
III - Erwartungen und Pflichten
Zwei Tage nach Sophies Ankunft kam eine Reiterin auf dem Burghof an, die verkündete, König Henry sei auf einem Feldzug in Frankreich verstorben. Sein ältester Sohn Richard, gegen den der König ins Feld gezogen war, sollte nach London kommen, um dort gekrönt zu werden. Traditionell gehörte dazu auch immer die Pilgerfahrt zum Stein, in dem Excalibur steckte und da dieser ganz in der Nähe von Camelot stand, gehörte es mit zur Tradition, dass einige Ritterinnen mit ihrem Druiden ebenfalls anwesend waren.
Doch da es bis zur Krönung noch einige Wochen dauern würde, hatte Sophie genug Zeit, sich einzugewöhnen. Dundai brachte Sophie in wenigen Tagen so viel bei, wie er konnte. Er begann bei Geographie und Politik und endete bei der Macht über das Schwert im Stein, den Spiegel im Kerker und diverse Tränke und Zauber, die er beherrschte und die auf einem Haufen Pergamentrollen dokumentiert waren. Sophie war nie die beste Schülerin gewesen, doch seit sie in der Vergangenheit war, fiel ihr das Lernen plötzlich ganz leicht, fast so, als ob das Wissen schon in ihrem Kopf gewesen wäre und nur von Dundai geweckt werden musste.
Währenddessen lernte Sophie Eleonore und ihre engste Vertraute kennen. Mary war ohne Zweifel hübsch, doch neben Eleonore nicht mehr als ein Mauerblümchen. Dafür war sie ungeschlagen darin, Menschen zu durchschauen und eine etwas abgefahrene Kosten-Nutzen-Rechnung mit ihnen durchzuführen. Auch Sophie hatte sie schon beim ersten Aufeinandertreffen komplett durchschaut, zumindest hatte sie ihre große Verwirrung erkannt und auch Sophies Einstellung zu Männern und der Verteilung von Führungspositionen hatte sie irgendwie in ihrem Gesicht gelesen. Für Mary war das wohl Grund genug, Sophie zu vertrauen, denn insoweit waren sich beide einig: Kein König könnte je so gut wie eine Königin sein und darum musste Eleonore Königin von England werden.
Eleonore selbst freute sich über die Freundschaft der beiden, da sie auf keine der beiden verzichten wollte. Seit der Nachricht von König Henrys Tod, hatte sie begonnen, Vorbereitungen zu treffen. Sie machte ihren Zug – möglichst, bevor Richard ihn machen konnte. Doch der hatte, obwohl er in Frankreich gewesen war, scheinbar nur darauf gewartet, dass sein Vater endlich starb, denn auch auf seiner Seite liefen längst die Vorbereitungen.
Am 17. Juli, zehn Tage nach Sophies Ankunft, ritt Eleonore mit Mary, Sophie und Dundai in die Stadt am Fuße der Burg. Sie verließen den Burghof durch ein Tor, ritten über eine Zugbrücke und dann waren sie bereits auf den Straßen der Stadt angekommen. Zweimal hatte Sophie bereits verlassen, doch die Stadt war immer noch unglaublich. Klar, im Vergleich zum London von 2019 war diese Stadt hier schnuckelig, aber durch die engen Gassen zu reiten und zwischen den höchstens zweistöckigen Gebäuden trotzdem kaum den Himmel zu sehen war etwas, das Sophie nicht kannte.
»Wie heißt die Stadt eigentlich?«, wollte sie von Eleonore wissen.
Die grinste. »Queensport.«
»Queensport, soso«, murmelte Sophie und grinste ebenfalls.
»Was dagegen?«, fragte Mary aggressiv, wobei sie sich auf ihrem Fuchs so weit nach vorne gelehnt hatte, dass man glauben konnte, sie wollte gleich lospreschen und Sophie von ihrem Schimmel holen.
»Nein, nein«, antwortete Sophie schnell und tat gedankenverloren. »Ich glaube nur, dass der Hafen der Königin hier im Westen ein starkes Symbol ist. Es steht mehr für die Einheit der Britischen Inseln als für eine Bindung Englands an den Kontinent.«
»Wieso meinst du?«, fragte Eleonore interessiert.
»Weil Irland im Westen liegt. Europa liegt im Osten.«
»Und was liegt hinter Irland?«
»Das Meer.«
»Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass hinter Irland die Welt zu Ende geht. Du bist aus der Zukunft, du musst wissen, was hinter Irland liegt.«
»Hinter Irland liegt das Meer. Man müsste sechs Monate mit dem Schiff reisen, bis man wieder Land sichtete. Und dieses Land ist bereits besiedelt. Die Einwohner dort sind stolze Menschen und verteidigen ihr Land. Ich schlage vor, wir konzentrieren uns erst einmal auf Europa, schließlich besitzt Richard große Ländereien in Frankreich.«
»Das mag stimmen, aber Frankreich interessiert mich eigentlich nicht«, meinte Eleonore nachdenklich. »Mich interessiert mein Volk und das lebt auf der Insel. Jedes Volk auf jeder Insel ist mein Volk und wenn im Westen Menschen auf Inseln leben, dann will ich auch deren Königin sein.«
»Jedes Land auf dieser Erde ist eine Insel, Eleonore, denn jedes Land der Erde ist von Wasser umschlossen. Im Westen, im Osten, im Norden und im Süden jedes Landes gibt es Wasser. Und auch unter und über jedem Land gibt es Wasser. Es ist im Boden und in der Luft. Es ist wie das Volk. Es steht vor dir, um dich zu schützen, es steht hinter dir, um dich zu unterstützen, es steht zu deinen Seiten, um mit dir durch jede noch so dunkle Zeit zu gehen. Manche in deinem Volk werden dich überflügeln, werden mehr können, als du, die sind wie der Regen, der von oben kommt, aber die meisten bleiben unter dir, wenn du eine gute Königin bist, diese bilden dein Grundwasser. Eleonore, sei keine Königin der Inselvölker, sei eine Insel, eine von vielen Inseln, ob nun England, Island, Eurasien oder die Isle of Men. Du musst nur aufpassen, dass nicht zu viel Regen über dir fällt und das Meer nicht von allen Seiten kommt, um dich zu überfluten. Und je höher der Grundwasserspiegel und je feuchter damit der Boden, umso schwerer lässt es sich darauf leben. Wasser ist die Grundlage allen Lebens, wie das Volk für ein Königreich, aber die Kultur wird dort gemacht, wo Menschen herausstechen, wo Land aus dem Meer ragt, dort, wo die Königin ist.«
Auf Sophies Worte folgte langes Schweigen. Dann sprach Dundai zum ersten Mal, seit sie die Burg verlassen hatten: »Höre auf deine Druidin, Eleonore, sie ist wahrhaft weise. Spätestens jetzt weiß ich, dass ich ohne Angst gehen kann.«
Schweigend ritten die vier weiter und gelangten schließlich auf einen großen Platz, auf dem sich tausende Frauen versammelt hatten. Alle skandierten den Namen der Königin und machten den vier Reitern Platz, als sie auf eine kleine Bühne in der Mitte des Platzes zuritten.
Dort angekommen zog Eleonore Sophie neben sich nach vorne auf die Bühne, bevor sie zu sprechen begann.
»Bürgerinnen von Queensport! Der Tag ist gekommen, an dem uns unser geliebter Druide Dundai verlassen wird. Für einhundertundsiebzehn Jahre war er Druide auf Camelot, siebzehn Jahre mehr als jeder andere Druide war er bei uns und heute ist der Tag seiner Amtsübergabe.
Das heutige Datum, meine Schwestern, wird uns in ewiger Erinnerung bleiben, denn heute, am 17. Juli im Jahre des Herrn 1189, bricht eine neue Zeit an.«
Eleonore bedeutete Sophie, ein Stück zur Seite zu treten und zog Dundai in ihre Mitte, bevor sie weitersprach.
»Dundai wird uns verlassen und seine Nachfolge wird Sophie Ní Merlin antreten, die erste Druidin von Camelot. Sophie, wie einige unter uns wissen werden, ist das griechische Wort für Weisheit und Weisheit soll sie uns bringen!«
Die Menge jubelte und Sophie war stolz. Die letzten anderthalb Wochen waren verrückt gewesen: Sie hatte mehr Wissen in ihren Kopf gepresst bekommen als in acht Jahren auf dem Beethoven-Gymnasium, sie hatte Freundschaften mit Frauen geschlossen, die mehrere Jahrhunderte älter waren als sie und sie hatte gelernt, sich in einer Welt zurechtzufinden, die sie überhaupt nicht kannte. Sie war eigentlich eine Fremde und doch war sie jetzt, zehn Tage nach ihrer Ankunft, so sehr Teil dieser Gesellschaft, als wäre sie darin aufgewachsen.
Und sie war die Druidin. Als sie zum ersten Mal gehört hatte, dass sie die Stelle von Dundai übernehmen sollte, hatte sie an Miraculix aus den Asterix-Comics gedacht und sich gefragt, ob man sie für dumm verkaufen wollte. Doch schließlich hatte sich herausgestellt, dass Druidenwerk so ähnlich funktionierte wie Miraculix' Auftritt in ›Asterix bei den Briten‹. Kein magischer Zaubertrank half den Briten, ihr Dorf zu verteidigen, sondern Tee und so waren die meisten Tränke, die Dundai sie gelehrt hatte, kein Stückchen magisch. Einige waren Heiltränke, die auf Kräutern basierten, die Sophie teilweise sogar aus der Fernsehwerbung für Pharma-Produkte oder aus dem Supermarkt kannte und andere waren einfach leckere, mittelalterliche Cocktails, wo man Wasser abkochte und dann mit Kräutern und Früchten würzte, bevor man den Mix kaltstellte. Und zaubern konnte Dundai auch nicht. Bloß der Spiegel, sagte er, der gebe seinem Verstand immer noch Rätsel auf, denn der Spiegel hatte definitiv irgendeine magische Wirkung. Das Schwert im Stein jedoch konnte Dundai auch erklären: Es gab eine Art Magnet im Stein und eine Leitung, mit der man den Magneten an- und abschalten konnte. Die Druiden mussten regelmäßig nach dem Zustand von Schwert und Stein sehen und einen weiteren Magneten außerhalb des Steins austauschen, um den Zauber von Excalibur am Leben zu halten. An einer versteckten Stelle in der Nähe des Flusses gab es drei Schalter, die den Magneten beeinflussten und der Druide musste dafür sorgen, dass der König das Schwert aus dem Stein ziehen konnte, alle anderen aber nicht.
Alles weitere, was Sophie wissen musste, waren militärisch und politisch strategische Positionen und die Gesinnung der mächtigsten Menschen in England und Frankreich. Mit diesem Wissen und einigen Schriftrollen, auf denen all das nochmal draufstand, ließ Dundai sie jetzt allein und Sophie musste dieses Wissen nutzen, um der Königin eine hilfreiche Beraterin zu sein und sie auf den Thron Englands zu führen.
Doch so beeindruckend Sophies Aufgaben für die nächste Zeit auch waren, sie war nicht eingeschüchtert oder wollte gar davor weglaufen. In Sophies Augen war das hier ihre Möglichkeit, etwas zu bewirken, eine Möglichkeit, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Und als die vier unter dem Jubel von 2500 Frauen vom Platz ritten, konnte sie es kaum noch erwarten, in Dundais weiß strahlenden Umhang gehüllt und vor Stolz und Freude strahlend.
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