Licht und Dunkelheit 1
„Alice, Schatz...hörst du mich?" höre ich Dean leise fragen.
Er klingt weit entfernt. Doch ich spüre, dass er meine Hand hält. Ich blinzele und werde sofort vom Licht geblendet. Ich bin in Sicherheit. Endlich!
„Mann, wir haben uns echt Sorgen um dich gemacht." sagt Dean und streicht über meine Hand.
Ich blicke mich um. Ich bin in einem Krankenhaus, mein rechter Arm ist geschient und mein rechter Fuß verbunden. Ich spüre keine Schmerzen. Sie müssen mir gutes Dope gegeben haben!
„Ben..." krächze ich.
Ich hoffe, dass sie ihn schon geschnappt haben. Doch Dean guckt mich nur verwirrt an. Dann murmelt er:
„Der ist jetzt nicht wichtig. Werd du erstmal wieder gesund, ja?"
Kapiert er nicht? Hallo, ich bin ein wandelnder Punching- Ball! Doch er fragt sanft:
„Kannst du dich daran erinnern, was gestern genau passiert ist?"
Gestern?
„Wie lange war ich fort?" frage ich verwirrt.
Dean runzelt die Stirn und antwortet:
„Seit gestern vormittag."
Ich fahre hoch.
„Nein, das kann nicht sein! Ich wurde von Benjamin Banner wochenlang in diesem Haus festgehalten! Er hat mich mißhandelt und vergewaltigt! Hier, schau dir meine blauen Flecken an!" rufe ich heiser.
Meine Stimme, die ich ewig nicht benutzt habe, will noch nicht so, wie ich will. Dean verzieht das Gesicht.
„Schatz..." murmelt er und drückt meine Hand. „Beruhige dich. Es wird alles wieder gut, ja?"
Alles wieder gut? Sie müssen diesen Psycho schnappen, bevor er sich sein nächstes Opfer sucht!
„Dean, ruf bitte Ryan an. Er muss Ben sofort festnehmen!"
Ryan Mathers ist ein Cop und unser Freund. Doch Dean schüttelt den Kopf.
„Alice, hör mir jetzt genau zu. Alvin hat dich vor dem Haus entdeckt, er wollte nach einer Klientin schauen. Nachdem Al den Krankenwagen gerufen hatte und sie dich abtransportiert hatten, ist er ins Haus gegangen und hat Benjamin Banners' Leiche im Keller gefunden. Er war seit zirka einer Woche tot, Schatz! Sie obduzieren ihn noch, aber wir schätzen, er hat sich eine Überdosis verpasst. Du kannst ihn gar nicht gesehen haben, jedenfalls nicht lebendig." erklärt er, während meine Gedanken sich überschlagen.
Ben Banner ist seit einer Woche tot. Er lag im Keller. Ich war im Keller. Aber...nein, ich habe ihn im Flur getroffen, das bilde ich mir doch nicht ein! Er war da!
„Er hat mich vergewaltigt... da war soviel Blut in meiner Unterhose..." flüstere ich.
„Du hast deine Regelblutung. Ansonsten konnte die Gynäkologin nichts feststellen."
„Kann ich den Bericht sehen?" frage ich leise.
„Warte, ich hol dir die Akte."
Er steht auf. Ich spüre, dass er sehr vorsichtig mit mir umgeht. Ich kenne das, genauso verhalte ich mich, wenn ich mit Klienten rede, die intoxikiert sind oder eine psychische Erkrankung haben.
Ben Banner. Seit einer Woche tot.
Eine Schwester begleitet Dean, als er zurück kommt. Sie mißt meine Vitalzeichen und überprüft die Verbände. Ich spüre in mich und bemerke, dass ich tatsächlich keine Schmerzen im Bauch und an meinen Genitalien habe. Dort ist alles normal, bis auf die Regel, versteht sich. Auch die Gynäkologin schreibt, dass keinerlei Verletzungen an Vagina und Anus zu finden seien. Kein Anhalt auf sexuelle Handlungen! Ich schließe die Augen und sehe Ben vor mir. Wenn ich genau drüber nachdenke, fällt mir auf, dass ich nie sein Herz klopfen gehört habe. Ich glaube, ich werde wirklich verrückt! Nach einer Weile verabschiedet sich Dean und ich schlafe ein. Träume von Ben und wälze mich hin und her, bis mir die Schwester etwas zum Schlafen gibt. Am nächsten Morgen werde ich von einem Weißkittel geweckt.
„Ms. Deitz? Ich bin Dr. Klein, Psychiater. Erzählen sie mir, was vorgefallen ist." sagt er ernst und setzt sich neben mich auf einen Stuhl.
Dean, dieser Verräter! Doch ich kann wieder viel klarer denken, also antworte ich:
„Es tut mir leid, ich kann es nicht genau sagen. Ich weiß nur, dass ich in dieses Haus gegangen bin, um Mr. Banner zu suchen. Muss wohl die Treppe hinuntergestürzt sein. Vielleicht war ich ohnmächtig, keine Ahnung."
Er guckt mich verhalten an.
„Haben sie dort jemanden angetroffen?"
„Nein. Das Haus war leer, sonst wäre ich ja wohl auch eher gefunden worden, oder?"
Der Shrink nickt.
„Denke ich auch. Ihr Verlobter sagte, dass..."
Ich lächle ihn an.
„Ja, ich habe ziemlich viel Unsinn geredet, nachdem ich aufgewacht bin. War wohl der Schock..."
Dabei schaue ich ihm fest in die Augen. Er räuspert sich und steht auf.
„Gut. Brauchen sie etwas zur Beruhigung?"
„Nein, die Schmerzpillen reichen."
„Wenn sie mich doch nochmal sprechen möchten oder ihnen noch etwas einfällt, lassen sie mich rufen, Ms. Deitz."
„Sicher." nicke ich.
Bestimmt nicht. So einer fehlt mir gerade noch in meinem Leben! Ich lege mich zurück und seufze. Ms. Deitz. Lydia Deitz. „Beetlejuice" habe ich schon hundertmal geschaut, und Winona Ryder war immer meine Seelenverwandte. Lydia Deitz konnte mit Geistern kommunizieren und ich wohl neuerdings auch. Nur meiner hat mich nicht gerade nett behandelt!
Ich hatte Ben nur ein einziges Mal vor der ganzen Geschichte getroffen. Wir hatten uns in einem kleinen Cafe in Downtown verabredet und er war die ganze Zeit über total unruhig gewesen, während ich ihm vorschlagen hatte, welche Strategie wir fahren könnten. Er hatte mich nicht einmal angesehen, sondern ständig aus dem Fenster auf die Straße geschaut. Als ich ihn bat, das Gesagte zu wiederholen, um zu erfahren, ob er alles verstanden hätte, war er aufgestanden und weg gelaufen. Auf meine Anrufe hatte er nicht reagiert, und nun weiß ich auch, warum. Weil er da nicht mehr unter den Lebenden weilte. Plötzlich verspüre ich Mitleid und ich wünschte, ich hätte mehr für ihn getan. Ich hätte Ben folgen und ihn einkassieren müssen, um ihn in ein Reha- Zentrum zu bringen. Doch ich wollte ihm etwas lange Leine lassen, weil ich das Gefühl hatte, er wäre noch nicht soweit. Und nun ist er tot, und ich bin mit daran Schuld!
Dean kommt herein und setzt sich neben mich. Er lächelt.
„Hi, Schatz. Wie geht es dir?" fragt er scheinheilig.
Verräter!
„Viel besser. Tut mir leid, das ich dich so sehr geschockt habe, dass du gleich einen Termin beim Shrink für mich machen musstest."
Sein Lächeln verschwindet.
„Du hast wirres Zeug geredet, Alice. Ich hatte Angst um dich."
„Du brauchst keine Angst um mich zu haben. Nie wieder. Denn ich löse unsere Verlobung hiermit offiziell."
Dean fährt hoch und guckt mich mit großen Augen an.
„N...nein. So war das nicht gemeint, selbst wenn du...naja, verrückt wärst, wäre ich immer noch gerne dein Mann!"
„Du wärst gerne mein Mann. Siehst du, da liegt der Hase begraben. Ich möchte keinen Kerl, der gerne mein Mann wäre. Sondern jemanden, der sich nach mir verzehrt und mich versteht."
Kaum gesagt, sehe ich Ben vor mir. Was? Dieser Moment der Zweisamkeit, als er mich im Arm gehalten hatte. Schnell schüttle ich diesen irren Gedanken ab.
„Das tue ich!" entgegnet Dean. „Schatz, bitte...du weißt, ich würde dir die Welt zu Füßen legen."
„Warum hast du nicht erst mit mir gesprochen, bevor du zu diesem Psychoheini gerannt bist?"
„Ich...Der Arzt sagte, es könne nicht schaden. Bisher weiß ja keiner, woher dein Blackout kam."
Ich lache auf.
„Fein, du hörst also lieber auf den Arzt als deine Verlobte zu fragen, was mit ihr los ist. Bitte geh jetzt, Dean, ich habe Kopfschmerzen und bin wirklich erschöpft. Lass bitte meinen Wohnungsschlüssel hier."
„Alice, du bist nicht wieder zu erkennen, was hat dieses Haus mit dir gemacht?" raunt Dean und schüttelt den Kopf.
Er steht auf und streicht sich verlegen über das Hemd. Dann greift er in seine Hosentasche, nimmt seinen Schlüsselbund heraus und löst meinen Haustürschlüssel. Er legt ihn auf den Nachtschrank und sagt:
„Falls du deine Meinung ändern solltest, rufe mich an. Ich denke, du bist immer noch zu verwirrt, um klare Entscheidungen zu treffen."
„Mag sein. Aber ich habe schon länger an meiner Liebe zu dir gezweifelt. Da ist nichts mehr, Dean."
„Du bist verdammt verletzend geworden! Warum tust du das?"
Ich zucke mit den Schultern. Die Zeit im Haus haben mich tatsächlich abgestumpft, obwohl ich mir da ja geschworen hatte, mein einfaches Leben weiter zu führen. Dean faucht:
„Fein, dann war es das wohl. Goodbye, Alice."
„Mach's gut.'" murmele ich.
Puh. Ich lege mich seufzend zurück in die Waagerechte. Die Schmerzmittel machen mich müde und ich kann kaum noch klar denken. Andererseits ist es ein gutes Gefühl.
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