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„Wieder Ben?" Ella nickte und zuckte mit den Schultern, während sie das Handy zurück auf Julis Tisch legte. Bei jedem Takt von Maisie Peters ft. JP Saxes Song „Maybe don't" zog sich ihre Kehle mehr zu. Er hatte sie fast so weit gehabt, ihre Bedenken über Board zu werfen. „Vielleicht solltest du mal rangehen?"
„Wozu?" Sie zuckte selbst bei ihrem harschen Ton zusammen und bemerkte, dass ihre Freundin sie ebenfalls empört ansah. „Entschuldige."
Juliana nickte und schürzte wieder die Lippen, während sie sich in dem Zimmer umsah, in dem sie an ihrem Kaffee nippte und versuchte, ihren Kummer abzuschütteln. Sie musste ihn endlich abhaken. Aber noch immer schwelte der Schmerz in ihr, genauso wie die Enttäuschung. Jeden Tag aufs Neue suchte sie nach einem Grund, weiterhin an die Liebe zu glauben.
Da half auch die heimelige Küche mit der Essecke nicht weiter, die mit Familienbildern an den Wänden aufwartete. Oder die Tatsache, dass Manni immer wieder auftauchte und Juli einen Kuss ins Haar hauchte, bevor er den Raum aufs Neue verließ, um ihnen Freiraum zu geben. Sie musste jedes Mal den Blick abwenden, weil es ihr einen schmerzhaften Stich durch den Körper jagte.
„Ich meine nur. Es könnte wichtig sein, wenn er dich mit Anrufen und Nachrichten bombardiert." Ella unterdrückte ein Augenrollen und knetete ihre kalten Hände. Sie waren immer kalt, seit Ben auf der Eisbahn zur Rechenschaft ziehen wollte, der diese homophoben Äußerungen gemacht hatte.
Mos und Achims Erzählungen danach, dass es leider noch oft vorkam, dass sie angegriffen wurden, stahl sich in die Erinnerungen von Ben, der sie nur erschrocken angesehen hatte, nachdem er die Bombe hatte platzen lassen. Schnell konzentrierte sie sich auf die Bilder des Ehepaares, das so bedauernd aus der Wäsche gesehen hatte. Sie war so betroffen gewesen von ihren Erlebnissen, als sie davon berichteten.
In dem kleinen Dörfchen, in dem sie ihre Kindheit verbracht hatte, war es auch eine Kuriosität gewesen, wenn zwei Männer sich liebten. Sie konnte sich dran erinnern, dass sie ihre Mutter ebenfalls gefragt hatte, ob das erlaubt war. Sekundenbruchteile blitzte ihr lächelndes Gesicht vor ihr auf, als ihre Mama ihr erklärt hatte, dass Liebe kein Geschlecht kannte. Wenigstens etwas Nützliches, das ich von ihr gelernt habe.
„Ella? Wo bist du?" Sie schüttelte kurz den Kopf, um wieder in der Gegenwart anzukommen.
„Bei Mo und Achim. Ich konnte Ben verstehen, dass er wütend wurde. Ich war auch schockiert. Echt, ich ... ich dachte, die Gesellschaft hätte spätestens mit Einführung der Homo-Ehe gelernt, dass daran nichts anstößig ist."
„Ich hoffe sehr, dass diese Kreaturen die Ausnahme sind, denn sonst hat die Bevölkerung noch einiges zu lernen. Mehr als ich dachte und du weißt, dass ich mir selten ein Urteil bilde, wenn ich Menschen nicht kenne. Doch die waren Volldeppen. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, dass Mo und Achim so etwas öfter erleben. Aber du lenkst ab, Ella."
Ertappt zuckte sie zusammen. Obwohl sie die Szene weiterhin nachhaltig beschäftigte und sie gleich nochmal ein Aufklärungsgespräch mit Max geführt hatte. Sie hatte den Eindruck gehabt, dass Lara erleichtert gewesen war. Wieso wusste sie nicht genau, aber sie wusste, dass sie ihre Tochter niemals verstoßen könnte, falls sich ihre neue Ahnung bestätigen würde.
„Ella..."
„Ja. Ja, ich bin anwesend." Sie sah ihre Freundin an und registrierte ihren forschenden, besorgten Blick. Augenblicklich fühlte sie sich noch unbehaglicher und rutschte auf ihrem Stuhl umher. Ein Fehler, denn sofort schoss Schmerz von ihrem Steiß bis in die Haar- und Zehenspitzen. Normalerweise hatte sich das schon wieder gelegt – doch offenbar nicht, wenn sie nicht still saß. Hastig biss sie sich auf die Unterlippe, damit das Ächzen in ihrer Kehle steckenblieb. Sie wollte nicht, dass Juli sich noch mehr sorgte.
Doch als ihr Blick wieder klar wurde, bemerkte sie, dass ihre Bemühungen umsonst gewesen waren. „Immer noch so schlimm?"
„Geprellt einfach. Dauert seine Weile." Juliana nickte und sie zuckte mit den Schultern. „Ich werde es überleben. Wie alles andere auch."
„Meinst du damit die Schlappe mit Ben?"
Automatisch entwich ihr ein entnervtes Stöhnen und da sie Julis hochgezogene Brauen nicht von einer Antwort entbinden würden, schob sie ein Seufzen hinterher. „Ja. Es gibt andere Dinge, um die mich kümmern muss, ok? Mein Liebesleben oder ein Kerl, der mich offenbar auch manipulieren wollte, gehören aktuell nicht dazu."
„Ich glaube, das ist nur die halbe Wahrheit, Ella."
„Das habe ich schon mitbekommen. Ich muss jetzt auch nach Hause." Obwohl sich Julianas Blick wieder in ihr Innerstes bohrte, trank sie ihren kalten Kaffee aus und schob behutsam den Stuhl zurück. Sie wusste, dass ihre Freundin ahnte, dass sie gerade nur flüchtete, aber das war ihr egal. Es war doch so: Sie konnte sich nicht den Luxus leisten, sich in Selbstmitleid zu ergehen. Es standen andere Dinge an, die dringender ihre Aufmerksamkeit erforderten.
Also umarmte sie Juli nochmal und setzte sich in ihren Wagen, nachdem sie das Haus verlassen und das Auto entriegelt hatte. Das Wissen, in ihre leere Wohnung zu fahren und dort ihren Gedanken hilflos ausgesetzt zu sein, widerstrebte ihr. Trotzdem wusste sie, dass sie gerade auch nicht fähig war, sich auf die Versuche ihrer Freundin einzulassen, sie aufzumuntern.
Seufzend startete sie den Motor, setzte ein Lächeln auf, von dem sie wusste, Juliana durchschaute es sofort und winkte ihr nochmal zu, ehe sie das Auto rückwärts aus der Auffahrt manövrierte. Kaum hatte sie die Straße erreicht, drehte sie die Musik auf und ordnete sich in den Kleinstadtverkehr ein.
Sie fuhr durch das kleine Industriegebiet mit dem großen Parkplatz, wo sie im vergangenen Sommer mit Sarah, Juliana und ihren Kids über den Rummel gelaufen war und merkte, wie dabei ein Lächeln an ihren Mundwinkeln zupfte. Zwar mochte sie nicht unbedingt über Volksfeste schlendern. Das Gemisch aus Musikfetzen, Lichtern, Gerüchen und Menschen reizüberflutete sie oft, doch die strahlenden Augen ihrer Kinder hatten sie dafür entschädigt. Für sie nahm sie solche Augenblicke gerne in Kauf. Wenigstens ab und zu.
Aber anschließend wanderten ihre Gedanken sofort zurück zu Ben. Wieso konnte sie es nicht einfach in die Schublade mit der Aufschrift „Blöd gelaufen und ok" schieben, den Schlüssel rumdrehen und es abtun?! Sie hatte verdammt nochmal andere Dinge, um die sie sich kümmern musste, womit sie klarkommen sollte, und da hatte ihr erneuter Mangel an Reflexion eines Mannes wirklich nichts in ihrem Kopf zu suchen!
Egal, wie gekonnt er mich getäuscht hat. Das sagte sie sich wiederholt, während sie durch ihren Wagen durch die kleine Stadt lenkte, um dann auf der Landstraße die Musik noch etwas lauter zu drehen. Irgendwie musste sie sich doch endlich auf das fokussieren können, was wichtig war: Laras Geheimnis zum Beispiel. Oder die Sache mit Tobi. Und so weiter und so fort. Dennoch stahl er sich leider immer wieder in ihre Gedanken.
Sie merkte, wie sie automatisch den Fuß fester aufs Gaspedal drückte und genoss einen kurzen Moment, wie sie in den Sitz gepresst wurde, als der Wagen an Geschwindigkeit zunahm. Doch dann zwang sie sich, das Gas rauszunehmen. Sie konnte nicht ausbrechen. Egal, wie gerne sie das gerade tun würde.
Seufzend trat sie auf die Bremse und pendelte sich auf die Richtgeschwindigkeit ein, die sie in der Ortschaft zu fahren hatte, dann in ihrer 30er Zone. Es graute ihr davor, wieder in die Wohnung zurückzukehren. Es war noch stiller geworden. Mit einem Seufzen setzte sie den Blinker und bog in ihre Straße ein, bevor sie erstarrte, als sie Ben entdeckte, der ruhig an seinem Auto lehnte.
Auch das noch, schoss ihr durch den Kopf und sie kämpfte kurz mit Impuls, einfach an ihm vorbeizufahren und sich der Konfrontation zu entziehen. Also setzte sie den Blinker und brachte mit einem Augenrollen den Wagen in ihrer Auffahrt zum Stehen.
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