Kap o4
Ich betrachtete das abgenutzte Schild auf dem nur noch schwer die vergilbten, gelblich angelaufenen Buchstaben der U-Bahn-Station zu lesen war. Welteschenweg. Die blaue Farbe blätterte ab und war überall mit Rissen zerfurcht. An dem Rand hatte jemand mit einem schwarzen Edding die Worte Kehre um! geschrieben.
Ich zuckte mit den Achseln, dies war eine ganz gewöhnliche, wenn auch etwas herunter gekommene, Station. Durch die Beschreibung der Rezeptionsdame in der Tierarztpraxis, hatte ich sie recht schnell gefunden. Zu meiner Beruhigung fuhr hier wirklich eine U7. In meinen Kopf dröhnten die Worte des Fremden – Benutzte nicht das Ticket. Ich verdrehte nur die Augen bei dem Gedanken daran, dass ich mich von einem Stalker und Verrückten so verunsichern ließ. Diese Station war eine ganz normale Erklärung für meine nervige Werbepost.
Lächelnd ging ich die Treppen hinunter, während eine starke Windböe von hinten mir meine Haare zerzauste. Es war fast so, als würde der Wind mich tiefer in die Station hinein drängen. Unten blickte ich mich um und bemerkte, dass ich tatsächlich der einzige Fahrgast war. In der Station war es eisig kalt und die grelle Deckenbeleuchtung flackerte immer wieder auf. Es gab nur ein Gleis in eine Richtung. Die Wände waren karminrot gefliest und ich blickte staunend gerade zu auf ein riesiges Mosaik.
Es war kreisrund und aus Millionen winzigen, bunten Teilchen zusammen gesetzt. Der gewaltige, knochige Baum streckte seine Äste über die Ränder des Kreises hinaus und erblühte in strahlenden weißen Blüten, die in die Tiefe seiner grünen Laubblätter getaucht waren. Seine Wurzeln erstreckten sich bis zur Gleise hinunter und ich bewunderte die feine Arbeit des Künstlers. Durch die Größe des Mosaiks hatte er überall Schattierungen und Lichteffekte gesetzt, welche selbst in dem unangenehmen scharfen Licht der Neonleuchten, heraustraten und seine Wirkung entfalteten.
Sprachlos suchte ich einen Fahrplan in der Station, doch ich fand keinen. Immer noch von dem Mosaik beeindruckt, beschloss ich mich auf eine Bank zu setzten und einfach zu warten. Entweder würde eine in Bahn in wenigen Minuten kommen oder nicht. Einzig für das Mosaik hatte es sich gelohnt das ich die neue Linie ausprobierte.
Innerhalb von fünf Minuten hörte ich die Bahn anrauschen und kramte den Fahrschein heraus. Eine bordeauxrot U-Bahn hielt vor mir und gespannt stieg ich ein. Neugierig blickte ich mich um, doch die Sitze waren nicht anders, als in einer gewöhnlichen Bahn. Ich setzte mich ans Fenster und betrachtete das Ticket in meiner Hand, während sich die Türen schlossen. Auch dieses Abteil des Zuges war menschenleer. Mein Blick streifte die Station ein letztes Mal, bevor die Bahn starte und wir in die Dunkelheit fuhren.
Ich spürte eine leichte Hitze an meiner Hand und der Geruch von Rauch breitete sich um mich herum aus. Stirnrunzelnd blickte ich auf das Ticket. Das Wasserzeichen mit dem Pentagram hatte zu glühen angefangen und das Feuer fing an sich langsam durch die Fahrkarte zu fressen. Panisch ließ ich es auf den Boden fallen und mein erster Instinkt war es nach der Wasserflasche in meinen Rucksack zu kramen. Innerhalb von Sekunden war nur noch Asche und Rauch von ihm übrig.
Der Zug beschleunigte sich innerhalb weniger Sekunden. Ein stechender Schmerz schoss durch meinen Kopf. Ich fasste nach der Asche. Um mich herum begannen die Lichter zu flackern und für einen Augenblick war ich in vollkommene Dunkelheit gehüllt. Ich rieb den verkohlten Rest der Fahrkarte fassungslos zwischen meinen Fingern. War das gerade eben wirklich real gewesen?
Der plötzliche Wechsel zwischen Dunkelheit und Licht blendete mich. Schützend hielt ich meine Hand über die Augen und das erste was ich sah war Wasser. Mir entfuhr ein beruhigender Seufzer. Was auch immer mit der Fahrkarte gerade los war, wir würden bald in der Innenstadt sein. Ich schloss die Augen und lehnte meinen Kopf gegen die Scheibe. Mein Kopf dröhnte immer noch. Ich hatte einen trocknen Mund und trank einen Schluck. Ich sollte nicht in alles etwas hinein interpretieren.
Die U-Bahn hielt bei keiner der mir bekannten Haltestellen und kam erst quietschend zu stehen, als wir die Haltestelle erreichten, wo ich sowieso raus wollte.
Schnell packte ich meine Sachen zusammen und machte mich auf den Weg die U-Bahn zu verlassen. In der Station war alles wie immer. Erleichtert ging ich die Treppen hinaus an die Oberfläche und blickte mich um.
Es war definitiv die Innenstadt. Gleichzeitig aber auch nicht.
Ich wusste nicht, woran es lag. Es war mehr ein Gefühl was sich in meiner Magengrube ausbreitete, dass irgendetwas nicht richtig war. Einige Gebäude waren größer, pompöser, während ich andere Häuser entdeckte die ich noch nie zuvor bemerkt hatte. Es sah aus, als hätte jemand versucht die Stadt nachzubauen, aber einige Dinge vergessen oder etwas aus seiner Fantasie hinzugefügt.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir das sie still stand. Ich zog eine Augenbraue in die Höhe und schnappte mir mein Handy. Kein Netz. Auch dort stand die Uhr still.
Meine Kehle wurde trocken, während ich durch die Straßen zog auf der Suche nach einem Zeichen was hier los war.
Wie immer liefen Menschenmassen durch die Stadt die auf der Suche nach Geld, Arbeit, Glück oder etwas Ablenkung durch materielle Dinge waren. Ich schloss mich der Menschentraube an und beobachtete sie. Jeder von ihnen schaute aus wie ein normaler Einwohner oder Tourist. Ungeduldig wartete ich an einem Ampelübergang, bis ich bemerkte, dass ein älterer Herr mich hasserfüllt betrachtete. Ich versuchte ihn anzulächeln, doch er wandte sich nur ab.
Ratlos lief ich weiter durch die Stadt und entdeckte Geschäfte, von denen ich noch nie etwas gehört hatte. Kräutergardens, The Alchemist, Tool of Revenge waren alles Läden die mir absolut nichts sagen. Kurzerhand stoppte ich vor einen Laden, neben den ein Bettler saß.
»Du solltest dich schämen!« knurrte mir dieser entgegen. Ich wandte mein Blick von den zahlreichen, gewürzähnlichen Behältern aus dem Schaufenster ab und blickte verärgert zu ihm rüber. Was hatte er denn für eine schlechte Laune?
Wenn er mich beleidigte, würde er auch nicht mein Geld bekommen. Zügig ging ich weiter, während ich hörte, dass er hinter mir auf den Boden spuckte.
»Schande über dich.« Seine Stimmte schallte nur durch die Gassen, während ich machte das ich von dem Ort verschwand.
An der nächsten Ecke entdeckte ich ein Café. Die Worte Lucky Charm Coffee prangten in grünen Leuchtbuchstaben über dem alten Gebäude und ich beschloss, dass ich ein Tee brauchte um all das zu verarbeiten.
Das Lokal war voller Menschen, die meisten davon seriöse Anzugsträger oder Geschäftsmänner. Der Charme in diesem kleinen Café bestand aus der Mischung der alten Holzmöbel, die kombiniert waren mit zahlreichen Grünpflanzen. Die gepolsterten Möbel luden einen förmlich dazu ein zu verweilen und der Geruch von gemahlenen Kaffee schwebte in dem Raum. Die Preise und die Auswahl ließen meine Laune steigen. Alles stand auf einer nett dekorierten Tafel und viele Getränke hatten Zusätze wie ein Kaffee für mehr Charisma, ein Chai Latte für das Wohlbefinden oder der Tee für mehr Glück, für den ich mich entschied.
An der Theke arbeitete eine eifrige, junge Kellnerin. Ich glaube kaum das sie älter war als ich. An ihr stachen vor allem die rosafarbenen Haare hervor, die sie zu einem Bob geschnitten hatte. Sie war dauerhaft am Lächeln, während sie die Kunden bediente. Es machte mir regelrecht Spaß ihr beim Arbeiten zuzusehen und es war als wäre die Luft um sie herum aufgeladen mit Freundlichkeit und echter Herzlichkeit. In sagenberaubender Geschwindigkeit rotierte sie zwischen der Kaffeemaschine und der Kasse hin und her, bis ich vor ihr stand. Kurz lächelte ich sie an, während ihre Miene sich verfinsterte.
»Was willst du?« blaffte sie mich an. Kurz verstarben die Gespräche in dem Raum und ich merkte wie sich die Blicke der anderen Gäste in meinen Rücken bohrten. Unwohl trat ich von einen Fuß auf den anderen hin und her, während ich noch einmal die Karte musterte.
»Ich wollte nur-ähm« Ich stockte und bemerkte das ihre graublauen Augen sich zu Schlitzen verengten. Unsicher was ich ihr angetan hatte, schaute ich mich in dem Café um. Als wäre den Gästen genau in diesen Moment ihre Unhöflichkeit aufgefallen, begann das Hintergrundrauschen der Gespräche wieder.
»Kriegst du es heute noch hin? Ich habe nicht Ewigkeit Zeit.«
Ihre Stimme strotzte vor Verachtung und langsam stieg Wut in mir auf. Ich hatte ihr absolut nichts angetan.
»Ich wollte nur den Glückstee. Zum mitnehmen.« feuerte ich jetzt zurück.
»Ha, so jemand wie du braucht wirklich Glück.«
Bevor ich etwas schlagfertiges erwidern konnte, verschwand sie zu den Kaffeemaschinen. Sobald ich meinen Tee hatte würde ich hier verschwinden. Eigentlich wollte ich mich noch etwas in dem Café umschauen, doch die Lust darauf war mir gründlich vergangen.
Das rosahaarige Mädchen kam wieder und knallte mir den Pappbecher mit Tee auf die Theke.
»Hier. Das macht dreizig.«
Blinzelnd schaute ich zu der Karte, wo hinter dem Tee nur eine große drei prangte.
»Da steht drei.«
Die Luft um uns hatte sich merklich abgekühlt. Mittlerweile schaute selbst ihr Kollege uns besorgt an.
»Falls du nicht lesen kannst, daneben steht: Alle Preise sind in Zehnern angeben. Aber so jemand wie du solltest wohl genug Geld besitzen. Ansonsten hast du ja genug Möglichkeiten was zu bekommen.« Zähneknirschend zog ich meine EC-Karte und zahlte damit ohne ein weiteres Wort zu verlieren.
So jemand wie ich. Seit wann gehörten Studenten zur reichen Oberschicht der Gesellschaft? Hatte ich etwas verpasst?
Unsere Verabschiedung endete mit einen letzten giftigen Blick, ehe ich den Laden verließ. Dreizig Euro für einen Tee, das würde mir auch niemand glauben. Was machten die da rein? Blattgold?
Immer noch mit wütend stapfte ich durch die Stadt, um mich auf eine Bank am Wasser zu setzten. Ich hatte das Gefühl das alle Menschen hier mich mit Abscheu beobachteten. Das es wirklich so war, merkte ich, als ich mich auf die Bank setzte neben einer Mutter und ihren kleinen Kind. Sie riss ihren Sohn an sich, warf mir eine Beleidigung entgegen, schüttelte den Kopf und verließ den Platz. Unverständlich. Was hatte ich den Menschen hier angetan? Ich schaute um mich herum und tatsächlich waren alles Menschen von den Bänken aufgestanden und hatten sich in einem Radius von 3 Metern umgesetzt. Meine Laune sank noch tiefer.
Glücktee - fast musste ich über meine Entscheidung grinsen. Das heute war wirklich kein Glückstag. Wenigstens waren das Ufer und der Fluss gleich geblieben. Meine Kopfschmerzen hatten nachgelassen und ich checkte wieder mein Handy. Nichts. Mitten in der Innenstadt absolut totes Netz.
Ich schlürfte an dem noch viel zu heißen Tee und überlegte wie ich zurück fahren könnte. Meine Vorlesung zu schaffen konnte ich sowieso knicken. Was auch immer hier los was, entweder wurde ich langsam verrückt oder hier war wirklich etwas aus dem Ruder gelaufen. Ich wollte eigentlich keins von beiden gerne herausfinden.
Der Tee schmeckte nach nichts. Sein Aroma war wohl am ehesten an Kamilletee angelehnt, doch ich war maßlos enttäuscht.
Irritiert bemerkte ich, wie sich ein Junge neben mich setzte. Das erste was mir auffiel waren seine zausigen, staubbraunen Haare, die in alle Richtungen abstanden, als wäre er gerade aufgestanden. Gerade wappnete ich mich, das er mich auch anpöbeln würde, bis er mir breit grinsend in die Augen schaute. Sommersprossen sprenkelten sein Gesicht und verliehen ihn ein jungenhaftes Aussehen. Vor Kälte waren seine Wangen gerötet und kleinen Grübchen gruben sich in seine Wangen, während er mit meinen Becher liebäugelte.
»Kann ich ein Schluck von deinem Tee haben? Ich hab echt Durst.«
Fast widerwillig reichte ich ihn den Tee, schließlich hatte er dreizig Euro gekostet, aber er war der einzige Mensch der bisher freundlich zu mir war.
»Danke, mal schauen ob er hilft.«
Er zwinkerte mir neckisch zu. Bevor ich etwas fragen konnte, drückte er mir den Becher wieder in die Hand und plapperte los.
»Ich finde es echt mutig, was du machst. Denke nicht das ich den Mut dazu hätte. Immerhin ist es ja überall bekannt, das ihr gehasst werdet. Aber keine Sorge bei mir ist es auch so.« Wieder lächelte er und wandte sich mir zu. Wir? In meinen Kopf drehte es sich und ich versuchte zu verstehen, von was er sprach.
»Wie meinst du-« schon wieder unterbrach er mich, als er in seinen Jackentaschen anfing zu kramen. »Oh falls du noch Geld haben willst für den Schluck.«
»Ist schon okay.« murmelte ich nur. Ein Blick auf ihn sagte mir, das er tatsächlich etwas nervös war und angefangen hatte mit dem Bein auf und ab zu wackeln.
»Da bin ich aber froh. Ich hab sowieso nicht viel dabei. Schlechter Monat.«
»Kenne ich.« Ein kleines Lächeln bildete sich auf meinem Gesicht und ich nahm noch einen Schluck von dem Tee.
»Ehrlich tut mir leid, das dich einfach so angelabbert habe und dir Tee geklaut habe.« Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf und ich zuckte nur mit den Schultern. Ich wurde heute schon angespuckt, angepöbelt und beleidigt. Da war es mir lieber wenn jemand einfach mit mir redete.
»Weißt du, eigentlich hat mich deine Aura-Farbe nur angelockt. Sie ist etwas echt besonderes.«
»Meine was?« Ich schaute ihn an, doch er war scheinbar gerade damit beschäftigt nicht weiter rot anzulaufen. Scheinbar war das eine Art Kompliment gewesen und meine Erwiderung war nicht ganz so passend. Es herrschte kurzes Schweigen, bis er sich an die Stirn fasste.
»Wir haben uns noch gar nicht vorgestellt!«
Er reichte mir die Hand und zögernd griff ich zu.
»Ich bin Joshua, aber nenn mich einfach Josh.«
»Amy, einfach nur Amy.«
Immer mehr sackte in mir die Gewissheit, das ich irgendwo war. Nur nicht in meiner Welt.
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