Kap o1
Ein lautes Krächzen holte mich in die Wirklichkeit zurück. Benommen blinzelte ich und versuchte für einen Augenblick auf meine Umwelt klarzukommen. Verblüfft merkte ich, dass ich gerade eben ein kurzes Nickerchen neben meinen Mittagessen gehalten hatte und scheinbar nicht mehr viel gefehlt hätte, dass ich mit den Kopf in die wässrige Suppe vor mir einrastete. Munin - der Rabe, der mir seit zwei Jahren nicht mehr von der Seite weichen wollte, pickte in der Zeit eine Nudel aus meiner Suppe und sprang mit dieser auf meine Schulter. Kein Problem, ich hatte den Pullover ja erst in der Wäsche.
Ich seufzte und warf dann panisch einen kurzen Blick auf meine Küchenuhr. Es war erst 14:00. Erleichtert atmete ich aus, es waren noch fast 30 Minuten bis meine Vorlesung begann. » Danke du kleiner Iditot. « murmelte ich nur zu Munin, der dabei war die Bandnudel herunterzuschlingen. Ich bekam keine Antwort, aber das lag wahrscheinlich daran, dass das Vieh damit beschäftigt war nicht zu ersticken.
In den Jahren hatte ich drei Dinge über Munin gelernt. Erstens: Aus irgendeinen unergründlichen Grund schien er mich ziemlich gut zu verstehen, sowohl sprachlich als auch gefühlsmäßig. Außer er bockte mal wieder rum. Zweitens: Er würde nicht verschwinden. Ich hatte bereits alles ausprobiert, doch er war jedes Mal zu mir zurück gekommen. Selbst jetzt, nach dem ich in meine eigene erste Wohnung gezogen war, folgte er mir weiterhin. Drittens: Er war immerhungrig und brauchte dauernd eine Beschäftigung. Ehrlich, er aß wirklich alles und meistens klaute er es von meinen Teller.
Munin krächzte jetzt und flatterte wieder zu meiner Schüssel. Ich wischte mir müde über die Augen und gähnte kurz. Sollte der Rabe doch meine kompletten Nudeln essen, mein Hunger hatte sich eh gerade verabschiedet. Vielleicht sollte ich lieber einen Kaffee gegen meine Müdigkeit trinken. Meine Spätschichten in Bettys Dinner machten mir ganz schön zu schaffen. Ich hatte gestern bis 02:00 gearbeitet, nur um heute morgen vor sechs aufzustehen und zu meinen zweiten Nebenjob in einem Hotel, als Servicekraft fürs Frühstück, zu hetzen.
Ich hörte wie mein Handy neben mir vibrierte und Munin gereizt anfing zu flattern. Seit neusten hatte er eine Abneigung gegen das Smartphone. » Munin wie oft noch, das Ding tut dir nichts. « Genervt merkte ich das es sich wieder nur um Werbung des örtlichen Verkehrsunternehmens handelte. Wenn das weiter so ging, würde ich demnächst eine Beschwerde schreiben. Auf meinen Schreibtisch türmten sich Briefe mit Freikarten für irgendeine U-Bahn Linie die ich sowieso nie benutzte. Mittlerweile bekam sich sie auch regelmäßig auf mein Handy geschickt, sowohl als App Benachrichtigung, als auch als E-Mail. Mir brachten diese ganzen Freikarten gar nichts, ich hatte bereits mein Semesterticket. Aber eins musste ich dem Verkehrsunternehmen lassen, hartnäckig waren sie. Der einzige der Spaß mit dem Zeug hatte war Munin, der die Briefe mit erstaunlicher Geduld in winzige, unlesbare Fetzen zerlegte. Komischer Vogel.
Ich stand auf, schütte mir kurz einen kalten Kaffee aus der Maschine von heute morgen herunter und beschloss mich schon mal fertig zu machen. Nicht das ich Lust darauf gehabt hätte in die Uni zu gehen, aber mir blieb nichts anderes übrig. Allein bei dem Wort BWL, merkte ich wie mein Magen sich umdrehte und das Gefühl zurück kehrte sich jetzt einfach ins Bett zu verkriechen. So Mam dank euch mache ich jetzt etwas richtiges. Der Rabe flog zu mir und wühlte mit seinen Schnabel kurz durch meine Haare, was mir ein kleines Schmunzeln auf die Lippen trieb.
» Munin, ich muss los. « Kurz schaute ich ob dass Stubenfenster offen ist, in letzter Zeit verbrachte er tatsächlich viel Zeit draußen. Meine Hoffnung war das er eine Rabenfreundin oder so gefunden hatte und jetzt sich mal wie ein richtiger Vogel verhalten würde. Munin rieb seinen Kopf zu Verabschiedung nur an meinen Hals und flatterte schließlich auf seinen Stammplatz. Einen riesigen Ast den ich in meiner Küchentür montiert hatte. Mein letzter Blick fiel auf ihn, ehe ich die Wohnungstür schloss und hinaus in die eisige Winterkälte ging.
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Die Vorlesung zog sich unnötig in die Länge, so dass ich Zeit hatte mir meine Arbeitspläne für die nächsten Tage einzuprägen, kurz meine Nachrichten zu beantworten und dann gelangweilt die anderen Studenten musterte. Stirnrunzelnd bemerkte ich einen schwarzhaarigen Kerl, zwei Reihen vor mir, der sich in dem selben Moment zu mir umdrehte, als ich ihn ansah. Bestürzt wandte ich den Blick ab und versuchte mich auf die Vorlesung zu konzentrieren. Ich merkte wie mir ein Schauer über den Rücken lief und meine Armhärchen sich aufstellten.
Es war er – und nein mit er meinte ich jetzt nicht meinen heimlicher Schwarm oder Traumtyp. Seit Tagen verfolgte mich der Typ.
Am Anfang habe ich es für Zufall gehalten, bis eine Freundin mich drauf aufmerksam gemacht hatte, dass er scheinbar ein Auge auf mich geworfen hat. Seit dem achtete ich genauer auf ihn und tatsächlich war ich mir mittlerweile sicher das er mich verfolgte. Gestern, zu meiner Nachtschicht in Bettys Dinner, war er auch wieder da gewesen und saß als letzter Gast in dem Dinner nur mit seinem Bier, bis meine Chefin ihn rauswarf. Wir hatten noch nie miteinander geredet und erschien auch kein Interesse daran zu haben. Vor zwei Nächten, als Munin einen nächtlichen Spaziergang geflogen ist, entdeckte ich wie der Typ suchend durch meine Straße schlich und sich die Häuser anschaute. Scheinbar wusste er noch nicht wo ich wohnte, was mir ein leichtes Gefühl von Sicherheit gab. Trotzdem konnte ich nicht leugnen das ich Angst hatte. Ich änderte seit Tagen meine Route nach Hause, versuchte nirgendwo alleine zu laufen und ihn so gut wie es ging zu ignorieren.
Meine Eltern hatte ich noch nichts davon erzählt, die würde wahrscheinlich verlangen, dass ich sofort meine Sachen packen soll und aus der Stadt verschwinden soll. Doch das kam nicht in Frage. Ich hatte mir hier nicht viel aufgebaut, doch das was ich hatte, hatte ich mir durch meinen eigenen Willen und Zeit erarbeitet. Es war meins.
Tatsächlich hatte ich mit dem Gedanken gespielt die Polizei einzuschalten. Doch ich wusste nicht wirklich wie ich meine Situation schildern sollte. Ich schluckte und wünschte mich in dem Moment einfach nur in meine kleine Wohnung zurück, wo Munin mich beruhigen konnte.
Panisch schaute ich noch mal zu dem Kerl, der scheinbar jetzt mit seinem Sitznachbar tuschelte. Die beide drehten sich um und er zeigt kurz auf mich, während der Kerl neben ihn mit dem Kopf schüttelte. Mein Puls beschleunigte sich auf hundertachtzig und zitternd überlegte ich was ich machen sollte. Was auch immer er von mir wollte, es konnte nicht normal sein. Sonst hätte er mich wie jeder andere Typ einfach angesprochen. Ich musste hier weg.
Meine Gedanken waren gelähmt vor Panik und reflexartig packte ich meine Sachen ein und drängte mich durch die Reihe zum Ausgang. In meinen Rücken spürte ich förmlich seinen Blick, während meine Kommilitonen mich genervt musterten. Vor dem Hörsaal lehnte ich mich kurz an die Wand und merkte wie mein Herz gegen meine Brust hämmerte vor Angst. Ich versuchte mich zu beruhigen, zählte bis drei und atmete tief ein und aus, doch es brachte nichts. Neben mir huschte ein Professor aus einem meiner Seminare vorbei und schaute mich besorgt an. » Alles okay bei Ihnen, Frau Silber. « Betäubt nicke ich nur. » Alles okay, mir ist nur etwas warm. « Was für eine schlechte Lüge. Er schien es auch zu bemerken, runzelte nur mit der Stirn, ging dann aber weiter.
Erschöpft machte ich, das ich von der Universität weg kam. Die letzten Meter zu der U-Bahn Station an der Uni rannte ich. Am Himmel ging bereits die hier so seltene Wintersonne unter und ich beschleunigte meine Schritte. Ich wollte nicht im Dunkeln alleine sein. Die Blicke der Passanten waren mir dabei sowas von egal. Morgen würde ich definitiv zur Polizei gehen.
In der U-Bahn Station merkte ich, dass heute ungewöhnlich wenig Menschen unterwegs waren und das obwohl es eigentlich schon fast Rush-hour war. Wieder merkte ich wie es meinen Brustkorb zusammen zog. Ganz ruhig, das ist normal, redete ich mir halbherzig ein. Ich versuchte meinen Atem zu beruhigen und suchte in meinen türkisblauen Rucksack nach meinen Kopfhörern. Als ich sie endlich gefunden hatte, merkte ich wie durchgeschwitzt meine Sachen durch die Aktion gerade eben waren. Ob es Angstschweiß war oder von dem kleinen Sprint kam, konnte ich nicht beurteilen.
Die schrille, laute Musik ließ mich die Realität vergessen und kurz abtauchen. Tatsächlich beruhigte mich meine Lieblingsmetalband Korn immer. Ich schloss für einen Augenblick die Augen und wippte leicht im Tackt der leisen Musik mit. Neben mir hielt eine weiter U-Bahn, die mich allerdings nicht nach Hause bringen würde. Bald würde meine Bahn kommen, dann wäre in Sicherheit.
» Amy! « Der dumpfe Ton drang durch meine Kopfhörer und holten mich ins Hier und Jetzt zurück. Erschrocken suchte ich wer meinen Namen geschrien hatte und starrte ihn an. Er rannte mir entgegen. Eiskalt schlich sich meine Angst wieder an und ließ meinen kompletten Körper zittern. » Amy! « schrie er wieder und ich fetzte die Kopfhörer aus meinen Ohren. Woher kannte er meinen Namen? » Lass mich in Ruhe. « brüllte ich nur zurück und stolperte einige Schritte zurück. Wohin sollte ich fliehen? Er war nur noch wenige Meter von mir entfernt und das Gleis war bis auf uns beiden menschenleer. Niemand würde mir helfen. Meine einzige Rettung und Ausweg stand direkt vor mir. Ich hechtete in den sich schließenden Zug. » Fahre nicht mit dem Ticket! Nimm nicht die Linie darauf-« seine letzten Worte wurden verschluckt, als die Tür der Metro sich schloss. Angsterfüllt klammerte ich mich an einen Sitz in der Bahn. Draußen schlug er mit der Faust gegen die Zugtür, hinter ihm kamen bereits einige Security-Männer angelaufen. Ich spürte wie sich meine Augen mit Tränen füllten, als ich zu einem freien Platz taumelte und versuchte die Situation zu verarbeiten. Außer mir war nur ein älteres Ehepaar in dem Abteil, welches sich nicht für mich zu interessieren schien. Die U-Bahn startete und in Sekunden wurde sein Antlitz von einem schwarzen Tunnel verschluckt. Das einzige was ich noch sah, das er sich eine Prügelei mit der Security lieferte. Ich spürte wie mir mit einen Mal speiübel wurde und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Aus meinen Mund entrang mir ein kleines Schluchzen. Ich versuchte meine Fassung wieder zu bekommen, doch meine Tränen flossen weiter. Was wollte er nur von mir?
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