
27- STUPID HOPEFULL LITTLE GIRL
Als ich nach Hause kam, dachte ich an die letzte Woche und daran, wie seltsam es mit Eddie gewesen war. Es war höchste Zeit, dass ich meiner Pflicht als Beste-Freundin nachkam und mich bei ihm meldete. Es musste sich etwas ändern.
Es war zwar schon spät, aber wenn ich dafür einen Abend mit Ed verbringen konnte, nahm ich das gerne in Kauf. Wie von selbst betätigte ich die Wählscheibe und nach kurzer Zeit meldete sich bereits Ed am Telefon.
"Hallo", nuschelte er in den Hörer, "Munson hier."
"Hey, Munson", sagte ich und grinste über die unübliche Begrüßung.
"Mave!", stellte er überrascht fest.
"Ja", bestätigte ich, "Ich dachte ich ruf mal an."
"Deinem Dad geht's gut. Habe heute kurz mit ihm geredet, er ist noch clean", ratterte er die Informationen herunter, die ich sonst immer in den vorigen Wochen abgefragt hatte, wenn ich angerufen hatte.
"Das ist schön, aber ich habe eigentlich wegen dir angerufen", erwiderte ich und biss mir auf die Unterlippe.
Gott, war das dämlich. Wir sprachen wie zwei Fremde!
"Oh", machte Eddie und die Verwunderung in seiner Stimme verriet, dass ich ihn in den letzten Monaten wirklich sehr hatte hängen lassen.
"Hast du-", begann ich zögerlich. "Hast du vielleicht Lust noch rüberzukommen. Wir könnten einen Filmabend machen- also auch ohne Star Wars wenn du willst, du kannst einfach einen Film mitbringen. Oder wir schauen einen von denen, die mir Robin ausgeliehen hat, aber sie hat irgendwie einen komischen Geschmack und-", stolperten mir die Worte aus dem Mund.
"-Stopp", unterbrach Eddie mich und ich konnte ihn förmlich vor mir sehen, wie er mit den Händen wedelte und schief grinste, "Ich habe nicht einmal die Hälfte verstanden, so schnell hast du gesprochen!"
"Filmabend", japste ich atemlos, "Ich hab' gefragt, ob du einen Filmabend machen willst."
Er schmunzelte und in mir stieg ein warmes Gefühl auf. Gott, ich vermisste ihn wirklich.
"Eigentlich gerne... aber ich hab' da dieses Ding. So eine- ähhh... Party."
"Party?", wiederholte ich irritiert, "Was für eine Party?"
"Von der Schule", erwiderte Eddie und dieses Mal klang er etwas kurz angebunden, "Nichts großes, aber ich dachte ich schau' mal vorbei."
Ich hatte Eddie ja tatsächlich eine Weile nicht mehr gesehen und ja— wir hatten uns auseinander gelebt... aber eine Party? Wo er mal "vorbeischauen" wollte?
Das war wahrscheinlich die größte Ausrede des Jahrhunderts. Kurz wollte ich nachhaken, aber dann ließ ich es bleiben.
Ich wollte ihn schließlich nicht zwingen Zeit mit mir zu verbringen.
Ich schluckte.
Wir hatten uns wohl wirklich auseinander gelebt.
"Okay", sagte ich gedehnt, "Dann viel Spaß auf der... Party."
"Danke", sagte er und ein bedauernder Unterton lag in seiner Stimme, "Nächstes Mal gerne, wirklich."
"Ja, kein Ding", sagte ich und spürte einen leichten Stich im Herzen, "Bis bald, Ed."
"Bis bald."
Ich hängte das olivgrüne Telefon wieder an Ort und Stelle, dann ließ ich mich mit einem Seufzen auf die klapprige Couch fallen.
Gott, Erwachsen-sein war scheiße.
//
Es war ein typischer Frühlingsmorgen, als ich in die Linie 3 stieg und den Regentropfen dabei zusah, wie sie sich ihren Weg über die dreckige Scheibe des Busses bahnten. Wie auch an den meisten anderen Sonntagen, war ich auf dem Weg zu meinem Dad. Mein Rucksack war vollgepackt mit Einkäufen und in meinen Ohren dröhnte das neue Dio-Album, dass nicht ganz so gut war wie Holy Diver. Aber es war immer noch Dio, weswegen ich es trotzdem rauf- und runterhörte.
Es war zehn, als ich durch die matschigen Pfade zwischen den Trailern stapfte und vor dem Wohnwagen meines Vaters kurz innehielt.
Obwohl Eddie mir gestern bestätigt hatte, dass es meinem Dad gut ging und er noch immer durchhielt, war es jedes Mal aufs Neue eine Überwindung. Man konnte sich nie zu 100% sicher sein, das hatte ich mittlerweile gelernt.
Mit einem halbherzigen Lächeln auf den Lippen, klopfte ich erst gegen die Tür und trat dann ein.
Es roch nach Rauch, aber nicht nach Alkohol, Erbrochenem oder Urin. Das war gut.
Erleichterung durchfloss meine Venen wie pures Adrenalin und ich sah mich um. Dad saß nicht auf dem Sofa. Das war wiederum ungewöhnlich. Mittlerweile verließ er das Sofa kaum noch, selbst der Weg in die Küche oder ins Bad war eine Herausforderung.
Vorallem das Bad, nach alldem was dort passiert war.
"Dad?", rief ich und konnte nicht verhindern, dass Besorgnis in meiner Stimme aufblitzte, "Bist du da?"
"Küche", kam die knappe Antwort zurück. Verwundert zog ich die Brauen hoch und ging durch den Flur in Richtung Küche. Dann stieg mir der Duft von etwas Süßem in die Nase und ich fühlte mich wieder wie mit sechs.
Als ich die Küche betrat, offenbarte sich mir ein Bild, dass ich schon so lange nicht mehr gesehen hatte, dass ich für einen Moment dachte, dass ich träumte. Mein Vater stand am Herd und briet etwas, dass aussah wie verunstaltete Pfannkuchen.
"Dad?", fragte ich verwirrt, "Was machst du da?"
Er wandte sich zu mir um und lächelte. Etwas unbeholfen breitete er seine Arme aus, und wedelte dabei den teigbeschmierten Pfannenwender durch die Luft. Etwas Teig spritzte auf mein Shirt.
"Pfannkuchen!", sagte er, "Weißt du noch, wie früher immer."
Einen Moment lang starrte ich ihn wohl etwas perplex an, denn er kratzte sich verlegen am Hinterkopf: "Ist das nicht gut? Ich dachte-"
Verwirrt schüttelte ich den Kopf: "Doch, es ist gut. Es riecht... lecker."
Dad lächelte: "Gut, sie sind nämlich gleich fertig."
Es war bestimmt fast drei Jahre her, seit Dad das letzte Mal etwas anderes als Fertigessen, trockenes Brot oder Fast Food zu sich genommen hatte.
Geschweige denn, dass er gekocht hatte...
War dieser Entzug vielleicht doch anders?
Hoffnung glomm in mir auf, entfachte mich und ich brannte lichterloh. Zu schön war der Gedanke an vergangene Kindheitstage, Sonntagmorgen und gemeinsame Pfannkuchen-Wettessen.
Dumme, dumme Hoffnung. Sie verriet mich jedes Mal aufs Neue.
Der Tag mit Dad war wie eine Zeitreise in meine Kindheit. Er erinnerte an Tage, in denen noch alles in Ordnung war. An Tage, an denen mir noch nicht bewusst war welchen Preis mein Vater für meine Existenz zahlen musste.
Schöne, simple Tage.
Und an Tage, an denen ich Eddie kennenlernte. Auf dem grässlich pinken Sofa sitzend, von unserer Nachbarin, Mrs Dalloway, die in den langen Ferien auf mich aufpassen sollte während Dad arbeitete. Doch in diesem Sommer saß da ein Junge, vielleicht ein Jahr älter als ich. Er trug ein viel zu großes T-Shirt mit einem furchtbar gruseligen Aufdruck.
Das war zumindest mein erster Eindruck. Aber schon nach zwei Minuten waren wir ein Herz und eine Seele.
Er zeigte mir eine Schallplatte und präsentierte sie mir stolz. Black Sabbath. Das Cover machte mir auch etwas Angst, aber als er dann ein Bild von den Bandmitgliedern hervorzog, musste ich lachen.
Sie alle sahen ein bisschen aus wie Dad, mit ihren Schnurrbärten und den Lederjacken.
Und von diesem Moment an, liebte auch ich die Musik der vier Typen, die mich an Dad erinnerten.
In diesem Sommer stromerten wir durch den nahegelegenen Wald, durch die staubigen Pfade des Trailerparks und manchmal auch durch die Autowerkstatt, in der mein Dad arbeitete.
Eddie's Onkel arbeitete immer nachts und schlief tagsüber, deswegen waren wir eigentlich den ganzen Sommer allein. Zumindest wenn Dad uns nicht mitnahm oder zu Mrs Dalloway schickte.
Es war der perfekte Sommer.
Und so ging es weiter.
Bis zum letzten Sommer, in dem ich für fast zwei Tage verschwand.
In diesem Sommer hatte sich alles verändert.
Vielleicht so viel, dass ich nicht mehr zu meinem alten Ich zurückkehren konnte.
Vielleicht so viel, dass Eddie und ich nicht mehr zueinander finden würden.
An diesem Sonntag konnte ich jedoch kaum einen Gedanken an den einst so kleinen Jungen von gegenüber verschwenden- stattdessen fragte ich mich, was mit meinem Vater geschehen war.
Er war wie ausgewechselt.
"Und, wie gefällt dir die Arbeit bei Melvald's?", fragte er und häufte mir ein paar zerpflückte Pfannkuchen auf meinen Teller.
Seine Frage war eine bittere Erinnerung an die Realität, denn ich hatte sie ihm erst letzte Woche beantwortet. Während des kalten Entzugs vergaß er immer einiges.
"Gut", log ich und lächelte, "Es macht Spaß."
Dad wirkte erleichtert: "Das freut mich, May."
May.
So hatte er mich früher oft genannt. Ein dumpfer Schmerz pochte in meiner Brust auf. Dieser Spitzname stand für so viel. Vor allem für Hoffnung.
Hoffnung, dass alles wieder gut werden würde.
Hoffnung, dass Dad noch nicht ganz verloren war.
Hoffnung war etwas zerbrechliches und ich war mir nicht sicher, ob ich meinem Dad etwas so zerbrechliches in die Hände geben konnte.
Ich wusste nicht, ob er nicht alles, bei der nächsten Gelegenheit zertrümmern würde.
Don't forget to vote & comment if you liked it <3
Hatte heute bisher einen echt blöden Tag, hoffe bei euch war es besser! Anyways, wie gefällt euch das neue Design? Habe mal wieder ein neues, wundervolles Cover von cosmicvsp :)
Schaut bei ihr vorbei!
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro