~ 40 ~
Wieder vergrub Ben sein Gesicht hinter den Händen, als das Besetztzeichen sich in seinen Kopf bohrte wie ein Dolch. Alles in ihm verkrampfte sich noch mehr, als sich zum wiederholten Male Ellas Ausdruck in seinen Gedanken aufbaute: Blass, wie die Eisfläche neben ihr, mit weitaufgerissenen Augen und offenstehendem Mund, gestützt von Achim, der ihn ebenso fassungslos angestarrt hatte.
Es war ihm nicht gelungen, die Wogen zu glätten. Nachdem sich Ellas Gesicht schlagartig verschlossen hatte, konnte er nicht mehr auf sie einwirken. Er hatte eindeutig verkackt und obwohl er sich in den vergangenen Tagen gesagt hatte, dass es wohl besser war, strafte ihn die Enge in seiner Brust für seine Lügen. Nichts half gegen diese Folter, nicht mal bis in die Nacht zu arbeiten oder feiern zu gehen. Keine war wie sie und er wollte auch keine andere. Er wollte Ella.
„Ella, bitte rede mit
mir. Ich möchte es dir
erklären."
Er hatte keine Ahnung, wie oft er diese Worte schon getippt hatte, aber nie war eine Reaktion gekommen. Was er verstehen konnte. Doch trotzdem hoffte er, wenn er wie jetzt sah, dass die Häkchen blau wurden. Wie gebannt starrte er auf den grünen Balken, der ihm verkünden sollte, dass sie schrieb. Was sie wieder nicht tat.
Entmutigt schloss er die Augen und legte mit zittrigen Fingern sein Telefon auf die Arbeitsplatte der Küche. Stattdessen griff er nach der frischgefüllten Kaffeetasse und lief durch den Flur ins Wohnzimmer. Er sollte schlafen, er war müde. Aber daran war nicht zu denken. Sobald er die Augen schloss und er zur Ruhe kam, stach der Schmerz in ihrem Blick auf ihn ein.
Wenn er tatsächlich trotzdem einschlief, war es ein kurzweiliges Vergnügen, denn auch da kam sie zu ihm. Sie schmiegte sich in seine Arme, lächelte ihn verschmitzt an, musterte ihn sehnsüchtig, war ins Tun mit ihren Kids versunken oder bäumte sich lustvoll unter ihm auf, während diese wahnsinnig erregenden Laute aus ihr hervorbrachen. Soll ich nochmal bei ihr vorbeifahren?
Automatisch schüttelte er den Kopf. Sie würde nicht öffnen, hatte sie nie. Einmal hatte er gesehen, dass sie aus dem winzigen Flur vor ihrer Wohnung geguckt hatte, ehe ihr Gesicht wieder verschwunden war. Sein Sturmklingeln hatte ebenso wenig bewirkt, dass sie auf den Summer drückte und ihm die Chance gab, ihr zu sagen, wie er tatsächlich fühlte.
Sein Blick fiel aufs Sofa und erneut wurden seine Finger schwitzig, als er sich daran erinnerte, wie sie dort gelegen und einen Film geguckt hatten. Sie war die Erste seit der Trennung gewesen, der er das gestattet hatte. Hätte er das nur nicht! Denn sofort fing sein Körper ebenfalls zu beben an, während ihn aufs Neue Kälte befiel. Sie ist so wohlig warm, bei ihr hab ich zum ersten Mal WIRKLICH wieder an einen Neuanfang geglaubt.
Doch den hatte er verkackt. Vielleicht sollte er sich damit abfinden und weitermachen? So, wie er es bei Becca getan hatte. Aber genau deswegen war er jetzt in der Lage, oder? Weil er es abgetan und sich darauf verlegt hatte, diese allesverzehrende Leere mit schnellen Kicks für sein Ego zu füllen.
Das war auch der Plan für Ella gewesen. Sie hat mich immer wieder angestarrt und ich war auf Beutezug, musste dieses Loch füllen, das sich nicht stopfen lassen hat. Doch dann hatte sie sich nicht gemeldet und er hatte sie abgeschrieben. Er riss seinen Blick gewaltsam vom Sofa los und ging an ihm vorbei, um aus der Terrassentür in den Garten zu schauen.
Mit jedem Schritt wurden seine Beine schwerer, während er an den Tag im Whirlpool dachte. An der Scheibe angekommen, lehnte er seine Stirn dagegen. Sein Atem kondensierte daran und flüchtig kam ihm der Gedanke, wie das möglich war. Wieso konnte er warme Luft ausstoßen, obwohl der Eisklotz in seinem Inneren wuchs?
War es erst ein paar Wochen her, dass er gedacht hatte, er könnte Bäume ausreißen, während er mit Ella in diesem Garten saß und sie ihn amüsiert anblitzte, als sie von ihrer Pizza abbissen? Er spürte, wie sich automatisch seine Mundwinkel hochzogen, ehe seine Kehle noch enger wurde und plötzlich Tränen in seinen Augen brannten. Er vermisste sie so unendlich.
Doch er hatte es so dermaßen verkackt, dass es nahezu ausgeschlossen war, dass Ella ihm jemals verzieh. Das Schlimmste dabei war nicht, dass sie ihn weiterbegleitete, obwohl der Platz an seine Seite wieder leer war. Es machte ihm mehr zu schaffen, dass sie jetzt bestimmt dachte, sie wäre erneut auf ein Arschloch reingefallen, das sie nur hatte kontrollieren wollen.
Bei diesem Gedanken zog sich seine Brust derart heftig zusammen, dass er automatisch keuchte und gegen den Drang ankämpfte, gewaltsam Luft in seine Lunge zu pressen. Er wusste, dass er sich wie ein Vollidiot verhalten hatte, hatte jedoch nie geglaubt, einer zu sein. Doch Ella dachte das nun und genau das musste er irgendwie zurechtbiegen. Sie sollte nicht ihre Menschenkenntnis infrage stellen oder sich zurückversetzt fühlen in alte Zeiten. Aber wie Ben? Wie willst du es ihr begreiflich machen? Du erreichst sie nicht.
„Ich muss es schaffen." Verzweifelt schloss er die Augen, ehe er wieder hinaussah in das Grün, das ihm vor kurzem noch viel leuchtender vorgekommen war, obwohl sich schon die Anzeichen des Winters gezeigt hatten. Jetzt waren die Farben gedeckt, hatten kaum mehr Strahlkraft. Sie waren ebenso verblasst wie die Chance auf sein Glück, erkannte er und stieß sich von der Scheibe ab. Er nahm einen Schluck von dem bitteren Gebräu in seiner Tasse und verzog automatisch das Gesicht. Sein Kaffee schmeckte jetzt immer so, egal wie viel Zucker er seit diesem Abend einrührte.
Seufzend riss er sich von seinem Posten los und wanderte wieder durch die Stille seines Hauses, das ihm noch leerer vorkam als zuvor schon. Er sollte arbeiten, sagte er sich, wusste aber instinktiv, dass er sich nicht würde konzentrieren können. Je mehr Zeit verstrich, desto bohrender wurde das Verlangen nach ihr. Oder zumindest danach, ihr die Last von den Schultern nehmen zu können, die sie vermutlich empfand. Wenn mir wenigstens das gelingen würde, kann ich mir vielleicht irgendwann verzeihen.
Er kehrte in die Küche zurück und stellte seine Tasse neben der Stelle ab, wo er sein Telefon zurückgelassen hatte, und stierte es an. Automatisch verdrehte er die Augen: Als würde er mit purer Gedankenkraft schaffen, dass sie seine Nachricht diesmal beachtete. Es half nichts. Wenn er es nicht weiter versuchte, würde er sein Vorhaben nie umsetzen können.
Mit zittrigen Fingern griff er nach seinem Handy und drückte die Wahlwiederholung. Bei jedem Tuten klopfte sein Herz schneller und ein Kribbeln breitete sich in seinem Körper aus. Hoffnung wie Angst vereinten sich zu einem Gemisch, dass ihn wie schon die Male zuvor unter Strom setzte. Bitte, Ella. Ich muss es dir erklären.
Als es in der Leitung knackte, hielt er reflexartig den Atem an. Dann schloss er resignierend die Augen.
**********************************
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro