Kap o5
Schweigend blickte ich gedankenverloren auf das Wasser des Flusses, während eine sanfte Brise meine Haare umspielte. Ich strich mir eine Strähne hinter das Ohr, ehe ich mich wieder Joshua zuwandte. Die Sommersprossen waren über sein komplettes Gesicht versprenkelt und ich hatte das Bedürfnis nach Sternbildern in ihnen zu suchen. Wieder grinste er mich an und legte den Kopf leicht schief.
Ich wusste nicht, welche Fragen ich ihm stellen sollte. Am liebsten wollte ich alles wissen, gleichzeitig aber auch nichts. Die Problematik mit Wissen war, das man es nicht einfach zurücknehmen oder vergessen konnte. Irgendwo am Rande des Gedächtnisses würde es immer vorhanden sein. Selbst wenn es nur eine winzige Nadel im Heuhafen war, irgendwann würde man sie wiederfinden und sich den Finger daran aufstechen.
»Joshua-«
»Josh, bitte nenn mich Josh. Joshua klingt so weich.«
Ich zuckte nur mit den Schultern und atmete kurz durch, bevor ich ihm die Frage stellte.
»Okay, Josh. Kann ich dir eine Frage stellen? Du hast vorhin gemeint, dass wir gehasst werden. Wer ist wir?« Meine Lippen bebten leicht und ich hatte das Gefühl, das meine Stimme zittrig klang.
Seine waldgrünen Augen weiteten sich und er fuhr sich durch die Haare. Ihm entfuhr ein leiser Fluch und das erste was er macht, war die Umgebung abzuscannen. Dann drehte er sich wieder zu mir und seine Miene war undurchschaubar.
»Falls das ein Scherz sein soll, ist es ein schlechter.«
Ich schüttelte langsam den Kopf.
Langsam schien er zu realisieren, dass ich absolut nicht wusste, was hier abläuft.
Innerhalb von Minuten hatte er sich wieder gefangen und räusperte sich. Seine Lippen waren zusammen gepresst. Er inspizierte mich, als müsste er aus meinen Gesichtsausdrücken ablesen, ob er mir trauen konnte.
»Wie bist du hierher gekommen?«
»Über die U7«, antwortete ich verwirrt, »Die aus der Tierarztpraxis haben gesagt, dass die in die Stadt fährt.«
»Welche Praxis?« Sein Ton war schneidend und ich runzelte die Stirn.
»Irgendeine Frau Doktor Bernstein.«
Er nickte nur, als wäre ihm jetzt einiges klar geworden und starrte mich danach an. Ich wusste nicht, wie ich seinen plötzlichen Gemütswechsel verstehen sollte, außer das ich ein Fehler gemacht hatte.
»Das Ticket wurde dir wahrscheinlich zugeschickt?«, fragte er mit einem tiefen Groll in seiner Stimme.
Ich nickte nur und er raufte sich die Haare, bevor er erst mich und dann wieder das Wasser anschaute. Eine unangenehme Stille bereite sich zwischen und aus. Ich könnte sie förmlich spüren und wollte einfach nur schreien. Je länger Joshua schwieg, desto nervöser wurde ich.
»Sag mir doch bitte, was los ist.«, bettelte ich ihn an. Ich wollte verstehen, was los war.
Seine Augenbrauen waren zusammen gezogen, sein Blick fast schmerzhaft verzerrt. Er schaute mir nicht in die Augen, als er anfing zu sprechen.
»Ich müsste dich melden. Du kannst froh sein, dass bisher noch kein anderer dich angesprochen hat oder gemerkt hat, dass du nicht hierher gehörst. «
Sein Blick huschte kurz meinen Teebecher und seine Mundwinkel zuckten in die Höhe.
»Scheinbar hält der Tee tatsächlich sein Versprechen, hätte ich kaum gedacht von den Idioten.« Das Schmunzeln, erlosch genau so schnell, wie es gekommen war.
Ich wusste immer noch nicht, worauf er hinaus wollte.
»Melden an wem?«
Joshua dachte scheinbar nicht mal daran, mir meine Fragen zu beantworten.
»Die Regierung oder jemand sehr Einflussreiches will dich hier haben. Du hattest die Wahl, ob du annimmst oder nicht. Es ist zu spät. Sie müssten dir auf der Spur sein. Ich hoffe für dich, das es nur die Regierung ist.«
»Was wollen sie von mir?«
Ich verstand nicht, warum irgendeine Regierung etwas von mir wollen könnte. Mein Lebenslauf war fast fehlerfrei. Ich war ein guter Bürger, war niemals bei irgendetwas aufgefallen. Weder besonders positiv, noch negativ. Selbst in meinem BWL-Studium bestand ich bisher. Nicht gut, aber es reichte. Tatsächlich könnte man, wenn man es so betrachtete, mein Leben fast als spießig bezeichnen.
Joshua seine Antwort war eiskaltes Schweigen.
Ich hatte das Bedürfnis ihn an seinem türkisfarbenen Pullover zu fassen und zu schütteln, bis er mir alles sagte, was er wusste. Joshua seufzte, ehe sein Blick sich auf mich fixierte.
»Amy, ich gebe dir eine Chance. Einfach weil ich nie eine hatte. Es ist verboten dir etwas Genaueres zu sagen, aber du hast noch die Möglichkeit von hier zu verschwinden. Das Gesetz verbietet es ihnen dir in deine Welt zu folgen.« Sein Blick schweifte wieder auf das Wasser ab und seine Finger fummelten an einem losen Faden an seinem Pullover herum.
Wäre die Situation nicht so angespannt gewesen, hätte ich mich selbst dafür gelobt das ich, Sherlock Amy von alleine herausgefunden hatte, dass dies nicht meine Welt war.
»Was ist hier los Josh? Hab ich irgendwas gemacht?«
Ich versuchte ihn zu verstehen, doch das Einzige was ich aus ihm lesen konnte, war Mitleid.
»Es geht nicht darum was du getan hast, sondern was du bist.«
Kurz räusperte er sich, als musste er sich zurückhalten mehr zu sagen. Ich spürte, dass Joshua sich an irgendetwas erinnerte und schließlich eine Entscheidung fällte.
»Ich verstoße wegen dir schon gegen genug Gesetze und habe mich zu sehr eingemischt. Ich kann dich hier raus schaffen. Mehr aber auch nicht.«
Wie betäubt blickte ich mich um und schaute, ob mich jemand verfolgte. Sofort schoss der Fremde wieder in meinen Kopf. Und irgendwie fügte sich in meinem Kopf ein Puzzleteil zu einen anderen. Wahrscheinlich war er die letzten Wochen hinter mir her gewesen und war schuld an diesen Fahrkarten. Die Warnung von ihm war nur zur Täuschung. Er wollte mich hier haben.
Mein Blick zu Joshua war flehend, doch er kramte bereits sein Handy heraus und schrieb jemanden eine Nachricht. Verzweifelt überlegte ich wie, ich ihm mehr entlocken könnte.
»Warum soll ich nicht hier bleiben?«
Kurz hielt er inne und schüttelte dann nur langsam den Kopf. Perplex tippte er weiter die Nachricht, ehe seine Augen mich fixierten.
Waldgrün traf auf Himmelsblau.
»Du bist ein Dieb. Sie würden dein Leben kontrollieren. Du dürftest nie wieder etwas alleine entscheiden. Sie werden dir sagen, was du tun musst. Du wärst eine Gefangene. Willst du das wirklich?«
Ich schüttelte perplex nur mit dem Kopf, während er weiter auf seinem Handy herumdrückte. Als er scheinbar fertig mit der Nachricht war, holte er einen zerknüllten Zettel und einen Bleistift aus seiner Hosentasche heraus und schrieb eine Nummer drauf.
»Das ist meine Handynummer. Falls du Probleme bekommst oder mehr Erklärungen willst, schreib mir. Aber ehrlich gesagt wäre es besser all das hier zu vergessen.«
Er drückte mir den Zettel in die Hand. Ich lächelte ihn leicht an und verpackte ihn in meinen Rucksack. Ich war mir sicher, dass ich all das hier nicht vergessen würde. Allerdings war ich mir auch sicher, das ich keine Lust hatte in irgendetwas mit hineingezogen zu werden.
»Warum hilfst du mir?« In meiner Stimme Schwang ein Hauch von Misstrauen mit. Ich war eine Fremde die mit ihm einen Tee geteilt hatte. Warum sollte er wegen mir gegen Gesetze verstoßen?
»Weil ich nie eine Wahl hatte. Nie. Es war alles vorbestimmt.« Es war, als hätte er all seine Verbitterung und Schmerz in diese Worte gepackt. In diesem Moment wusste ich, das ich ihn vertraute.
»In wenigen Minuten kommt ein Taxi. Ein Freund ist mir noch einen Gefallen schuldig. Es bringt dich sicher zurück.«
Wieder nickte ich nur und Joshua sein Lächeln kehrte langsam auf seine Lippen zurück, was mich automatisch auch lächeln ließ.
»Du solltest übrigens nicht mehr diese Tierarztpraxis aufsuchen. Wirf die anderen Fahrscheine am besten weg.« Gab Joshua mir als letzten Tipp mit.
Nur würde das ziemlich unmöglich werden, wenn ich Munin da wieder rausbekommen wollte. Aber ich schwieg nur. Schließlich hatte Joshua mir gerade, wie auch immer, geholfen und ich wollte ihm nicht noch mehr Probleme machen.
»Danke.«
Er zuckte nur mit den Schultern.
»Kein Problem. Freut mich echt dich kennengelernt zu haben.«
Zögernd nahm ich seine Hand entgegen, während hinter uns ein Taxi mit getönten Scheiben parkte. Es war Zeit zu gehen. Ich lächelte ihm noch einmal zu, ehe ich mich umdrehte und meine Schritte beschleunigte. Ich wollte einfach nur verschwinden. Doch ein Ziehen in meiner Brust, ein fast unendlicher Drang, zwang mich noch einmal umzudrehen, in diese fremde Welt.
Mein letzter Blick zurück zeigte mir einen verlassenen Jungen, der weiterhin auf das Wasser starrte, während der Wind sich drehte.
— ♛ —
In dem Taxi setzte ich mich auf die Rückbank. Durch eine Trennwand war ich vom Fahrer abgekapselt. Ich sah absolut gar nichts von dem Frontfenster und die getönten Scheiben, waren auch nach innen getönt. Keiner konnte raus oder rein schauen. Der Fahrer schwieg die ganze Fahrt und bis auf meine leichten Kopfschmerzen, die aus der U-Bahn zurückkehrten verspürte ich nichts Ungewöhnliches.
In meinen Händen faltete ich immer wieder Joshs Handynummer und lenkte mich damit ab, dass ich sie auswendig lernte. Nicht das ich vor hatte sie zu benutzen. Ich würde diese Welt einfach hinter mir lassen. Was auch immer ich dort war, es war nichts Gutes.
Nach einiger Zeit hatte ich sogar wieder Empfang und checkte mein Handy, was mir entgangen war. Tatsächlich war es schon Nachmittag und ich hatte fünf verpasste Anrufe, sowie zwei Mailboxnachricht. Zögernd hörte ich meinen Anrufbeantworter ab.
Hallo Frau Silber, hier ist Frau Dr. Bernstein. Ich bitte sie dringend so schnell wie möglich zurück zu rufen. Danke.
Ich runzelte die Stirn und war versucht auf den Anrufknopf zu drücken. Irgendetwas musste mit Munin sein. Die zweite Nachricht beunruhigte mich umso mehr.
Guten Abend Frau Silber, hier ist wieder Dr. Bernstein. Da wir sie heute nicht mehr erreichen konnten, bitten wir sie morgen in die Praxis zu kommen. Es gab Komplikationen mit ihrem Raben. Alles weitere erzählen wir ihnen persönlich. Bis morgen.
Ich schluckte und hörte, wie das Taxi quietschend zum stehen kam. Die tiefe Stimme des Fahrers ließ mich kurzzeitig hochschrecken.
»Sie können aussteigen. Der Preis ist schon erledigt.«
Eilig stieg ich aus, direkt vor meiner Wohnung und kramte nach meinem Schlüssel. Das Taxi fuhr genau so schnell weg, wie es verschwunden war und mit ihm die Antworten und neuen Fragen nach der anderen Welt.
Ich musste morgen unbedingt in diese Tierarztpraxis, egal was Josh gesagt hatte. Definitiv würde ich Munin nicht alleine lassen und ich musste wissen, was mit ihm los war. Komplikationen konnten alles bedeuten.
Vor meiner Wohnungstür angekommen fummelte ich einige Minuten am Schloss rum, bevor ich es aufgeschlossen bekam. Meine Gedanken drehten sich immer noch um Munin.
Irritiert stellte ich fest, das ich scheinbar vergessen hatte das Licht anzulassen. Ich blinzelte, als ich dunkelrote Fußabdrücke auf meinem Laminat entdeckte. Vorsichtig berührte ich die angetrocknete Flüssigkeit auf dem Boden und hielt sie prüfend ins Licht.
Es war Blut.
Kurz hörte ich, wie der Wasserstrahl aus meiner Dusche verstummte und packte mir aus meinem Wandschrank einen Besen.
Jemand war hier.
Überall waren die Flecke verteilt und ich schlich weiter zu dem Bad. In der einen Hand umklammerte fest ich mein Handy und in der anderen den Besen. Als wären sie meine Retter in der Not. Tatsächlich schien der Einbrecher sich erst mal eine Dusche genehmigt zu haben. Ich beschloss das dies der beste Moment war, um ihn zu erledigen. Das Blut pochte mir bis zum Hals, als ich mich weiter an die Badtür anschlich.
Bevor ich die Tür öffnen konnte, wurde sie von innen aufgestoßen und eine riesige Menge an Wasserdampf schlug mir entgegen. Ich kniff die Augen zusammen und mein Griff krallte sich stärker in meinen Besen. Schemenhaft konnte ich eine große Silhouette in dem Dampf erkennen und ich hielt meine Waffe abwehrbereit vor mich.
Der Dampf lichtete sich und als ich erkannte, wer vor mir stand, holte ich wütend mit dem Besen aus.
Hey liebe Leser und Leserinnen,
Ich wollte mich nur kurz bedanken, dass ihr so zahlreich Kommentare und Votes dalasst. Natürlich freue ich mich auch riesig über die „stillen" Leser, von denen ich nichts weiß. Ihr motiviert mich wirklich unglaublich. Nach all dem positiven Feedback zum letzten Kapitel hoffe ich, das dies auch euren Erwartungen entspricht.
Falls euch Rabenschwarz gefällt könnt ihr gerne beim „Golden Story Award" unter der Republik „Golden Creatures" für das Buch abstimmen. (:
Ich wünsche euch alles Gute. Und die die gerade in der Prüfungsphase wegen Abi oder Uni sind, wünsche ich auch viel Glück!
Eure Schmierfink
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