Kap o3
Der Anblick war grausam. Vor mir lag ein riesiger Scherbenhaufen, in dem Munin sich wälzte. Sein rechter Flügel hing ab der Hälfte herunter und es klang als würde der Vogel vor Schmerz schreien. Hilfslos versuchte ich ihn aus den Scherben zu bergen, doch er flatterte panisch umher.
»Munin, du musst dich beruhigen.«
Vorsichtig versuchte ich noch einmal ihn hochzunehmen und dieses Mal ließ er mich gewähren. Auf dem Boden war frisches Blut, scheinbar von dem Raben und mein Blick ging zu dem Fußballgroßen Loch in meinem Fenster. Wie konnte ein Vogel ein solches Loch verursachen? Munin wandte sich in meinen Armen und ich strich vorsichtig über seinen Kopf. »Alles wird gut. Wir kriegen das schon wieder hin.« Mein Versprechen an ihn war ganz schön hoch gegriffen, ich wusste nicht wie schlimm es um seinen Flügel stand und ob er jemals wieder fliegen konnte. Der Rabe schien meinen Worten zu glauben und kuschelte sich jetzt krächzend an meinen Arm. Durch die Bruchstelle im Fenster pfiff der Wind hinein und vermischte die winzigen Blutstropfen auf dem Boden mit Regen. Munin blickte immer wieder zu dem Fenster, während ich spürte, wie sein kleines Herz vor Aufregung gegen meinen Arm puckerte. Wie auch immer es geschafft hatte hier reinzukommen, scheinbar war er vor etwas geflüchtet. Zumindest hatte er fürchterliche Angst.
»Ich schaff dich erst mal hier raus, Kleiner.«
Ich schnappte mir ein Handtuch aus meinen Bad und legte Munin behelfsmäßig auf den Küchentisch darauf. Danach machte ich mich auf die Suche nach einen Schuhkarton, damit er nicht durch die Wohnung tapste. In den hintersten Teil meiner Garderobe fand ich schließlich noch eine Rotlichtlampe, die ihn zumindest wärmen würde. Bewaffnet mit den Sachen und einigen Verbänden fand ich Munin auf dem Boden meiner Küche.
»Was machst du Idiot da?« Um ihn herum lag die Werbung der letzten Tage und er hatte schon wieder begonnen die Fahrkarten zu zerfetzen. »Wir können später spielen. Erst mal musst du wieder gesund werden.«
Ich versuchte ihn in den Karton zu befördern, doch er dachte gar nicht daran sich stören zu lassen. Wie besessen von den Karten hüpfte er mit ihnen durch die Küche und zerriss sie in kleinste Teile. Nach einer fast fünfminütigen Jagd hatte ich ihn gefasst und in den Schuhkarton gesteckt. Nach einigen Krächzen und Flügelschlagen gab Munin es auf aus der Kiste fliehen zu wollen. Danach zog ich mit ihm in die Stube um, wo ich vorsichtig sein Flügel inspizierte. Leider waren meine biologischen Kenntnisse mehr als nur mangelhaft. Das einzige was ich bemerkte war, dass er nicht mehr blutete und seine Flügelknochen nicht in dem besten Winkel standen. Kurzerhand packte ich ihn unter die Rotlichtlampe und holte ihm aus dem Kühlschrank ein Stück Banane. Freudig fraß Munin das komplette Stück auf und machte es sich schließlich in der Box bequem.
»Was ist passiert?« murmelte ich nur. Tatsächlich krächzte Munin etwas vor sich hin, doch das brachte mir herzlich wenig. »Du bleibst erst mal hier und ich schau mir an was für einen Schaden du gemacht hast.«
Wenigstens jetzt machte er die Anstalten mir zu gehorchen.
Ich flitzte in mein Schlafzimmer und kramte einen riesigen Müllbeutel und mein Universalklebeband heraus, um das Loch erst mal zu stopfen. Ich legte den Kopf schräg und betrachtete mein Kunstwerk auf der Scheibe. Genug Klebeband hatte ich auf jeden Fall verwendet. Seinen Zweck erfüllte es auch, zumindest kam kein Regen oder Wind mehr rein. Über die Kosten bei der Hausverwaltung wollte ich mir jetzt noch nicht den Kopf zerbrechen. Das würde kein guter Monat werden.
Mir war es immer noch ein Rätsel wie ein Rabe solch eine Bruchstelle verursachen konnte. Die Ränder des Loches waren relativ glatt gewesen und es war zu groß für einem dummen Raben der dagegen geflogen ist. Zudem bezweifelte ich das Munin die Kraft aufbringen konnte ein Fensterglas zu zerbrechen. Ich schüttelte nur den Kopf. Selbst ein Stein war unwahrscheinlich. Ich wohnte in der dritten Etage. Schon wieder ein Rätsel ohne Lösung.
Frustriert schloss ich mein Schlafzimmer und ging nach Munin schauen. Ein leichtes Lächeln legte sich auf meine Lippen, als ich sah, das ihm schon die Augen zugefallen waren. Friedlich schlief er in der Box. Scheinbar mochte er die Wärme der Lampe wirklich. Ich schmiss mich neben ihm auf die Couch und suchte einen Tierarzt der sich mit Raben auskannte. Keine so leichte Aufgabe. Auf einer Seite für Vogelkundige Ärzte fand ich schließlich eine Frau Dr. Henrietta Bernstein, die scheinbar auch Notfälle ohne Termin behandelte. Ich notierte mir die Adresse für morgen und beschloss ein Taxi zu nehmen. Falls dieser Miles immer noch hinter mir her war, würde er zumindest so einige Schwierigkeiten bekommen mich zu verfolgen. Außerdem lag die Praxis recht außerhalb der Stadt, auf der anderen Seite wo ich wohnte. Zudem war ein Auto besser um Munin zu transportieren. Gähnend stellte ich mir meinen Wecker, der mich freundlicherweise daran erinnerte, dass ich noch gute 5 Stunden bis zum Aufstehen hatte. Knurrend mummelte ich mich neben Munin in eine dünne Decke ein und wartete das der Schlaf über mich kam.
— ♛ —
Der nächste Morgen war eine Katastrophe. Meine Augenringe im Spiegel zeigten mir den Stress der letzten Tage. Ich hatte fast verschlafen und Munin machte den ganzen Morgen einen riesigen Aufstand. Mein Chef meines zweiten Nebenjobs gab mir eine offizielle Verwarnung das er es nicht duldete, wenn ich mich so kurzfristig krank meldete. Neben Bettys Dinners, was mehr oder weniger eine Schwarzarbeit war, räumte ich bei einer Supermarktkette noch Regale ein. Das Dinner konnte mich immer nur schubweise gebrauchen, weswegen ich den anderen Nebenjob noch hatte. Zudem gab mir Betty unter der Hand meinen Lohn, weswegen es nicht wirklich legal war. Ich war auf den zweiten Job angewiesen.
Mein Frühstück bestand aus einem Schluck Kaffee und zwei Bananen die ich mir mit Munin teilte. Irgendwie schafften wir es schließlich mit dem Taxi zu der Tierarztpraxis zu kommen. Der Preis für die Fahrt trieb mir fast Tränen in die Augen. Das einzig positive bisher war das ich noch nichts von ihm gesehen hatte.
Gelangweilt blätterte ich durch ein Gossipmagazin mit viel zu teuren Kleidern für mich. Munin hatte ich an der Anmeldung schon abgegeben. Sie wollten, soweit ich wusste, den Flügel röntgen und mich dann aufrufen, sobald ein Ergebnis feststand. In der Zeit checkte ich schockiert mein Kontostand und überlegte wann ich die Anzeige bei der Polizei machen sollte. Der Anruf bei meinen Vermieter stand mir natürlich auch noch bevor.
»Frau Silber, kommen sie bitte in den Behandlungsraum 1?«
Ich betrat einen schneeweißen Raum, in dem Bilder von allem möglichen Wildtieren aus Deutschland hangen. Kurz musterte ich die Tierärztin vor mir. Sie war noch jung, wahrscheinlich arbeitete sie noch nicht sehr lange in ihrem Beruf. Ihre Haar hatte einen rötlichen Schimmer, während sie mir mit einem perfektem weißen Lächeln die Hand reicht. »Ich bin Frau Bernstein. In meiner Arbeit habe ich mich vor allem auch auf Wildtiere spezialisiert, weswegen ihr kleiner Freund hier die beste Behandlung genießt, die er braucht.« Sie zwinkerte mir zu und ich erwiderte ihren harten Handdruck.
»Nachdem wir jetzt den Flügel geröntgt haben, können wir sie beruhigen. Er ist nur geprellt. Die Verletzung wird sehr zügig wieder verheilen.«
Ich hatte nicht bemerkt, das ich die Luft angehalten hatte und spürte erst jetzt wie eine Last von meinen Schultern fiel. Munin lag im Hintergrund ruhig auf dem Behandlungstisch. Wahrscheinlich hatten sie ihm eine Beruhigungsspritze oder ähnliches zum röntgen gegeben.
»Also kann ich ihn wieder mitnehmen?« Ein leicht flehender Unterton schwang in meiner Stimme mit und meine Hoffnung wurde zerbrochen, als sie mit dem Kopf schüttelte.
»Wir würden ihn gerne für heute Nacht noch hier behalten zur Beobachtung. Morgen können sie ihn abholen und wir geben ihnen dann weitere Anweisungen mit auf dem Weg. Der Rabe hat sich kräftig gegen das röntgen gewehrt. Wir denken das er beim Aufwachen sich wieder verletzen könnte und wollen ihm dem Risiko nicht aussetzen.«
Ich nickte nur betäubt, bei dem Gedanken daran wie ich es zeitlich morgen schaffen sollte wieder hier her zu kommen.
»Machen sie einfach für morgen an der Anmeldung einen Termin. Die Gesamtkosten teilen wir ihnen dann auch mit. Den Anmeldezettel für eine Kundenkartei haben sie ja schon ausgefüllt.«
»Ich danke ihnen. Können sie mich informieren falls es irgendwelche Komplikationen gibt?«
Die Ärztin lächelte mich nur mitfühlend an.
»Er ist hier in den besten Händen, aber natürlich rufen wir sie an, falls etwas sein sollte.«
Mit einen letzten Blick auf Munin werfend ging ich zur Anmeldung und kramte mein Handy aus der Hosentasche. Dabei fiel die Fahrkarte aus meiner Hosentasche auf den Boden. Seufzend hob ich sie auf und legte sie kurz neben mein Handy auf den Tresen ab.
»Können sie morgen 15:00 Uhr rum?« Die Dame blickte mich über ihre überdimensionale, knallbunten Brille an, während sie auf den Terminplan mit ihren Kuli tippte.
»Dürfte sich einrichten lassen.«
Kurz tippte ich den Termin in mein Handy ab und war schon fast dabei zu gehen, als sie mich aufhielt.
»Frau Silber, sie sind heute morgen mit dem Taxi gekommen?«
»Ähm ja? Wieso?«
Die Anmeldedame zuckte nur mit den Schultern und zeigte auf meinen Fahrschein.
»Die Linie U7 fährt 5 Gehminuten von hier entfernt direkt in die Innenstadt. Ich dachte vielleicht, das es günstiger für sie wäre.«
Verblüfft schaute ich auf den Fahrschein. Scheinbar gab es wirklich eine neue U-Bahn Linie von der ich nichts mitbekommen hatte und so wie es aussah hatte ich, bestimmt durch einen Systemfehler, massig an Freikarten geschickt bekommen.
»Danke. Ich hätte nicht gewusst wie ich ansonsten zu meinen Seminar noch schaffe.«
Ich kratzte mir am Hinterkopf bei dem Gedanken daran, was ich alles in diesen dummen Fahrschein hinein interpretiert hatte. Sie lächelte mich nur an.
»Kein Problem. Gehen sie draußen einfach die Straße links nach oben, bis sie ein Blumengeschäft sehen. Dort biegen sie rechts in den Weg ab und dort sehen sie schon die Station.«
»Vielem Dank noch mal.«
Sie nickte mir nur zu und wandte sich wieder dem Terminkalender zu.
Grinsend verließ ich die Praxis. Scheinbar würde der Tag nicht so schlecht werden, wie er angefangen hatte.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro