~ 36 ~
Sie spürte sein Herz unter ihrer Wange klopfen und automatisch beruhigte der monotone Rhythmus das Chaos in ihrem Innersten. Augenblicklich schrie ihr Verstand auf, dass sie doch genau solche Dinge nicht zulassen sollte: Es bedeutete, dass sie ihr Sicherheitsgefühl von jemand anderem abhängig machte.
Aber sie verbot ihren Gedanken den Mund. Zu gut fühlte sich die Tatsache an, dass seine Arme sie in dem herrlich warmen Badewasser umschlungen hatten, das einen Teil der Kälte in ihren Knochen vertrieb. Um sie herum blubberte es wohltuend und trotzdem traf die Kühle auf die Haut, die nicht vom Wasser bedeckt war.
Bis auf die Wasserpumpe, die die Flüssigkeit durch die Düsen drücke, das sachte Aufploppen der entstandenen Bläschen und das Geräusch ihrer beider Atemzüge herrschte absolute Ruhe. Leichter Dunst stieg von der Wasseroberfläche auf und hüllte sie in einen Nebelumhang, den sie nur zu gerne zum Anlass nahm, sich von den ohnehin spärlichen Eindrücken der Umwelt abzuschotten.
Der Garten musste in den restlichen Jahreszeiten eine echte Schau sein, dachte sie automatisch und schloss die Augen. Es war jetzt nicht wichtig, dass ihr Herz erwartungsvoll pochen wollte, weil ihr Kopf ihr stille Versprechungen machte. Sie hatte sich doch vorgenommen, mehr im Moment zu leben. Vor allem zu genießen.
Immerhin sagten ihr die Menschen in ihrem Leben immer wieder, dass sie sich das zugestehen durfte. Einfach mal verweilen und nicht danach suchen, was sie gerade falsch machte oder was besser sein könnte, wäre sie nicht sie. Dabei war sie doch ganz in Ordnung, belehrte sie sich automatisch und konzentrierte sich auf das Gefühl, das Ben auslöste, weil sein warmer Atem auf ihre kühle Schulter traf: Geborgenheit rieselte durch sie wie der Schauer, der sich einen Weg über ihren Rücken bahnte.
Erneut schrillte eine Alarmglocke in ihr und sie wagte sich, dem nachzugehen. Wieso machte sie die Tatsache, dass Ben ihr Geborgenheit vermittelte so viel Angst? Weil sie sich selbst weiterhin kaum über den Weg traute, ging ihr auf. Wenn sie sich auf diesen Fakt einließ, war sie versucht, sich einfach hineinfallen zu lassen in diese Blase. Das Ziel war aber ein anderes: Sie wollte Sicherheit bei sich selbst finden.
Um nicht wieder zwischen die Fronten zu geraten, reagierte ihr Körper nun auf die altbekannte Weise: Jeder Atemausstoß von Ben prickelte heiß auf ihrer Schulter, sickerte in sie und feuerte neues Begehren an. Jetzt bereute sie ihre Entscheidung, nicht auch den BH anzulassen. Denn bei jedem Heben seines Brustkorbes strich seine Haut über ihre Blöße, einzig getrennt von einer nichtssagenden Barriere von Wasserstoffatomen.
Hastig wandte sie ihre Aufmerksamkeit darauf, dass sein Luftholen einen leichten Zug in der Luft um sie herum erzeugte, der kühl war.
„Wie Licht und Schatten", murmelte sie automatisch und fühlte, wie Ben den Kopf zu ihr bewegte.
Sie musste nicht die Lider öffnen, um zu wissen, dass er sie fragend anschaute. Er strahlte Verwirrung aus und sie hatte registriert, wie sich die Luftströmung verändert hatte. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf, um nicht antworten zu müssen. Es war gerade nicht leicht, zu erklären, was sie empfand und wieso sie dieser Gedanke durchzuckt hatte. Warum diese Tatsache sie gleichermaßen entspannte und trotzdem ihre Muskeln verkrampften.
Alles war eins – es gab kein Gut ohne Böse und sie konnte es nicht kontrollieren, egal, wie sehr sie es versuchte. Das war der Knackpunkt: Auszumachen, zu welcher Stunde es wirklich Zeit zu kämpfen war und wann sie sich zurücklehnen und sich treiben lassen konnte. Sie wollte es herausfinden. Aber nicht auf Bens Rücken. Denn so unbeteiligt, wie er tat, war er definitiv nicht, wenn es um Beziehungen ging, das fühlte sie, obwohl er sich deswegen bedeckt hielt.
Sie merkte, wie er seinen Kopf an ihren lehnte und sein Gewicht etwas verlagerte und unterdrückte das Seufzen, das über ihre Lippen schlüpfen wollte. Er hatte deutlich gemacht, dass er nicht mehr Körperlichkeit wollte, so sehr ihr Körper auch danach gierte. Wahrscheinlich war es echt besser, sich auf völlig unschuldige Art und Weise anzunähern.
Vielleicht würde sie dann nicht auf ihre Bettfähigkeiten reduziert werden, wenn ihre Beziehung ihren Lauf nahm. Aufs Neue hallte durch ihren Kopf, was das Urteil der Kerle in ihrem Leben gewesen war: heiß und hemmungslos. Wieder verwob sich ein bitterer Geschmack in die vermeintliche Süße dieser Worte. Sie konnte die Bedürfnisse eines Mannes befriedigen, doch konnte sie abseits des Schlafzimmers erfüllend sein?
Automatisch drückte sie sich enger an Ben und rollte sich kleiner auf seinem Schoß zusammen. Er wollte auch entdecken, was sie sonst bieten konnte. Sie hoffte so sehr, dass sie ihn nicht enttäuschte, dachte sie und merkte, wie sich eine neue Gänsehaut auf ihrem Körper ausbreitete.
„Ist dir schon kalt, Sunny?"
„Nein, ist ok. Du wärmst mich in jeden Winkel", wisperte sie und zwang sich, wieder ins Jetzt zurückzukehren.
Was in der Vergangenheit gewesen war, war egal. Sie konnte es heute anders machen und das war, was im Moment zählte. Sie hörte, wie Ben tief seufzte, und öffnete doch die Augenlider.
„Das klingt nach einem Kompliment und trotzdem war deine Stimme traurig."
„Weil du es mir zu einfach machst, mich bei dir wohlzufühlen."
„Das ist auch eine Anerkennung, aber aus deinem Mund wirkt sie nicht wie eine."
„Ja, weil ... Ich bin nicht dumm, Ben. Wenn du mein Bedürfnis nach Geborgenheit stillst, wieso sollte ich mich dann noch abmühen, dass ich lerne, Sicherheit auch bei mir zu finden?"
„Und das versetzt dich in Panik?"
„Ja, davon hab ich heute den ganzen Tag gesprochen."
„Dann werden wir jetzt üben, wie es ist, zu wissen, dass man sich jederzeit auf sich selbst verlassen kann und sich zusätzlich bei jemandem sicher fühlen darf."
Ihr Herz verpasste ein Puckern und sie schluckte automatisch, als das Gefühl der Sehnsucht so lähmend in ihr aufstieg, dass sie kaum atmen konnte. „Wir?"
„Klar wir. Oder hast du nicht begriffen, dass ich mich in dich verliebt habe und für die Tatsache, dein Herz gewinnen zu können, sogar ein Schäferstündchen hab sausen lassen?"
Bevor sie es verhindern konnte, grinste sie. „Das macht dir echt zu schaffen, oder?"
„Was glaubst du? Bei jedem deiner Atemzüge muss ich ganz schnell an was absolut Unerotisches denken, weil die Erinnerungen an heute Morgen noch sehr präsent sind."
„Hm. Hat also einen Preis ritterlich zu sein?"
„Du kannst dir nicht vorstellen, wie hoch der ist."
Sie merkte, wie sich ihr Grinsen vertiefte. Gleichzeitig zog sich ihre Brust vor Rührung zusammen und ehe sie es verhindern konnte, standen Tränen in ihren Augen, weil erneut altbekannte Sätze durch ihren Kopf spukten.
„Danke." Ihre Stimme war nur ein Hauchen und sie registrierte, wie Ben fragend die Augenbrauen hob und die Stirn runzelte, als er erkannte, dass sie jeden Moment losheulen würde.
„Wofür?"
„Dass du mehr willst, Ben." Während sich die Furchen auf seiner Stirn noch vertieften, zuckte sie hilflos mit den Schultern und schluckte gegen den Kloß in ihrem Hals an.
„Ich verstehe nicht, was du mir sagen willst, Ella."
„Will ich nicht. Lass es so stehen, ok? Nimm meinen Dank an und halt mich fest. Das reicht schon."
Ihre Stimme war kurz davor zu brechen, so wie sie kurz davor stand, den Kampf gegen die Rührung zu verlieren. Ben nickte indessen nur und zog sie an sich. Ella legte den Kopf erneut auf seine Brust, schloss die Augenlider und kümmerte sich nicht darum, dass nun doch Tränen unter ihnen hervorquollen.
Glückstränen waren erlaubt, dachte sie, als sie seinem Herzschlag, dem Gurgeln des Wassers und ihren Atemzügen wieder lauschte. Sie merkte, wie er ihr einen Kuss ins Haar drückte und fragte sich, wann sie sich zuletzt so gefühlt hatte. Es schien in einem anderen Leben gewesen zu sein. Aber sie könnte sich daran gewöhnen.
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