~ 21 ~
Scheinbar endlos zog sich das Schweigen zwischen Ella und ihm, während sie Meter für Meter im Licht der Straßenlaternen in der Wohnsiedlung zurücklegten und Richtung Felder spazierten. Irgendwann holte er sein Handy raus und schaltete still die Taschenlampe an. Sie schien ganz weit weg in Gedanken zu sein und er wusste nicht, wie er sie dazu bewegen sollte, sich ihm zu öffnen. Also ließ er es. Ihm schwirrte ohnehin der Kopf.
Wenn er der Grund dafür war, dass Tobi sie damit unter Druck setzte, ihr die Kinder zu nehmen, hatte er doch schon verloren, oder? Welche Mutter würde das Risiko eingehen, ihren Nachwuchs zu verlieren, weil ein neuer Mann im Begriff war, in ihr Leben zu treten? Er spürte, wie sich wieder der altbekannte Schmerz in ihm ausbreitete. Es scheiterte immer an solchen Dingen, die er nicht beeinflussen konnte.
„Ich hatte in meiner Jugend eine schwere Phase. Da hab ich ziemlich viele Dummheiten gemacht", stellte Ella plötzlich fest und er warf ihr einen Blick zu.
Soweit er das im fahlen Mondlicht und der leichten Abstrahlung der Handytaschenlampe sehen konnte, zeigte ihr Profil eine Mischung aus Bedauern, Resignation und Scham. Automatisch merkte er, wie er die Stirn runzelte, und Ella starrte weiter stur geradeaus und lief mit weitausholenden Schritten durch das abgeerntete Feld, das sie gerade passierten.
‚Als würde sie vor dem weglaufen wollen, was sie mir erzählen möchte oder besser: Was sie denkt, mir beichten zu müssen', dachte er und hielt mit ihr mit.
„Ich will nicht allzu sehr ins Detail gehen. Es gab einige Probleme zuhause und ich hab mir ziemlich viel Mut angetrunken, damit ich das tun konnte, was nötig war, um ... sagen wir mal ... nicht dort schlafen zu müssen. Dabei war ich nicht sehr wählerisch, wem ich diese ... Gunst erwiesen habe. Es waren zumindest keine One-Night-Stands, aber na ja, länger als ein paar Wochen hielt das nie - es waren keine echten Beziehungen. Und ich hab mich auch nicht besonders gut damit gefühlt. Doch damit umzugehen, wie ich mich mit dieser Vorgehensweise fühlte, war leichter, als daheim auszuharren. Na ja, ich bin nicht stolz drauf."
Jetzt kapierte er, warum sie die Probefahrt vor so große Probleme gestellt hatte, dachte er und studierte ihre Mimik. Sie war nun stehengeblieben und suchte wohl in seinem Gesicht nach einem Anhaltspunkt, wie er dazu stand. Das war doch lange her, wieso machte sie sich da jetzt noch Gedanken drum? Wegen ihres Ex? Was war zuhause abgelaufen, dass sie sich ihre Sicherheit mit Sex erkaufen musste?
Ella seufzte und schüttelte schulterzuckend den Kopf, ehe sie sagte: „Ich hab damals wohl auch den Impuls entwickelt, dass ich immer, wenn ich mich wertlos fühlte, ich mich extrem nach ... äh ... Körperlichkeit gesehnt habe. Aber der Rausch hielt nie an. Nur für den Moment. Das waren die Gründe, warum ich in der Jugend so wild war, heute weiß ich das und kann sie anerkennen. Doch jetzt nutzt Tobi diesen Fakt wieder gegen mich. Aber darüber möchte ich im Moment nicht reden. Nicht so wirklich. Ich vermute, dass sich jetzt in deinem Kopf Fragen türmen. Ich beantworte sie dir. Nach und nach, ok?"
Leise Hoffnung machte sich in ihm breit. Sie wollte ihm die Antworten liefern. Hieß das, sie schrieb ihn nicht ab? Obwohl es sie ihre Kinder kosten könnte?
„Heißt das, ich soll mich nicht zurückziehen?", fragte er deswegen und nun zeigte sich Überraschung auf Ellas Zügen.
„Dachtest du das? Dass ich dich jetzt zurückstoße? Nein, Ben. Ich entscheide, was in meinem Leben passiert. So einfach ist das."
Er schluckte hart, als er nun die Wut in ihrer Stimme und auf ihrem Gesicht entdeckte. Sie hatte auch die Fäuste geballt und sich automatisch aufgerichtet. Ihre Augen funkelten so kalt, dass ihm sogar ein Schauer über den Rücken rieselte. Sie meinte das todernst. Sofort fiel eine Steinlawine von seiner Brust, die er zuvor nicht bewusst wahrgenommen hatte. Doch jetzt drang zum ersten Mal, seit sie ihm gesagt hatte, dass er der Grund für ihre Schwierigkeiten war, wieder ausreichend Sauerstoff in seine Lunge.
Das bedeutete ihm echt mehr, als ihm bewusst gewesen war. Ella unterschied sich tatsächlich von allen Frauen, die er zuvor kennengelernt hatte. Klar haderte sie oft mit den gleichen Dingen, aber offenbar schien sie sich jetzt ein Leben abseits der Mutterrolle zuzugestehen. Sonst hatte er gegen diesen Wunsch immer verloren. Diesmal anscheinend nicht, sagte er sich und nickte nur, ehe er sich traute, den Schritt zwischen ihnen zu überbrücken und sie in seine Arme zu ziehen.
Sofort fiel Ellas Anspannung merklich von ihr ab und sein Herz machte einen begeisterten Sprung in seiner Brust, als sie ihr Gesicht daran vergrub und tief seufzte, während sich ihre Arme um seine Mitte legten. Er lehnte den Kopf an ihren und schloss kurz die Augen. Er hatte echt nicht bemerkt, wie heftig ihm das schon zugesetzt hätte, wäre ihre Geschichte hier zu Ende gewesen.
Er hörte, wie Ella tief seufzte und murmelte, sie hätte sich nur gewünscht, Tobi würde irgendwann Ruhe geben und hätte begriffen, dass sie ihm nicht weiter Kontrolle über sie einräumte. Obwohl er nicht genau wusste, was sie damit meinte, raunte er eine Bestätigung. Hing das mit den Andeutungen zusammen, die sie bezüglich der Wochenbettdepression gemacht hatte? Sie war echt ein Rätsel und trotzdem war sie nach jedem Treffen etwas klarer zu greifen.
Irgendwann löste sie sich von ihm und er gab Ella sofort frei, während er ihr ins Gesicht sah. Sie wirkte jetzt wieder gefasster, das war gut. Ein leichtes Lächeln huschte über ihre Züge, aber es erreichte ihre Augen noch nicht. Doch das wäre auch zu viel verlangt, erinnerte er sich und hörte, wie Ella kurz pfiff, woraufhin Shelby locker zu ihnen trabte.
„Wir sollten zurück. Es ist scheißekalt und ich hab keine Jacke angezogen", entschied Ella und er stimmte zu.
„Ella, was machst du, wenn er es durchzieht?", fragte er leise und sah im Augenwinkel, wie ihr Kopf zu ihm ruckte.
„Kämpfen. So wie sonst auch. Nur weißt du, mittlerweile habe ich begriffen, dass ich mehr im Kreuz hab, als er mich jahrelang hat glauben lassen oder mir suggerieren wollte. Ich bin ohne ihn lebensfähig. Jeden einzelnen Tag beweise ich es ihm. Und das macht mir wirklich Spaß."
Jetzt spiegelte sich ihr Lächeln in ihren Augen und er musste automatisch grinsen. Als sie ihn fragend ansah und ihre eiskalte Hand in seine schob, verschränkte er wortlos die Finger mit ihren. Mehr gab es dazu erstmal nicht zu sagen, befand er und ging mit klopfendem Herzen mit ihr zurück zu ihrer Wohnung.
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