Prolog
Ein gellender Schrei zerriss die Stille. Hirten wie Kühe blickten auf und suchten die Ursache. Ein weiterer Schrei ertönte und er kam eindeutig aus der Burg. Beim dritten Schrei öffnete sich die Tür einer kleinen Holzhütte auf der Weide, gegenüber der Burg. Heraus trat ein Mann mit weißem Haar, weißem Bart und weißem Mantel. Der Mann war die Verkörperung von weiß und sein Name war Merlin.
Merlin hastete über das Feld, wich Kühen und ihren Hinterlassenschaften aus und eilte dann so schnell es ging in den Südturm der Burg. Am Ende einer ewig langen Wendeltreppe wartete eine Tür. Er klopfte an, trat hindurch und befand sich im Turmzimmer der Königin Igraine von Britannien. Die Königin war von drei ihrer Mägde umgeben, die alles in ihrer Macht stehende taten, damit es der Königin besser ging, doch keine von ihnen war eine Amme und da es in diesem Dorf nur eine Amme gab, die zurzeit erkrankt war, sprang Merlin ein. Merlin konnte alles.
Er war Schmied und hatte seine größte Schöpfung – »Excalibur« – in einen von ihm als Steinmetz gehauenen Steinblock gesteckt und diesen Steinblock schlussendlich als Magier so verzaubert, dass niemand außer dem König von Britannien das Schwert aus dem Stein ziehen konnte. Der König hatte es herausgezogen und wieder hineingesteckt mit den Worten, er könne mit seinem eigenen Schwert besser kämpfen. Nun stand dieser Steinblock auf einem Hügel in der Nähe der Themse, nicht weit von London entfernt und wartete auf den nächsten König, der Excalibur aus dem Stein ziehen konnte. Dieser König sollte der Sohn des regierenden Königs Uther sein, der heute geboren werden sollte und der den Namen Artur tragen würde.
Die Geburt war schwierig und wie sich herausstellte war Igraine nicht bloß mit einem Kind schwanger, denn sie gebar Zwillinge. Ein Mädchen, das sie Morgan nannten und einen Sohn, den sie Artur nannten. Es verlängerte wohl Merlins Leben, dass der König nicht zugegen war, als die Kinder geboren wurden, denn Artur, der Sohn Uthers und Igraines war tot, bevor er zum ersten Mal die Augen öffnete. Das Wehklagen der Königin war weithin zu hören, selbst als die Mägde die Fenster mit Brettern verstellten und Merlin war zum ersten Mal in seinem Dasein als Magier ratlos. Er stand vor einer Zwickmühle: Uther würde ihn nahezu sicher töten, wenn er ihm seinen toten Sohn präsentierte. Wenn er aber floh, dann könnte er Uther nicht mehr beraten. Außerdem müsste dann wahrscheinlich eine der Ammen dran glauben und auch das wollte Merlin nicht.
Igraine nahm ihm schließlich die Entscheidung ab, indem sie ihn bat: »Meister Merlin, bitte, nehmt Morgan und flieht mit ihr. Wenn mein Mann erfährt, dass sein Sohn tot ist, dann wird er zorniger denn je, doch wenn er hört, dass sein erstgeborenes Kind eine Tochter ist, dann wird er alle hier töten. Ihr wisst, wie jähzornig Uther ist, mein Meister. Es fällt mir wirklich nicht leicht, aber es ist wohl nötig, dass Ihr meine Tochter an Euch nehmt. Ich werde ihm sagen, dass Ihr vor zwei Tagen aufgebrochen seid, weil euch eine Idee kam, wie ihr die Sachsen vertreiben könnt. Und nun nehmt Morgan und flieht so schnell von hier, wie es geht. Ich möchte wenigstens sie lebendig wissen.«
Merlin tat, wie ihm geheißen und floh mit der königlichen Tochter nach Camelot. Dort lebte er mit ihr die nächsten zwanzig Jahre alleine, zog sie auf, brachte ihr bei, was er ihr beibringen konnte und hatte stets einen guten Rat für sie. An ihrem zwanzigsten Geburtstag jedoch hatte Morgan einen Wunsch, den Merlin ihr nicht so leicht erfüllen konnte: Sie wollte ihre Eltern kennenlernen.
Merlin haderte drei Tage lang mit sich, bevor er mit Morgan aufbrach, um ihre Isolation zu verlassen. Auf der Burg des Königs angekommen, erfuhren die beiden, dass der König vor zwei Tagen gefallen war. Gemeinsam reisten Merlin und Morgan mit Igraine und ihren Kindern zum Feldlager, wobei Igraine ihre Tochter nur daran erkannte, dass sie mit Merlin reiste.
Im Feldlager herrschten bereits Kämpfe, die den nächsten König ermitteln sollten, doch Merlin setzte sich dafür ein, den rechtmäßigen König erneut zu bestimmen, indem man den nahm, der das Schwert aus dem Stein zu ziehen vermochte. Merlin, der wusste, dass niemand außer Arthur das Schwert hätte aus dem Stein ziehen können, gab Uthers ältestem Sohn Cerdik für einen Tag die Kraft, Excalibur zu befreien, damit er zum König gekrönt werden konnte.
Am Abend, als die meisten Barone gen Heimat aufgebrochen waren und die restlichen in einiger Entfernung zum Stein und zu Excalibur die Nacht mit Alkohol an einem großen Feuer verbrachten, stahl sich Morgan davon und probierte selbst, das Schwert aus dem Stein zu ziehen. Das Schleifen des Metalls gegen den Stein jagte Morgan einen Schauer über den Rücken, doch wenige Sekunden später hielt sie das Schwert in die Luft. Ein Gefühl des Triumphes überkam sie, bis ihr plötzlich das Schwert aus der Hand gerissen und grob zurück in den Stein gesteckt wurde. Merlin stand vor ihr, mit einem Gesicht, das sagte: »Wir haben ein Problem!«
Merlin sprach kein Wort mehr mit Morgan, bis sie wieder auf der Burg Camelot waren. Drei Tage nach ihrer Ankunft preschten drei Reiter auf den Hof. Merlin nahm sie in Empfang und führte zwei von ihnen in den großen Saal, während der dritte wieder davonritt. Im großen Saal stellte Merlin Morgan den beiden jungen Frauen vor. Guinevere und Anna waren die ersten von vielen Mädchen und Frauen, die gemeinsam mit Merlin und Morgan auf Camelot lebten. Die Tochter eines Sachsen, die drei Jahre später zu ihnen kam, erzählte ihnen von der Sage der Amazonen. Merlin, der als junger Mann einmal in Griechenland gewesen war, verbesserte sie hier und da, doch die britischen Frauen veränderten die Sage nach ihrem Belieben und machten sich so eine Abwandlung der Amazonen zum Vorbild. Über die Jahre wurden sie zum Schrecken des Westens und herrschten über große Ländereien in Wales und England mit Camelot in deren Zentrum. Dabei waren die Frauen stets unter sich, Morgan war ihre Anführerin und nach ihr ihre erstgeborene Tochter und deren Tochter nach ihr. Die Söhne der Frauen wurden Bauern und Knechte und keiner von ihnen war mehr als ein Sklave. Merlin war der einzige Mann, der in Gegenwart einer Frau ungebeten das Wort ergreifen durfte und als er starb, folgte ihm ein anderer Magier und diesem folgte ein weiterer Magier und sie alle hatten stets nur ein Ziel: Sie warteten auf den richtigen Augenblick, damit die Tochter Morgans die Macht über Britannien ergreifen konnte.
Sie erlebten Kriege, Eroberungen und neue Könige, doch sie warteten geduldig. Sie erlebten Reichtum und Armut, Hunger und Wohlstand im Königreich Britannien und später im Königreich England. Sie erlebten die Extreme, während sie selbst als Verbündete der Waliser eigenständige Grundherren ohne Lehnseid bei der englischen Krone waren. Doch völlig gleich, was in England war, die walisischen Amazonen, wie sie von manchen genannt wurden, hielten sich aus der Politik weitgehend zurück, bis der richtige Moment dann doch endlich kam.
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