42 - WATERGATE
MAVE POV
Dustin marschierte voraus, den Kompass in seiner Hand. Zugegeben das mit den elektromagnetischen Feldern entzog sich meinen Kenntnissen, aber ich war mit einem Haufen Nerds befreundet, daher ging ich davon aus, dass die Anderen das Rätsel sicherlich richtig gelöst hatten.
Die Sonne stand schon tief und als wir irgendwann am Ufer des Lover's Lake ankamen, war es bereits dunkel. Wenigstens hatten Hunger und Kopfschmerzen nachgelassen, dank der Stärkung, die uns die Anderen mitgebracht hatten.
"Achtung, Großer", grinste Eddie und hielt Dustin am Kragen davon ab, als nächstes den Fuß in das schlammige Ufer zu setzen.
"Zeigt der Kompass also ins Wasser?", fragte ich und lugte neugierig über Dustin's Schulter.
"Soll das ein Witz sein?", jammerte Steve beinahe im gleichen Moment. Er war heute wirklich besonders mies drauf.
"Ich glaube nicht", erwiderte ich mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen.
"Ein Tor im... Lover's Lake?", fragte Max, doch die Art wie sie diese Frage stellte, verriet das es eher eine Feststellung als eine Frage war.
"Wenn der Demogorgon angriff, dann war da immer ein Tor. Vielleicht...", Nancy zögerte bevor sie weitersprach, "Vielleicht ist das bei Vecna ja auch so."
"Ja, finden wir es heraus", sagte Steve und klatschte alles andere als begeistert in die Hände, "Freiwillige vor."
"Da war dieses Boot", begann ich mit einem Seitenblick auf Eddie. Er grinste mir zu. Jetzt wo die anderen dabei waren, fühlte sich zwischen uns alles wieder normal an. Wie früher. Zumindest fast.
"Ja, das Boot. Das ist 'ne Idee."
✧
Das Boot war nicht ganz dort, wo wir es zurückgelassen hatten. Schließlich war das Alles hier ein Tatort. Man hatte es wahrscheinlich untersucht, ebenso wie das gesamte Reefer-Rick-Haus, den Schuppen und das umliegende Gelände.
Beinahe geisterhaft flatterte das gelbe Polizeiabsperrband im Mondschein als wir einer nach dem anderen darunter hindurch kletterten und in Richtung des Bootshauses gingen.
Wie vermutet lag dort das kleine Fischerboot. Dank der eigenes dafür vorgesehenen Vorrichtung, war es einfach das morsche Boot ins Wasser zu befördern. Weniger einfach, war hineinzugelangen.
Robin war die Erste. Mit der einen Hand stützte sie sich auf Steves seidigglänzender Haarpracht ab, mit der anderen auf Eddies rauen Locken.
"Geht doch", murmelte sie zufrieden grinsend als sie sich mit einem großen Schritt in das wackelige Boot befördert hatte. Angesichts ihrer massiven Koordinationsprobleme war das wirklich nicht selbstverständlich.
Dann folgte ihr Eddie, denn er war offensichtlich der Meinung, dass es ausreichte wenn Steve das Boot festhielt. Er streckte Nancy mit übertriebener Eleganz eine Hand entgegen, sodass sie sich nicht wie Robin behelfsmäßig auf Steves Kopf abstützen musste. Als ich das Boot nach ihr betrat, streckte mir Eddie ebenfalls seine Hand entgegen. Er tat das Gleiche, wie schon bei Nancy, trotzdem fühlte es sich auf einmal nicht mehr so unschuldig an... Seine Berührung prickelte auf meiner Haut, sein Blick war intensiv und in meiner Brust schlug das Herz heftig.
War sein Blick ebenso durchdringend gewesen, als er Nancy die Hand angeboten hatte?
Wahrscheinlich nicht.
Ich liebe dich.
Verflucht. Da waren sie wieder diese tückischen Worte. Schnell wandte ich meinen Blick von ihm ab und starrte stattdessen in das dunkle Seewasser. Wenn mich etwas auf andere Gedanken bringen würde, dann wohl das Wasser in dem vor knappen 24 Stunden ein Junge ermordet worden war, oder nicht?
Ich bemerkte kaum die kleine Auseinandersetzung zwischen Steve und Dustin, bemerkte kaum wie Steve letzendlich als Letzter das bereits zu volle Boot betrat und uns vom Ufer abstieß. Viel zu beschäftigt war ich mit Eddies glühenden Blick, der auf mir lag, seit unserem Kuss am frühen Morgen. Wahrscheinlich war er einfach ebenso durcheinander wie ich, versuchte ich mir das Alles zu erklären.
Nein, ich wusste es besser. Er war nicht verwirrt. Er liebte mich.
Mehr als man eine beste Freundin liebte.
Seine Worte ließen sich einfach nicht aus meinen Gedanken verbannen.
Ich ließ meine Hand wie zufällig über die Reling ins Wasser hängen. Die Eiseskälte, die meine Fingerspitzen nass und taub machte, war eine willkommene Abwechslung zu meinen Grübeleien. Es war beinahe so als würde die Kälte mein Gehirn einmal neustarten.
Langsam begann ich die Gespräche der Anderen wieder wahrzunehmen.
"Findest du das nicht ein bisschen eklig?", fragte Robin und ihre Nase kräuselte sich, so als ob sie etwas sehr widerliches riechen würde. Als ich sie verständnislos ansah, nickte sie in Richtung meiner Hand, die mittlerweile fast vollständig im Wasser hing.
"Das ist immerhin Leichen-Seewasser!"
"Ich bin gestern fast zehn Minuten durch diesen See geschwommen, während mir vor Panik die Hälfte des See's in den Magen gelaufen ist— also nein, besonders eklig finde ich das nicht", schmunzelte ich und war froh über diese Ablenkung.
"Sag' mir Bescheid falls du Fieber oder so bekommst. Da sind bestimmt ultra viele Keime drin— ich hab' mal gelesen—", begann Robin zu plappern und wurde prompt von einem "Pshh!"
von Nancy unterbrochen.
Sie deutete bedeutunsschwanger auf den Kompass in seiner Hand. "Wow— langsam, Leute!"
"Wow!", hauchte Steve und starrte auf die Nadel des Kompasses, die sich so schnell drehte, dass man sie mit bloßem Auge nicht mehr erkennen konnte.
Beinahe im selben Augenblick, in dem wir uns alle atemlos über den kleinen Kompass beugten, knackte das Funkgerät und Dustin's Stimme ertönte.
"Was ist los?"
"Ehm", begann Robin unsicher, "Dein Kompass ist voll am durchdrehen. Wir sind da, glaube ich."
Dann war es wieder ruhig. Wie Nebel hing die atemlose Stille über dem spiegelglatten Wasser. Mit einem energischen Ruck streifte Steve sich seine Schuhe von den Füßen.
"Äh, Steve, was machst du da?", fragte ich und gestikulierte in Richtung seiner nackten Füße.
"Ich war Co-Captain im Schwimmteam— und irgendwer muss sich das schließlich ansehen!"
"Eh, nein!", protestierte ich, doch da hatte er sich schon das Hemd über den Kopf gezogen und sein nackter (sehr ansehnlicher) Oberkörper kam zum Vorschein.
Eigentlich hatte ich noch mehr sagen wollen, doch irgendwie hatte ich vergessen, was genau...
Eddie warf mir einen Blick von der Seite zu und ich starrte schnell in eine andere Richtung.
"Ich glaube, was Mave sagen will ist, Danke", sagte er schließlich, "Ich will' da nämlich wenn möglich echt nicht nochmal reinspringen."
"Irgendwer muss es tun, also keine Beschwerden", erwiderte Steve und stand auf. Er wirkte schon den ganzen Tag so seltsam. Abweisend und wütend.
Das ganze Boot wackelte beträchtlich und besorgt beobachtete, ich wie Steve sich in Position brachte. Nancy reichte ihm eine Taschenlampe, die sie zuvor in eine Plastiktüte eingewickelt hatte.
"Viel Glück!", lächelte sie dabei und ihr schüchterner, perfekter Good-Girl-Augenaufschlag verriet, dass auch sie nicht ganz kalt gelassen wurde von Steves nackten Oberkörper. Einzig Robin schien das Ganze überhaupt nicht zu interessieren. Sie schimpfte stattdessen mit Eddie, der gerade dabei war sich eine zerpflückte Zigarette aus seiner Jackentasche anzuzünden.
Wo hatte er die bitte gefunden?!
"Ekelhaft!", sagte sie und riss ihm die Kippe aus der Hand. Ich schmunzelte.
Früher hatte ich den Geruch auch nicht gemocht, doch mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt. Wenn ich ehrlich war, mochte ich den Geruch von Tabak sogar. Eddie ohne Kippengeruch war wie Star Wars ohne Raumschiffe.
Ich war so abgelenkt, von Eddie und Robin und meinen Gedanken über Zigarettenrauch, dass ich nur noch das Klatschen hörte, als Steve mit einem eleganten Köpfer im Wasser verschwand.
Während die letzten Wellen auf der Wasseroberfläche langsam zum Stillstand kamen, zählte ich im Kopf die Sekunden.
Steve war schon seit einer halben Minute unter Wasser— was ich ziemlich beeindruckend fand— ich konnte maximal zehn Sekunden die Luft anhalten. Als ich bei fünfundfünzig angekommen war, wisperte Robin: "Wie lange ist er schon da unten?"
"Ne knappe Minute", murmelte ich und zählte angestrengt im Kopf weiter.
Wenn er nach zwei Minuten immer noch da unten war, war defintiv etwas schiefgelaufen, oder?
Und was sollten wir in diesem Fall tun? Hinterher springen?
Dann brach Steve durch die Wasseroberfläche, keuchend und klatschnass aber wohlauf.
"Steve!", quietschte ich erleichtert.
"Ich hab's gefunden", ächzte er und schwamm zu uns hinüber.
"Du hast es?!", wiederholte Robin seine Worte begeistert. Dann holte sie das Funkgerät hervor: "Dustin, du bist ein verdammtes Genie!"
Ich streckte Steve meine Hand entgegen. Er ergriff sie und ließ sich von mir an das Boot heranziehen. Mit seinen muskulösen Oberarmen klammerte er sich an der Reling fest. Seine Augen leuchteten.
"Dustin hatte Recht. Es ist zwar viel kleiner, aber es ist da!", strahlte Steve.
Und dann war er verschwunden, so plötzlich, dass ich nicht sicher war, ob das alles nicht nur ein Streich meiner übermüdeten Augen war.
Aber da war nichts. Nur kleine, kreisende Wellen, die verrieten, dass Steve eben noch an dieser Stelle gewesen war. Bis ihn etwas unter Wasser gezogen hatte.
"Steve!", kreischte Nancy und ich erwachte aus meiner Schockstarre. Offensichtlich hatte ich mir das nicht eingebildet.
Steve! Verdammt. Wie gestern Nacht bei Patrick, schoss es mir durch den Kopf und eine grausige Gänsehaut zog sich über meinen gesamten Körper. Er durfte nicht— oh, Gott... Nein!
"Wir müssen ihm nach!", rief Robin und ehe ich mich versah, hatte sie sich ihre Jeansjacke von den Schultern gerissen und stand auf.
"Warte, warte, warte", keuchte Eddie, "Du willst da doch etwa nicht auch reinspringen?"
"Ihr könnt ja warten, aber ich lasse meinen besten Freund nicht im Stich!", rief Robin mit zitternder Stimme und sprang.
Noch bevor Eddie etwas sagen konnte, hatten Nancy und ich uns ebenfalls erhoben und starrten in das tiefschwarze Wasser.
Doch Robin kam nicht mit Steve wieder aufgetaucht. Eine Minute verging.
Ich wechselte einen entschlossenen Blick mit Nancy. Sie streifte sich ihre Schuhe von den Füßen, ich beließ es bei meinen schweren Dr. Martens.
Hoffentlich zogen die mich weit genug runter, denn auch wenn ich das Wasser liebte, besonders gut schwimmen und tauchen konnte ich nicht.
"Mave", hörte ich noch Ed's warnende Stimme, als ihm klar wurde was mein Plan war. Ich sprang und hörte einen dumpfen Schrei.
War das Eddie?
Ein zweites Klatschen verriet, dass Nancy mir wahrscheinlich unmittelbar gefolgt war.
Die vollkommene, undurchdringliche Schwärze, die sich mir offenbarte hätte mir sonst wahrscheinlich Angst gemacht. Doch sowohl Robin als auch Steve waren da unten. Meine Freunde. Freunde, mit denen ich Unglaubliches überstanden hatte. Und wir würden das Alles wieder überstehen. Wir mussten einfach.
Mit energischen Bewegungen tauchte ich immer weiter ab, ignorierte meine schweren Arme und meine brennende Lunge.
Dann sah ich es. Das Tor. Ein roter Schimmer breitete sich gespenstisch davon aus. Es erinnerte tatsächlich etwas an jenes Tor, dass wir im letzten Jahr bei den Russen entdeckt hatten. Nur das es gerade groß genug war um hindurch zu passen. Ich krallte meine Finger in eine der schwarzen, glitschigen Ranken, die das Tor umgab und zog mich näher an den Eingang heran. Mit bloßen Händen riss ich die dünne Schicht zwischen den Welten auseinander und spürte Luft an meinen Fingern. Luft.
Endlich.
Mit letzter Kraft zwängte ich mich durch die Öffnung und kletterte hinaus. Ein paar Momente blieb ich benommen liegen, nass und dankbar noch am Leben zu sein. Meine Lunge brannte, ebenso wie meine Augen. Tränen rannen meine Wangen hinab und versperrten mir die Sicht.
Doch dann dachte ich an Steve. An Robin. Wo waren sie?
Blinzelnd sah ich mich um.
Es war sehr dunkel. Wolkenberge, die die Farbe von Asche hatten, türmten sich am Himmel. Blutrote Blitze zuckten auf. Jeder Blitz offenbarte in den wenigen Sekunden der Helligkeit grauenerregende Schatten am Himmel— waren das riesige Vögel? Aber nein, die Bewegungen waren viel unruhiger.
Dann fiel mein Blick auf die offene Eben auf der ich mich befand: Ranken überwucherten den staubigen Boden und ein Wald begrenzte die Ebene, sodass mir klar wurde, dass dies wohl die wasserlose Version des Lover's Lake war.
Gab es kein Wasser in dieser Dimension?
Rasselnd rang jemand nach Luft. Ich wandte meinen Blick von dem Horror ab und sah Eddie. Prustend quetschte er sich durch das Tor, mit kalkweißen Gesicht und tropfnassen Locken. Wie versteinert beobachtete ich, wie er nass und atemlos auf dem Boden liegen bliebe.
Eddie. Was machte er hier?!
Nach ihm folgte Nancy. Als ob der Anblick des Wheeler-Mädchens mich aus meiner Erstarrung befreit hatte, rannte ich zu ihr und streckte ihr meine Hand entgegen. Dann zog ich sie heraus. Schwer atmend blieb sie auf dem staubigen Boden liegen.
"Eddie", kopfschüttelnd ließ ich mich neben ihm auf die Knie sinken, "Geht es dir gut?"
Besorgt strich ich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn. Er war wirklich sehr blass.
Er nickte. "Brauch' nur Luft", er atmete noch immer schwer, doch langsam schien er sich von dem Tauchgang zu erholen, ebenso wie Nancy.
"Wir müssen sie finden!", Nancy setzte sich auf und sah sich um.
Ich nickte und blinzelte in die alles verschluckende Dunkelheit.
"Robin?", rief ich, wohlwissend, dass es vielleicht keine gute Idee war in der dunklen Dimension rumzubrüllen wie eine Irre, "Steve?"
Erst war es still. Dann ertönte ein grausames Kreischen— und dann war da eine dünne Stimme.
"Mave?", rief Robin, "Bist du da irgendwo?"
Und dann rannte ich los.
So, hier wären wir. Neue Woche, neues Kapitel— Ich hoffe es gefällt euch! Falls ja, freue ich mich über ein Vote oder ein Kommentar <3
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