~ 45 ~
Verwirrt blinzelte sie, während die Äußerung wie ein Wall zwischen ihnen stand. Ben sah so niedergeschlagen aus, dass sich ihr Hals genauso zuzog wie ihre Brust. Sie hatte die Worte gehört, aber sie verstand offenbar den Sinn nicht. Sie hatte schon gesehen, dass er ein Mann war. Ein Ganzer. War alles da, wo es hingehörte. Und selbst, wenn nicht, wenn er sich so fühlte...
„Mo sagt, das ist Blödsinn. Es würde mich nicht definieren, aber das tut es. Was ist ein Mann schon wert, wenn er unfruchtbar ist?!"
Automatisch entglitten ihr die Gesichtszüge, was Ben offenbar missverstand, denn er wurde blass und nickte nur. Sie wollte ihm sagen, dass er einem Irrtum aufsaß, brachte aber kein Wort raus. Ihre Gedanken überschlugen sich und sie konnte keinen einzigen lange genug festzuhalten, um ihn zu äußern.
„Schon gut, du musst nichts sagen."
„Nein ... doch ... Ich bin nur ... Du bist unfruchtbar?!"
Echt jetzt?! Das war das Einzige, was sie rausbrachte, während sich Bens Gesicht verschloss und unbemessbarer Schmerz in seinem Blick aufkeimte? Ihr Herz pochte zugleich panisch, als auch hoffnungsvoll gegen ihre Rippen. Sie musste das klären.
„Ja, Ella. Nur tote Spermien. Nichts zu machen." Abwehr ätzte sich durch diese paar Worte und sie wusste, dass sie etwas sagen musste. Ihm erklären musste, dass Mo richtig lag. Doch wie sollte sie das tun?!
„Warum?" - Boah, Ella! Nennst du das, jemandem aufzuzeigen, dass er sich irrt?!
Bens Schulterzucken beantwortete die Frage trotzdem. Er wich jetzt ihrem Blick aus und sie wollte über den Tisch krabbeln und ihn festhalten. Sowohl den Mann als auch die Tatsache, dass er sie anschaute. Ihr Herz klopfte echt am Limit, während sie langsam begriff, was sich mit Becca ereignet haben musste. „Ihr wolltet Nachwuchs."
„Ja. Als sie dachte, sie wäre schwanger, hab ich sie gefragt, ob sie mich heiraten will. Sie war alles, was ich gewollt hab, und mit ihr Kinder zu haben, klang wie ein Traum. Der in Erfüllung gehen sollte. Aber es war Fehlalarm. Trotzdem haben wir es weiterversucht. Sie wurde nicht schwanger."
Obwohl seine Stimme vor Schmerz kratzig war, zeigten sein verkniffener Mund und sein grimmiger Blick, dass er frustriert war. Zu Recht! Sie reagierte nicht adäquat. Aber gerade musste sie sich davor bewahren, selbst eine Reise in ihre eigene Vergangenheit anzutreten. In die Zeit, in der sie so von dem Wunsch erfüllt gewesen war, ein weiteres Leben in sich wachsen zu spüren. Daran, was sie dafür auf sich genommen hatte. „Sie hat die biologische Uhr ticken hören."
Sein Blick flog zurück zu ihr und seine Zustimmung triefte vor Bitterkeit. „Sie hat mir nach meinem Test gesagt, dass sich dadurch nichts ändert. Wir würden die Behandlungen machen und uns später nur noch mehr an unserem kleinen Wunder erfreuen. Es würde nichts an ihren Gefühlen für mich ändern. Sie hat gelogen."
Automatisch schüttelte sie den Kopf und bemerkte, wie Ben sie irritiert musterte. „Sie hat nicht gelogen. Nicht, was ihre Gefühle für dich betrifft. Es hat ihr das Herz zerfetzt, sich diesem Drängen unterzuordnen, das so vorherrschend in dir ist. Du tust alles, um ihm zu gehorchen. Es ist wie Zwang, du hast nicht wirklich eine Wahl, du kannst es nicht steuern. Gefühle müssen zurückstecken. Sowohl die des anderen, als auch deine eigenen. Geschickt eingefädelt von der Natur, um den Fortbestand der Menschen zu sichern. Unfair für die Betroffenen, falls es nicht klappt. Erleichternd, wenn es doch funktioniert. Die Evolution hat gesiegt."
„Max?" Seine Frage holte sie zurück zu ihm und sie nickte schulterzuckend. Aber ihr Herz war schwer, als sie daran dachte, wie Becca sich gefühlt haben musste und wie Ben bis heute empfand. Sie verstand jetzt, warum er glaubte, er wäre weniger wert, als zeugungsfähige Männer. Nun begriff sie auch die Tatsache, dass er um sich geschlagen hatte, um seine Ehre zu verteidigen. „Was war damals?"
Seine Stimme klang jetzt sanfter und sie schaute ihn an, ehe sie mit den Schultern zuckte. „Es geht nicht um mich und meine Vergangenheit."
„Du bist weiterhin verletzt." Seine Beklommenheit drang deutlich seine Worte und sie murmelte eine Bestätigung, ehe sie seufzte.
„Nur, weil ich nachvollziehen kann, warum du dich in die Enge gedrängt gefühlt hast, heißt das nicht, dass deine Äußerung nicht verletzt hat. Ich kann dir nicht mehr vertrauen." Sie bemerkte den Kummer erneut in seinem Gesicht aufblitzen, bevor er kaum merklich nickte und den Blick wieder auf die Tasse zwischen seinen Fingern heftete.
Auch ihr Innerstes verkrampfte sich vor Schmerz, während sie ihn beobachtete. Es war so unsagbar verlockend, ihre Hand auf seine zu legen und die Wärme zu absorbieren, die er ausstrahlte. Alles in ihr drängte sie danach. Doch sie konnte nicht. Ihr Leben war kompliziert genug und sie hatte so lange gebraucht, ihren Wert zu definieren und dafür einzustehen. Gefühlte Ewigkeiten, um endlich spüren zu können, dass ich lebensfähig bin, egal wie es gerade aussieht.
Das traurige Lächeln, mit dem er sie bedachte, als er den Kopf wieder hob und sie anschaute, machte ihr die Sache auch nicht leichter. Sie fachte die Stimme in ihr an, die aufschrie, sie könne ihm sehr wohl vertrauen, wenn sie mutig genug dazu wäre. Doch Mut hatte sie gerade nicht. Nicht ausreichend, um diesen unvorhersehbaren Weg zu beschreiten. Dafür musste sie sich in den kommenden Monaten zu viel anderem Mist stellen. Genauso wie ich der Sache mit Lara auf den Grund gehen muss. Wenn sich meine Ahnung bestätigt, braucht sie die Gewissheit, dass sich für mich nichts ändert und ich sie weiterhin liebe. Ich muss funktionieren.
„Dann sollte ich jetzt verschwinden. Ich hab ja gesagt, dass ich es dir nur erklären möchte. Das hab ich. Also..." Die Hoffnung, die sich in seinen grünen Augen spiegelte, raubte ihr den Atem, trotzdem nickte sie.
„Ja, das hast du. Dafür bin ich dir dankbar." Sein Seufzen drang an ihr Ohr und schnitt tief in ihre Brust, während sie spürte, wie er sich zusammenriss, um die Fassung zu wahren. Als er den Stuhl zurückschob, erhob sie sich ebenfalls langsam.
„Du musst nicht ... ich finde auch selbst raus."
„Schon ok." Obwohl sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, fühlte sich jeder Schritt gen Wohnungstür an, als würde sie zur Schlachtbank gehen. Sie spürte die Wärme, die sein Körper ausstrahlte und musste dem Drang widerstehen, sich doch nochmal an seine Brust zu werfen. Ihre Kehle war furchtbar eng. Da konnte unmöglich Sauerstoff den Weg in ihre Lunge finden. „Ich will ..."
Automatisch blieb Ben stehen und schaute sie wieder hoffnungsvoll an, doch sie schüttelte den Kopf und wich seinem Blick aus. Wieso war das so schwer, hallte durch sie und ihre Augen glitten erneut zu seinen. Sofort erinnerte sie sich an deren Funkeln, wenn sich seine Mundwinkel zu einem ehrlichen Lächeln anhoben, ihrem Blitzen, wenn er Lust empfand, ihrem Ausdruck, wenn er betroffen war.
„Ich will nur noch sagen, dass Mo recht hat. Es hatte nichts mit ihren Gefühlen für dich zu tun, dass sie sich von dir getrennt hat. Der Zwang, sich fortpflanzen zu müssen, war stärker. Aber sie hat dafür ebenso bezahlt wie du. Das kannst du mir glauben. An dir ist nichts falsch, Ben. Schon gar nichts sagt es etwas über deine Männlichkeit aus, dass du keine Kinder zeugen kannst."
Jetzt blitzte doch nochmal Erstaunen auf seinem Gesicht auf, ehe sein Blick ein wenig sanfter wurde und er die Hand hob, um ihr über die Wange zu streichen. „Danke."
Dann verschwand die Wärme seiner Finger auf ihrer Haut und sie dachte, sie würde gleich brechen. Doch es war langfristig besser, sie brauchte ihre Kräfte. Die restlichen, verbliebenen. „Schon ok."
„Dann mach's gut, Ella." Seine Stimme war nur ein Flüstern und ihr ging noch mehr die Luft aus. Sie würde ersticken. Ich werde es überleben. Wie alles andere.
„Du auch, Ben."
Einen Moment sahen sie sich noch in die Augen, dann seufzte Ben und sie beobachtete, wie er die Wohnungstür öffnete und hindurchging. Als sie ins Schloss fiel, brach der Damm und sie glitt an der Wand zu Boden. Sie würde doch ersticken. Jede Sekunde würde ihr die Puste ausgehen.
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