21. Januar 2017
In den folgenden Wochen verbrachten Rain und Natasha viel Zeit miteinander. Sie hatten zwar keinen Unterricht zusammen - logisch, sie waren ja in unterschiedlichen Jahrgängen, aber sie trafen sich nachmittags in der Bibliothek, lernten gemeinsam, diskutierten über Bücher, die sie gelesen hatten, spielten Scrabble oder Zauberschnippschnapp und unterhielten sich.
Für Rain war es ein bisschen, wie ein neues Lieblingsbuch zu entdecken. Du liest den Titel und den Klappentext und weißt, dass dir das Buch gefallen wird. Und dann schlägst du es auf, und je weiter du liest, desto besser gefällt es dir.
Mit Natasha war es ähnlich. Als sie sich Anfang Januar auf eine Freundschaft geeinigt hatten, hatte sie gewusst, dass sie Natasha mochte. Doch je mehr Zeit sie miteinander verbrachten, desto mehr Dinge entdeckte sie an ihr, die ihr gefielen. Und ganz wie man ein Buch, was man wirklich gerne mag nur ungern aus der Hand legte, versuchte Rain, möglichst viel Zeit mit Natasha zu verbringen.
"Wir Menschen sind Poeten.", las Natasha gerade vor. "Wir schreiben Geschichten mit dem Leben, wenn Vergnügen und Glück sich mit Tränen verweben..."
Rain musste Lächeln. Sie hatte eine ganze Weile gebraucht, um Natasha zu überreden, ihr ihre Gedichte vorzulesen.
"...wir schreiben Romane und Gedichte, wir lieben und leben und schreiben Geschichte..."
Mittlerweile allerdings zeigte Natasha ihr regelmäßig ihre neuesten Werke und Rain liebte jeden Vers. Natasha hatte Potential.
"...wir wollen die Welt mit Worten verbessern, mit Liedern die Pflanze des Friedens wässern, Hoffnung schöpfen, indem wir Verse beten und Gedichte spiegeln was wir uns wünschen..."
Plötzlich fiel Rain der Sommerkurs wieder ein, auf den sie Natasha im November hingewiesen hatte.
Als Natasha fertig gelesen hatte, fragte sie also:
"Sag mal, hast du dich jetzt eigentlich für dieses Autorenprogramm beworben?"
Natasha nickte und schlug ihr Notizbuch zu.
"Schon kurz nachdem du mir den Artikel damals gezeigt hattest. Aber ich habe noch keine Antwort.", erzählte sie. "Es war allerdings ein bisschen kompliziert, weil ich ein paar von den Angaben nicht ausfüllen konnte. Ich habe zum Beispiel keinen E-Mail."
"Ist es nicht das E-Mail?", fragte Rain. Der klang irgendwie falsch. Aber sie kannte sich so wenig damit aus, dass es im Endeffekt alles sein konnte. Natasha zuckte mit den Schultern.
"Es gibt in Hogsmeade eine Telefonzelle, also habe ich da am Ende einfach angerufen. Wäre aber angeblich mit dem Internet viel einfacher gewesen.", berichtete sie. "Weißt du da eigentlich schon was Neues, wie das jetzt hier weitergeht?"
Rain schüttelte den Kopf und stand auf, um einige Verwandlungsbücher ins nebenstehende Regal zu sortieren.
"Dieser Professor Creevey...war es ein Professor? Keine Ahnung. Also der hatte ja seine Theorien aufgestellt und soweit ich weiß gibt es jetzt einen Ausschuss im Ministerium dafür. Aber vermutlich dauert das noch, wenn es überhaupt was wird.", erzählte sie und stellte das letzte Buch zurück. "Leider berichtet der Tagesprophet nur sehr sporadisch darüber."
"Liest du eigentlich immer noch Muggelzeitungen?", fragte Natasha und begann ebenfalls, ihre Bücher zu sortieren. Rain kam zum Tisch zurück und fing an, ihre Tintengläser zu verschließen.
"Ja, manchmal. Aber irgendwie sehe ich nicht ganz durch, gerade. Irgendein Muggelpolitiker namens 'Brexit' hat wohl was schlimmes gemacht und jetzt wird nur noch darüber berichtet. Völliger Stuss, wenn du mich fragst." Rain schüttelte den Kopf. Natasha senkte die Stimme:
"Ich habe gehört, dass sich dieser kleine Buchladen, ein Stück außerhalb von Hogsmeade..."
"In libras?", fragte Rain. Natasha nickte.
"Genau der. Ich habe gehört, der hat sich jetzt einen Computer zugelegt, mit dem man das Internet benutzen kann.", raunte sie. Rains Augen wurden groß.
"Wirklich?"
"Was hältst du davon, wenn wir uns das mal anschauen?", schlug Natasha vor. "Es ist schließlich Hogsmeade-Wochenende."
Rain nickte begeistert. Eigentlich war es draußen kalt und eklig und sie hatten, wie viele andere Schüler, beschlossen, im Schloss zu bleiben. Aber das war doch ein guter Grund, sich doch noch nach draußen zu bewegen.
Sie erreichten das In libras nach einem kleinen Spaziergang durch das Dorf. Rain fror entsetzlich, ganz im Gegensatz zu Natasha, der die Kälte wenig auszumachen schien - was von jemandem, der in St. Petersburg aufgewachsen war, vermutlich nicht anders zu erwarten war.
"...auf jeden Fall meinte Professor Longbottom, dass ich es nächste Woche einfach noch mal versuchen soll.", schloss Natasha ihr Erzählung von dem Ausquetschen irgendwelcher Wurzeln.
"Also ich habe das letztes Jahr überhaupt nicht hinbekommen.", meinte Rain. Sie hatte Kräuterkunde nie besonders gut leiden können und war, wenn man das so sagen konnte, auch nicht gerade talentiert darin gewesen. "Aber ich habe auch einen braunen Daumen."
"Einen braunen Daumen?", fragte Natasha amüsiert und öffnete jetzt die Tür des kleinen Buchladens, Rain mit der Hand bedeutend, zuerst hineinzugehen. Rain musste lächeln, betrat aber dankbar das warme Geschäft.
"Ja, bei mir stirbt sogar ein Kaktus.", erklärte sie. Die beiden Mädchen mussten lachen. Mit einem leisen Klingeln schloss sich hinter ihnen die Tür und ihr Gelächter verstummte. Schließlich war das ein Buchladen.
Rain sah sich um. Sie war bereits einige Male hier gewesen, auch wenn sie normalerweise den großen Buchladen an der Hauptstraße bevorzugte. Er hatte eine größere Auswahl und lag nicht so ab vom Schuss. Natasha hingegen schien sich hier bedeutend wohler zu fühlen.
"Hi, Heather!", begrüßte sie die ältere Buchhändlerin freundlich.
"Hallo Natasha,", erwiderte diese und bestätigte damit Rains Vermutung, dass Natasha doch recht oft herkam. "Was führt dich her?"
"Wir haben gehört, dass du einen Muggelcomputer hast.", berichtete Natasha verschmitzt. Heather musste leise lachen.
"Und da dachtest du, du kommst mal vorbei?", fragte sie, drehte sich allerdings bereits um und bedeutete ihnen mit einer Geste, ihr ins Hinterzimmer zu folgen. Natasha und Rain sahen sich an, Rain etwas unsicher, Natasha vollauf begeistert und sie beeilten sich, den Verkaufstisch zu umrunden.
Sie betraten das Hinterzimmer, wo auf einem Tisch ein seltsames Gerät stand. Es war etwa so groß, wie eine große Mappe und Heather hatte es gerade aufgeklappt. Der untere Teil hatte eine Reihe von Buchstaben darauf gedruckt, allerdings nicht alphabetisch und Rain erkannte allgemein kein wirkliches System. Viel spannender war allerdings der obere Teil, der zunächst schwarz gewesen war und jetzt in schnellen Abständen die Farbe veränderte. Aus den Seiten des Computers kamen Kabel, die Rain schon von ihrem Telefon zuhause kannte.
"Mein Sohn hat ihn mir geschenkt.", berichtete Heather, obwohl weder Natasha noch Rain die Frage gestellt hatten, die ihnen beiden auf der Zunge lagen. "Er ist ein Squib und meinte, man kann damit kommunizieren."
"Und wie funktioniert es?", konnte Rain ihre Neugier jetzt doch nicht mehr zügeln. Heather deutete auf einige Stühle, die an der anderen Seite des Raumes standen.
"Setzt euch zu mir, ich zeige es euch."
Sie verbrachten eine gute Stunde bei Heather im Laden und ließen sich zeigen, wie man "E-Mails" las, "Google" benutzte und sich sogar die ganze Weltkarte einfach anschauen und so genau vergrößern konnte, wie man wollte. Es war faszinierend und beide Mädchen waren sich einig, dass es Zeit war, dass die Schüler in Hogwarts auch Zugang dazu bekämen. Das war auch ihr Gesprächsthema Nummer eins auf dem Rückweg, bevor sie sich zum Abendessen zu ihren jeweiligen Schlafsaalkameradinnen begaben.
So, ein recht handlungsarmes Kapitel, aber auch solche gibt es, und mir persönlich gefallen sie immer sehr gut und machen auch Spaß zu schreiben.
Die nächsten Kapitel werden ähnlich, wir machen erstmal keinen so großen Zeitsprung, sondern folgen den beiden und auch den anderen Schülern in Hogwarts ein bisschen durch ihr alltägliches Leben, und geben Rain und Natasha damit mal ein bisschen Zeit, sich über die Zukunft ihrer Freundschaft (?) Gedanken zu machen.
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