Aufklärung
Hermine:
Wieder einmal wanderte ich ziellos durchs Schloss. Wie in Trance setzte ich einen Fuß vor den anderen. Wenn ich stehen blieb, würden mich die Ereignisse des letzten Samstags einholen. Sie würden mich einholen und ich würde an ihnen zerbrechen.
Ich nahm den Rest der Welt schmerzhaft detailliert wahr; kein Riss in der Wand entging mir; die Farben wirkten zu grell; die Luft zu dick zum atmen. Mein Versuch mich vom Schmerz zu lösen indem ich mich von der Realität löste, war fehl geschlagen. Dadurch, dass ich so viel alleine war, hatte ich auch genügend Zeit um über alles und jeden nachzudenken. Doch letzendlich kreisten meine Gedanken immer nur um eine Person. Um Draco Malfoy.
Man hätte meinen müssen, ich würde, jetzt da ich sie wieder hatte, Unmengen an Zeit mit Harry und Ron verbringen, doch ich konnte mich nicht dazu durchringen.
Ja, ich war unendlich froh sie wieder zu haben und ja, ich hatte ihnen verziehen, aber die Angst vor einem erneuten Verrat saß tief.
Verrat?, schalt ich mich innerlich, sie haben dich nie verraten. Ein Missverständnis, das ist alles. Ein dummes Missverständnis. Das ist nichts, was man den beiden vorwerfen könnte.
Ja, das stimmte. Sie hatten geglaubt, zwischen Draco und mir wäre... mehr. Sie hatten angenommen, ich hätte sie verraten. Das konnte ich ihnen nun wirklich nicht zum Vorwurf machen. Ich lachte bitter auf. Selbst ich hatte geglaubt, dass zwischen Draco und mir Gefühle waren.
Plötzlich hörte ich zügige Schritte hinter mir. Ohne ihnen viel Beachtung zu schenken lief ich weiter, in meine Gedanken versunken, bis eine Stimme meinen Namen rief. Hastig fuhr ich herum. War das Draco? Nein, reines Wunschdenken hatte dafür gesorgt, dass diese Stimme wie Dracos klang. Die Person, die über den Gang auf mich zu eilte, stellte sich als Harry heraus.
Ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Er bedeutete mir viel, sehr viel sogar, und nicht mit ihm zu reden, weil ich in meiner Welt aus Trauer und Bitterkeit gefangen war, hatte mir doch mehr zugesetzt als ich es mir bis gerade eingestanden hatte. Die Angst vor einem Verrat, die mich soeben noch erfüllt hatte, verblasste, als ich in seine schuldbewussten smaragdgrünen Augen blickte.
Schon wieder.
Es kam mir vor wie ein Déjà-Vu. War es nicht erst vor wenigen Wochen gewesen, dass er zu mir gekommen war um sich für sein abwesendes Verhalten zu entschuldigen? Und war er nicht dann zum Quidditchtraining gegangen nur um als ein anderer Mensch wieder zu kommen? Als jemand, der mich hasste und verachtete? Immer wieder hatte ich mich gefragt, was in dieser Zeit passiert war. Was zur Hölle war beim Quidditchtraining vorgefallen, dass Harry dazu veranlasst hatte, so mit mir umzugehen?
Harry hatte mich nun schon fast erreicht, doch plötzlich flackerte Panik in mir auf. Was, wenn es so wäre wie beim letzten Mal? Was, wenn er sich entschuldigte, mir meine Hoffnung zurück gab um mich dann endgültig zu brechen?
Nein! Nein! Nein!
Das war Harry, der hier vor mir stand. Harry Potter. Mein bester Freund. Kein gefühlloses, kaltes Monster. Es war Harry. Nur Harry.
Die Panik verebbte langsam und ich atmete tief ein um mich zu beruhigen. Meine Hände hatte ich zu Fäusten geballt, so dass meine Knöchel weiß hervortraten.
Nur Harry. Mein bester Freund.
Ich löste meine Hand. Dort, wo sich meine Fingernägel in die Haut gebohrt hatten, waren halbmondförmige Abdrücke zu sehen.
"Hermine?", fragte Harry sanft, "Alles gut?"
Ich nickte stumpf. Mehr aus Reflex als aus Aufrichtigkeit. Als gut würde ich es nicht gerade bezeichnen, wenn man Panik bekam, sobald man seinen besten Freund sah; wenn man kaum Appetit hatte; wenn man jede Gesellschaft mied; wenn man seelisch mehr tot als lebendig war. Trotzdem nickte ich. Ich nickte und verschwieg den Sturm an Gefühlen in mir. Es war einfacher so.
"Ich muss mit dir reden. Ich muss mich entschuldigen. Mal wieder." Er lächelte leicht, doch es war ein trauriges Lächeln. Dann fuhr er fort: "Ich habe dich verletzt. Ich habe dir dein Herz rausgerissen und bin fröhlich lächelnd darauf herumgetrampelt. Und dann, als du endlich wieder glücklich warst, da habe ich auch das kaputt gemacht. Was bin ich nur für ein miserabler Freund? Hermine, nichts auf der Welt, keine Entschuldigung, nichts, kann gutmachen, was ich dir angetan habe. Und ich bitte dich nicht mir zu verzeihen, aber... wirf dein Leben nicht für Malf- für Draco weg. Ja, dir geht es gerade schlecht - und versteh mich nicht falsch, du hast jedes Recht dazu - aber ich bitte dich. Es gibt Menschen, denen du die Welt bedeutest. Deiner Familie, Ginny, Ron und mir, Hermine. Hörst du? Du bist mir wichtig. Ich ertrage es nicht dich leiden zu sehen und nichts dagegen unternehmenzu können. Es bricht mir das Herz, ja? Weil du mir sehr viel bedeutest. Also, auch wenn du mir nicht verzeihen kannst, verzeih dir selber. Du bist nicht schuld daran, dass Mal... Draco dich zurück gewiesen hat. Gefühle kann man nicht erzwingen, genauso wenig wie man sie irgendwie kontrollieren oder beeinflussen kann. Deswegen verurteile ich dich auch nicht dafür, dass du Draco liebst. Nicht im geringsten. Und wenn du ihn liebst, dann glaube ich dir, dass du etwas in ihm siehst; etwas, das nicht jeder zu sehen bekommt."
Er hielt kurz inne und sah mir tief in die Augen. Ich spürte, dass ich meine Tränen bald nicht mehr unterdrücken konnte. Womit hatte ich so einen Freund verdient? Und wie bei Merlins Barte hatte ich an ihm zweifeln können?
"Weißt du, Hermine", sagte Harry leise, "wenn du mich fragst, glaube ich, dass da wirklich etwas zwischen euch ist. Ich bin zwar wirklich kein Experte in solchen Sachen, aber... an dem Abend der Party... der Blick mit dem er dich angesehen hat, war echt. So etwas kann man nicht vorspielen. Und das sage ich nicht, damit du dich besser fühlst; ich meine es ernst. Aus welchen Gründen auch immer er sich von dir abgewandt hat, mangelnde Zuneigung war es nicht."
Ich schluckte. Mir fehlten die Worte um meine Gefühle in diesem Moment zu beschreiben.
"Danke", flüsterte ich mit brüchiger Stimme und hoffte, dass er all das verstand, was ich ihm mit diesem einen Wort sagen wollte. Dann warf ich mich in seine Arm und ließ meinen Tränen freien Lauf. Sie waren Beweise all der Sorgen, die mich geplagt hatten und nun endlich von mir genommen waren.
Eine Zeit lang standen wir einfach so da. Keiner von uns sagte etwas. Es war ein Schweigen, das mehr sagte als tausend Worte.
Nach einer Weile lösten wir uns wieder voneinander. Ein junges Mädchen aus Hufflepuff lief gerade an uns vorbei und musterte uns skeptisch. Ohne zu wissen warum musste ich lachen. Es fühlte sich wunderbar befreiend an und glücklich strahlte ich in Harrys Richtung.
"Ich bin froh, dass du wieder lächeln kannst, Mine", grinste er sichtlich erleichtert.
"Eine Frage habe ich noch", sagte ich zögerlich.
Harry nickte mir auffordernd zu.
"Was ist beim Quidditchtraining damals passiert? Weißt du? Nachdem du dich bei mir entschuldigt hast."
Plötzlich sah Harry niedergeschlagen aus. Er seufzte, dann fing er an zu erzählen: "Nach dem Training kam Ron zu mir und meinte, er muss mir etwas erzählen. Er sagte, dass du einen Deal mit Malfoy hast und mit ihm..."
Harry hielt inne und sah aus, als dämmerte ihm plötzlich etwas. Er legte die Stirn in Falten.
"Hast du mit Malfoy je über, du weißt schon... Sex gesprochen?", fragte er hastig. Ich errötete. Warum wollte Harry das wissen und was hatte es mit meiner Frage zu tun? Langsam schüttelte ich den Kopf. Wut blitzte in Harrys Augen auf, gemischt mit Unverständnis.
"Ron... dieser... dieser...", stammelte er. Wutentbrannt rang er nach Worten. Dann drehte er sich um und stürmte davon.
"Harry, warte", rief ich, doch er war schon um die nächste Ecke verschwunden. Immer noch verwirrt rannte ich ihm nach. Während wir durch das Schloss rannten, handelten wir uns einige sehr skeptische Blicke ein. Es passierte ja auch nicht oft, dass Hermine Granger Harry Potter hinterher rannte, als wäre sie von allen guten Geistern verlassen.
Das Ganze endete auf dem Quidditchfeld, wo Ron anscheinend gerade trainierte. Was für eine Ironie.
Ron, der uns offenbar entdeckt hatte, flog direkt auf uns zu. Wenn sein Anblick früher Schmetterlinge in mir ausgelöst hatte, so fühlte ich jetzt nicht mehr viel. Irgendwie war es bei ihm anders als bei Harry. So einfach konnte ich ihm nicht verzeihen. Rons Blick wanderte von Harry zu mir und wieder zurück. "Harry, Hermine, was gibt's?"
"Warum", fragte Harry mit vor unterdrückter Wut bebender Stimme, "hast du mir erzählt, dass Hermine Informationen an Draco weiter gegeben hat, damit sie mit ihm schlafen kann?"
Ron erbleichte. Entsetzen machte sich in mir breit. Ich konnte nicht glauben, dass Harry diese Worte gerade genau so von sich gegeben hatte. Ron war also an allem schuld. Ron, den ich geliebt und dem ich vertraut hatte. Es war als wäre ein Schalter in mir umgelegt worden und ich würde endlich Rons wahres Ich sehen. Hässlich, verlogen, verräterisch.
"Ach, jetzt nennst du ihn schon Draco?", wollte Ron bissig wissen. Er hatte provokant die Arme vor der Brust verschränkt und blickte Harry herablassend an. Ich spürte, dass sich mein Schock langsam aber sicher in Wut verwandelte.
"Warum?", wollte ich wissen. Meine Augen blitzten zornig.
Auf einmal war sein ganzes großspuriges Getue wie weggewischt. Er sah nur noch verzweifelt aus.
"Weil ich dich liebe", flüsterte er und blickte zu Boden.
Bei diesen Worten setzte etwas in mir aus. Wie konnte er von Liebe reden? Er hatte mir die letzten Wochen zur Hölle gemacht und dabei meine Freundschaft zu Harry aufs Spiel gesetzt. Ich tat das einzige, was mir diesen Moment sinnvoll erschien.
Ich trat einen Schritt auf ihn zu und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige.
"Das ist keine Liebe", zischte ich und ließ ihn und Harry stehen.
Es tut mir wirklich leid, dass das neue Kaputel erst jetzt kommt, aber ich musste erst mal mein eigenes Leben auf die Reihe kriegen, bevor ich mich um Hermines kümmern konnte... Ich hoffe, es gefällt euch trotzdem❤
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