr dort, wo sie sein sollten.
Diese Verwirrung nutzte ich natürlich sofort aus, um mit meinem Bein das seine, wie mit einem Haken, wegzuziehen. Er krallte sich einfach an meiner Schulter fest, wodurch er mich mit sich zu Boden zog und ich gegen das Geländer flog. Er war definitiv kein Gegner, bei dem ich mir einem Sieg sicher sein konnte. Außerdem rannten die Wachen bereits auf uns zu, weshalb ich mich kurz entschlossen über das Holz schwang und mich abstieß.
Der Flug war länger als erwartet und die Landung um einiges härter, doch ich ignorierte den stechenden Schmerz aus meinem Knöchel und rannte weiter.
Sobald ich in den geschlossenen Teil des Palastes kam, zügelte ich meine Schritte, um nicht so gehetzt zu wirken. Noch war kein Alarm oder etwas derartiges ausgelöst worden, doch das würde nicht mehr lange dauern.
Als ich in den nächsten Gang trat, sah ich mich wieder drei Wachen gegenüber, doch die schienen offenbar zu wissen, wer ich war, denn schon zückten sie ihre Waffen und kamen in hohem Tempo auf mich zu. Ich wartete kurz, bewegungslos, bis sie einige Schritte nähergekommen waren, um ihnen das Gefühl zu geben, als ob ich überfordert wäre. Im letzten Moment zog ich meinen Bogen und schoss dem ersten einen Pfeil in die Brust, während ich über die lange Lanze des anderen sprang, der dritte hatte bloß das Schwert gezogen.
Es war nicht schwer zu erkennen, dass sie Befehl hatten, mich lebend gefangenzunehmen. Das machte es nochmal um einiges einfacher für mich, wenngleich es anderweitig auch kein Problem gewesen wäre, dem Elben, über den ich gerade gesprungen war, die Kehle aufzuschlitzen. Ich mochte eigentlich das Gefühl von warmen Blut auf meiner Hand, doch nervten die Flecken, die es hinterließ, also wandte ich mich schnell dem letzten zu. Dieser sah mich mit großen Augen an und hielt sein Schwert mit zittrigen Armen.
Ich verdrehte genervt die Augen. Das war doch kein würdiger Gegner.
Trotzdem durfte ich nicht riskieren ihn am Leben zu lassen. Deswegen schlug ich ihm leichtfertig die Waffe aus der Hand und stach Legolas' Schwert tief in seinen Bauch. Er gab einen röchelnden Ton von sich und ging zu Boden.
Ich nahm mir die paar Sekunden, um die wunderschöne Klinge an dem Stoff an seiner Schulter abzuwischen, dann huschte ich in den nächsten Raum, der von dem Gang abzweigte.
Es war offensichtlich die Wohnung einer Elbin. Als ich in das Wohnzimmer trat, blieb ich kurz überrascht stehen. Sie musste adelig sein. Einige Vitrinen befanden sich an den Wänden.
Langsam trat ich näher und betrachtete die Schmuckstücke. Meine Familie war nie sehr wohlhabend gewesen, doch meine Mutter hatte immer diese eine Kette getragen. Genau so eine, wie sie nun vor mir lag: ein kleiner Rubin gefasst in Gold auf einer engmaschigen goldenen Kette.
"Mami, diese Kette ist wunderschön", lächelte ich begeistert und fasste sie mit meinen ungeschickten kleinen Fingern an.
"Ja, das ist sie. Dein Vater hat sie mir an unserem Hochzeitstag geschenkt", lächelte meine Mutter und sah hinab auf den hell leuchtenden Rubin.
"Werde ich auch einmal so eine bekommen?", fragte ich mit glänzenden Augen und sah sie begeistert an. Sie lächelte sanft und strich mir über meine langen schwarzen Haare. "Ich bin mir sicher, das wirst du, Kleines. Du wirst einen Elben finden, der dir alles geben wird, was du jemals wolltest. Und du wirst dich unsterblich in ihn verlieben." Ich legte nachdenklich meinen Kopf schief. "Wie fühlt sich Liebe an, Mama?" Sie zögerte kurz und legte sich die Worte zurecht.
"Als ob du dieser Person alles anvertrauen würdest. Ihr bestreitet alles als Team, auch, wenn sie gerade nicht da ist, weißt du, dass sie dich bei allem unterstützen würde. Ein Gefährte, den du fürs Leben hast, jemand, der dich besser kennt, als jeder andere", erklärte sie in Gedanken. Ich runzelte verwirrt die Stirn. "Aber bist das nicht du, Mama?" Sie lachte und zog mich etwas näher zu ihr. "Nein, mein Schatz. Ich bin mir sicher, dass du es merken wirst, wenn du die richtige Person gefunden hast", lächelte sie liebevoll und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
Ich schluckte schwer und legte meine Finger leicht an das Glas. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte ich mir wohl einfach genommen, was mir gefiel, doch in diesem Moment fühlte es sich falsch an. Ich wollte es nicht weiter hinterfragen, wollte mich nicht zwingen, böse zu sein. Ich wollte bloß sein, wer ich war.
Ich riss mich von dem Anblick los und ging tiefer hinein in die Wohnung, bis ich zu einem Fenster kam. Dieses öffnete ich. Sofort schlug mir die Kälte entgegen.
Kurz genoss ich die frische Luft, bis ich auf das Fensterbrett sprang und nach unten sah. Es war glücklicherweise nicht sonderlich hoch - für mich zumindest.
Also ließ ich mich, ohne weiter zu zögern, hinunterfallen und verschwand wieder zwischen den Bäumen.
~
Es war inzwischen dunkel geworden, so lange saß ich schon in dem Baum und starrte auf den Balkon, hinter dem sich das Zimmer des Prinzen abzeichnete. Noch hatte ich mich nicht dazu durchringen können, hinaufzuklettern. Ich versuchte mir einzureden, dass es in beide Richtungen gehen könnte. Entweder ich brach ein und brachte ihn um, oder er brach meine Loyalität zu Sauron entgültig.
Ich kaute unsicher auf meiner Lippe herum und verkrampfte meine Finger. Zurück nach Dol Guldur wollte ich auch nicht, also warum saß ich hier noch so blöd herum?
Ich atmete tief durch und erhob mich. Früher oder später würde ich doch sowieso da raufklettern.
Von Balkon zu Balkon zu springen, war keine leichte Übung, doch es dauerte trotzdem keine paar Minuten, bis ich auch schon an meinem Ziel stand.
Ich zögerte noch einmal und knetete meine Hände, bevor ich endlich eine Faust hob und vorsichtig klopfte. Es dauerte gähnend lange Sekunden, bis der Vorhang beiseite geschoben wurde und Legolas erschien. Er war weniger überrascht, als ich erwartet hatte.
Schnell machte er die Tür auf und öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen, doch ich kam ihm zuvor: "Ich hasse es anderen rechtzugeben, also erwarte nichts dergleichen von mir." Er lächelte amüsiert, schloss den Mund wieder und trat schweigend einen Schritt zurück, um mich reinzulassen. Ich nahm die Einladung etwas zögerlich an.
Es war das Wohnzimmer gewesen, an das der Balkon angrenzte. Es war wirklich atemberaubend. Nicht im Traum hätte ich mir einen Raum wie diesen vorstellen können.
Der Boden war mit wunderschönen Teppichen ausgelegt, die Wände mit Bildern behangen. Vor einem großen Kamin standen einige Sofas und weiter hinten erkannte ich einen Esstisch mit einigen Stühlen. Die Farben waren in einem dumpfen Weinrot gehalten.
"Warum bist du dann hier?", holte Legolas mich aus dem Staunen und schloss die Tür hinter mir wieder. Ich drehte mich schnell zu ihm zurück.
"Um dem Waldlandreich eine zweite Chance zu geben." Legolas lächelte, doch es war nicht wieder so ein besserwisserisches oder arrogantes Lächeln, es war einfach nur erfreut.
Mit einer ausladenden Bewegung deutete er auf die Couch beim Kamin. "Setzen wir uns."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro