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Er zuckte zurück, als hätte sie ihn geschlagen, und starrte sie zu gleichen Teilen schockiert und verwirrt an. Der Schmerz in ihren Augen war unermesslich, aber er wusste nicht, was sie meinte. In Gedanken ging er nochmal durch, was sich in den letzten Minuten ereignet hatte und als der Groschen fiel, setzte sein Herz einen Schlag aus. Nur um dann in der gleichen Vehemenz gegen seine Rippen zu trommeln, wie Phil Colins auf sein Schlagzeug bei „In the air tonite".
Betroffen fluchte er und beeilte sich, Ella in ihre Arme zu ziehen. Sie zitterte am gesamten Leib und diesmal schnitten die Laute, die über ihre Lippen drangen, tiefe Kerben in sein Innerstes. „Sunny, es tut mir leid. Das wollte ich nicht."
„Ich ... nicht ... ich kann nicht ... ich..." Er spürte, wie sie versuchte zu erklären, was in ihr vorging, doch sie konnte nicht. Zu tief hatte der Schlag gesessen, den ER IHR versetzt hatte. Er schloss die Augen und verfluchte sich ein weiteres Mal.
„Schon ok. Du hast nichts falsch gemacht, Ella. Ich hab nicht nachgedacht. Tut mir leid." Er wusste nicht, was er tun sollte. Jetzt hatte er richtig Scheiße gebaut und sein Hals fühlte sich an, als hätte er Stacheldraht verschluckt. Ihm ging der Arsch auf Grundeis und als ihm bewusst wurde, wie die letzten Minuten für Ella ausgesehen haben mussten, begann sein Körper ebenso zu beben wie ihrer. „Ich wollte dich nicht triggern."
Sein Flüstern schien ungehört zwischen ihnen zu stehen und seine Brust krampfte sich so schmerzhaft zusammen, dass er dachte, er müsse unter dem kräftigen Klopfen hinter seinen Rippen zusammenbrechen. Er musste doch irgendwas finden, womit er Ella beruhigen konnte! Irgendwas konnte man immer tun. Er hatte gedacht, er hätte sie bereits am Boden liegend gesehen, aber er hatte sich getäuscht. „Ella, sag mir, was du brauchst. Was ich tun kann. Ich ... du glaubst nicht, wie leid mir das tut."
Weiterhin konnte sich Ella nicht verständlich artikulieren und das Einzige, was er begriff, war, dass sie furchtbar müde war. „Ok, Sunny. Ich bring dich nach Hause, ja? Da kannst du schlafen. Willst du heim?"
Er rechnete damit, dass Ella nickte oder irgendwie anders ihre Zustimmung gab, aber dass sie noch mehr weinte, das machte ihn betroffen. Was machte er nur falsch?! Er zitterte mittlerweile selbst wie Espenlaub, weil jede Faser seines Herzens schmerzte. Ella so zu sehen, tat unglaublich weh. Zu wissen, dass er der Grund dafür war - er das ausgelöst hatte – brachte ihn fast um den Verstand.
Er wusste nicht, was er tun sollte, während sich Minuten zu Tagen ausdehnten und Ella in seinen Armen schluchzte. Er murmelte immer wieder, wie leid es ihm tat und wie sehr er sie liebte. Dazu hauchte er Küsse in ihrem Haar. Irgendwann spürte er, wie Ellas Anspannung nachließ und hörte, wie ihr Weinen abebbte. Hoffnungsvoll lehnte er sich etwas zurück, um ihr ins Gesicht sehen zu können.
Sofort stockte ihm der Atem: Ihre Iriden schienen jede Strahlkraft verloren zu haben, stattdessen leuchteten ihre Augäpfel rot und hoben sich noch mehr von den dunklen Ringen unter ihren Augen ab. Wieso waren ihm die nicht vorher aufgefallen? Weil du zu bezaubert davon gewesen bist, dass sie plötzlich vor dir stand.
Instinktiv nickte er und bemerkte, dass weiter, in unregelmäßigen Abständen, Tränen über ihre Wangen liefen. Erneut schluckte er gegen den Kloß in seinem Hals an. Das schmerzte noch mehr. Denn es wirkte, als hätte sie kapituliert.
Ihre Körperspannung – Ella sah aus, als wolle sie jeden Moment in sich zusammenfallen wie das World Trade Center am elften September vor einigen Jahren. Genau dieses Unbehagen stieg in ihm hoch. Das Gleiche, das er damals bei den Fernsehbildern empfunden hatte. Nur, dass ich das Flugzeug bin. Was es noch schlimmer macht.
Sofort schalt er sich für seine Gedanken: Die Situation hier konnte man wohl kaum mit der Tragödie vergleichen, in der unzählige Personen ihr Leben ließen, während die Welt den Atem anhielt. Trotzdem fühlte es sich so an. Als hätte er dieses Attentat verübt. Nicht auf so viele Menschen, sondern nur auf Ella. „Was kann ich tun, damit es dir besser geht?"
„Ich bin so unendlich müde." Ihm fiel auf, dass sogar ihr Flüstern zerbrechlich wirkte, und aufs Neue krampfte sich seine Brust schmerzhaft zusammen.
„Ok. Willst du nach Hause? Ich bring dich hin. Ist kein Problem, ich..." Er beobachtete, wie sich wieder mehr Tränen in ihren Augen sammelten, und ein kleiner Schauer überlief ihn. „Oder du schläfst hier."
Ein kleiner Funke Hoffnung glomm in ihrem Gesicht auf, ehe er verglühte. Doch das reichte ihm als Antwort. Er drückte ihr einen kurzen Kuss ins Haar und griff nach ihrem Handgelenk, um sie zu der Milchglastür zu ziehen, die den Treppenaufgang ins Obergeschoss vom Rest trennte. Ella folgte ihm ohne Federlesen und er wollte sich nur noch an sie und in sein Bett kuscheln. Das hatte ihn wirklich mitgenommen. Er zitterte weiterhin leicht.
Doch dann schlug er kurzerhand einen Haken, um sie ins Wohnzimmer zu bringen. Die Gefahr, dass sie fehlinterpretieren konnte, falls er sie in sein Schlafzimmer brachte, schien ihm zu hoch. Ella folgte automatisch seinen Schritten und er wagte es nicht, erleichtert aufzuatmen. Das werde ich erst, wenn sie in meinen Armen schläft.
Er bemerkte, dass Ellas Blick an der Flasche Scotch hängenblieb, ehe er zum Glas wanderte und wollte etwas sagen, doch Ella schob sich mit mechanischen Bewegungen ihre Schuhe von den Füßen und legte sich aufs Sofa. Kurz fragte er sich, ob er sich danebenlegen durfte, aber dann warf er seine Bedenken über Bord. Schnell angelte er nach der Wohndecke, breitete sie auf Ella aus und platzierte sich neben sie.
„Es tut mir leid, Ben."
„Nein, nicht doch. Du hast nichts falschgemacht."
Jetzt drang erneut leises Schluchzen an sein Ohr, während er sie zu sich zog und er spürte, wie sie matt den Kopf neben seinem Herzen ablegte, das weiterhin unregelmäßig zu schlagen schien. Immer wieder kam es ins Stolpern. Er hatte keine Ahnung, wie er ihr verdeutlichen sollte, dass er das nicht gewollt hatte. Also schwieg er und hielt sie nur fest, ließ seine Finger durch ihr Haar gleiten, das ihn mit seinem Geruch einhüllte.
Irgendwann merkte er, dass das Beben ihres Körpers erstarb, und kein Laut mehr von Ella kam, wenn man von den leisen Atemzügen absah, die sie mit einem leichten Druck gegen seinen Brustkorb untermalte. Jedes Mal, wenn sich der ihre hob. Automatisch schüttelte er den Kopf und ein lautloses Seufzen brach von seinen Lippen. Wieso nur wollte er, dass dieser Moment niemals endete und gleichzeitig war ihm sein Herz so schwer? Ich muss das klären, wenn sie ausgeschlafen hat. Das darf ich nicht so stehen lassen.
Er schloss die Augenlider und lehnte den Kopf an den ihren. Es fühlte sich an, wie ein gestohlener Augenblick. Noch während sich seine Gedanken überschlugen, merkte er, wie ihm die Augen zufielen. Morgen klär ich das. Ich darf sie nicht wieder verlieren.
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