24. Januar 2017 (2)
"Hey, ihr Beiden. Ihr seht aus, als könntet ihr Gesellschaft brauchen."
Eine fröhliche Stimme erzwang sich Rains und Natashas Aufmerksamkeit. Sie hatten die letzten Minuten seit Ian verschwunden war, den Raum auf sich wirken lassen und sich ein bisschen verloren gefühlt. Jetzt drehten sie sich um und erblickten einen freundlichen Lockenkopf. Sie kam Rain vage bekannt vor und sie meinte, sich zu erinnern, dass sie eine Siebtklässlerin aus Ravenclaw war.
"Wenn ihr wollt, bei uns ist noch ein Plätzchen frei.", sagte sie und es wirkte, als sei sie sich vollends bewusst, wie überfordert Rain und Natasha mit der Situation waren - und hatte beschlossen, es zu ignorieren.
Die beiden Mädchen tauschten einen Blick und beschlossen dann wortlos, aber einstimmig, dass es nicht schaden würde, neue Leute kennen zu lernen.
Die neuen Leute erwiesen sich als das Mädchen, was sie angesprochen hatte und eine weitere Person, die in einem der Sessel saß, zu denen das Mädchen sie führte und freundlich lächelte.
"Das ist Alex, they/them-Pronomen.", stellte sie vor und machte eine Handbewegung, die Rain und Natasha bedeutete, sich zu setzen. "Und ich bin Claire."
Natasha und Rain stellten sich ebenfalls vor und ließen sich vorsichtig auf das Sofa nieder, was dem Sessel, auf dem Alex saß gegenüber stand. Claire hingegen quetschte sich mit auf den Sessel, wogegen Alex zwar protestierte, aber doch recht schnell aufgab.
"Seid ihr zusammen?", fragte Natasha neugierig, denn das war durchaus ein Schluss, den man aus ihrem Verhalten und dem Ort ziehen konnte. Claire nickte und Alex lächelte breit.
"Seit ein paar Monaten.", berichtete Claire glücklich. "Ich hatte ja schon in der fünften ein Auge auf Alex geworfen, aber wir haben dann doch noch ziemlich lange gebraucht."
Alex grinste, und Rain kam zu dem Schluss, dass Claire die gesprächigere Person in dieser Beziehung war.
"Wie seid ihr hier gelandet?", fragte Alex jetzt mit tieferer Stimme, als Rain erwartet hätte.
"Meine Schwester hat mir den Tipp gegeben.", erzählte Natasha und Rain war erleichtert, dass sie langsam mit der Situation warm zu werden schien. "Wobei ich mich mittlerweile frage, woher sie hiervon wusste."
"Kennt man sie?", fragte Claire neugierig, aber Natasha schüttelte den Kopf.
"Sie ist schon seit fünf Jahren raus aus Hogwarts. Und ihr? Wie lange seid ihr schon hier?", wollte sie im Gegenzug wissen und Rain war dankbar für die Frage, denn das interessierte sie auch.
"Also ich habe über ein paar andere Leute aus meinem Jahrgang hiervon erfahren.", sagte Alex und begann dann erneut, zu grinsen. "Aber Claires Geschichte ist viel besser."
"Ich habe von einer Hauselfe, mit der ich gut befreundet bin, den Tipp bekommen.", berichtete Claire und lief dann rot an, als sie murmelnd ergänzte: "Nachdem sie beim Putzen unter meinem Bett gewisse...Kataloge gefunden hat."
Rain war überrascht, dass sie das so bereitwillig jemandem erzählte, den sie gerade erst kennen gelernt hatte. Aber alles in allem schien Claire ein Mensch, der mit seiner Sexualität vollkommen im Reinen war. Anders als Natasha und sie, die noch mitten in der Krise steckten. Moment...seit wann steckte sie selbst denn in einer Krise?
"Wie gefällt es euch bisher denn so?", fragte Claire jetzt, vermutlich um von ihrer Story abzulenken.
"Ich wusste gar nicht, dass es in Hogwarts so viele...von uns gibt.", gestand Natasha und Rain sah, wie viel Überwindung sie das Pronomen kostete. Trotzdem musste sie lächeln, denn sie freute sich, dass Natasha offenbar auf einem guten Weg war, sich selbst irgendwann zu akzeptieren.
"Ja, ich war auch total geflasht!", stimmte Claire zu und Alex nickte zustimmend. "Aber es ist wirklich cool, alle sind super nett und hilfsbereit. Mann, was ich für Fragen hatte, als ich herkam. Aber irgendwer war immer bereit, sie zu beantworten. Auch die...komplizierteren, wenn ihr wisst, was ich meine." Sie zwinkerte und Rain lief rot an. Sie konnte sich absolut nicht vorstellen, irgendjemand wild fremdes solche Fragen zu stellen. Obwohl sie die hatte, und zwar zuhauf.
Alex stieß ihr in die Seite und protestierte:
"Jetzt verschreck sie doch nicht gleich. Man kann hier auch wirklich Freunde fürs Leben kennen lernen. Oder halt potenzielle Partner." Die beiden tauschten einen liebevollen Blick. "Erst als wir uns hier getroffen haben, haben wir gemerkt, dass wir uns was das angeht nicht so uneinig sind."
Auf die Idee war Rain noch gar nicht gekommen, dass sie hier ja auch Leuten begegnen konnte, die sie kannte und von denen sie einfach nicht wusste, dass sie Interesse an solch einer Versammlung haben könnten. Noch einmal blickte sie sich um, aber sie entdeckte niemanden aus ihrem direkten Freundes- oder Bekanntschaftskreis.
Claire und Alex verwickelten sie schließlich in ein Gespräch und Rain und Natasha begannen mehr und mehr, sich in der Atmosphäre wohl zu fühlen.
Irgendwann beschlossen sie, in ihre Häuser zurückzukehren und Alex und Claire schlossen sich ihnen an.
"Welche Häuser seid ihr?", fragte Claire neugierig.
"Ich dachte, das darf man nicht sagen?", erwiderte Rain scherzhaft und Claire musste lachen.
"Da hast du natürlich recht. Aber ich meine, dich aus dem Gemeinschaftsraum zu kennen und wollte dir vorschlagen, dass wir zusammen zum Turm zurückgehen könnten.", bot sie an.
Rain warf Natasha einen fragenden Blick zu, die mit den Schultern zuckte.
"Ich muss eh in die andere Richtung.", sagte sie. "Keine Ahnung, Alex, bist du auch Gryffindor?"
Alex schüttelte den Kopf.
"Zu großer Angsthase. Hufflepuff am Start hier. Aber ich gehe noch ein Stück mit in deine Richtung."
Natasha nickte, Alex gab Claire noch einen schnellen Kuss und die beiden entfernten sich. Rain und Claire machten sich auf den Weg zum Ravenclaw-Turm.
"Also, ich ahne zwar schon deine Antwort, aber Alex und ich haben eine Wette laufen, deshalb frage ich trotzdem:", begann Claire, sobald sie außer Hörweite waren. "Seid ihr beide zusammen?"
Rain musste lächeln, sie hatte fast erwartet, dass diese Frage noch kommen würde.
"Nein.", sagte sie trotzdem.
"Verdammt.", murmelte Claire, sah Rain dann aber prüfend an. "Noch nicht, hm?"
Rain seufzte.
"Es ist kompliziert.", gestand sie. Am Anfang ihres Gesprächs hatte sie sich noch gewundert, wie Claire so schnell bereit gewesen war, persönliche Dinge mit ihnen zu teilen, aber jetzt überkam sie das seltsame Bedürfnis, das gleiche zu tun.
Claire, die sonst die ganze Zeit redete, wartete jetzt schweigend geduldig ab, ob Rain von sich aus mehr erzählen würde. Und das tat sie.
"Natasha ist mit dieser seltsamen Einstellung großgeworden, dass eine Beziehung zwischen zwei Mädchen etwas schlimmes ist. Ich weiß nicht, wieso sie das denkt und ich glaube, sie selbst weiß es auch nicht so genau.", erzählte Rain und wie schon bei ihrer Großmutter tat es gut, es einfach mal zu erzählen. Nur dass sie sich jetzt nicht zurückhalten musste. "Dann hat sie mir gesagt, dass sie krank ist und nach Hause fährt, um eine Therapie zu machen. Von ihrem Bruder habe ich erfahren, dass sie sich in mich verliebt hatte und sich davon heilen lassen wollte."
Claire hörte ruhig zu. Sie liefen jetzt langsamer durch die Korridore.
"Nach den Weihnachtsferien haben wir dann miteinander geredet, Natasha hatte die Therapie abgebrochen und versucht seitdem zu lernen, mit der ganzen Sache umzugehen. Und ich bin einfach total überfordert mit der Situation, weil ich sie wirklich gerne mag, aber ich nicht weiß, auf welche Weise. Ich meine, ich will wirklich eine Beziehung mit ihr, aber ich will das nicht nur machen, weil ich weiß, dass sie es will, sondern auch von mir selbst aus. Und das weiß ich einfach nicht."
Claire lächelte mitfühlend.
"Ich kenne das Gefühl.", sagte sie. "Ich glaube jeder, der so ist wie wir, kennt das Gefühl. Will ich eine Beziehung mit ihr? Oder will ich einfach eine Beziehung? Bin ich wirklich verliebt oder denke ich einfach, dass es der logische nächste Schritt in einer Freundschaft ist, in der beide in die Richtung orientiert sind? Es ist normal, das zu fühlen, Rain. Das ist nichts Schlimmes."
Sie erreichten die Treppen und Rain schniefte ein wenig. Es tröstete sie schon ein bisschen, dass sie offenbar nicht allein mit dieser Situation war.
"Ich bin mir sogar relativ sicher, dass Natasha genau dieselben Probleme hat. Oder vielleicht ist sie schon einen Schritt weiter, dann hat sie das ganze Prozedere schon im Herbst durchgemacht.", redete Claire weiter und stieg von der Treppe.
"Und was mache ich jetzt?", fragte Rain, ihr folgend.
"Nichts." Claire öffnete die Tür zum Korridor, der direkt zum Ravenclawturm führte.
"Nichts?", wiederholte Rain entsetzt. Claire nickte.
"Je weniger du dir darüber Gedanken machst, desto schneller kommt irgendwann der entscheidende Moment.", erzählte sie. Sie traten in den Korridor. "Das ist das Paradoxe und Gemeine an dieser Situation."
"Und wie kann ich mir diesen entscheidenden Moment vorstellen?", fragte Rain, eilig, denn sie wollte so viel wie möglich erfahren, bevor sie im lauten Gemeinschaftsraum sein würden. Claire zuckte mit den Schultern.
"Irgendwann passiert irgendwas und du wirst denken: 'Verdammt, ich bin wirklich in dieses Mädchen verliebt.' oder es passiert etwas und du weißt plötzlich, dass du dir mit ihr keine langfristige Beziehung vorstellen kannst. Manchmal ist es hilfreich, eine Beziehung einfach mal auszuprobieren und dann nach ein paar Wochen zu entscheiden."
Rain hing gebannt an ihren Lippen, als Claire weiter erzählte:
"Meine erste Beziehung dauerte zwei Monate, nach denen ich festgestellt habe, dass ich mir zwar wirklich eine Beziehung wünschte, aber absolut nicht mit dem Mädchen, mit dem ich sie hatte. Weil es anstrengend war und ich sehr viel mehr in die Beziehung reingesteckt habe, als sie mir geben konnte. Das lag nicht an ihr, sondern einfach daran, dass wir nicht zueinander gepasst haben." Sie blieben vor dem Rätseladler stehen. "Ich denke, du wirst mit Natasha einen positiven Moment haben. Ihr seid auf einem guten Weg dahin."
"Danke, Claire.", sagte Rain und sie meinte es wirklich ernst.
"Kein Problem, es ist für mich genauso aufregend, wie für dich. Ich wollte immer schon mal der weise Ratgeber-Gay sein."
Claire grinste und sie mussten beide lachen. Dann wandten sie sich an den Adler, bereit, es jetzt mit jeden Rätsel aufzunehmen.
Also das hier ist auf gar keinen Fall self-insert, nein, wie kommt ihr nur drauf?
Rain ist also der großen Revelation einen Schritt näher gekommen. Und Natasha? Ich finde, es wird höchste Zeit, mal ein Kapitel aus Natashas Sicht zu lesen, was meint ihr? Nächstes Mal das Gespräch von Alex und Natasha? Ich bin auf jeden Fall dafür, und da ich hier das Sagen habe, werdet ihr euch wohl damit abfinden müssen...(:
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