22 - FRIENDS... BEST FRIENDS
"Ist das dein Scheiß-Ernst?!", rief ich empört, kaum das Steve verschwunden war, "Du hast dich aufgeführt wie ein 13-jähriger Volltrottel!"
"Ich?!", rief Eddie ebenso entrüstet, "Ich habe mich nicht aufgeführt wie ein 13-Jähriger Volltrottel. Wenn das jemand getan hat dann war er das!"
"Ihr beide habt euch wie Idioten benommen!", entgegnete ich wütend, "Es ist ja okay, wenn du ihn nicht leiden kannst aber dann versuche doch wenigstens dich wie ein normaler Mensch zu benehmen, in den fünf Minuten in denen du mit ihm reden musst."
"Ich hab' mich wie ein normaler Mensch benommen!", Eddie raufte sich frustriert durch das braune Haar, "Hätte er nicht die ganze Zeit so besserwisserisch—"
"—Du warst genau so ein Volldepp wie er einer war", unterbrach ich meinen besten Freund schnippisch, "Und nur weil du ihn wegen irgendetwas aus der Middle-School nicht ausstehen kannst, ist das doch kein Grund, dich wie ein unzivilisierter Höhlenmensch zu benehmen!"
Mit jedem Wort wurde meine Stimme etwas lauter. Als ich geendet hatte, war es für einige Augenblicke bedenklich still im Wohnwagen der Munsons.
"Wann zum Teufel", fragte Eddie dann deutlich gefasster, "Wann zum Teufel bist du eigentlich zu einem Mädchen geworden, dass sich von ein paar Haaren so sehr beeindrucken lässt, dass du deine Meinung über einen Menschen innerhalb einer Woche so veränderst? Wann bist du so naiv geworden, dass du ihm ein Geheimnis anvertraust, dass du selbst deinem besten Freund monatelang verschwiegen hast?"
Seine Worte trafen mich hart. Doch was noch schlimmer war als die Worte, die er mir an den Kopf warf, war der Schatten der über seinen Augen lag.
Er war verletzt und ich konnte es ihm nicht übel nehmen. Er musste sich so verraten vorkommen. Natürlich war ihm aufgefallen, dass Steve sich beim Anblick meines Vaters sofort beschützend vor mich gestellt hatte. Natürlich, vermutete er, dass ich Steve alles erzählt hatte- von der Trinkerei, bis hin zu den Streits und dem Abend, an dem mein Vater mich verletzt hatte.
Ich öffnete den Mund, wollte ihm erklären, was es mit alldem auf sich hatte. Wollte erklären, dass ich nie geplant hatte, Steve von meinem Dad zu erzählen— und es faktisch gesehen auch nie getan hatte, weil er von alleine darauf gekommen war. Wollte erklären, dass ich high auf russischen Drogen gewesen war, die mich dazu gebracht hatte diese Vermutungen nicht abzutreten. Dass es nicht das Feuer in der Mall war, dass Steve und mich verband. Wollte ihm sagen, dass der Grund, warum ich Steve vertraute, der war, weil wir gemeinsam gefangen waren, gefoltert wurden und beinahe gestorben waren.
Aber ich konnte nicht.
Durfte nicht.
Verzweifelt schloss ich den Mund wieder, ratlos. Es gab nichts, was ich darauf erwidern konnte. Nichts, dass ihm mein Verhalten erklären würde.
"Ed", begann ich und spürte, dass mir Tränen in die Augen stiegen, "Ich..."
Meine Stimme versagte und zurück blieb nur die Leere zwischen uns.
"Ich geh' zu Marge", sagte Ed als ich stumm blieb, "Und schlaf' in der Garage. Ruh' dich aus, so wie die Ärzte gesagt haben."
Dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen und dann begannen die Tränen zu laufen. Ich ließ mich auf das Sofa sinken und rollte mich auf dem weichen Polster zusammen.
Selten hatte ich mich so alleine gefühlt wie in diesem Moment.
✧
Als es an der Tür des Wohnwagens klopfte, wollte ich zuerst gar nicht aufstehen. Dann wurde mir allerdings klar, dass es vielleicht ja Eddie sein könnte und Hoffnung brannte in mir auf. Diese Hoffnung wurde allerdings schneller enttäuscht als ich überhaupt über die Möglichkeit nachdenken konnte.
Denn es war nicht Eddie, sondern Robin, die vor der Tür stand.
"Hey", sagte sie und legte den Kopf schief, als sie in meiner Betrachtung versank, "Du siehst echt scheiße aus."
"Das wird mir in den letzten Tagen eindeutig zu oft gesagt", murrte ich und öffnete die Tür so weit, dass sie hereinkommen konnte. Sie trat ein und sah sich neugierig um. Irritiert beobachtete ich, wie sie sich die Chucks von den Füßen streifte und ihren Rucksack auf den Boden plumpsen ließ.
"Ist was?", fragte sie und zog eine Augenbraue hoch.
Ich zuckte mit den Achseln: "Ich frag' mich einfach was du hier machst."
"Marge hat mich angerufen. Wir hatten vor 'nem Jahr mal ein Referat zusammen, deswegen hatte sie meine Nummer. Sie meinte, dass du heute entlassen wurdest und die Ärzte gesagt haben, dass du nicht alleine sein sollst- du dich aber intelligenterweise mit deinem Aufpasser verstritten hast und jetzt allein hier rumhängst", brach ein Schwall an Wörtern aus ihr heraus und zwar in einer solchen Geschwindigkeit, dass ich ein paar Sekunden benötigte um das Gesagte zu verarbeiten.
Die Ärzte hatten in der Tat darauf bestanden, dass ich die erste Nacht nicht alleine verbringen sollte. Da ich sowieso bei Eddie im Zimmer schlief, hatte ich mir diesbezüglich keine Gedanken machen müssen. Dass Eddie, trotz unseres Streits daran gedacht hatte und dann dafür gesorgt hatte, dass Robin herkam... Erneut begannen die Tränen zu laufen.
"Ohgott, hab' ich etwas Falsches gesagt?!", rief Robin bestürzt, "Ich bin wirklich schlecht in sowas- meine Mum sagt immer, dass ich auf dem sozialen Auge blind bin, was auch immer das bedeuten soll—"
"—Nein", schniefte ich und unterbrach damit ihr hastiges Geplapper, "Ich... hatte nur Streit mit Eddie und- und das er trotzdem noch dafür gesorgt hat, dass ich nicht alleine bin... Er ist zu Marge gegangen, nach unserem Streit- d-deswegen hat sie dich angerufen."
Ich wusste nicht, ob Robin mein Gestammel so wirklich verstand, aber trotzdem legte sie mir einen Arm um die Schulter und führte mich ins Wohnzimmer.
"Am besten setzt du dich erstmal", sagte sie und drückte mich in das weiche Polster.
Dann verschwand sie und kam gleich darauf mit ihrem Rucksack wieder. Sie öffnete den Reißverschluss und kippte einen Haufen Süßigkeiten, Limodosen und zwei VHS auf den Couchtisch.
"Also", sagte sie, "Ich habe Cheetos, Reezes, Hershey's, Jolly Ranchers, Orangen-Limonade und zwei VHS von Family Video. Ich war mir nicht so sicher, auf was du stehst, deswegen habe ich einmal Ich glaub' ich steh' im Wald und einmal Freitag, der 13. —ich dachte, dass passt wenn man mal ein bisschen Frust rauslassen will."
"Warte", unterbrach ich sie, "Ist das nicht dieser abartige Horrorfilm mit dem psychisch-Kranken?"
"Ja, so in etwa", strahlte Robin.
"Kein Horrofilm!", entschied ich, "Ich hasse Horrorfilme. Vorallem wenn mein Leben bereits einer ist."
"Okay", sagte Robin und lachte nervös, "Dann wird es wohl Ich glaub' ich steh' im Wald!"
Ich kannte den Film noch nicht, weil ich— wie Eddie es gerne nannte— eine krankhafte Obsession mit Krieg der Sterne pflegte und sonst kaum andere Filme sah. Mittlerweile konnte ich den Großteil der Szenen sogar schon mitsprechen.
Es tat gut nicht alleine zu sein und die Tatsache, dass Eddie dafür gesorgt hatte, bewies nur ein weiteres Mal, was für ein herzensguter Mensch er war.
Es war furchtbar ihn anlügen zu müssen- vor allem weil er mich so gut kannte, dass ich nicht glaubte, dass er es nicht bemerkt hatte—bemerken würde. Dauerhaft würde das nicht gut gehen.
Die ersten paar Minuten des Films verstrichen, doch ich merkte, dass ich mich kaum auf die Handlung konzentrieren konnte. Immer wieder glitten meine Gedanken zu Eddie und zu dem Problem, dass sich mir in den nächsten Wochen und Monaten stellen würde.
Auch Robin schien nicht so ganz bei der Sache zu sein, denn sie wirkte abgelenkt und nervös.
"Alles gut bei dir?", fragte ich und hielt den Film an. Stacy Hamilton räkelte sich gerade am Pool, als das Bild einfror.
Robins Blick flackerte auf: "Äh, was?"
"Alles gut bei dir?", fragte ich nochmal, "Du wirkst so abgelenkt."
"Eh...ja", sagte sie und starrte an die Decke. Ich sah einen Hauch von nervösen, roten Flecken an ihrem Hals auftauchen, doch ich sagte nichts.
Wenn sie nicht reden wollte, dann musste sie das schließlich nicht tun.
"Okay", sagte ich und lächelte ihr aufmunternd, "Aber nachdem ich dir ewig lang etwas vorgeheult habe, darfst du das gerne auch andersherum tun."
"Das... das ist lieb von dir", sagte sie und schmunzelte. Ihr Blick glitt wieder abgelenkt zum Bildschirm, dann wieder zu mir: "Aber es ist nichts, wirklich. Naja, nichts außer dieser Parallelwelt, den Monstern und den Russen, die uns eingesperrt haben."
Ich lachte trocken auf und auf einmal fühlte ich mich gar nicht mehr alleine.
Eddie würde mich nie verstehen können, aber Robin... Robin und Steve hatten all das mit mir zusammen durchgemacht.
Sie waren ebenfalls beinahe gestorben- und in Robins Fall, war auch für sie all das so plötzlich wie ein Schlag ins Gesicht gewesen.
"Es tut so gut, dass ich nicht alleine in dieser seltsamen Situation bin", sagte ich, "Ich glaube ich würde den Verstand verlieren, wenn ich mit niemanden über all das sprechen könnte."
"Ja", sagte sie und lächelte, "Ja, das tut wirklich gut."
✧
Am nächsten Morgen war Eddie wieder da.
Robin war bereits früh morgens gegangen, weil ihre Mutter, seit ihrem spontanen Verschwinden ein wenig übervorsichtig geworden war.
Nervös spielte ich mit dem Reißverschluss meiner Jacke, als ich hörte wie die Tür des Wohnwagens geöffnet wurde. Seine Schritte auf dem vergilbten Teppichboden waren so vertraut, dass ich sofort wusste, dass er es war.
Instinktiv stand ich auf und lief durch den Flur zu ihm. Er stand in der Eingangstür und warf die Autoschlüssel auf das Sofa.
Dann trafen sich unsere Blicke.
Wir hatten uns schon lange nicht mehr gestritten- und so wie gestern, hatten wir uns sowieso noch nie gestritten.
"Hey", sagte ich unschlüssig.
"Hey", erwiderte er mit rauer Stimme.
"Ich-", setzte ich an und fühlte mich genau so ratlos wie gestern. Dann holte ich tief Luft und die Worte strömten nur so aus mir heraus: "Es tut mir leid, Ed. Es tut mir so unglaublich leid. Ich wollte dir niemals das Gefühl vermitteln, dass ich Steve genau so vertraue wie dir— das tue ich nicht. Das mit meinem Vater, dass hat er sich eigentlich schon selbst erklärt und dann habe ich es einfach nicht über mich gebracht ihn anzulügen— das... das war während dem Brand. Ich war erschöpft und dachte, ich würde demnächst sterben und da kam es mir einfach sinnlos vor ihn weiter anzulügen. Und— und es ist nur so... wenn man zusammen fast stirbt, dann vertraut man einander... wir waren während des Feuers die ganze Zeit zusammen und selbst wenn ich nicht mehr genau weiß, was passiert ist, weiß ich zumindest, dass ich ohne Steve wahrscheinlich auch gestorben wäre. Ich bin nicht naiv, ich habe einfach nur..."
"—Du hast einfach nur etwas überstanden, was die wenigstens aushalten könnten", ergänzte Eddie meinen Satz mit tonloser Stimme.
Dann ließ er sich aufs Sofa fallen und stützte sich auf seine Knie: "Ich war ein absolutes Arschloch, Mave. Du bist fast gestorben und ich habe nichts Besseres zu tun als mich mit Harrington zu messen wie ein kleiner, dummer Junge. Das... das hast du nicht verdient. Du brauchst dich für nichts zu entschuldigen... Gott, das ist doch alles krank."
Und mit einem Mal fielen mir tausend, schwere Steine vom Herzen.
Ich warf ihm ein zaghaftes Lächeln zu.
Er erwiderte es.
"Freunde?", fragte ich im selben Moment, in dem er ansetzte um noch etwas zu sagen. Fragend zog ich eine Braue hoch. Er machte eine abwinkende Handbewegung: "Ach, nichts."
Dann stand er auf und kam zu mir hinüber. Wie früher, als wir noch jünger waren, streckte er mir seine Hand zur Versöhnung entgegen.
"Freunde", bestätigte er mit einem Lächeln, dass seine Augen nicht erreichte, "Beste Freunde."
Ich hoffe es hat euch gefallen! Hinterlasst mir gerne eure Meinung in Form von Votes und/oder Kommentaren <3
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