8 - NOT YOUR FAULT
Ich wusste nicht mehr, wie ich es geschafft hatte zu Eddie's Wohnwagen zu kommen. Der Weg war nicht weit, aber mir war schwindelig und Tränen trübten meine Sicht.
Mein ganzer Körper zitterte, als ich gegen die Tür des Wohnwagens hämmerte. Tränen und Blut vermischten sich auf meinen Wangen, klamme Angst klebte kalt an meinen Händen. Ich wimmerte. Klopfte noch einmal.
Dann sah ich wie das Licht im Wohnwagen anging. Ein Schluchzer der Erleichterung brach aus mir heraus, als Eddie verschlafen die Tür öffnete.
Einen kurzen Moment lang sah er mich nur an, so als ob er nicht glauben konnte was er da sah. Seine Augen weit aufgerissen, den Mund zu einer stummen Frage verzogen.
Dann nahm er mich am Handgelenk und zog mich sanft aber dennoch bestimmt in den sicheren Wohnwagen.
Es war beinahe so, als ob er hellsehen konnte. Er schloss die Tür hinter mir, sicherheitshalber drehte er das Schloss und ich war ihm unglaublich dankbar, dass ich das nicht machen musste.
Als sich die Tür hinter uns schloss, konnte ich keinen Schritt weitergehen. Schluchzer brachten meinen Körper zum Beben und ich klammerte mich an Eddie, als würde mein Leben davon abhängen. Er nahm mich in den Arm, die eine Hand an meinem Hinterkopf, die andere fuhr in Kreisen über meinen Rücken. Mein Kopf ruhte auf seiner Brust, auf dem Hellfire-Shirt, dass nun dank meines Blutes wohl nur noch für den Mülleimer geeignet war. Doch Eddie hörte nicht auf mich an ihn zu drücken, bis mein Körper nicht mehr von Heulkrämpfen geschüttelt wurde.
"Mave", flüsterte er immer wieder in mein Haar, "Es wird alles gut."
Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis ich aufhören konnte zu weinen. Er löste sich aus unserer Umarmung und legte sanft seine Hand an meine unverletzte Wange: "Wie ist das passiert?"
Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Ich wollte ihm nicht davon erzählen.
Ich konnte nicht.
"Komm mit, wir müssen das verarzten", sagte er als ich nicht reagierte und nahm mich bei der Hand. Er führte mich in das Badezimmer, das beinahe so aussah, wie das in dem ich vor wenigen Minuten verletzt wurde.
Ein Kloß aus Angst bildete sich bei dem Anblick der Badewanne, trotzdem folgte ich ihm. Ich wusste, dass ich hier sicher war.
Eddie holte ein kleines Handtuch und befeuchtete es mit Wasser. Dann sah er mich fragend an: "Darf ich?"
Ich nickte und sofort breitete sich ein pochender Schmerz in meinen Schläfen aus.
Er begann vorsichtig mit dem nassen Handtuch, dass Blut von Wange und Hals zu entfernen. Es brannte zwar aber es war aushaltbar. Nachdem er das Blut entfernt hatte, holte er einen Verbandskasten und begann darin zu kramen.
Ich war mir nicht sicher, was genau er damit bezwecken wollte, doch ich ließ ihn gewähren. Er zog einen Streifen dünner Klammerpflaster hervor und begann die Wunde zu verarzten.
Ich hatte mich noch nicht im Spiegel gesehen, ich wollte es auch gar nicht.
Es würde nur realer werden, wenn ich es sehen würde.
Die Tatsache, dass er jedoch versuchte die Schnitte in meinem Gesicht zu klammern, sagte mir dass es wohl ungefähr so schlimm war wie es sich anfühlte.
"Bist du noch an anderen Stellen verletzt?", fragte er dann und musterte mich eindringlich.
Benommen versuchte ich mich an das Geschehene zu erinnern. Ich war direkt weggerannt als Dad mich im Gesicht getroffen hatte.
Langsam schüttelte ich den Kopf und verzog gleich darauf mein Gesicht, als sich ein pochender Schmerz bemerkbar machte.
"Gut, komm' mit", sagte er und dann führte er mich in sein Zimmer. Ich war wie ein Zombie, tat einfach was er sagte und vertraute darauf, dass er schon alles richtig machen würde. Ich hockte mich auf seine Bettkante, er suchte mir Klamotten heraus. Ein frischgewaschenes Exemplar eines Hellfire-T-Shirts und eine Sporthose. Als ich keine Anstalten machte, aufzustehen oder mich umzuziehen, zog er fragend eine Augenbraue hoch. Ich nickte schwach und stöhnte im gleichen Moment auf, weil jede Kopfbewegung Schmerzen bereitete.
"Was tut dir weh? Dein Kopf?", fragte er und Besorgnis blitzte in seinen Augen auf.
"Ja", sagte ich und merkte erst jetzt wie rau meine Stimme vor lauter Weinen war.
"Vielleicht hast du eine Gehirnerschütterung. Wir sollten ins Krankenhaus fahren um das abklä-", sagte er, doch ich unterbrach ihn.
"Kein Krankenhaus", stammelte ich hysterisch, "Kein Krankenhaus!"
Ganz abgesehen davon, dass ich genau so wenig wie Dad versichert war, wollte ich nicht, dass man dort wegen Verdachts auf häusliche Gewalt den Sozialdienst oder die Polizei benachrichtigte.
Und Eddie wusste das auch. Wenn er bisher nur vermutet hatte, dass die Verletzungen von meinem Vater stammten, dann war er sich jetzt wohl sicher.
Er presste die Lippen aufeinander und nickte: "Kein Krankenhaus, okay."
Es war nicht gerade leicht sich umzuziehen, wenn der ganze Körper benommen vor Schreck war. Ich war dankbar, dass Eddie mir half. Er zog mir das blutige Shirt über den Kopf und half mir das frische T-Shirt anzuziehen. Aus meiner Hose schaffte ich es ohne Hilfe und Eddie drehte sich weg, so als ob ich mich nicht schon tausende Mal vor ihm umgezogen hätte.
Dann rollte ich mich in seinem Bett ein und schloss die Augen. Nicht weil ich müde war— wahrscheinlich würde ich in dieser Nacht nicht ein Auge zumachen— sondern weil ich mir nichts mehr wünschte, als mich, meine Gedanken und meine pochenden Schmerzen einfach abschalten zu können. Das ganze Bett roch nach Eddie und beinahe augenblicklich beruhigte sich mein Puls.
Ich hörte, wie Eddie sich umzog und die Klappcouch vorbereitete. Ich öffnete meine Augen und blinzelte ihn an.
"Kannst du... bei mir schlafen?", flüsterte ich in die Dunkelheit, "Bitte."
Ich sah wie seine Silhouette stockte. Ein Streifen Mondlicht fiel in sein Gesicht und ich sah, dass er zögerte.
"Natürlich", sagte er mit rauer Stimme.
Sobald ich seinen warmen Körper neben meinem spürte, schien Schlafen gar nicht mehr so schwer. Er berührte mich nicht, aber seine Präsenz allein reichte um die Panik in mir zu bekämpfen.
"Danke", flüsterte ich.
"Ist doch selbstverständlich", erwiderte er.
Eine Weile lagen wir stumm nebeneinander.
Ich wusste, dass er nicht schlief und er wusste, dass ich nicht schlief. Es war diese Sorte von Beistand leisten, die meistens unterschätzt wurde. Große Gesten waren immer gern gesehen, doch in diesem Moment konnte Eddie nichts Besseres für mich tun, als einfach da zu sein. Neben mir in der Dunkelheit.
"Dir ist klar, dass ich die Situation nicht auf sich beruhen lassen werde, oder?", fragte er irgendwann und ich schluckte.
Ja, das war mir klar. Niemals würde Eddie zulassen, dass ich noch einen Fuß in den Wohnwagen setzen würde.
"Ich weiß", sagte ich, "Aber er ist... Er ist nicht immer so."
"Einmal reicht aus", erwiderte er und das erste Mal bemerkte ich die unterdrückte Wut in seiner Stimme. Ich drehte mich um, so dass ich mein Gesicht seinem zuwandte. In seinen Augen erkannte ich etwas, dass ich dort noch nie gesehen hatte.
"So behandelt man geliebte Menschen nicht", raunte er und ich wusste, dass er Recht hatte.
Trotzdem wollte ich ihm widersprechen, meinen Vater verteidigen.
"Es war nur... es war das erste Mal, dass er mich verletzt hat", sagte ich mit zitternder Stimme, "Wenn er morgen früh versteht was er getan hat, dann wird er sich entschuldigen. Ganz bestimmt."
Eddie sagte nichts, wahrscheinlich um mir nicht meine kindische Hoffnung zu nehmen. Ich spürte, dass er den Drang unterdrückte mir zu widersprechen.
"Warum hast du mir nicht erzählt, wie schlimm es ist?", fragte er nach einiger Zeit des Schweigens.
Ich zögerte.
"Es wäre noch realer geworden", wisperte ich, "wenn ich mit jemanden darüber gesprochen hätte. Ich habe es einfach verdrängt und gehofft, dass es wieder besser wird."
Eddies Blick lag aufmerksam auf mir und motivierte mich weiterzusprechen.
"In ihm steckt ein guter Mensch. Er hat mich alleine groß gezogen, dass ist gar nicht so leicht", verteidigte ich ihn und dachte an die vielen, schönen Stunden als ich klein war. Stunden, in denen er mir etwas vorgespielt hatte, mir beigebracht hatte auf seinem Bass zu spielen. Stunden, in denen wir Bilder von meiner Mum angeguckt hatten.
"Er hat meine Mum sehr geliebt, weißt du", ich spürte wie eine heiße Träne meine Wange hinunterlief, "Und... als ich dann älter wurde— er kann meinen Anblick kaum ertragen. Ich sehe genau so aus wie sie. Und-", meine Stimme versagte, als ich an all die bösen Worte dachte, die er mir regelmäßig an den Kopf warf.
Ich erinnerte mich noch gut an die erste Nacht, in der mein Vater mich mit ihr verwechselt hatte. Ich war 14 gewesen. Auch wenn er schon lange nicht mehr mit mir über meine Mum sprach, so wusste ich dank alter Fotos, dass ich ihr bis aufs Haar glich. Sie hatte das gleiche herzförmige Gesicht wie ich, dieselben schmutzig-blonden Haare. Sie war seine große Liebe gewesen. Sein Ein und Alles.
Erst hatte er sich gefreut, sie zu sehen, dann... Dann war er wütend geworden.
Und jetzt, sah er sie jedes Mal wenn er in mein Gesicht blickte.
Eddie hob seine Hand und fing eine einsame Träne auf, die über mein Gesicht rollte.
Ich schenkte ihm ein schwaches Lächeln.
Er erwiderte es. Nur ihm gelang es, mir in einer solchen Situation auch noch ein Lächeln zu entlocken.
"Er", begann ich erneut mit zitternder Stimme, "Er... gibt mir die Schuld an ihrem Tod. Er sagt wenn es mich nicht geben würde, dann wäre sie noch am leben."
Eddies Blick flackerte auf: "War das der Grund, warum du immer zu mir gekommen bist? Weil er dir gesagt hat, es wäre besser, wenn du... nicht leben würdest?"
Obwohl es mir unglaublich schwer fiel, nickte ich langsam.
"Du kannst nichts dafür", sagte er leise aber eindringlich, "Es ist nicht deine Schuld."
Das waren die Worte, die ich so dringend hören musste. Das waren die Worte, die abermals das Fass zum Überlaufen brachten. Meine Unterlippe zitterte bedenklich und meine Augen füllten sich mit Tränen.
"Mave-", erschrocken sah Eddie mich an.
Ein Schluchzen entkam meinen Lippen und ohne zu zögern, zog er mich an sich. Seine Arme schlangen sich um meinen Oberkörper: "Hey, hey, es wird alles gut."
Gut? Gut?! Von gut war ich im Moment meilenweit entfernt. Es lag quasi ein Kontinent zwischen Gut und mir.
"D-das weißt... d-du d-doch gar ni-cht", presste ich zwischen zwei Schluchzern hervor.
Der Griff seiner Arme um mich festigte sich. Mein Kopf ruhte auf seiner Brust, seine Hand war in meinem Haar vergraben.
"Doch, dass weiß ich. Ich werde dafür sorgen, dass alles gut wird", flüsterte er in mein Haar und ich wusste, dass er mich niemals anlügen würde, "Er wird dir nie wieder wehtun."
Finally, das neue Kapitel. Ehrlich, das war sogar noch schwieriger zu schreiben, als davor tbh. Eddie's Charakter ist einfach echt schwer zu treffen. Vorallem in solchen Ausnahmesituationen.
Allerdings gefällt mir, dass man hier noch einen tieferen Einblick in ihre Freundschaft bekommt.
Schreibt mir gerne eure Meinung in die Kommentare!
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