In den nächsten Tagen sah Rain Natasha immer weniger. Sie hatten ja keinen Unterricht zusammen und nachmittags streifte Rain oft ergebnislos durch die Bibliothek. Immer mehr hatte sie das Gefühl, dass Natasha ihr auswich, bis irgendwann kein Zweifel mehr herrschte. Natasha mied sie. Ganz im Gegensatz zu ihrem Bruder.
„Sag mal, hast du in letzter Zeit mit deiner Schwester geredet?", fragte sie ihn irgendwann, auch wenn sie sich vorgenommen hatte, die beiden niemals aufeinander anzusprechen. Sie gingen gerade vom Mittagessen in Richtung der Klassenräume, so wie sie es jeden Donnerstag taten.
„Mit welcher?", fragte Grischa doch tatsächlich. Dann grinste er jedoch. „Du kennst uns doch. Wir reden nicht miteinander!", ergänzte er, ganz so, als wäre es vollkommen abwegig mit seinem Zwilling hin und wieder ein Gespräch zu führen. „Ist etwas passiert?"
„Ich glaube, sie geht mir aus dem Weg.", meinte Rain und hatte ein kleines schlechtes Gewissen, die Probleme, die sie mit Natasha hatte, vor deren Bruder auszubreiten.
„Unsinn.", winkte Grischa ab. „Ihr beide seid doch beste Freundinnen und so. Da macht das doch gar keinen Sinn!"
Ergibt, korrigierte Rain ihn gedanklich, beschloss aber, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war, den Ravenclaw raushängen zu lassen.
„Eben.", sagte sie stattdessen. „Meinst du, ich habe etwas falsch gemacht? Gibt es etwas, was ich gesagt haben könnte?"
Grischa zuckte mit den Schultern.
„Also um ehrlich zu sein dachte ich mittlerweile, dass du sie besser kennst, als ich. Wir reden nicht über Gefühle und so Kram."
Rain seufzte tief. Hier würde sie nicht weiterkommen.
„Ok." Sie lächelte ihn an. „Danke trotzdem." Sie wollte gerade abbiegen, da sie ihre Wege hier trennten, als ihr etwas einfiel. „Sag mal, übermorgen ist doch das letzte Hogsmeade-Wochenende. Hast du Lust, zusammen zu gehen?"
„Klar." Ein breites Grinsen breitete sich auf Grischas Gesicht aus. „Dann bis dann!"
Rain nickte, zufrieden mit sich. Sophia und Asha hatten beschlossen, im Schloss zu bleiben, da es zu kalt war und Vicky hatte mit Teddy abgesprochen, dass er nach Hogsmeade apparieren würde. Und so wie die Dinge mit Natasha standen, würde sie wohl auch nicht in Frage kommen. Sie seufzte und beschloss, ihrer Freundin ein bisschen Zeit zu geben. Und wenn sie nach dem Wochenende noch immer so abweisend war, dann würde sie sie noch einmal darauf ansprechen. Ja, sie nickte zu sich selbst. Das war ein guter Plan. Zufrieden betrat sie den Klassenraum. Dann konnte sie sich ja jetzt um andere Dinge Sorgen machen, zum Beispiel um die Frage, was sie ihrer Familie zu Weihnachten schenken würde.
Als sie nach der Stunde wieder auf den Korridor trat und sich aufmachte in Richtung Ravenclawturm, hatte sie nicht die leiseste Ahnung, wie der heutige Tag ausgehen würde. Und hätte sie es gewusst, dann wäre sie deutlich weniger entspannt gewesen. Ihr Laune besserte sich mit jedem Schritt. Es war der erste Dezember, bald war Weihnachten und sie hatte endlich eine Idee für ihren Vater. Und ihre Laune wurde noch einmal gehoben, als sie sah, wer im Korridor vor dem Rätseladler auf sie wartete.
„Natasha!" Ihre Schritte wurden eiliger und sie fiel ihrer Freundin um den Hals. Anstatt ihre Umarmung zu erwidern, versteifte sich Natasha jedoch. Als Rain das spürte, ließ sie los und sah sie besorgt an. „Ist alles ok?"
Natasha sagte nichts, schüttelte nur kurz den Kopf.
„Ich fahre morgen nach Hause.", sagte sie leise. Rain runzelte die Stirn.
„Ist etwas passiert?", fragte sie. Hatte Grischa etwas in die Richtung gesagt? Eigentlich nicht. Vielleicht war etwas mit ihrer Familie?
„Wie man es nimmt." Natasha trat einen Schritt zurück, als Rain sie an der Schulter berühren wollte. „Ich wollte mich nur verabschieden, bevor ich fahre."
„Verabschieden?" Rain war etwas durch den Wind und konnte ihre Gedanken gar nicht richtig sortieren. „Moment mal...wie lange fährst du denn?"
Natasha zögerte kurz.
„Ich komme vor Weihnachten nicht mehr wieder.", gestand sie dann. Rain war sprachlos. Das alles kam so plötzlich. Und es ergab keinen Sinn! Was war passiert? Und warum sprach Natasha keinen Klartext mit ihr?
Statt jedoch eine dieser Fragen zu stellen, fragte sie:
„Fährt Grischa auch?"
Es war eine dumme Frage, das wusste sie. Wieder schüttelte Natasha nur den Kopf.
„Diese Sache...betrifft mich.", sagte sie dann. Sie sah Rain lange an. „Ich bin krank, Rain."
Rains Augen weiteten sich.
„Warum gehst du nicht zu Madam Pomfrey? Die kann dir doch sicher helfen!"
„Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob mir irgendjemand helfen kann. Aber zuhause, da gibt es Leute, die sagen, sie schaffen es.", berichtete Natasha. Rain konnte ihr ansehen, dass sie mit sich selbst einen Kampf austrug, wie viel sie erzählen konnte und wollte.
„Du wirst mir nicht sagen, was du hast, oder?", fragte sie niedergeschlagen, wusste aber auch, dass solche Dinge sehr privat waren.
„Nein.", bestätigte Natasha ihre Vermutung. „Wie gesagt, ich wollte mich verabschieden."
Die beiden Mädchen sahen sich lange an. Dann zog Natasha Rain doch noch in eine Umarmung und die Art, wie sie Rain an sich zog, sich an ihr festklammerte, machte Rain mehr Angst, als jemals etwas zuvor.
„Ich werde dich doch aber...wiedersehen, oder?", wisperte sie in Natashas Ohr.
„Ja, natürlich.", beruhigte die sie. Sie lösten sich und Rain war selten so erleichtert, Natasha lächeln zu sehen (obwohl sie es immer mochte, wenn sie das tat). „Ich werde ganz sicher nicht daran sterben. Ich brauche...die richtige Therapie. Sonst hat das Ganze ziemlich üble Nachfolgen. Aber sterben, werde ich daran nicht."
„Ich hab dich lieb, das weißt du, ja?" Rain zog Natasha noch einmal an sich. „Du schaffst das, ganz sicher."
„Ich hoffe es.", meinte Natasha leise. Dann unterbrach sie die Umarmung, diesmal aber sanfter. „Wir sehen uns im Januar."
„Hoffentlich wieder ganz gesund." Rain strich Natasha durch die Haare. „Viel Glück."
Natasha lächelte noch einmal, dann ging sie an Rain vorbei und verschwand um die nächste Ecke.
Rain betrat den Gemeinschaftraum uns sackte dann in einem der dunkelblauen Sessel vor dem Kamin in sich zusammen. Das war also das große Geheimnis gewesen. Sie war gleichzeitig erleichtert, hatte aber auch furchtbare Angst. Was, wenn Natasha es nicht schaffen würde? Was waren die Nachfolgen, von denen sie geredet hatte?
Das war alles zu viel, es brach wie eine Welle über ihr zusammen und schleuderte sie hin und her, ohne dass sie Luft bekam. Sie rollte sich zu einer Kugel zusammen und zog eine der herumliegenden Wolldecken über sich. Stunden saß sie einfach nur da, starrte ins Feuer, bis sie schließlich in den Schlaf abdriftete.
So, ein bisschen Drama. Die Handlung ist endgültig ins Rollen geraten. Schreibt in die Kommentare, was ihr von Natashas Krankheit haltet! Natürlich wird sich noch aufklären, was es damit genau auf sich hat! Ich bin aber trotzdem an euren Theorien interessiert, also keine falsche Scheu!
Liebe warme Grüße
Artie!
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