~ 6 ~
Als sie abends im Bett lag, dachte sie über den wunderschönen Nachmittag nach, den sie mit Ben verbracht hatte. Nachdem ihre Angst bezüglich ihrer Kinder im Nichts verpufft war, hatte sie sich tatsächlich entspannen können und es hatte sich wieder diese Leichtigkeit eingestellt, die sie so genoss, wenn sie mit ihm schrieb. Da konnte sie alle Sorgen und Nöte beiseiteschieben, die sie manchmal doch marterten.
Nach dem wirklich leckeren Essen hatten sie noch einen Spaziergang gemacht und über Gott und die Welt gesprochen. Sie hatte einiges von ihm erfahren: Er war Software-Entwickler, hatte seine eigene Firma, fuhr gern Motorrad und spielte in einer Band. Er hatte sie eingeladen, mal an einer Probe teilzunehmen und sie dachte ernsthaft darüber nach. Na ja, sie liebte Musik, denn die hatte sie bisher durch alle Höhen und Tiefen ihres Lebens begleitet.
Zum Schluss hatte er sie noch nach Hause gebracht und sie hatten sich hier vor ihrer Tür verabschiedet. Als sie ihn umarmen wollte, war ein kleines Malheur passiert. Denn er hatte ihr im selben Moment einen Kuss auf die Backe drücken wollen. Wobei seine Lippen nicht ihre Wange getroffen hatten, sondern ihren Mund. Sie war ziemlich erschrocken darüber, welcher Stromstoß durch sie gejagt war, während sein Geruch sie eingehüllt hatte.
Sie war dann lieber geflüchtet. Nicht, dass sie einen Fehler beging. Auch wenn Juli und Sarah sagten, sie wäre ja keine vertrocknete Pflaume und hätte eben Bedürfnisse, musste sie denen ja nicht sofort nachgeben. Obwohl sie sich schon danach gesehnt hatte, als sie den sanften Druck seiner Lippen auf ihren gespürt hatte, gab sie zu und seufzte. Als ihr Telefon piepte, nahm sie es stirnrunzelnd zur Hand. War irgendwas mit den Kindern? Wer schrieb ihr denn sonst noch um die Zeit? Sie musste automatisch lächeln, als sie sah, dass die Nachricht von Ben war.
„Bist du noch wach?"
„Ja, liege aber schon im Bett."
Sie wartete darauf, dass die Info kam, dass er zurückschrieb, doch stattdessen verschwand das „online". Verwundert schüttelte sie den Kopf. War er beleidigt? Oder warum schrieb er sie an und antwortete nicht mehr? Das war nur ehrlich gewesen. Sie hatte ihm nicht sagen wollen, dass er störte oder so. Fassungslos wollte sie das Telefon zur Seite legen, als es plötzlich in ihrer Hand vibrierte. Scheiße, damit hatte sie aber nicht gerechnet!
„Hey", sagte sie etwas atemlos und hörte erst mal nix.
Dann räusperte sich Ben und meinte: „Hey. Störe ich irgendwie? Du klingst so ... abgehetzt."
„Abgehetzt?!? Nein, ich ... ich bin nur erschrocken. Ich dachte, du wärst beleidigt oder so, weil ich dir geschrieben habe, dass ich schon im Bett liege."
„Wieso sollte ich deswegen eingeschnappt sein?"
„Keine Ahnung. Man kann über vieles beleidigt sein, hab ich gelernt. Aber das ist egal."
„Dein Ex?"
„Wir wollen garantiert nicht über meinen Noch-Mann reden, oder?"
„Nicht unbedingt. Aber wenn du Redebedarf hättest wegen ihm, würde ich es mir trotzdem anhören."
„Ist lieb. Hab trotzdem keinen Bedarf."
„Ok, wie du möchtest. Wie lange hast du denn morgen kinderfrei?"
„Bis abends, so gegen 19 Uhr denke ich. Wieso?"
„Hm. Weil ich gerade darüber nachgedacht habe, dass ich den Nachmittag mit dir echt genossen hab und ich mich frage, ob du nicht Bock hast, morgen was zu machen. Es sei denn, du hast schon etwas vor?"
„Nein, nicht so wirklich. Ich wollte lernen. Ich kenn noch nicht viele Menschen hier, mit denen ich Kontakt habe. Im Grunde nur Juli und ihren Freund und ein paar Bekannte von ihnen, Mo und dich. Und Mo kenn ich ja auch nur vom Bedienen heute, also... Wieso plappere ich?"
„Keine Ahnung. Aber quatsch einfach weiter. So erfahr ich noch ein bisschen mehr von dir. Ohne, dass ich dir jeden Wurm aus der Nase ziehen muss. Was schade ist, denn ich denke, du könntest noch viel mehr erzählen."
„War das ein Kompliment?"
„Ja, das sollte eine Art Kompliment sein. Immerhin gibt es viele Menschen, die ihr Leben vor einem ausbreiten. Man hört zu und denkt sich insgeheim, dass man gar nicht wissen wollte, wie die Person darauf gekommen ist, seinen Goldfisch Hermann zu taufen..."
„Du kennst nicht ernsthaft jemanden, der seinen Fisch Hermann genannt hat!"
„Nö. Könnte doch aber sein."
Als sie sich das vorstellte, musste sie kichern und erklärte: „Du hast einen Knall."
„Das hab ich allerdings schon ein paar Mal gehört. Das ist ok. Hat dich zum Lachen gebracht. Das mag ich sehr."
Sie hörte das Grinsen in seiner basslastigen Stimme und kuschelte sich automatisch tiefer ins Kissen. Sie mochte den Klang. Er hatte irgendwie etwas Beruhigendes. Trotzdem musste sie wieder so doof lächeln und verdrehte automatisch die Augen. Sie würde sich nie an solche Komplimente gewöhnen.
„Aha. Du scheinst eine Menge zu mögen."
„Na ja, das Leben ist zu kurz, um sich mit Dingen abzugeben, die man nicht mag, oder?"
„Da hast du allerdings auch wieder Recht. Doch ab und zu bleibt einem keine Wahl."
„Ja, dann toleriere ich das. Aber sonst versuche ich, mein Leben damit zu füllen, was ich mag. Du nicht?"
„Doch, ja na klar. Wer nicht?"
„Eben. Jetzt sind wir vom Thema abgekommen. Denn du wolltest weiterplappern, sodass ich noch ganz viel nebenbei von dir erfahre."
„Ganz bestimmt. So interessant, wie du tust, bin ich unter Garantie nicht."
„Ich denke, du irrst dich. Aber das lasse ich mal so stehen. Also noch einen Schritt weiter zurück: Hast du Bock, dass wir morgen was zusammen machen?"
„Was schwebt dir denn vor?"
„Keine Ahnung. Wir könnten eine Tour machen..."
„Oh no! Ich steige unter Garantie niemals nicht auf ein Motorrad! Wirklich! Sorry, das kann ich nicht. Ich saß einmal auf einer 80er Maschine und ich bin tausend Tode gestorben, während mir der Arsch auf Grundeis ging. Da kommt der Boden in den Kurven soooo nah, ich dachte, wenn ich die Zunge herausstrecke, schmeck ich den Asphalt. Nö, nö, ich hab nichts dagegen, wenn jemand gerne Motorrad fährt, aber ich bin da niemals nicht Sozia."
Sie hörte, wie er lachte und spürte den Schauer, der durch ihren Körper rieselte, ehe er sagte: „Du bist also tausend Tode gestorben, während dir der Arsch auf Grundeis ging? Du bist echt verdammt süß."
„Das war nicht süß, sondern einfach nur ehrlich."
„Ich fand's trotzdem süß."
„Ich bin aber nicht süß."
„Oh, scheiße, doch, das bist du."
„Diskutieren wir jetzt ernsthaft darüber, ob ich süß bin?"
„Nö. Da gibt's ja gar nichts zu diskutieren, denn du kannst ja meine Meinung niemals nicht ändern, dass ich dich süß finde."
„Verarscht du mich jetzt?", fragte sie und plötzlich herrschte lähmende Stille am anderen Ende, also fügte sie verunsichert an: „Ben? Bist du noch da?"
„Hm, ja. Ich versuche gerade herauszufinden, warum du dich verarscht fühlst."
„Weil du meine doppelte Verneinung verwendet hast."
„Die habe ich verwendet, weil ich sie süß finde, Ella. Ich verarsche keine Menschen. Nicht bewusst. Ok?"
„Oh. Ok", flüsterte sie und weil er so geknickt geklungen hatte, fügte sie an: „Ich bin trotzdem nicht süß."
„Sondern?"
„Kompliziert. Ich bin kompliziert. Aber süß würde ich nicht zu mir sagen."
„Kompliziert ist gut. Einfach würde mich schnell langweilen."
„Hm. Da bist du offenbar eine Ausnahme", murmelte sie gedankenverloren und als sie bemerkte, was sie gerade gesagt hatte, wurde ihr ganz heiß.
„Dein Mann mochte es demnach nicht?"
„Keine Ahnung. Ich will nicht darüber reden."
Dass seine Stimme so sanft geklungen hatte, setzte ihr zu. Sie hatte ihm also nicht nur einen Einblick auf ihre Gefühlswelt gewährt, sondern er hatte auch noch Mitgefühl. Erschrocken bemerkte sie, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete und plötzlich Tränen in ihren Augen schwammen. Das durfte jetzt nicht wahr sein, oder?
„Ella, weinst du gerade?"
„Nein."
„Das klang aber nach einem Schluchzen."
„Nur ein bisschen. Geht gleich wieder weg. Tut mir leid."
„Wieso entschuldigst du dich dafür?"
„Weil ... einfach so. Ich will nicht darüber reden."
„Ok", erklärte er und sie hörte ihn seufzen.
Sie war so peinlich. So unfassbar peinlich. Sie war doch komplett irre. Genau darum hatte es doch nicht mehr geklappt. Wieso musste sie nur so scheißkompliziert sein?
„Darf ich dich dann morgen abholen?"
„Das willst du noch?"
„Ja, Ella. Weil Tränen nichts daran ändern, dass ich dich süß finde."
„Ok", flüsterte sie ergriffen und merkte, dass er zwar etwas genervt klang, aber offenbar nicht böse war.
Denn er ging darüber hinweg und machte mit ihr das Treffen aus. Dann wünschte seine sanfte, tiefe Stimme ihr eine gute Nacht und er legte auf. Sie starrte noch Sekundenbruchteile beschämt aufs Display, ehe sie ihr Telefon weglegte. Sie fragte sich automatisch, wohin das führen sollte und brach endgültig in Tränen aus.
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