Nachhilfe
Hermine:
Um Punkt fünf vor sechs stand ich am Eingang zur Bibliothek. Ich wollte Malfoy keine Gelegenheit geben mich zu kritisieren. Sobald ich auch nur ansatzweise etwas falsch machen würde, und sei es noch so lächerlich, wäre Malfoy schneller bei McGonnagal um sie davon zu überzeugen, dass ich vollkommen ungeeignet wäre, ihm Nachhilfe zu geben, als ich Quidditch sagen könnte. Ganz bestimmt.
Und aus genau diesem Grund stand ich jetzt seit mehreren Minuten vor der Bibliothek um auf Malfoy zu warten. Ich hatte mir in den schlimmsten Farben ausgemalt, was passieren würde, wenn dies geschah, wenn McGonnagal wirklich glauben würde, dass ich hier versagt hatte. Würde sich das auf meine Noten auswirken? Das könnte ich mir nie verzeihen. Wenn Malfoy mir meine Zukunft zerstören würde, nur weil ich zu spät zur Nachhilfe kommen würde.
Das Schlimme war, ich würde es ihm sogar zu trauen.
"He, Granger", unterbrach Malfoys kalte Stimme meine Gedanken. Erschrocken fuhr ich herum. "Malfoy", begrüßte ich ihn knapp.
Einen kurzen Moment lang standen wir uns einfach nur gegenüber. Er musterte mich, ich ihn. Mühsam riss ich meinen Blick von seinem gutaussehenden Gesicht los. "W-wollen wir dann... ähm... in die Bibliothek?", fragte ich unsicher und aus dem Konzept gebracht. Ich räusperte mich und errötete.
"Klar", antwortete er, so distanziert und kalt wie immer. "Gut", fauchte ich und lief los. Es ärgerte mich, dass er mich so leicht aus der Ruhe brachte. Während ich beschämt und mit brennenden Wangen vor ihm stand, blieb er so ruhig wie sonst auch. Dabei war ja noch nicht mal etwas passiert; er hatte mich nur angeschaut.
Das war doch unfair.
Wieso war er so unberührt davon und warum verdammt noch mal hatte ich so reagiert?
Ich hörte ein leises Lachen hinter mir. Verwirrt sah ich hinter mich. Malfoys Gesicht war ausdruckslos wie zuvor. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass niemand um uns herum stand, hätte ich nicht geglaubt, dass dieses Lachen von Malfoy kam; dass er überhaupt zu so etwas positivem, glücklichem fähig war.
Er sollte öfters lachen. Er hatte sich für einen kurzen Moment so unbeschwert angehört.
Ich suchte uns einen Platz abseits der anderen aus. Ein großes Bücherregal schirmte uns von den Blicken und dem Gerede unserer Mitschüler ab. Hier konnte man sich am besten konzentrieren. Malfoy beäugte den Tisch kritisch, setzte sich dann aber betont gelangweilt auf einen der Stühle. Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich auffordernd an. "Willst du da Wurzeln schlagen? Ich hab nicht ewig Zeit", beschwerte sich Malfoy gereizt.
"Dir ist klar, dass wir eh eine Stunde miteinander verbringen müssen", antwortete ich, nicht minder gereizt.
"Ja, aber du musst mir eine Stunde Nachhilfe geben. Wenn du es noch nicht mal schaffst dich hinzusetzen, geschweige denn anzufangen, bist du wohl als Nachhilfelehrer kaum geeignet. McGonnagal wird das sicher interessieren."
Ich hätte fast angefangen laut zu lachen. Das war genau das, was ich vorausgesagt hatte. Er war so vorhersehbar. Einfach immer nur auf sein eigenes Wohl bedacht, und je mehr Leben man damit zur Hölle machen konnte, desto besser.
Wütend verkniff ich mir einen Kommentar und setzte mich ihm gegenüber hin. Ich atmete einmal tief durch und fing an. "Okay, Malfoy, wir müssen jetzt zwei Abende die Woche zusammen hier sitzen und ich habe keine Lust mir durchgehend deine unnötigen, kindischen Kommentare anhören zu müssen."
Skeptisch zog er eine Augenbraue hoch. Äußerlich war er komplett unbeeindruckt von meiner Ansprache. "Ach, jetzt bin ich an allem Schuld? Es sind also nur meine Kommentare? Was ist mit deinen?", wollte er wissen.
Ich starrte ihn fassungslos an. Schon wieder hatte er mich aus dem Konzept gebracht. "Ich...ich", stammelte ich unsicher. "Du?", hakte er nach und sah mich aufmerksam an. Es lag weder Spott noch Verachtung in seinem Blick; nur ehrliches Interesse. Überrascht stellte ich fest, dass es ihn tatsächlich zu interessieren schien, was ich dazu zu sagen hatte.
"Du bist doch immer der, der anfängt. Ich reagiere nur", brachte ich schließlich aufgebracht hervor. Jetzt war er derjenige, der nach Worten rang, und ich lächelte zufrieden.
"Na gut, ich reiße mich zusammen", sagte er plötzlich leise. Ich musterte ihn forschend. Schon wieder schien er es ernst zu meinen. Aber warum?
Er will dein Vertrauen gewinnen um dir dann noch mehr weh zu tun, flüsterte eine Stimme in meinem Unterbewusstsein. Ich ignorierte sie und wandte mich an Malfoy. "Danke." Es war ausnahmsweise mal ehrlich gemeint. Ausnahmsweise gab es keinen sarkastischen Unterton in meiner Stimme. Ich hoffte wirklich, dass er es ernsthaft versuchen würde.
Ein unangenehmes Schweigen entstand zwischen uns. Ich räusperte mich peinlich berührt und holte meine Notizen zum Verwandlungsunterricht aus meiner Tasche hervor. Er tat es mir gleich und ich begann ihm den Unterrichtsstoff von Beginn des Schuljahres an zu erklären.
Zu meiner Verblüffung konnte Malfoy den Großteil schon und das, was er nicht konnte -fast ausschließlich der Stoff der letzten paar Wochen- verstand er spielend. Er war ein fast so guter Lerner wie ich. Was unser Wissen anging waren wir ungefähr auf einer Wellenlänge und es machte mir beinahe schon Spaß mit ihm zu lernen.
Beinahe.
Denn ich hatte nicht vergessen, dass er mein Erzfeind war, Muggelstämmige wie mich verachtete und mir regelmäßig grausame Beleidigungen an den Kopf warf. Ein Teil in mir, der immer noch loyal zu Harry und Ron, loyal zu Gryffindor war, hatte protestierend aufgeschrien, als ich an Malfoy in Verbindung mit Spaß gedacht hatte. Doch es tat einfach gut, jemanden auf gleichem Niveau zu haben.
Und sei es Draco Malfoy.
Draco:
Überraschenderweise war die Nachhilfestunde bis hierhin ganz gut verlaufen. Nicht, dass ich es genießen würde Zeit mit dem Schlammblut zu verbringen, allerdings war das Ganze bis jetzt annehmbar. Ich hatte gehässige Bemerkungen unterlassen, sie hatte erklärt und zusammen waren wir gut vorangekommen. Wir hatten fast den ganzen Stoff der letzten Monate wiederholt, was dadurch erleichtert wurde, dass ich das meiste schon konnte. Den Rest verstand ich mit ihrer Hilfe auch relativ schnell.
Sie zeigte gerade auf eine Stelle in ihren Notizen, als ich Potters Stimme hinter mir hörte. "Es ist also wirklich wahr", zischte er. Ärger im Gryffindor-Paradies?, dachte ich schadenfroh. Grangers Gesicht verdunkelte sich und sie seufzte resigniert. Sie wirkte plötzlich müde und erschöpft. "Was willst du, Harry?", fragte sie kraftlos und fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
"Ich will gar nichts von dir, Verräterin. Du bist eine Schande für Gryffindor!" Mit diesen Worten drehte er sich um und lief davon.
Granger kämpfte darum, die Tränen zurück zu halten. Sie senkte den Blick und sagte mit zittriger Stimme: "Sollen wir d-dann weitermachen?" Zum Ende hin brach ihre Stimme immer mehr.
Dieser Anblick löste eine Mischung von Gefühlen in mir aus, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich sie für das Schlammblut empfinden könnte. Mitleid, Respekt und der Drang sie zu beschützen.
Ohne wirklich zu wissen warum, einfach aus einer spontanen Eingebung heraus, fragte ich: "Was ist los?"
Sie schien genauso verwundert über meine Frage wie ich, denn ihr Kopf schnellte abrupt hoch. "Warum interessiert dich das?", wollte sie resigniert wissen.
"Keine Ahnung", erklärte ich wahrheitsgemäß. Ich wusste es wirklich nicht.
"Du wirst mich eh nur fertig machen deswegen. Du wirst es als Chance sehen, mich auszulachen und mich damit zu ärgern." Ihre Augen blitzten feindselig.
Es traf mich, dass sie so schlecht über mich dachte. Dass sie annahm, ich hätte immer nur bösartige Hintergedanken. Du hast ihr ja auch nie gezeigt, dass du keine bösartigen Hintergedanken hast, mischte sich eine kleine Stimme in meinem Kopf ein.
"Nein, versprochen", versuchte ich sie zu überzeugen. Ich wusste selbst nicht, wieso ich das tat. Wieso dachte ich daran, dass Mädchen zu trösten, das ich sonst so oft zum weinen gebracht hatte? Granger schien sich wohl die gleiche Frage zu stellen, denn ihr Blick war geprägt von Unsicherheit. Ich erwartete nicht, dass sie antwortete.
Doch dann fing sie an zu erzählen. "Nach dem Quidditchspiel letztens bei dem Gryffindor gewonnen hat, gab es eine Party im Gemeinschaftsraum. Dabei habe ich gesehen, wie Ron und Lavender sich geküsst haben. Ziemlich innig. Daraufhin bin ich rausgelaufen und... Harry hat mich dann gefunden und getröstet, doch dann sind plötzlich Ron und Lavender aufgetaucht. Ich habe Vögel auf Ron angesetzt, die ihm ziemlich die Arme zerkratzt haben... Am nächsten Morgen hatten wir VgdDK mit Snape und du weißt ja, was mit Snape passiert ist. Ich wollte mich nicht neben Ron setzen, aber er... er hat mich eiskalt ignoriert. Als wäre ich Luft. Das... das hat mir das Herz gebrochen. Und dann noch dein Kommentar zu Ron und mir...", sie brach ab, sammelte sich kurz und erzählte dann weiter. Ich musterte sie aufmerksam. "Eine Woche lang ging das jeden Tag so. Ron und Harry haben mich ignoriert und ich war die meiste Zeit allein. Dann, am Samstag vor unserem Nachsitzen, haben Ginny und ich uns einen Plan überlegt, wie-" Erschrocken stoppte sie und errötete. Hastig fuhr sie fort, als sie merkte, dass ich nicht weiter nachfragen würde, was sie mit dem Plan meinte.
"Egal... auf jeden Fall kam dann unser Nachsitzen. Ich war echt fertig danach... am nächsten Tag kam Harry dann vor dem Frühstück zu mir und hat sich dafür entschuldigt, dass er mich ignoriert hat. Er meinte, dass er einfach nicht gewusst hatte, wie er mit meiner Trauer umgehen sollte und dass es ihm leid tut."
Ich schnaubte. Was für eine tolle Entschuldigung. Ich selbst war nicht gerade der Beste im Entschuldigen, aber besser als das wäre eine Entschuldigung von mir allemal geworden. "Tut mir leid", murmelte ich, als ich sah, dass es sie störte, dass ich sie unterbrochen hatte.
"Ich habe ihm verziehen. Ich meine, ich brauche meinen besten Freund und er wollte mich nicht ignorieren. Na ja, nach dem Quidditchtraining habe ich in der Großen Halle auf ihn gewartet und als er dann kam, bin ich auf ihn zu gelaufen um ihn zu unarmen, aber er- er... hat mich weg geschoben und mich so... hasserfüllt, so verachtend angeguckt. Irgendetwas ist auf dem Quidditchfeld passiert und ich weiß nicht was. Seit dem ist er auf jeden Fall so wie gerade. Er nennt mich Verräterin und-", sie schluchzte.
Was waren das bitte für Freunde? Ich selbst war kein Experte in Sachen Freundschaften, aber ich würde Blaise niemals im Stich lassen.
Granger wischte sich trotzig die Tränen von der Wange und sah mich ausdruckslos an. "Na los", forderte sie mich auf, "Lach schon. Mach dich lustig. Das ist es doch, was du sonst immer machst."
Ich ging nicht darauf ein. Mir war ganz sicher nicht nach Lachen zu mute. Stattdessen sagte ich sanft: "Weißt du Granger, es ist immer am dunkelsten vor dem Sonnenaufgang."
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