~ 48 ~
Hilflos streichelte er ihr mit zittrigen Fingern durchs Haar und ließ sich vorsichtig an der Tür zu Boden gleiten. Währenddessen hielt er Ellas bebenden Körper so fest, dass sie ihm nicht aus den Händen rutschen konnte. Ihre Fingernägel bohrten sich durch sein Shirt und kratzten dabei über seine Haut. Sein Herz klopfte am Limit, dachte er kopfschüttelnd, während sich in Ella ein Orkan zu entladen schien.
Er war noch nicht komplett hinweg über ihre Eröffnung, dass sie ihn eigentlich wollte. Das wollte seine Brust vor Freude platzen lassen, obwohl die schier unfassbare Panik in ihrem Blick ihn so betroffen machte. Was also trennte sie noch voneinander? Seine Äußerung? Die Tatsache, dass er ihr nie ein gemeinsames Kind schenken könnte, falls sie den Wunsch danach hatte? Oder waren es andere Dinge?
Er versuchte, sich aus ihren fast unverständlichen Worten einen Reim daraus zu machen, doch er hörte nur, dass sie etwas nicht dürfe. Also hauchte er still einen Kuss in ihr wirres, von den Tränen verklebtes Haar und wiegte sie automatisch. Was konnte er sonst tun? Sie schien eine Tonnenlast mit sich herumgeschleppt zu haben. Shelby? Das hielt er für ausgeschlossen. Er hatte zwar am Nachmittag gemerkt, dass ihre Hundeoma ihr fehlte, doch er schloss aus, dass diese Tatsache diesen Sturm entfesselt hatte.
Dieser Verlust war nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, das sagte ihm sein Bauchgefühl. Dafür war der Schmerz zu heftig, der aus ihr herausbrach und sie umnietete. Wie gerne würde er ihn ihr nehmen?! Aber das konnte er nicht. Er konnte lediglich da sein. Sie halten, bis der Sturm nachließ. Jedes Beben ihres Körpers hallte in seinem wider, jegliches Schluchzen schickte einen Schauer über seinen Rücken. Sie muss allein da durch. Ich kann nur der Halt sein. Der Anker.
Es fiel ihm nicht gerade leicht, sich in diese Rolle einzupassen. Doch solange sie ihm nicht mitteilen konnte oder wollte, was sie so marterte, würde es genügen müssen. Er unterdrückte ein Seufzen und lehnte seinen Kopf an ihren, atmete den Brennnesselgeruch ein, der vom Salz ihrer Tränen durchsetzt war und schloss die Augen.
Er wusste nicht, wie lange es dauerte, bis er spürte, dass das Beben allmählich aus Ella wich und die Schluchzer sich ausdünnten. Doch als es verstummte und nur noch ihre Atemzüge und das Ticken seiner Wanduhr die Stille durchbrachen, öffnete er die Augenlider und lehnte sich etwas zurück. Sofort brannte sich Ellas Blick in seinen und er las Resignation und Bedauern in ihren dunkelbraunen Augen, die matt vor Erschöpfung waren.
„Ich sollte jetzt fahren." Ihr Flüstern klang kraftlos und er schüttelte automatisch den Kopf.
„Nein, du solltest bei mir bleiben und mit mir drüber reden, was ausgelöst hat, dass du so zusammenbrichst."
„Ich will nicht reden. Ich will schlafen. Einfach die Augen schließen und alles verschlafen."
„Davon geht es nicht weg, Ella."
„Weiß ich. Genauso wie ich weiß, dass das gerade ein Fehler war. Alles." Er ließ sie automatisch los, als sie sich hochrappeln wollte, und starrte sie irritiert an, ehe er sich ebenfalls langsam erhob.
„Was willst du damit sagen?"
„Dass ich nicht gut für dich bin, Ben. Deswegen war es falsch, hierherzukommen und..."
„Stopp."
„Nein, Ben. Nicht stopp. Wie irrational ich mich verhalte, habe ich doch gerade bewiesen. Ich hab spürbar nicht alle Latten am Zaun und es ist unfair, das auf deinem Rücken..."
„Stopp, verdammt nochmal!" Er sah, wie Ella zurückzuckte und sich auf die Lippen biss, während sie seinem Blick auswich. Um der aufkeimenden Panik in sich etwas entgegenzusetzen, atmete er tief ein und ließ die Luft langsam wieder entweichen. Dann schob er einen Finger unter ihr Kinn und zwang sie, ihn zu fixieren. „Ella, ich kann mich an ein Gespräch erinnern, bei dem wir uns darauf geeinigt hatten, dass du mir zutraust, solche Sachen selbst zu entscheiden. Du musst nicht auf mich aufpassen."
„Aber auf mich. Es geht mir nicht gut dabei, wenn ich weiß, dass ich dich in meinen Abgrund reiße."
„Und wieder die Unterstellung, dass ich das nicht zu verhindern wüsste. Wie kann ich dir nur begreiflich machen, dass ich das kann?"
„Gar nicht, Ben. Ich weiß, was ich bin. Ich bin ein Vampir, der mehr nimmt, als gibt und seine Opfer..." Sie brach ab, als er bitter auflachte und sich über seine Stirn fuhr. Sofort stand ihr erneut Schuldgefühl ins Gesicht geschrieben und er seufzte.
„Ella, du bist kein Vampir. Du magst immer wieder mit dir hadern, aber - sorry, wenn ich dich runterhole von deiner Wolke - das macht dich nicht zu einem übernatürlichen Wesen aus irgendeinem Fantasyroman, sondern bloß zu einem Menschen aus Fleisch und Blut."
Schieres Erstaunen blitzte ihm nun auf ihrem Gesicht entgegen und er schloss kurz die Augen, ehe er sie wieder anfunkelte. „Bist du eine einfache Person, der rund um die Uhr die Sonne aus dem Arsch scheint? Scheiße, nein, das bist du nicht. Doch ich meine mich zu erinnern, dass ich dir auch schon mal gesagt habe, dass mich das schnell langweilen würde."
Er versuchte krampfhaft, den Impuls zu unterdrücken, den Zeigefinger zu heben, wie man das bei einem Kleinkind gemacht hätte, und setzte nach: „Was mich aber wirklich nervt, ist, dass du denkst, dich über mich erheben zu müssen und mir damit diktieren zu wollen, was gut für MICH ist. Das weiß ich verdammte Hacke selbst bestens."
Jetzt biss er sich auf die Lippen. Zu viel. Zu doll. Sie war immerhin gerade verletzlich. „Autsch."
Nun entglitt ihm seine Mimik und er starrte sie an. War das echt Verständnis in ihrem Blick? „Mehr sagst du nicht dazu?"
„Nein. Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen. Was soll ich sagen? Ich will auch gar kein Vampir sein, Mensch reicht völlig, ist oft anstrengend genug. Aber du weißt definitiv besser als ich, was dir guttut, obwohl ich nicht verstehe, wieso das ich sein soll."
Er musste mit sich kämpfen, um nicht loszulachen. Diese Situation war so surreal und doch spürte er, wie sein Herz wieder freudig gegen seine Rippen pochte, weil er offenbar einen Sieg errungen hatte. Einen wichtigen. „Soll ich dir die Antwort dafür liefern?"
„Lachst du dich gleich kaputt?"
„Hm, ja, irgendwie schon. Du bist zum Schießen. Da denke ich, jetzt hab ich es endgültig verkackt, weil ich so vom Leder ziehe und alles, was du sagst, ist ‚autsch', nur um dich dann selbst wieder runterzumachen. Ella, glaubst du wirklich, ich könnte dich lieben, wenn du so schrecklich wärst?"
„Was weiß ich schon? Im Moment finde ich mich nicht sonderlich liebenswert. Wenn ich mich gerade nicht lieben kann, wieso sollte es jemand anderes tun?" Ihr Murren war leise, klang aber wieder so resignierend, dass sein Lachreiz verflog.
Stattdessen beeilte er sich, sie an seine Brust zu ziehen, und sie sah ihn gequält an. Dann seufzte sie, als er ihr einen Kuss auf die Nasenspitze drückte. „Das frage ich mich auch immer wieder. Wieso Freunde uns zum Beispiel weiter lieben, wenn man sich selbst wie das größte Arschloch benommen hat und man weiß, wie bescheuert man ist. Aber dann denke ich mir, wie beruhigend diese Tatsache ist."
„Hm, man darf sich nicht darauf ausruhen."
„Ich höre so einen Hauch von Tobi in dieser Feststellung. Aber ja. Ausruhen sollte man sich nicht darauf. Doch hinnehmen darf man es für eine Weile, während man sich wieder auf Spur bekommt. Irgendwie."
Ein tiefes Seufzen drang aus ihrem Mund und er spürte, wie der leise Widerstand zerstob, dem sie ihm bisher entgegengebracht hatte, als sie sich endgültig an ihn lehnte. Er sollte es darauf beruhen lassen. Doch das ging nicht. „Willst du wirklich einen Leasingvertrag, obwohl du weißt, was ich bin?"
***************************
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro