23. Februar 2017
Vicky und Rain hatten sich ausgesprochen. Vicky hatte immer wieder beteuert, wie sehr sie sich für Rain freute und sich mindestens doppelt so oft für ihre Reaktion entschuldigt. Aber um ehrlich zu sein konnte Rain ihr wenig böse sein. Wäre Vicky vor einem Jahr zu ihr gekommen und hätte ihr offenbart, etwas mit Asha zu haben, hätte sie vermutlich ähnlich reagiert. Vor allem wegen Asha. Egal, das war ein blödes Beispiel.
Vicky hatte auf jeden Fall etwa einen Tag gebraucht, um die ganze Sache vollständig zu verdauen und die restlichen beiden Tage, die seitdem vergangen waren, genutzt, um wilde Pläne zu schmieden, wie Rains und Natashas erster Kuss verlaufen sollte.
Rain vertrat nach wie vor die Meinung, dass so etwas spontan passieren sollte, aber Vicky wollte davon nichts hören. Von Gedichten über Reden in der Großen Halle bis zu Brieftauben (nicht Eulen, Tauben!) und romantischen Dates am Seeufer waren ihrer Phantasie keine Grenzen gesetzt und Rain hatte recht schnell aufgegeben, sie von ihren Ideen abbringen zu wollen.
Sie konnte jedoch selbst nicht umhin, sich zu fragen, wann und wie es zu diesem Kuss kommen sollte und wurde sich immer sicherer, dass sie den ersten Schritt einfach machen sollte - bevor es nie passieren würde. Also ließ sie Vicky planen und entschied für sich selbst, dass sie die nächste Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen würde.
Aber wie immer im Leben kam es anders. Ihr erster Kuss passierte an einem Freitag und zwar völlig ungeplant. Was nicht heißt, dass es sonderlich romantisch war. Aber wir greifen voraus.
Um die Situation wirklich zu verstehen, müssen wir kurz auf eine Entwicklung zurückblicken, von der Rain zwar wusste, von der sie aber relativ wenig mitbekommen hatte und das war Natashas Bewerbung für den Sommerkurs in London.
Ende November hatte Rain Natasha von dem Kurs erzählt und Natasha war begeistert gewesen. Sie hatte alles mögliche versucht, um ihre Bewerbung ohne Internetzugang einzuschicken, hatte telefoniert (mit der Telefonzelle in Hogsmeade), eine Schreibmaschine von Heather im Buchladen genutzt, um ihre Texte abzutippen, sich von ihren Eltern Briefmarken schicken lassen, sodass sie ihre Bewerbung über die Muggelpost zuschicken konnte. Es war ein Riesenaufwand gewesen, aber Natasha war es das wert gewesen. Zum einen für den Kurs und zum anderen wegen der Aussicht, in dem Zusammenhang bei Rain zu wohnen.
Das alles war im November und Dezember passiert, teilweise von Hogwarts aus und teilweise auch in Russland.
Im Januar jedoch war ein weiterer Faktor dazugekommen, nämlich die Tatsache, dass Heather einen Computer mit Internetzugang hatte. Was Rain nicht wusste war, dass Natasha noch zweimal ohne sie dort gewesen war und alles, wirklich alles über das Autorenprogramm recherchiert hatte, was sie finden konnte. Ihre Ergebnisse waren im Grunde zwei: Erstens, das Verhältnis von Bewerbern und Plätzen war so gigantisch, dass es wirklich, wirklich unwahrscheinlich war, angenommen zu werden (nicht, dass Natasha irgendetwas von Wahrscheinlichkeitsrechnung verstand). Und zweitens, dass sie sich wirklich wenige Dinge mehr wünschte, als angenommen zu werden.
Mit diesen Fakten im Hinterkopf ergibt die folgende Situation deutlich mehr Sinn:
Natasha saß am Gryffindortisch beim Mittagessen, als sie eine Posteule erreichte. Sie war vom Postamt in Hogsmeade, was im Grunde nur einen Schluss zuließ (denn die einzige Post, die sie außer der Benachrichtigung aus London erwartete, war eine Antwort von Arina bezüglich des Wachstums ihrer sibirischen Seidenkrokusse - und die würde die Familieneule bringen).
Schlagartig war Natashas Appetit verflogen und ihr Magen krampfte sich nervös zusammen. Sie wollte unbedingt, un-be-dingt, dass sich in diesem Umschlag eine Zusage befand. Sie wollte im Sommer nach London reisen und Geschichten schreiben und Vorlesungen besuchen und Verlagsvertreter kennen lernen und mit Autoren reden und Kritik erhalten und vielleicht, vielleicht einen Fuß in die Tür bekommen, wenn sie jemals einen eigenen Gedichtband veröffentlichen wollte.
Mit zittrigen Händen öffnete sie das Couvert. Heraus fiel Papier. Nicht bräunlich, keine geschwungene Handschrift, sondern normales blütenweißes Papier, steif und glatt, nicht weich wie Pergament. Und darauf gedruckt sachliche gerade Buchstaben. Oben in der Ecke das Logo einer Londoner Muggeluniversität, auf der anderen Seite ihr Name und die Daten des Absenders.
Sehr geehrte Miss Droochkaja,
Mehr konnte man nicht lesen, denn der Brief war gefaltet und Natasha hatte ihn noch nicht glattgestrichen.
Sie atmete einmal tief durch und entfaltete das Papier. Ihre Augen scannten die Seite ab, wanderten nach unten zur Unterschrift, wieder hoch zu den Kontaktdaten.
Sehr geehrte Miss Droochkaja,
Sie faltete den Brief wieder zusammen, ohne mehr als den Briefkopf gelesen zu haben und versuchte, ihre Nervosität unter Kontrolle zu bringen. Tief atmete sie durch und starrte einige Sekunden lang auf den Blumenkohl auf ihrem Teller. Dann richtete sie sich gerade auf und griff wieder nach dem Bogen Papier, der unschuldig neben ihr auf dem Tisch lag.
Kurz schloss sie die Augen, spürte ihren Herzschlag, fühlte ihre Atmung ruhig werden. Dann öffnete sie den Brief erneut.
Sehr geehrte Miss Droochkaja,
wir freuen uns sehr, Ihnen mitteilen zu können, dass uns Ihre eingereichten Werke derart gefallen haben, dass wir Ihnen gerne einen Platz in unserem Sommerkurs anbieten möchten. Jedes Jahr bewerben sich...
Natascha hörte auf zu lesen und legte den Brief wieder neben sich auf den Tisch. Es dauerte einige Sekunden, bis ihr Hirn verarbeitet hatte, was sie da gerade gelesen hatte. Dann sprang sie unvermittelt auf und rannte mit dem Brief in der Hand los. Sie musste das unbedingt Rain erzählen!
Kehren wir also an dieser Stelle zu Rain zurück, die zu dem Zeitpunkt, als Natasha losstürmte, gerade mit Vicky, Asha und Cathy das Verwandlungsklassenzimmer verließ. Und zwar in Richtung der Großen Halle, wo sie gleich zu Mittag essen wollten.
"Ich weiß einfach nicht, wie ich es jemals schaffen soll, einen ungesagten Zauber zu benutzen.", beschwerte sich Vicky gerade. "Ich meine, bei so einfachen Sachen ist das kein Problem, aber wenn ich mich in einen Stuhl verwandeln soll, dann ist das doch schon schwer genug, wenn ich laut zaubere."
"Sei einfach froh, nicht Zauberkunst gewählt zu haben.", tröstete Asha sie. "Da machen wir jetzt gerade zauberstablose Magie. Zwar nur theoretisch, aber das ist dann wirklich heftig."
Rain, die ebenfalls Zauberkunst noch belegte, nickte, auch wenn sie mit ihren Gedanken gerade wo anders war. Nämlich bei ihrem potenziellen ersten Kuss mit Natasha. Wie überraschend.
Sie erreichten das Treppenhaus und versuchten, auf möglichst direktem Weg nach unten zu gelangen, was in Hogwarts ja bekanntlich schwerer war, als gedacht. Sie schafften es aber trotzdem und waren also gerade auf dem Rundgang über der Eingangshalle, als Natasha diese durchquerte und die breite Marmortreppe hochstürmte. Beide Parteien hatten sich zu diesem Zeitpunkt schon gesehen, was dazu führte, dass Natasha noch einmal einen Schritt zu legte.
Asha deutete auf die rennende Fünftklässlerin.
"Ich frage mich, wohin sie unterwegs ist. Sie rennt ja, als wäre eine von Professor Weasleys Kreaturen hinter ihr her!", witzelte sie.
"Die Pause ist aber noch nicht vorbei, oder?", fragte Cathy besorgt und versuchte, einen Blick auf die Uhr an der Wand schräg unter ihnen zu erhaschen.
Vicky sah zu Natasha hinüber, dann zu Rain und kam zu dem Schluss, dass ihre Beziehung/Dating/Wie Auch Immer Die Beiden Es Gerade Nannten wohl nicht mehr lange so privat bleiben würde, wie bisher.
Jetzt war Natasha auch auf dem Rundgang und wedelte mit etwas Weißem in ihrer Hand.
"Ich bin drin!", rief sie Rain begeistert entgegen. Cathy und Asha warfen Rain einen leicht irritierten Blick zu. Sie wussten zwar, dass die beiden miteinander befreundet waren, hatten aber keinen blassen Schimmer, was dieser ganze Aufzug sollte. "Im Kurs! Ich bin drin!"
Jetzt schaltete auch Rain.
"Wirklich?", antwortete sie freudig. Natasha nickte wie wild, immer noch auf sie zu laufend.
Also lief Rain los, ihr entgegen. Sie trafen sich auf der Hälfte und Rain schlag begeistert ihre Arme um das jüngere Mädchen. Sie lösten sich schnell wieder und Natasha hielt Rain den Brief vor die Nase.
"Sehr geehrte Miss Droochkaja,", las Rain vor. "Wir freuen uns sehr, Ihnen mitteilen zu können, dass..." Sie hielt inne. "Oh Merlin, Natasha! Ich freu mich wahnsinnig für dich!"
Und ohne es vorher geplant zu haben, einfach aus der Begeisterung heraus, legte sie ihre Hände an Natashas Wangen und küsste sie.
So, das war also der Kuss. Ich hoffe, ihr seid nicht enttäuscht.
Ich möchte an dieser Stelle auch mal anmerken, dass wir gaaaaaanz langsam aufs Ende zusteuern - also, so in dreizehn Kapiteln (oder so). Ich wollte nur mal langfristig vorwarnen, nicht dass ihr dann am Ende aus allen Wolken fallt.
Jetzt gibt es aber erst einmal ein bisschen Fluff, muss auch sein. Rain und Natasha finden sich langsam in die Beziehung rein und dann in ein paar Kapiteln, stellen wir uns Hermine und Draco. Klingt das nach einem Plan?
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