
29. März 2017
Es dauerte bis Mittwoch, bis einer der Grangers das Thema Rain anschnitt.
Wortlos hatten sie beschlossen, es nicht an Leos Geburtstag zu diskutieren und am Folgetag hatten sie es ebenfalls beide gemieden. Das hieß jedoch nicht, dass sie nicht darüber nachgedacht hatten.
Hermine saß im Wohnzimmer, beaufsichtigte Leo beim Spielen und las, als Draco von der Arbeit kam und seine Aktentasche geräuschvoll auf den Tisch stellte. Sie sah auf.
"Wir müssen über Rain reden.", erklärte er. Sie seufzte und schloss das Buch, während sich Draco auf einen Sessel niederließ und seinen Sohn begrüßte.
"Müssen wir wohl.", sagte sie leise, als Leo sich wieder zu seiner Holzeisenbahn begeben hatte.
Sie saßen sich kurz schweigend gegenüber. Dann fragte Draco:
"Wir sind uns aber einig, dass wir das...nicht gut finden?"
Seine Frau zuckte unsicher mit den Schultern, ihre Finger krallten sich um das Buch in ihren Händen und sie spielte am Lesezeichen herum.
"Aber auch, dass wir es nicht gut finden, dass wir es nicht gut finden.", ergänzte sie und er nickte. Sie seufzten beide tief. Immerhin waren sie hier auf der selben Seite. Sie waren beide überfordert mit der Situation und sie hätten es auch beide lieber anders gehabt. Sie hatten sich ausgemalt, dass Rain eines Tages einen netten jungen Mann mit nach Hause bringen würde und ihn dann irgendwann heiraten und Kinder bekommen würde. Diese Vorstellung war gerade geplatzt wie eine Seifenblase.
Andererseits waren sie sich aber auch einig, dass sie schleunigst mit der Situation klar kommen mussten, denn um nichts in der Welt wollten sie ihrer Tochter das Gefühl vermitteln, nicht so sein zu dürfen, wie sie war. Und wenn das eine weibliche Lebensgefährtin mit einschloss, dann würden Hermine und Draco wohl oder übel lernen müssen, damit zu leben.
"Ich bin einfach überfordert.", platzte Hermine nach einer kurzen Stille heraus. "Ich habe das Gefühl, sie nicht mehr wieder zu erkennen. Ich meine, hätten wir das sehen können? Hätten wir das sehen müssen?"
Draco zuckte etwas hilflos mit den Schultern.
"Ich weiß es doch auch nicht.", erklärte er. "Ich will sie nicht verurteilen. Aber ich tue es trotzdem irgendwie und das macht mich total fertig."
Hermine nickte.
"Geht mir ähnlich.", meinte sie. "Ich bin nur froh, dass sie uns das jetzt gesagt hat und nicht bis Ostern damit gewartet hat. Ich glaube, es ist gut, dass wir zwei Wochen Zeit haben, uns darauf einzustellen, dass sie ihre Freundin mitbringt."
Draco blinzelte, als er darüber nachdachte.
"Das ist sowieso noch so eine Sache.", sagte er. "Wie machen wir das eigentlich? Ich habe da nie drüber nachgedacht. Dürfen sie in einem Zimmer schlafen oder...nicht? Bekommt diese Natasha die gleiche Rede, die ich einem Jungen halten würde?"
"Du hast eine Rede vorbereitet?", unterbrach Hermine ihn amüsiert.
"Nicht vorbereitet, aber ich meine...ich habe mir schon darüber Gedanken gemacht, was ich zum ersten Herrn sagen würde, den sie hier mit herbringt.", erklärte Draco. "Aber ich scheitere schon bei der Anrede. In meinem Kopf ging es immer los mit 'Nun hör mir mal gut zu, junger Mann...'. Aber das...passt jetzt nicht mehr."
"Ich denke, wir können guten Gewissens sagen, dass wir hierauf nicht vorbereitet waren. Nicht vorbereitet sein konnten.", erklärte Hermine, vor allem auch, um sich selbst das einzureden. Draco nickte. Kurz war es still, dann sah er auf die Uhr und sprang auf.
"Verdammt, waren wir nicht vor zehn Minuten mit meinen Eltern zum Kaffee verabredet?"
"War das heute?", fragte Hermine überrascht und sah auf den Kalender an der Wand. "Oh, Mist, du hast recht."
Sie stand ebenfalls auf und wies Leo an, ein bisschen Spielzeug auszusuchen und sich dann anzuziehen. Draco suchte währenddessen verzweifelt das Flohpulver. Er hatte keine Ahnung, warum seine Mutter sie mitten in der Woche zum Kaffee eingeladen hatte, aber sie war furchtbar hartnäckig gewesen und da sie sich seit Wochen nicht gesehen hatten (nicht einmal zu Leos Geburtstag) und weder Draco noch Hermine heute lange arbeiten mussten, hatten sie keine wirkliche Ausrede gehabt.
"Aha!", meinte er, als er das kleine Döschen (natürlich) unter einem Bücherstapel fand. "Wir können los!"
Er drehte sich zur Flurtür um, aus deren Richtung er seine Frau und seinen Sohn über die Notwendigkeit einer Jacke diskutieren hörte und holte dann schnell seinen Zauberstab, seinen Geldbeutel und seinen Schlüsselbund aus seiner Aktentasche, wissend, dass Hermine diese Diskussion problemlos gewinnen würde.
Er behielt recht und so kamen die beiden kurz darauf in den Raum, Leo selbstverständlich mit Jacke.
Sie waren ein bisschen zu spät, aber das würden Dracos Eltern ihnen hoffentlich nicht übel nehmen. Immerhin war es mitten in der Woche und Hermine und Draco hatten ja auch beide so etwas wie einen Job.
Draco war der letzte von ihnen, der rauschend durch den Kamin auf dem Wohnzimmerteppich seiner Eltern ankam. Die Anderen waren noch dabei, sich zu begrüßen, schließlich setzten sie sich in den Salon und Daisy, die Hauselfe, brachte ein Tablett mit Tee und Gebäck hinein. Hermine nutzte die Gelegenheit, um sie zu fragen, wie es ihr ging, eine Angewohnheit, die von Lucius noch immer misstrauisch beäugt wurde.
Nach einem kurzen Austausch von Small Talk bezüglich Befinden, Job und nicht vorhandener größerer Ereignisse erklärte Narzissa ohne Umschweife:
"Rain hat mir geschrieben." Und sie bedachte ihren Sohn und ihre Schwiegertochter mit einem prüfenden Blick. Die beiden sahen sich kurz an, wussten beide nicht so genau, was sie mit dieser Information jetzt anfangen sollten. Draco war sich unsicher, was seine Mutter damit sagen wollte. Hatte Rain ihr auch davon erzählt? Und wie stand Narzissa dazu?
"Hat sie..." Er räusperte sich, unsicher wie er diese Frage stellen sollte, ohne das Thema direkt anzusprechen, falls es doch um etwas ganz anderes ging. "Hat sie...etwas ...Neues erzählt?"
Narzissa sah ihn mit schmalen Augen an, was Draco nur noch mehr verunsicherte.
"Sie hat in der Tat etwas Neues erzählt. Etwas, was mich zutiefst schockiert hat.", erklärte sie kühl. Hermine und Draco führten mit Blicken eine stumme Konversation. Was sollten sie darauf antworten?
"Ja, ähm...", druckste Hermine herum. "Das...das hat sie uns auch erzählt."
Draco nickte, erleichtert, dass Hermine sich äußerte.
"Wir sind auch etwas...", setzte er an.
"Ich bezweifle.", unterbrach Narzissa ihren Sohn. "Dass wir von derselben Sache sprechen."
Draco wurde noch unsicherer und er konnte am Gesicht seiner Frau ablesen, dass es ihr ähnlich ging.
"Ich habe vor zwei Tagen einen Brief von ihr erhalten, in dem sie mich bat, euch ins Gewissen zu reden, da ihr euch ihr gegenüber sehr ablehnend verhalten habt, als sie euch von ihrer Beziehung mit Natasha erzählt hat.", erklärte Narzissa jetzt sachlich. Draco zog überrascht die Augenbrauen nach oben. Seine Mutter wirkte recht unbeeindruckt von dieser Tatsache. Seine Augen huschten kurz zu seinem Vater hinüber, der wie versteinert in seinem Sessel saß.
"Wir waren nur ein bisschen...überfordert.", verteidigte sich Hermine jetzt und Draco konnte ihr da nur zustimmen, auch wenn er zugeben musste, dass diese Ausrede etwas lahm klang.
"Überfordert?", fragte Narzissa mit einem Ist-Das-Euer-Ernst-Blick. "Und glaubt ihr, sie war nicht überfordert mit der ganzen Entwicklung, oder was? Dass sie keine Angst hatte, wie ihr reagiert?"
Draco und Hermine sahen beschämt zu Boden.
"Seit wann weiß du eigentlich davon?", fragte Draco dann neugierig, einerseits, weil es ihn interessierte und andererseits, weil es eine gute Gelegenheit war, davon abzulenken, wie sehr er und Hermine in eines der größten Fettnäpfchen der Erziehung getreten waren. Narzissa biss an und lehnte sich zurück.
"Seit den Weihnachtsferien.", erklärte sie und nippte an ihrem Tee. Ihr Gesicht war einerseits ein bisschen selbstgefällig, andererseits vorwurfsvoll. Draco nahm an, dass sie sich zwar freute, dass Rain ihr so vertraute, sie Hermine und ihm aber auch vorwarf, keine so gute Beziehung zu ihrer Tochter zu haben, dass diese sich ihnen öffnen wollte. "Sie war ziemlich fertig mit der Situation und wusste nicht, wie sie damit umgehen soll."
"Ich habe gar nicht bemerkt, dass sie das an Weihnachten so beschäftigt hat.", gestand Hermine und Draco wog den Kopf hin und her.
"Ich meine, mir ist schon aufgefallen, dass sie gedanklich oft nicht ganz in der Gegenwart war.", gab er zu. "Aber ich dachte, wenn sie darüber reden will, dann wird sie schon etwas sagen."
"Naja, ich musste ihr auch praktisch alles aus der Nase ziehen.", räumte Narzissa ein. "Rain ist halt niemand, der anderen von sich aus ihr Leid klagt. Aber ich finde es deshalb umso wichtiger, dass sie es euch gesagt hat." Sie durchbohrte ihren Sohn und ihre Schwiegertochter mit ihrem Blick. "Das hier ist eine große Sache für sie, sie mag dieses Mädchen wirklich gern. Und ihr habt euch ihr gegenüber wie intolerante Reinblüter verhalten."
Jetzt schämte sich Draco wirklich. Er war 37 Jahre alt, verheiratet mit zwei Kindern und war gerade wie ein Teenager von seiner Mutter zurech gewiesen worden. Er sah auf, als sich Hermine räusperte und jetzt seinen Vater ansah, der die ganze Zeit schweigend zugehört hatte. Draco war seiner Frau dankbar, dass sie sich das "apropos" verkniff, als sie fragte:
"Was sagst du eigentlich dazu?"
Auch Draco sah seinen Vater interessiert an. Der jedoch schwieg weiterhin, sah dabei mehr als unzufrieden aus und blickte schließlich zu seiner Frau. Narzissa schenkte ihm einen warnenden Blick.
"Ich bin mir bewusst, dass ich nicht das Recht habe, über sie zu urteilen und werde lernen, damit umzugehen.", erklärte Lucius, die ganze Zeit die Augen auf Narzissa gerichtet. Es klang hohl, wie auswendig gelernt.
Draco bedachte seine Mutter mit einem beeindruckten Blick. Es war recht offensichtlich, dass sie ihm den Mund verboten hatte. Draco war fasziniert, wie sich in den letzten zehn Jahren das Blatt in dieser Beziehung gewendet hatte. Hatte seine Mutter früher immer ja und amen zu allem gesagt, was sein Vater getan hatte, stand er jetzt fest unter ihrem Pantoffel.
"Es freut mich, dass du so tolerant geworden bist, Vater.", erklärte Draco, nicht spottend, sondern ernsthaft anerkennend, um ihm zu zeigen, dass diese Entwicklung gewürdigt wurde. Möglicherweise würde Lucius irgendwann auch von sich aus offener werden. Hermine nickte, als Zeichen, dass sie sich dieser Meinung anschloss.
Ab da wurde das Gespräch lockerer und alltäglicher. Sogar Lucius löste sich irgendwann aus seiner Schockstarre und beteiligte sich am Gespräch. Draco war sich sicher, dass diese Entwicklung nicht dazu beigetragen hatte, dass sich Rain und ihr Großvater jemals wirklich nahe sein würden. Das war natürlich schade. Aber er hoffte, dass ein neutrales, vielleicht sogar freundliches Verhältnis irgendwann möglich würde.
Als sie sich am frühen Abend auf den Weg nach Hause machten, überlegte Draco noch immer, wie sie ihr Verhalten gegenüber Rain wieder gut machen konnten.
Und auf einmal hatte er eine Idee.
So, das war also die andere Seite der Medaille. Draco und Hermine finden sich wohl langsam damit ab und Lucius...naja, begeistert ist anders. Aber immerhin. Morgen hat Rain Geburtstag und übermorgen fährt die ganze Truppe nach Hause für die Osterferien.
Ich bin währenddessen fertig geworden und schreibe noch den Epilog, sodass wir diese Geschichte dann auch nach über zwei Jahren endgültig abschließen können.
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