Licht und Dunkelheit 6
Früh am Morgen weckt mich das Telefon.
„Mason...es ist Wochenende..." knurre ich.
„Ja, und ich habe eine kleine Überraschung für dich! Steh auf und zieh dich an, du brauchst festes Schuhwerk und bequeme Sachen."
„Oh, nein, ich will nicht wieder einen auf „Priscilla, Königin der Wüste" machen. Ich will mich heute ausruhen!" schimpfe ich.
„Es geht nicht in die Wüste und ausruhen kannst du dich, wenn du tot bist. Nun komm schon, das lenkt dich bestimmt ein wenig vom Liebeskummer ab!"
„Was? Ich habe keinen...ach, vergiss es. Bis gleich."
Ich springe auf und laufe ins Bad. Tue, wie mir geheissen und kleide mich in lässiger Jeans und schwarzem Shirt. Endlich mal kein Dresscode! Die Kostümchen, die ich sonst immer tragen muss, mag ich überhaupt nicht. Doch als ich einmal im Gerichtssaal in einer Jeans aufgetaucht war, wurde mir der Fall entzogen.
„Was hast du denn heute so vor?" steht auf meinem Display.
Wieder eine andere Nummer. Hm. Hat Dean einen Telefonanbieter überfallen? Erst will ich es ignorieren, aber es macht ein wenig Spass, mit ihm zu spielen, also antworte ich:
„Geht dich nichts an."
„Ich krieg's eh raus, kann dich tracken. So ein dummer Idiot hat seinen Mac hier rumliegen lassen. Er hat noch 50%, das reicht."
Klar, wem will er das erzählen? Ich lache auf und schreibe:
„N' Junkie mit nem Mac? Komm schon..."
„Das war einer von deinen Leuten. Sie haben Ju geholt."
„Und wer sind „meine Leute"? Meinst du meine Freunde vom Friedhofsclub oder meine Eltern?"
Ein lachender Smiley kommt zurück. Und dann:
„Mir ist auch schon aufgefallen, dass du ziemlich Goth bist. Dann müsstest du ja auf Geister stehen..."
„Nur, wenn sie nett zu mir sind. Auf die, die mich als Punching Ball benutzen, kann ich verzichten." schreibe ich im Affekt und als ich merke, was ich getan habe, ist es zu spät, es zu löschen.
Ich halte den Atem an. Seine Antwort kommt prompt:
„Sorry. Es tut mir wirklich unendlich leid, was ich dir angetan habe, Alice."
Mir springen Tränen in die Augen, ich tippe:
„Ist mir egal. Lass mich in Ruhe!"
Es kommt nichts mehr. Mason entführt mich in den Shawnee National Forest, wir hiken den ganzen Tag und abends kehren wir in eine nette Bar ein. Ich habe soviel Spaß wie nie. Im Motelzimmer dreschen wir noch ne Runde Karten, bis ich völlig müde einschlafe. Gegen drei klingelt mal wieder das Telefon. Ich gehe nicht ran.
„Ich werde dich jede Nacht wecken, wenn du nicht freiwillig zu mir kommst und mit mir redest."
Sehe ich dann auf dem Display. Schon wieder eine andere Nummer.
„Vergiss es, ich komme nie wieder zu dir zurück." schreibe ich und stelle das Handy aus.
„Wer war das denn?" brummelt die Transe in meinem Bett.
„Dean, er lässt mich nicht in Ruhe."
„Echt? Komisch. Ich habe ihn heute morgen auf dem Weg zu dir mit dieser Emma gesehen. Ich habe dir nix erzählt, weil ich dachte, es verletzt dich vielleicht." murmelt Mason.
„Nein, das tut es nicht. Emma Weiland, die Staatsanwältin? Hat sie es endlich geschafft, ihn rumzukriegen? Na, herzlichen Glückwunsch..." entgegne ich und mummele mich ein.
Mist, ich war mir so sicher! Aber...nein, es muss jemand sein, der mich kennt! Diese Nacht habe ich wieder einen Albtraum und Mason weckt mich.
„Du träumst von dem toten Junkie, Darling. Der hat es dir echt angetan, hm?"
Ich nicke unter Tränen.
„Na, komm her..."
Sie zieht mich in ihre Arme und langsam schlafe ich wieder ein.
Am nächsten Morgen erzähle ich meiner Freundin alles, von Anfang an. Mason stimmt mir voll zu, dass der Telefonschreck ein reales Wesen ist, das von meinem Erlebnis weiß. Wir schalten das iPhone ein. Die Antwort von meinem Stalker lautet:
„Du wirst kommen, glaube mir. Du willst doch genauso wissen, was das alles zu bedeuten hat."
Mason schüttelt ihre braunen Locken.
„Der ist ja völlig irre. Lass uns deine Ex- Freunde und die Typen, die in dich verschossen waren, durchgehen, vielleicht kommen wir drauf, wer es sein könnte."
Ich setze mich auf.
„Was sollte das bringen? die Einzigen, die Bescheid wissen, sind Dean, der Shrink und jetzt du. Vielleicht noch Ryan, keine Ahnung."
„Süße, es zeichnet einen Stalker aus, in kurzer Zeit alles über dich heraus zu finden! Wann hast du Chris zuletzt gesehen?"
„Vor zehn Jahren, er lebt jetzt in Australien."
„Gut, abgehakt. Alex?"
„Ist mutiert. Hat das Punkimage abgelegt und sich Ehefrau und Ableger zugelegt, wie du weißt! Nein, der will mich garantiert nicht zurück. Vielleicht nutzt Dean Emma nur als Ablenkung?"
„Glaube ich nicht. Er sah happy aus. So, denk an das Amt. Deine Kollegen."
Ich stöhne.
„Mason, das führt doch zu nichts..."
„Vielleicht ist es doch ein Geist? Beetlejuice!" grinst Mason und ich verdrehe die Augen.
Müde komme ich zuhause an und falle auf die Couch. Schnappe mir den Mac und öffne ihn. Während ich den Bericht über Ben tippe, kommt eine iMessage.
„Pass mal auf..."
Plötzlich bewegt sich mein Mauszeiger von selbst. Ich halte die Luft an. Das Phantom klickt den Ordner mit meinen Fotos an.
„Ist das dein Verlobter? Ziemlich steifer Typ, kann verstehen, dass du dir gewünscht hast, er wäre „forscher" im Bett. Was immer du damit gemeint hast."
Woher weiß er das? Das habe ich doch nur gedacht und niemandem gesagt? Selbst Mason nicht. Panisch tippe ich:
„LASS MICH IN RUHE! VERSCHWINDE!"
Schwupp, habe ich meine Macht wieder. Dieses Mal wundere ich mich, dass er sich von den paar Worten hat verjagen lassen.
„Du gibst aber schnell auf." schreibe ich.
Keine Antwort. Plötzlich piept mein Handy.
„Ich werde immer wieder einen Weg zu dir finden, und wenn du mich noch hundert Mal verleugnest. Dank der elektronischen Vielfalt!"
Ich kapiere null.
„Das heißt, wenn ich VERSCHWINDE schreibe, kannst du mir unter der Nummer nicht mehr antworten?"
Es kommt nichts. Moment...warum sollte sich ein Mensch davon beeindrucken lassen? Und...
„Woher wusstest du das mit dem Verleugnen?"
Keine Antwort.
„Haaaallooo böser Geist? Bist du noch da?"
Er kann wohl tatsächlich nicht. Ich schlafe ein. Mal sehen, was er sich um drei einfallen lässt.
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