040
"Ich find' die Dinger ja mega nice, wenn ich irgendwann mal in der NFL spiele, kauf ich mir definitiv einen." Wie ein kleines Kind strahlt Liam den Fernseher an, auf dem gerade in einem Motorsportmagazin der neuste Ford Mustang vorgestellt wird. "In der NFL also?"
Harry, der seinen Kopf auf meinen Schoß gebettet hat, während er 'Per Anhalter durch die Galaxis' liest, grinst breit, als er das Buch auf seine Brust sinken lässt.
"Ja?" Mit hochgezogener Augenbraue mustert Liam ihn. "Also, versteh mich nicht falsch, ich glaube schon, dass du talentiert genug dafür wärst, aber... dir ist schon bewusst, dass es selbst für Spieler an amerikanischen Unis verdammt schwer ist gedraftet zu werden, oder? Wie willst du es darein schaffen?" Er hat seinen Kopf ein Stück gedreht, sodass er meinen Mitbewohner ansehen kann. "Ich hab schon öfter überlegt, ein Auslandssemester einzuschieben..."
Mit großen Augen sehe ich ihn an und sage traurig "Du kannst mich doch nicht einfach alleine lassen!" Gerührt legt er die Hand an die Brust. "Naaaw, du würdest mich vermissen?" Ich nicke. "Natürlich!" Lächelnd legt er den Kopf schief. "Wer soll mich dann bekochen?" füge ich dann grinsend hinzu. "Fuck you." raunt er lachend und boxt mir gegen die Schulter. "Ich kann auch kochen..." wirft Harry kleinlaut ein, weshalb wir ihn beide überrascht ansehen. "Echt? Warum weiß ich das nicht?" frage ich und fahre mit meinen Fingern durch seine Haare. "Weiß nicht, kam nie auf, das Thema, denke ich?"
"Siehst du, dann brauchst du mich ja nicht mehr. Ich sage Niall, er kann mein Zimmer haben." lacht Liam. Als wir ihn verwirrt ansehen, fügt er hinzu "Ihr braucht keine zwei Zimmer, Ihr klebt sowieso den ganzen Tag aneinander. Oder ineinander, keine Ahnung." Nervös zucken Harrys Augen hoch zu mir, Doch ich lege ihm beruhigend die Hand auf die Brust.
"Ich glaube, ich möchte dich trotzdem nicht als Mitbewohner hergeben - nicht nur wegen des Essens." sage ich dann schnell, damit mein Freund das unwohle Gefühl loswird. "Ich dich doch auch nicht, mein Herzblatt." Mit den Augen klimpernd grinst er mich an. "Aber vermutlich wollen mich die Patriots sowieso nicht haben..." murmelt er dann. "Die Patriots? Im Ernst? Wenn überhaupt würde ich dich nur für die Packers hergeben." Etwas überrascht darüber, dass Harry davon redet, Liam 'hergeben' zu müssen, mustere ich ihn belustigt.
Liam scheint allerdings über eine andere Info von Harrys Aussage ziemlich verwundert zu sein. "Du bist Packers Fan?" fragt er verblüfft. "Selbstverständlich, ich bin ein stolzer Cheesehead." Ich beginne zu lachen. "Pardon, ich hätte einfach nicht gedacht, dass du überhaupt... Football-begeistert bist." murmelt Liam kleinlaut. Grinsend zuckt Harry mit den Schulter und hält sich erneut das Buch vors Gesicht.
Etwas später, als sich Liam auf den Weg zu Danielle gemacht hat und Harry und ich ein entspannendes Bad hinter uns haben, sitzen wir wieder auf dem großen Sofa im Wohnzimmer. Ich schalte den Fernseher ein, auf dem automatisch das zuletzt geschaute Programm auf Netflix erscheint. "Also ich finde die alten Mustangs ja ehrlich gesagt viel schöner, als die modernen Dinger." murmle ich, als ich von Liams Auswahl zurück ins Hauptmenü wechsle. "Ich bin auch der Meinung, dass Autos früher noch viel schöner waren." Ich sehe meine Freund zufrieden an. "Danke! Irgendwann leihe ich mir mal einen und dann fahren wir zusammen irgendwo hin." Ich lehne mich zu ihm rüber und küsse ihn, weshalb er sanft zu lächeln beginnt.
"Du darfst auch mal fahren, versprochen." schmunzle ich dann, bevor ich ihm noch ein paar weitere Küsschen gebe. "Warte... hast du überhaupt einen Führerschein?" frage ich, als ich mich wieder zurück lehne. Ich habe ihn tatsächlich noch nie ein Auto fahren sehen und besitzen tut er auch keins. Etwas nervös murmelt er "J-Ja, ich habe einen Führerschein." Er schluckt einmal und kaut sich auf der Lippe herum, bevor er leise hinzufügt "Aber ich fahre nicht mehr."
"Nicht mehr?" Irritiert mustere ich ihn. Er schüttelt bloß den Kopf, beginnt dann plötzlich seine Hände zu kneten und dreht den Kopf etwas weg. Ich meine, seine Augen verdächtig glitzern zu sehen. "Hey, Sunshine, ist alles okay?" flüstere ich und rutsche ein Stück näher zu ihm. Mit feuchten Augen presst er die Lippen aufeinander und stammelt "T-Tschuldigung...", dann fängt er schnell die Träne auf, die sich aus seinem Augenwinkel stiehlt. "I-Ich-..." Ich schlucke schwer. "Tut mir leid, habe ich was Falsches gesagt?" flüstere ich und streichle ihm vorsichtig über die Wange, als er die Augen schließt und seine Unterlippe zu zittern beginnt.
Was ist denn plötzlich los?
"Ssshhh, es ist doch alles gut, Love, warum weinst du denn?" Ich lege meine Arme um ihn und ziehe ihn sanft an meine Brust. Leise beginnt er zu Schluchzen und seine Atmung wird unruhig. "E-Es ist m-me-meine Schuld, Lou-Louis..." Vorsichtig hebe ich seinen Kopf etwas an. "Was ist deine Schuld?" flüstere ich.
"G-Grace, sie-... ich habe sie umgebracht."
Ich friere in meiner Bewegung ein und starre ihn mit leicht offenem Mund an. Das ist definitiv das letzte, was ich erwartet hatte. Ich versuche mich zu fangen und das Chaos in meinem Kopf zu sortieren.
"W-Wie meinst du das? Was ist denn passiert?" frage ich mit zittriger Stimme. "I-Ich hätte derjenige sein sollen, der st-stirbt, nicht sie..." stammelt er, als seine Atmung immer flacher wird. "Sag sowas nicht, Hazza, bitte..." Ich merke, wie auch mir die Tränen kommen. Vorsichtig lege ich meine Hände an seine Wangen und drücke meine Lippen auf seine. "Bitte..." Meine Stimme bricht, bei dem Gedanken, wie ernst er das vermutlich meint. "W-Wenn ich etwas sch-schneller reagiert hä-hätte, dann würde sie jetzt v-vi-vielleicht noch le-ben..." Er bekommt kaum Luft und in Gedanken suche ich bereits nach seinem Asthmaspray.
Liebevoll streichle ich ihm über den Rücken und küsse seinen Kopf. "Beruhig dich, bitte, Hazza... du musst atmen, hörst du?" Ich hebe seinen Kopf erneut leicht an, sodass ich ihm in die Augen schauen kann. "Achte auf deine Atmung, mein Engel." Mit glasigem Blick blinzelt er mich an, stockt dann für wenige Sekunden, um anschließend - zwar zittrig - aber deutlich tiefer auszuatmen. "Beruhig dich, okay? Wenn du es erzählen magst, höre ich dir gern zu, aber bitte, ich will nicht, dass du mir gleich umkippst, Love."
Er nickt zaghaft, bevor er die Augen schließt und sich auf seine Atmung konzentriert. Es dauert einige Minuten, bis er wieder etwas Kontrolle über seine Lungenfunktionen bekommt, in denen ich ihm behutsam über Rücken und Kopf streichle und immer wieder seine Schläfe küsse.
"Ich kann nie wieder ein Auto bewegen, Louis. Ich kann einfach nicht, vor allem nicht, wenn jemand daneben sitzt, den ich liebe." flüstert er dann ganz leise, doch trotzdem erschrecke ich mich etwas, da keiner von uns beiden in der letzten Viertelstunde etwas gesagt hat. "Möchtest du erzählen, was passiert ist? Du musst nicht, wenn du nicht magst, aber eventuell tut es dir gut, es mal los zu werden?" frage ich leise. Mit gesenktem Kopf schließt er die Augen und nickt ganz leicht.
Und dann traut er sich tatsächlich, mir von dem Ereignis zu erzählen, dass sein Leben verändert hat.
"Es war ein Samstagabend, ich war - wie eigentlich immer in den Ferien - in der kleinen Waldhütte, die mal meinem Opa gehört hat, als sie mich angerufen hat. Sie war mit ihren beiden Kindergartenfreundinnen unterwegs gewesen und ziemlich angetrunken. Sie wollte vergessen, dass sie mir wenige Tage vorher gestanden hatte, dass sie..." Leise seufzt er. "...dass sie mehr als freundschaftliche Gefühle für mich hat."
"Das Gespräch ist echt beschissen verlaufen, weil ich absolut nicht wusste, wie ich damit umgehen soll. Sie dachte, ich würde das Gleiche empfinden und - versteh mich bitte nicht falsch, aber - ich wünschte wirklich, ich hätte ihr geben können, was sie sich gewünscht hat." Zittrig zieht er die Nase hoch.
"Ich habe sie geliebt, das habe ich wirklich, Louis. Aber... naja, ich muss dir nicht sagen, warum das nicht gereicht hat, nehme ich an..." Ich nicke langsam und streichle ihm über den Rücken. "Aber da ich ihr nicht direkt freudig um den Hals gefallen bin, war ihr das Ganze extrem unangenehm und ist verschwunden, ich konnte sie tagelang nicht erreichen. Ich wollte mit ihr reden, ihr erklären, warum ich ihre Gefühle nicht erwidern kann, aber sie hat mir keine Chance gegeben..." Erneut werden seine Augen feucht, weshalb ich ihm ein Küsschen auf die Stirn hauche. "An dem Abend hat sie mich dann mitten in der Nacht angerufen und gesagt, dass es ihr Leid tut, dass sie sich so lange nicht gemeldet hat und gefragt, ob ich sie abholen könnte. Sie war bei ihrer Freundin im Nachbarort und ich war extrem müde, aber ich konnte ihr den Wunsch nicht abschlagen..."
Erneut atmet er tief durch, bevor er den Blick auf das Taschentuch in seiner Hand richtet, dass er nach und nach zu zerrupfen beginnt. "Es hat geregnet und den kompletten Hinweg habe ich mir schon einen Kopf gemacht, wie ich ihr beibringen kann, dass ich schwul bin und wie ich überhaupt reagieren soll, wenn ich sie nach dem ganzen Schlamassel zum ersten Mal wieder sehe... Naja und deshalb war ich dann komplett durch den Wind, als sie zu mir ins Auto gestiegen ist, habe kaum ein Wort rausbekommen, während sie mir lallend tausende Male gesagt hat, wie leid es ihr tut, dass sie unsere Freundschaft zerstört hat. Ich wollte ihr unbedingt sagen, dass sie keine Schuld hat, sie nichts kaputt gemacht hat und-..." Schlagartig werden die Tränen wieder mehr und er schließt schniefend die Augen.
"Der Regen wurde immer stärker und ich konnte kaum noch etwas erkennen. Ich habe nach ihrer Hand gegriffen, weil ich sie beruhigen wollte und-... dann habe ich plötzlich nur noch 2 riesige, helle Scheinwerfer gesehen... Ich konnte nicht mehr ausweichen, der LKW ist quer über unsere Spur gerutscht und-..." Schluchzend bricht er in meinen Armen zusammen und hält sich die zitternden Hände vors Gesicht.
"I-Ich spüre i-im-mmer noch ihre Hand in m-meiner, Louis... i-ich hab' erst losgelassen, als s-sie mich aus dem Wrack gezogen h-haben."
Mein Herz zieht sich ungesund schmerzend zusammen und auch bei mir brechen nun alle Dämme. Ich versuche mich irgendwie zu beruhigen, denn das letzte, was er jetzt gebrauchen kann, ist dass ich ebenfalls zusammenbreche. Ich atme tief durch und flüstere "Hazza, es war nicht deine Schuld, hörst du? Auf rutschiger Fahrbahn hast du in so einer Situation keine Chance, ich weiß, dass du alles getan hast, was du konntest..." Als Antwort bekomme ich nur ein leises Schluchzen. "Es war ein Unfall, den du nicht hättest verhindern können, Love. Ich weiß, dass ich für sowas vermutlich nicht der richtige Ansprechpartner bin, aber bitte glaub mir, wenn ich dir sage..." Ich hebe vorsichtig sein von roten Flecken übersätes Gesicht an.
"Was passiert ist, war nicht deine Schuld, Harry. Du hast Grace nicht umgebracht, okay?" Aus trüben, feuerroten Augen blinzelt er mich an. "Okay? Du bist kein schlechter Mensch, Hazza. Du bist ein wundervoller Mensch, der Schreckliches erleben musste, aber du konntest nichts dafür."
Sekundenlang drücke ich meine Lippen auf seine glühende Stirn, bevor ich ihn erneut in die Augen sehe. Ich wische ihm die Tränen von den Wangen und küsse immer wieder sein Gesicht, bis er sich wieder etwas beruhigt hat.
"D-Danke." flüstert er dann, als ich ihn fest an meine Brust drücke. "Das war das erste Mal, dass ich darüber geredet habe." Er streicht die Stelle meines T-Shirts glatt, die durch seine Tränen zerknittert ist. "Danke dir, Harry, für dein Vertrauen." flüstere ich und gehe mit meinen Fingern durch seine Haare. "Ich muss mich bedanken, Louis. Du bist die erste Person, der ich bedingungslos vertraue und das nur, weil du es dir verdient hast." Ein Lächeln zuckt über meine Lippen. "Es hat gut getan, dass alles mal rauszulassen." gibt er dann zu. "Es fühlt sich gerade an, als könnte ich zum ersten Mal seitdem wieder richtig atmen." - "Das ist schön zu hören." sage ich.
Schön ist gar kein Wort dafür, was ich gerade fühle. Es ist, als würde mir das komplett Himalaya-Gebirge vom Herzen fallen.
Als wollte er es mir bildlich darstellen, atmet er einmal tief ein und wieder aus. Dann sieht er mich mit sanftem Lächeln auf den Lippen an. "Danke, Lou. Ich weiß immer noch nicht, womit ich es verdient habe, dass du mir... das da geschenkt hast..." Er fährt vorsichtig mit seinem Zeigefinger über mein Herz. "Aber ich verspreche dir, ich passe gut drauf auf. Ich lasse nicht zu, dass es verletzt wird. Und... auch wenn das doof klingt: Danke, dass du mich liebst." Leise höre ich ihn seufzen, bevor er deutlich leiser weiterspricht.
"Auch dann, wenn ich es selbst nicht kann."
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2108 Words
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