~ 24 ~
Sie konnte kaum mehr die Augen offenhalten. Sie war so durch, die Tatsache, dass sie gefühlte Ewigkeiten nicht geschlafen hatte, rächte sich jetzt. Sie unterdrückte erneut ein Gähnen und schielte Sarah an, die sich in Rage geredet hatte. Sie war so dankbar dafür, dass ihre Freundinnen alles stehen und liegen lassen hatten, um ihr beizustehen. Auch, dass Ben da war. Der schien ebenfalls müde zu sein.
„Wir wissen ja, dass dein Ex ein manipulatives Arschloch ist, aber das hätte ich ihm nicht zugetraut! Wie kann er es wagen, deine Fähigkeiten als Mutter infrage zu stellen?", fing Sarah aufs Neue an und Ella zuckte mit den Schultern.
Sie hatte dafür keine Antwort. Obwohl es nicht das erste Mal gewesen war, dass Tobi das getan hatte. Das machte er immer wieder. Dennoch hatte es sie umgenietet, als die Worte aus seinem Mund gedrungen waren, er würde ihre Eignung als Mutter überprüfen lassen. Sie hatte so gehofft, dass die Machtspielchen so langsam mal ein Ende fanden.
„Das Traurige ist, dass er vielleicht Erfolg haben könnte. Denn du bist psychisch krank, das ist bewiesen. Außerdem sitzt die Kohle nicht gerade locker, während der Weiterbildung...", führte Sarah jetzt an und sofort verflog die Müdigkeit und Panik griff mit eiskalten Fingern nach ihrem Herzen, um es in einen Klammergriff zu nehmen.
Sie bemerkte, dass Juli die Hand auf den Arm der Jüngeren legte und erwiderte: „Trotzdem müssen sie dafür triftige Gründe haben, Sarah. Ella hat ein Auskommen, das mit dem Unterhalt und den Geldern reicht, die sie hat, um gut für die Kids und sich zu sorgen. Außerdem hat sie ihre PTBS im Griff, sie ist funktional. Das ist es, was für ein Amt zählt, ok? Max und Lara sind nicht vernachlässigt, werden gut ernährt, haben schöne Zimmer, Spielzeug und wachsen in einem liebevollen Umfeld auf."
Sie warf Juli einen dankbaren Blick zu, während sie merkte, dass Ben nur still nach ihrer Hand griff und leicht mit dem Daumen über ihre Fingerknöchel strich. Als ihre Augen daraufhin zu seinem Gesicht flirrten, nickte er nur stumm. Augenblicklich lockerte sich der Klammergriff um ihr Herz und sie bekam wieder etwas mehr Luft.
„Es steht nicht Ellas momentane Konstitution zur Debatte, Juliana, sondern ihre Vergangenheit und ihr Elternhaus. Sie werden..."
„Feststellen, dass aus Ella eine tolle, verantwortungsbewusste Frau geworden ist, die ihre Kinder mehr über ihre eigenen Bedürfnisse stellt, als das manch andere Eltern tun würden. Sie gibt ihr Bestes und sucht immer nach Wegen, wie sie es noch besser machen kann, sie arbeitet im Umgang mit ihrer Störung, gibt Fehler zu und ..."
„Das wird alles seine Bedeutung verlieren, wenn Lara mit der Keule kommt, dass Ella ihnen Ben vor die Nase gesetzt hat."
Sie schluckte hart, während sie beobachtete, wie Juliana und Sarah sich anstarrten. Wie immer waren die beiden die menschlichen Abbilder der Gedanken, die sie füllten. Sarah war oft der Zweifel, die jedoch auch mit ihren konstruktiven Lösungsansätzen für Erleichterung sorgte und Juliana war ihre Fürsprecherin, die zwar alle Seiten abwog, aber trotzdem immer eine Lanze für sie brach. Auch, wenn sie es selbst nicht konnte.
„Mach einen Punkt, Sarah. In den Ämtern arbeiten auch Menschen, verstehst du? Niemand kann von Ella verlangen, dass sie bis ans Ende ihrer Tage alleine herumsitzt. Das mit Ben hat sich einfach ergeben und fertig. Das wissen die Leute im Amt, sollte es so weit kommen. Was ich sowieso bezweifle. Es ist nur ein Versuch von Tobi, Ella weiterhin unter Kontrolle zu halten, mehr nicht."
Sie bemerkte, wie nicht nur Ben, sondern auch Sarah die Stirn runzelten, während Juli fortfuhr: „Denn er weiß im Grunde, dass sie ihm sowas wie eine Familie in den letzten Jahren erst ermöglicht hat, indem sie ihm den Rücken freigehalten hat. Irgendwann hat sie es nicht weiter auf die Weise gemacht, die er wollte, das war der Unterschied. Das ist alles. Er will ihr gar nicht ans Bein pinkeln, dafür ist er zu konfliktscheu. Er hofft, dass sie einlenkt und er seinen Willen bekommt. Er ist ein kleines bockiges Kind, das Angst hat, dass man ihm sein Lieblingsspielzeug wegnimmt."
Nun schwirrte Bens Blick fragend zu ihr und sie wich ihm aus. Das war genau das, worüber sie eigentlich nicht reden wollte. Was aber bald zur Sprache kommen würde, das war ihr jetzt mehr als bewusst. Ihre Aufmerksamkeit wurde zurück zu Sarah gelenkt, die abgrundtief seufzte, ehe sie bedächtig nickte.
„So oder so, Ella. Du musst dir keine Sorgen machen, ok? Wir reißen ihm den Hintern auf, falls er das durchzieht. Du hast Glück verdient. Und du bist kein Spielzeug. Du bist eine kluge Frau, die ihre Rolle als Mutter liebevoll füllt und an ihrer Selbstständigkeit arbeitet, um nicht nur ihren Kindern ein Vorbild, sondern unabhängig zu sein. Außerdem bist du superheiß und supersexy", erklärte Sarah im Brustton der Überzeugung und Ella merkte, wie sich Röte über ihren Hals schlich.
Ben grinste sie breit an, obwohl er etwas irritiert wirkte, vor allem als Juli mit belustigt blitzenden Augen bestätigte: „Sowas von superheiß und supersexy."
„Hm. Ja. Danke. Ihr seid auch superheiß und supersexy. So langsam dürften wir die 100 Wiederholungen dann zusammen haben..."
„Heißt, du glaubst es endlich?", entfuhr Juliana und sie schluckte hart, als Ben nun endgültig verwirrt zwischen ihnen hin und her sah.
„Ihr seid peinlich."
Jetzt kicherte Juli und Sarah grinste breit, ehe sie erklärte: „Jap. Darum passen wir doch so gut zu dir. Oder wie war das nochmal, als Ella in deiner Auffahrt auf und ab lief, mit in die Höhe gereckten Armen, weil sie dachte, der Bewegungsmelder wäre kaputt?!"
„Dabei hätte sie nur den Schalter drücken müssen! Weil da gar kein Bewegungsmelder ist!", quietschte Juli los und bald darauf gackerten ihre beiden Hühner.
Auch Ella musste grinsen, währenddessen sie automatisch mit den Augen rollte. Sie warf Ben einen Blick zu, der sich sichtlich auf die Unterlippe biss, um nicht loszulachen. Seine Schultern bebten etwas, als er sie mit seinen funkelnden grünen Augen ansah. Sofort hüpfte ihr Herz in ihrer Brust. Sie verschränkte wortlos ihre Finger mit seinen, während ihre Freundinnen weiterhin Tränen lachten. Ben schaute auf ihre Hände und als er daraufhin lächelte, wurden ihre Finger schwitzig.
Was ihn offenbar nicht störte, denn er hielt sie einfach weiter. Plötzlich fiel der Druck von ihr ab, der sie trotzdem gemartert hatte. Sie schaute in die Runde und tauschte einen Blick mit Juli, der wohl aufgefallen war, was sich Sekundenbruchteile zuvor zwischen Ben und ihr abgespielt hatte. Denn ihre Freundin sah sie mit breitem Lächeln und wissenden Augen an. Sie musste nichts erklären. Während Sarah eine weitere Anekdote erzählte, schaute sie ruhiger in die Runde. Sie würde das schon hinkriegen. Ihre Armee war bei ihr, wenn sie selbst nicht mehr konnte.
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