26- YOUR WEIRD FRIEND
"Dio?", fragte Ed und einen Moment lang fühlte ich mich zurückversetzt in die Zeit vor russischen Geheimcodes und Monstern aus anderen Dimensionen.
"Dio!", bestätigte ich nachdrücklich, "Aber Rainbow in the Dark als erstes. Und dann Holy Diver."
"Natürlich", schmunzelte Ed und beugte sich vor um die entsprechende Kassette mit der Aufschrift 'Mave' einzulegen.
Kippenrauch und Leder und ein bisschen regenfeuchter Waldboden. Das war der Geruch, den ich seit Wochen nicht mehr gerochen hatte und doch immer und überall erkennen würde.
Eddie.
Ich schloss die Augen, lehnte mich in den Sitz.
"Wir haben uns lange nicht mehr gesehen", sagte Eddie nach einer Weile, so als würde er erst jetzt bemerken wie viel Zeit eigentlich vergangen war.
"Ja", sagte ich und warf ihm einen Blick zu. Sein Blick war fest auf die Straße vor uns gerichtet, mit der einen Hand trommelte er im Takt zur Musik auf das Lenkrad, die andere lag wie zufällig auf der Ablage zwischen uns. An seinen Fingern steckten wie immer eine Vielzahl an silbernen Ringen.
Ich wandte den Blick von ihm ab und starrte in die immer dunkler werdende Landschaft vor dem Fenster.
"Wie läuft es bei der Arbeit?", fragte er, "Ist Jeff immer noch so eine Nervensäge?"
"Es geht", erwiderte ich, "Immerhin hat er mir die Wohnung vermittelt."
Das Gespräch verlief ins Nichts. War es jemals vorgekommen, dass wir nicht wussten, was wir einander erzählen sollten?
Wobei das Problem nicht am fehlende Erzählstoff lag, sondern vielmehr die Distanz zwischen uns. Noch vor ein paar Monaten hätten wir uns wahrscheinlich über Marges neuen Freund lustig gemacht, den sie uns an den Weihnachtsfeiertagen vorgestellt hatte. Sie hatte ihn auf dem College kennengelernt. Er war furchtbar...
Er hätte mir von den neuesten Entwicklungen bei Hellfire erzählt, ich hätte von meiner Schicht gestern erzählt und der Unverschämtheit, die manche Kunden besaßen. Aber weder er noch ich taten es. Stattdessen lief leise die Musik, die uns verband. Die Musik, die an vergangene Zeiten erinnerte, an das Band, dass zwischen uns bestand.
Es war noch da, dass spürte ich.
Aber es hatte sich verändert.
"Wie geht es Wayne?", fragte ich in einem neuen hoffnungsvollen Versuch das Schweigen zwischen uns zu bekämpfen.
"Gut. Er arbeitet viel und beschwert sich mindestens zwei Mal täglich über meine Kochkünste", sagte Eddie und ein sarkastisches Lächeln umspielte seine Lippen.
"Vielleicht sollte ich mal meine Lasagne vorbeibringen", sagte ich und spielte mit der losen Naht meines T-Shirts.
"Vielleicht", sagte Eddie und nickte, "Er vermisst dich, weißt du?"
Obwohl ich wusste, dass diese Worte nicht vorwurfsvoll gemeint waren, breitete sich das schlechte Gewissen in mir aus.
Immerhin hatte ich fast drei Monate bei den Munsons gelebt. Dann, als ich in meinen eigenen Wohnwagen zog, waren Eddie und ich viel bei mir gewesen. Mein Wohnwagen hatte sich am anderen Ende des Trailerparks befunden, weit weg von meinem Dad, der damals mehr getrunken hatte als je zuvor. Außerdem wollte ich nach meinem Auszug nicht weiterhin so viel Zeit bei den Munsons verbringen. In den drei Monaten zuvor hatte ich ihnen schließlich genug Sorgen bereitet.
Als ich kurz nach Weihnachten dann vollends aus dem Trailerpark fortgezogen war, ging alles ganz schnell. Auf einmal war der Januar vorbei, der Februar und jetzt? Jetzt war schon März und ich hatte Eddie vielleicht zweimal gesehen in all den Wochen.
Zugegeben ich konnte mich an die
letzten drei Monate kaum erinnern. Ich arbeitete rund um die Uhr, um die hohe Miete zahlen zu können. Und in der wenigen freien Zeit, die ich hatte, versuchte ich meinen Dad wieder auf die Spur zu bringen.
"Und... ich vermisse dich auch", sagte Eddie und riss mich abrupt aus meinen Gedanken.
Schmerzhaft zog sich mein Inneres zusammen. Natürlich fehlte er mir auch, unsere Filmabende, die stundenlangen Bandproben und Fachsimpeleien über Musik. Aber was half es schon ihn zu vermissen?
Dadurch würde sich meine Situation auch nicht verändern.
Wenn ich jedoch Dad half endgültig vom Alkohol loszukommen, dann würde ich vielleicht endlich mein altes Leben wiederbekommen. Mein Leben, zuhause im Trailerpark, mit Ed und langen Abenden auf dem Sofa in seinem Trailer.
Außerdem konnte ich dann endlich beginnen zu sparen und musste mein Geld nicht ausschließlich für die teure Miete einer deprimierenden Wohnung hinauswerfen.
Zumindest für eine gewisse Zeit, stellte ich mir all das wunderschön vor.
Und dann, sobald wir genug Geld hatten, würden wir verschwinden. Vielleicht würden wir wie mein Dad damals durchs Land reisen und Musik machen, nur von dem Leben was gerade zur Verfügung stand...
Doch dann kam ich wieder in der Realität an und wusste, dass dies nicht passieren würde. Zumindest nicht in der nächsten Zeit.
Dad war noch zu schwach.
"Ich... vermisse dich auch", sagte ich, "Und Wayne. Ich wünschte, ich könnte euch öfter besuchen."
"Ich weiß", sagte Eddie und warf mir einen kurzen Blick zu, bevor er den Blinker setzte und in die Straße abbog, in der sich meine Wohnung befand.
"Es ist nur... viel. Ich muss Geld verdienen und Dad helfen und-"
"Ich weiß", unterbrach er mich und hob beruhigend eine Hand, "Ich wollte dir kein schlechtes Gewissen machen."
Mit einem Blick über die Schulter hielt er an und manövrierte das Auto in eine Parklücke. Dabei legte er einen Arm auf meinem Sitz ab und ich spürte wie seine Finger, die Haut in meinem Nacken streifte. Mein Puls schnellte in die Höhe. Seine Hand war warm, das Metall der Ringe kühl. Sofort zog sich eine Gänsehaut über meinen Rücken.
Früher waren Berührungen zwischen uns etwas völlig normales, alltägliches gewesen. Jetzt fühlte es sich fremd an. So hatte es sich nie zwischen uns angefühlt. Was war nur in den wenigen Monaten geschehen? Konnte eine so lange bestehende Freundschaft schon von ein wenig Stress und Arbeit bröckeln?
Ich atmete einmal tief durch und schloss meine Augen. Als sich meine Augen wieder öffneten, landete mein Blick auf Eddie, der mich abwartend ansah.
"Hmm?", fragte ich.
Er schmunzelte: "Wir sind da."
Ich sah aus dem Fenster: "Oh." Nervös friemelte ich am Sicherheitsgurt herum, um ihn zu lösen. Dann schnappte ich meine Tasche und warf Eddie einen Blick zu. "Ich geh' dann mal", sagte ich und lächelte schief.
"Okay", sagte er und zog eine Augenbraue in die Höhe, ganz so als ob er mich fragen wollte, was genau mit mir los war. Zum Glück fragte er mich nicht tatsächlich, denn ich hätte ihm beim besten Willen keine befriedigende Antwort geben können.
"Danke, dass du mich mitgenommen hast", ich rutschte vom Sitz und sprang aus dem Van, "Und... ähh, viel Spaß... bei was-auch-immer."
"Werde ich haben", murmelte er, doch er sah nicht wirklich überzeugt aus, "Schlaf gut, Mave."
"Danke, du auch", ich lächelte ihm noch einmal zu, dann ließ ich die Tür zu fallen und lief die letzten Meter bis zur Haustür.
Als ich oben aus dem Fenster sah, stand Eddie noch dort und sah zu mir hoch, ganz so als ob er auch sicherstellen wollte, dass ich auch tatsächlich in meiner Wohnung ankam. Er hob die Hand zum Abschied, dann startete er den Van und fuhr davon.
✧
Die neue Woche startete genau so wie jede andere Woche auch. Kunden gingen ein und aus, Donny kommandierte Jeff und mich herum, Jeff versuchte mich anzubaggern.
Es war das Gleiche wie seit fast acht, verdammten Monaten.
Die Tatsache, dass ich meinen Job bei Melvald's hasste, sorgte dummerweise dafür, dass die Zeit dort noch langsamer verging als sowieso schon.
Glücklicherweise waren Jeff und ich am Nachmittag alleine, dann konnte ich wenigstens hinten im Lager Musik hören ohne befürchten zu müssen, gekündigt zu werden.
Es hatte durchaus seine Vorteile, dass mein Mitte-20-jähriger Arbeitskollege auf mich stand. Er ließ mir alles durchgehen und immer wenn ich mit ihm zusammen arbeitete, übernahm er die ganzen nervigen Aufgaben: Kunden bedienen, Aufräumen, Durchwischen am Ende der Schicht.
Donny arbeitete meistens nur vormittags und unter der Woche. Die stressigen Schichten am Samstag überließ er uns.
Auch den folgenden Samstag ließ Donny uns alleine und deswegen hätte ich fast die äußerst irritierende Konversation zweier High-School-Schülerinnen überhört, wenn Jeff nicht tatsächlich in diesem Augenblick vorne etwas überfordert gewesen wäre und meine Hilfe gebraucht hatte.
"Willkommen bei Melvald's, was kann ich für euch tun?", leierte ich meinen Text herunter und zog abwartend eine Augenbraue hoch, als die beiden Mädchen vor der Ladentheke so vertieft in ihr Gespräch waren, dass sie mich einfach ignorierten.
"Wollt ihr was kaufen oder einfach nur rumkichern?", seufzte ich genervt.
"Äh, ja, sorry— Mave", sagte die Brünette mit der Dauerwelle und schielte auf das Schild meiner Arbeitskleidung, "aber-", und dann beugte sie sich vor und flüsterte, "-wir suchen Kondome und wollten nicht diesen Creep da drüben fragen."
"Da muss ich euch leider enttäuschen, Mr. Melvald ist katholisch und hält nichts von Verhütung", erwiderte ich und machte eine vage Handbewegung Richtung Osten, "Aber in der Apotheke da drüben solltet ihr Kondome finden."
Die Wangen der Schülerinnen brannten flammend rot auf.
"Okay", sagte die Brünette bemüht lässig, "Danke. Und wie sieht's hier aus mit Zigaretten?"
"Sind ab 18", erwiderte ich genervt.
"Wir sind 18", entgegnete die Blondine neben ihr und ihre braunen Unschuldslamm-Augen klimperten mich an.
"Seid ihr nicht, ich erkenn' doch eure Cheerleader-Uniformen."
Ja, diese fürchterlichen Uniformen würde ich wohl niemals vergessen.
"Naja, eigentlich-", begann die Blondine, doch die Brünette verpasste ihr bevor sie weiterreden konnte einen Stupser mit dem Ellenbogen. "Nicht!", zischte sie dabei.
Stumm tauschten die Beiden Blicke aus.
Verständnislos beobachtete ich das Spektakel. Ach, was würde ich nur dafür tun, wenn ich schon bis heute Abend vor spulen könnte. Samstagabende waren die besten. Ich kam zwar spät nach Hause, dafür konnte ich aber am nächsten Tag ausschlafen...
"Habt ihr's dann?", seufzte ich, als die Beiden sich auch stumm nicht einigen konnten.
"Eh", stotterte die Blondine, "Die Zigaretten sind nicht für uns, sondern für deinen Freund, der komische..."
"Als Bezahlung", ergänzte die andere wispernd und beugte sich dabei weit über die Theke.
Mein komischer Freund? Meinten sie meinen Arbeitskollegen Jeff? Bezahlung?
Irritiert zog ich die Augenbrauen zusammen. Dann schüttelte ich das Wirrwarr meiner Gedanken ab. Was auch immer die Beiden sich für eine Story ausdenken würden, ich würde ihnen keine Kippen verkaufen. Am Ende fanden ihre Eltern heraus, dass ich ihnen die Zigaretten verkauft hatte und dann war ich dran. Und meinen Job los— mit Sicherheit!
"Wie oft denn noch, ich verkaufe euch keine Kippen, egal was ihr mir erzählt", entgegnete ich genervt und wandte mich ab.
Ich wusste nicht, was genau ihr Plan gewesen war, aber Fakt war, dass das nicht das erste Mal war, dass Jugendliche versuchten über mich an Alkohol oder Zigaretten zu kommen (oder Kondome, aber die hatten wir hier nicht im Angebot).
Meistens sahen sie nur meinen verschmierten Eyeliner und die zerschlissenen Jeans und dann waren sie auch schon der Meinung, dass ich ihnen wohl am ehesten etwas verkaufen würde ohne nach ihrem Ausweis zu fragen.
Tja, aber falsch gedacht. Ich mochte vielleicht so aussehen, aber so ganz egal war mir mein Job dann auch nicht.
Ich hoffe dieses Kapitel hat euch gefallen. Falls ja, freue ich mich über Votes und Kommentare!
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