Kapitel 7
Am nächsten Morgen wachte ich erst auf, als jemand energisch gegen meine Tür hämmerte. „Schwing deinen Arsch aus dem Bett", knurrte Sarai und stapfte lautstark davon. „Training in zehn Minuten."
Stöhnend rollte ich mich auf die Seite und sperrte die Sonnenstrahlen aus, die durch die Vorhänge hereinschienen. Es knisterte verräterisch und die Kekspackung fiel von der Matratze. Nach dem späten Telefonat mit Josh hatte ich erst recht nicht mehr einschlafen können und stattdessen mit den Keksen im Schoß den Schnee beobachtet, während eine sanfte Phantomhand über meinen Nacken gestreichelt hatte.
Gähnend streckte ich mich aus und stieß mit den Füßen an die Wand. Ich fühlte mich erstaunlich entspannt, was vermutlich daran lag, dass ich meine Gabe nicht länger unterdrücken mussten, um Josh auszusperren. Ich konnte ihn zwar gerade nicht spüren, aber das Band vibrierte vor ungenutzter Energie. Als wären unsere Schattenseelen aufgeregt. Als wollten sie uns mitteilen, dass sie zufrieden waren, aber immer noch mehr wollten.
Mit einem Seufzen setzte ich mich auf und zog die Vorhänge zur Seite. Der Himmel strahlte in einem satten Blau auf das Tal hinab und die Berge glitzerten unter der gleißenden Sonne. Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, denn das war der erste Tag, an dem sich meine Zuflucht von ihrer freundlichen Seite zeigte.
Ausnahmsweise gut gelaunt holte ich meine Trainingsklamotten aus dem Wäschestapel, der lieblos mitten im Flur abgelegt worden war, damit sich jeder seine Sachen herausnehmen konnte. Gleich darüber hing der Dienstplan für anfallende Hausarbeit, doch bisher hatte mich niemand eingetragen. Vielleicht in der Hoffnung, dass ich nicht lang genug hierbleiben würde.
Umgezogen und gekämmt erklomm ich wenige Minuten später die Treppe ins Esszimmer für ein schnelles Frühstück und stieß in der Küche beinahe mit Oskar zusammen.
„Guten Morgen", grüßte er höflich und balancierte seine Müslischale zum Tisch.
„Morgen", erwiderte ich und inspizierte den Kühlschrank, der leider nicht mehr viel hergab.
„Wir haben noch Obst", schlug Oskar vor und schaute von seiner Schale auf. Sein Bart war struppiger als sonst und der blonde Dutt saß schief auf seinem Hinterkopf. „Die Milch hab ich gerade leer gemacht, tut mir leid."
„Ich könnte einkaufen gehen", schlug ich vor und meine Fußzehen kribbelten erwartungsvoll. Bei diesem Wetter in den Schnee hinauszugehen, überhaupt das Haus zu verlassen... ich biss mir auf die Unterlippe, um meine Vorfreude zu verbergen.
„Das geht leider nicht, aber danke für das Angebot." Oskar musterte bedauernd mein wippendes Bein, das mitten in der Bewegung innehielt. „Zu gefährlich. Man würde dich sofort erkennen."
„Okay." Ich ließ die Schultern sinken und drehte mich nach der Obstschale um, damit er meine Enttäuschung nicht sah. Mit der am wenigsten braunen Banane in der Hand lehnte ich mich an die Anrichte. „Aber wieso darf Henrik einkaufen gehen?", fragte ich dann mit vollem Mund, als ich mir den Plan ins Gedächtnis rief.
„Was meinst du damit?", fragte Oskar und senkte den Löffel. Ein Spritzer Milch hatte sich in seinem Bart verfangen und ließ seinen misstrauischen Blick gleich weniger furchterregend wirken.
Ich schluckte meinen Bissen Banane hinunter und hielt mich an der Arbeitsplatte fest. „Hast du heute schon mit Emil und Ricardo gesprochen?", fragte ich leise, bevor ich ihm eine Geschichte auftischte, die er mir sowieso nicht glauben wollte.
„Hat er", antwortete Emil und trat hinter dem Vorhang zum Wohnzimmer hervor. Die Badezimmertür fiel hinter ihm ins Schloss und er fuhr sich mit einer Hand durch die kurzen feuchten Haare. Wie immer trug er nur ein T-Shirt und mir wurde allein beim Anblick seiner nackten Arme kalt.
„Okay." Unsicher leckte ich mir die Lippen und fing einen aufmunternden Blick von Oskar auf. „Meine Schwester... sie hat mir vor ein paar Wochen einige Akten von Nestflüchtern gezeigt, um mir bei der Suche nach meinem dunklen Gefährten zu helfen." Das war nur die halbe Wahrheit, aber wenigstens das, was ich auch geglaubt hatte, als ich die Fotos aus den Steckbriefen abfotografiert hatte. Tatsächlich hatte sie währenddessen versucht, über mich an die Nestflüchter heranzukommen. „Leonard war darunter und andere Nestflüchter, die auf meine vage Beschreibung gepasst haben. Von Josh hatten sie kein Foto, aber dafür eins von Henrik."
Es klirrte leise, als Oskars Löffel an die Schale stieß. „Der Orden hat ein Foto von ihm?"
„Soll das ein Witz sein?" Emil stellte sich zwischen Oskar und mich in den Durchgang und sah mich durchdringend an. „Das ist jetzt wirklich ein schlechter Zeitpunkt, unser Vertrauen zu strapazieren."
„Euer Vertrauen?" Ich rümpfte die Nase und verschränkte die Arme. „Das fühlt sich nicht nach Vertrauen an."
„Lass gut sein, Emil", ging Oskar dazwischen und sein Stuhl schabte misstönend über den Boden. „Du hast uns selbst gesagt, dass nicht sie es war, die uns angelogen hat. Tut mir leid, dass wir dir nicht geglaubt haben." Oskar raufte sich die Haare und sein Dutt rutschte noch ein Stück tiefer. „Es ist nur..." Er suchte nach den richtigen Worten und ignorierte Emil, der genervt die Augen verdrehte.
„Wir leben auf der Flucht", sagte Emil kalt und starrte mich mit zusammengekniffenen Augen an. „Was hast du erwartet?"
„Nach allem, was ich von euren Aktionen mitbekommen habe? Nicht viel", entgegnete ich und biss mir auf die Lippe. Wieso konnte ich nicht meine Klappe halten? Jetzt, wo sich doch gerade alles zum Besseren wenden sollte.
Emil hob verblüfft eine Augenbraue und musterte mich stumm. „Interessant", murmelte er und legte den Kopf schief. „Ich freue mich schon aufs Training." Erst jetzt fiel mir auf, dass er eine Trainingshose trug, und ich schluckte nervös. Gegen Emil hatte ich bisher noch keinen Übungskampf geführt.
„Zurück zu Henrik", lenkte Oskar unsere Aufmerksamkeit zum eigentlichen Thema und ich straffte die Schultern, um mein Unbehagen abzuschütteln.
„Was habt ihr mit meinem Handy gemacht?", fragte ich und trauerte meiner Verbindung zur Außenwelt nach.
„Konfisziert", antwortete Emil, aber ich ignorierte ihn einfach. Es fiel mir schwer, ihn einzuschätzen, und das ärgerte mich maßlos, denn normalerweise konnte ich Lügen und Wahrheit sehr gut unterscheiden.
„Wie auch immer. Da sind Fotos drauf, wenn ihr einen Beweis wollt."
„In Ordnung." Oskar schaufelte sich in Windeseile seine letzten Löffel Müsli in den Mund und stand auf, während ich meine Bananenschale entsorgte. „Tamie soll sich um das Handy kümmern, ich trommele Henrik und die anderen zusammen. In der Zwischenzeit", er deutete mit angespanntem Gesichtsausdruck auf Emil und mich, „geht ihr nach unten und startet mit dem neuen Training."
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