Allein
Hermine:
Ein Rütteln an meiner Schulter riss mich aus dem Schlaf. "Hermine, aufwachen." Ich grummelte etwas unverständliches, drehte mich auf die andere Seite und wollte wieder einschlafen. Doch die Person ließ nicht locker: "Hermine, wenn du vor dem Unterricht noch frühstücken willst, dann solltest du jetzt aufstehen."
Ich rollte mich noch weiter weg und landete prompt auf dem Boden. "Au", stöhnte ich frustriert und öffnete meine Augen. Vor Schreck fuhr ich hoch in eine sitzende Position. Ich war gar nicht in meinem Schlafsaal, sondern im Gemeinschaftsraum.
Was bei Merlins Barte machte ich hier? Hatte ich wirklich die ganze Nacht auf diesem Sessel verbracht?
Die verspannten Muskeln in meinem Nacken deuteten auf jeden Fall daraufhin. "Wie viel Zeit habe ich noch?", fragte ich Ginny, die immer noch neben dem Sessel stand. "In einer halben Stunde fängt der Unterricht an", erklärte sie, "Ich war gerade auf dem Weg in die Große Halle, als ich dich hier liegen sah. Du solltest dich beeilen." Eine halbe Stunde... verdammt!
Rasch sprang ich auf und eilte hoch in meinen Schlafsaal. Wieso hat mich sonst niemand geweckt? Um diese Uhrzeit waren ganz sicher schon Dutzende Schüler durch den Gemeinschaftsraum gelaufen und doch hatten mich alle liegen gelassen. Alle, außer Ginny. Ein unbehagliches Gefühl breitete sich in meiner Magengrube aus. Warum?
Ich schob die trüben Gedanken beiseite und griff mir eine frische Uniform aus dem Schrank, kämmte mir kurz die Haare, sprintete durch den Gemeinschaftsraum und rannte mehrere Korridore entlang und Treppen runter.
In der Großen Halle angekommen winkte Ginny mich zu ihr. Ich lächelte sie gestresst an und ließ mich nach ein paar Schritten neben sie auf die Bank fallen. "15 Minuten noch", sagte Ginny zur Begrüßung. "Dir auch einen guten Morgen", erwiderte ich schlecht gelaunt. Ich hasste es zu verschlafen und dass mich niemand geweckt hatte, nagte immer noch an mir.
Ginny strich sich die Haare hinters Ohr, schlug ein Bein über das andere und blickte mich erwartungsvoll an. Eine Zeit lang versuchte ich das zu ignorieren und mein Frühstück zu essen, doch nach kurzer Zeit riss mir der Geduldsfaden. "Was?!", fauchte ich. Ich war eigentlich nicht so unfreundlich, vor allem Ginny gegenüber nicht, doch die gesamte Situation machte mir zu schaffen.
Ginny jedoch schien von meiner Unhöflichkeit nicht sonderlich beeindruckt und sagte: "Heute ist Dienstag." Verdattert schaute ich sie an. Ihre Augen funkelten aufgeregt und sie grinste verschmitzt. Dann schien sie meinen verständnislosen Blick zu bemerken und seufzte genervt: "Verdammt, Mine. Dienstag. Von 6 bis 7 Uhr. Klingelt da was?".
Zögernd schüttelte ich den Kopf. "Nein. Eigentlich nicht."
"Von wegen Jahrgangsbeste", murmelte Ginny, "Du gibst Malfoy Nachhilfe in Verwandlung."
Mist! Das hatte ich total vergessen. Ich hatte noch überhaupt nichts vorbereitet. Panisch sprang ich auf, um mich dann wieder resigniert hin zusetzen. Jetzt würde das auch nichts mehr nützen. Ich stützte meinen Kopf auf meine Hände. Ich spürte einen Knoten in meinem Bauch - eine Mischung aus Enttäuschung und Frustration.
Im Moment wurde mir alles zu viel. Der Streit mit Ron und Harry, die anderen Schüler, die mich ignorierten und meine Probleme mit Malfoy. Ich hatte das Gefühl, dass mein Leben um mich herum zusammen brach. Alles, was ich mir in den letzten Jahren aufgebaut hatte, fiel in sich zusammen.
"Hey, Hermine. Das wird schon wieder", versuchte Ginny mich zu trösten. Sie strich mir mit ihrer Hand beruhigend über den Rücken, während ich zittrig die angehaltene Luft ausstieß.
Reiß dich zusammen, verdammt nochmal. Du bist eine Gryffindor, eine Löwin. Wo ist dein verfluchter Stolz geblieben? Du hast dich in ein weinendes Wrack verwandelt. Wo ist deine Kampfgeist?, hielt mir meine innere Stimme einen Vortrag und ich musste zugeben, dass sie Recht hatte. Ich musste kämpfen. Ich durfte nicht zulassen, dass Harry und Ron mich runterzogen, mir Hogwarts versauten. Nein, ich durfte nicht aufgeben.
"Dieser Gesichtsausdruck gefällt mir schon viel besser", kommentierte Ginny lachend mein leichtes Lächeln. Dann, mit einem Blick auf ihre Uhr: "Wir müssen los!" Gehetzt sprang sie auf und zog mich mit sich. Während wir durch die inzwischen fast leere Halle eilten, fluchte ich leise. Verschlafen war wirklich unpraktisch.
***
Der Zeiger der Uhr schob sich quälend langsam vorwärts. Die letzten fünf Minute der Stunde schienen eine Ewigkeit zu dauern. Verstohlen blickte ich zum zehnten Mal in drei Minuten auf die Uhr, doch die Zeiger wollten sich einfach nicht schneller bewegen. Es war, als hätte jemand sie mit einem Schockzauber belegt; sie wollten einfach nicht vorrücken.
"Ms. Granger, nur weil sie alle zehn Sekunden auf die Uhr gucken, endet die Stunde auch nicht früher", riss Snapes eisige Stimme mich aus meinen Gedanken. "Entschuldigung, Sir", erwiderte ich und senkte meinen Blick. Momentan war ich nicht besonders gut auf Snape zu sprechen, immerhin hatte er für das Nachsitzen gesorgt. Dementsprechend bereitete mir der Unterricht auch nicht wirklich Vergnügen.
Im Gegenteil. Es war der reinste Horror. Snapes Blicke schienen mich zu durchbohren und er ließ keine Möglichkeit aus mich vor der Klasse zu tadeln. Was hatte er nur gegen mich? Ich war nicht die einzige, deren Blick hin und wieder zur Uhr huschte, aber natürlich wies Snape nur mich zurecht. Missbilligend schüttelte ich den Kopf.
Nach ein paar weiteren unendlich langen Minuten erlöste uns das Klingeln schließlich mit Unmengen an Hausaufgaben von Snape.
Erleichterung durchflutete mich, als ich den düsteren Kerker verließ und mich auf den Weg nach oben machte. Verteidigung gegen die dunklen Künste war mein letztes Fach heute gewesen und ich hatte mich mit Ginny am See verabredet, bevor ich mich um sechs zu Malfoy wagen würde, in die Höhle des Löwen.
Nein, eher die Höhle der Schlange.
***
Zwanzig Minuten später saß ich mit
Ginny auf einem umgefallenen Baumstamm am eisigen See. Mein Atem bildete kleine Wolken vor meinem Mund und die Sonne schien. Es war das perfekte Winterwetter. Kalt, aber mit Sonne, sodass der Schnee glitzerte und man einen Schneemann bauen könnte.
Links von uns machten mehrere Drittklässler eine Schneeballschlacht, der ich lachend zu sah, bis mich ein Schneeball an der rechten Schlulter traf. "Ich übernehme das", flüsterte Ginny abenteuerlustig und ihre Augen glänzten schelmisch. Sie formte eine Kugel aus dem frischen Schnee, zielte und traf den Jungen, der mich abgeworfen hatte, genau ins Gesicht.
Grinsend wandte Ginny sich wieder mir zu und auch ich musste lächeln. Dieses Wetter machte einfach glücklich. "Was hältst du eigentlich von Dean?", fragte Ginny plötzlich. Überrumpelt von der Frage wuaste ich zuerst nicht, was ich darauf antworten sollte. "Na ja, er...ist... ähm... nett?", versuchte ich eine sinnvolle Antwort zugeben.
"Nett?", wiederholte sie skeptisch.
"Mmh..."
"Mehr fällt dir dazu echt nicht ein?", warf sie mir vor und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Ich- was soll die Frage eigentlich?", wich ich aus und überlegte fieberhaft, was ich zu Dean sagen könnte.
"Er ist mein Freund", erklärte Ginny schlicht, "und ich dachte, ich frage dich als meine beste Freundin, was du von ihm hältst."
"Okay, klar. Tut mir leid. Ich war einfach überrascht von der Frage", antwortete ich ehrlich und fuhr dann fort, "Dean ist ein echt guter Kerl. Freundlich, offen, entspannt. Aber..." Ich zögerte kurz. "Na ja, ich glaube, er ist sehr... besitzergreifend was dich angeht. Er hat einen großen Beschützerinstinkt und ich hatte bisher das Gefühl, dass dich so etwas einengt."
Ginny nickte zögerlich. "Ich weiß nicht. Du hast schon recht, aber bisher hatte ich das Gefühl noch nicht... es fühlt sich alles so einfach und unkompliziert an."
"Erste Verliebtheit. Danach wird's schwierig", prophezeite ich trocken. "Danke für deine aufmunternden Worte. Du bist so eine Hilfe." Sie verdrehte die braunen Augen. "Aber jetzt mal im Ernst. Ich weiß nicht, ob er der Richtige ist. Teilweise habe ich das Gefühl, dass er nur dafür da ist, mich davon abzulenken, dass ich eigentlich jemand anderen an seiner Stelle haben möchte... das verdient Dean nicht, oder?"
Ich ignorierte ihre Frage am Ende und ging auf ihre Worte davor ein. "Harry, oder?"
Sie errötete und nickte. "Es tut mir leid, Hermine. Ich weiß, dass das nicht einfach für dich ist, aber...", sie brach ihren Satz ab und suchte nach den richtigen Worten. "Aber du hast es dir nicht ausgesucht? Ich weiß", vervollständigte ich ihren Satz, dann schluckte ich schwer. Einfach war es wirklich nicht, aber Ginny konnte nichts dafür.
"Genug Trauer. Komm, wir bauen einen Schneemann", schlug Ginny vor und schob ihre negativen Gefühle einfach beiseite. Um diese Fähigkeit beneidete ich sie; ich konnte das nicht. Trotzdem versuchte ich den Knoten in meinem Bauch zu ignorieren und mich voll und ganz auf den Schnee zu konzentrieren.
Die nächste Stunde formten wir drei Kugeln und setzten sie aufeinander, bis der Schneemann fast so groß war wie wir. Dann holten wir zwei Zweige von einem der Bäume, die um den See herum wuchsen, und steckten sie als Arme in die Seiten der mittleren Kugel. Aus mehreren Walnussschalen wurden Augen und Mund. Zuletzt rief Ginny "Accio Möhre" und schon hielt sie eine Möhre in der Hand, die sie zur Nase des Schneemanns machte. Ich beschwor unterdessen einen Hut herauf, der den Schneemann vervollständigte.
Zufrieden betrachteten wir unser Meisterwerk, als plötzlich Dean neben uns stand und Ginny küsste. "Hey Schatz, kann ich kurz mit dir reden?", fragte er, nachdem er sich von ihr gelöst hatte. Dann, mit einem kurzen Blick auf mich: "Hallo Hermine."
"Hi Dean", antwortete ich fröhlich, doch er hatte Ginny schon an die Hand genommen und zog sie hinter sich her. 'Sorry', formte Ginny mit ihren Lippen, folgte Dean aber trotzdem. Ich lächelte ihr gespielt aufmunternd zu und versuchte mir meine Enttäuschung nicht allzu sehr anmerken zu lassen.
Alleine lief ich langsam zum Schloss zurück. Das Lachen der anderen klang in meinen Ohren falsch und unecht. Ich meine, wie konnte man so glücklich sein, wenn andere so sehr litten? Die Vollkommenheit des Schnees schien trügerisch, so wunderschön und doch so kalt.
Ich hing meinen Gedanken nach und beobachtete das Treiben um mich herum. Schließlich hatte ich das Schloss erreicht und trat in die Eingangshalle. Von der großen Treppe aus kam eine Gruppe Ravenclaws, die sich kichernd unterhielt. Ansonsten war die Halle fast leer; vereinzelt kleinere Schülergruppen, die in Richtung der Großen Halle liefen oder miteinander tuschelten.
Einsam. Das war das Wort, dass das Gefühl, das mich bei diesem Anblick durchströmte, am besten beschrieb. Unter Menschen und doch allein. Zusammen und doch einsam. Ich straffte die Schultern und lief hoch erhobenen Hauptes durch die Ansammlungen von Schülern. Dabei fiel mir ein Spruch ein, den meine Mutter mir jedes mal gesagt hatte, wenn ich eingeschüchtert oder traurig war.
Kopf hoch, sonst fällt die Krone runter.
Diesen Satz wiederholte ich in meinem Kopf wie ein Mantra. Es half mir selbstbewusst die Große Halle zu betreten um mich auf meinen abgelegen Platz am Gryffindortisch zu setzen.
Mir ist gerade aufgefallen, dass ich mich noch nie bedankt habe😱. Also, vielen, vielen Dank für 1,6k Reads und fast 200 Votes😍😍😭. Das ist einfach unglaublich... ich kann es gar nicht richtig fassen. Ein gaaaaanz großes Dankeschön an alle die meine Geschichte lesen❤❤.
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