019
3 Wochen später...
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Gut gelaunt laufe ich die Wohnheimtreppen hinauf und nehme die letzten 3 Stufen auf einmal, als ich die 5. Etage erreiche. Die letzten 2 Tage habe ich Harry nicht gesehen, da wir weder Vorlesungen zusammen hatten, noch uns zum Lernen getroffen haben. So ungern ich es zugebe, aber ich habe alles an ihm unfassbar vermisst. Ich habe mich die letzten Wochen so an seine Anwesenheit gewöhnt, dass es komisch war, ihn nicht um mich zu haben.
Also habe ich mich kurzerhand dazu entschieden, ihn mit Frühstück zu überraschen. Auch wenn wir Sonntag haben, hoffe ich einfach, er ist um 10 Uhr schon wach und ich störe ihn nicht.
Als ich um die Ecke biege, sehe ich Niall, der gerade das Zimmer verlässt, in das ich will. Er strahlt mich breit an, beginnt zu schmunzeln, als er die Tüte in meiner Hand sieht. "Uuuuuh, Frühstücksservice für Mister Styles?" Ich zucke grinsend mit den Schultern und sage "Vielleicht...?" Er klopft mir auf die Schulter. "Ich bin mir sicher, er freut sich. Er ist gerade duschen gegangen, also vielleicht... gibst du kurz ein Lebenszeichen von dir, wenn du im Zimmer bist. Oder du zielst genau darauf ab, dass er nur mit Handtuch um die Hüften und tropfend vor dir steht, dann... nicht." Er zwinkert mir zu, weshalb ich nur die Augen verdrehe.
Natürlich gefällt mir die Vorstellung, ihn nach dem Duschen zu sehen. Seine nassen Locken, die ihm ins Gesicht hängen, ein paar vereinzelte Tröpfchen, die auf seinem nackten Körper glitzern, sein Schritt, der nur locker von einem Handtuch verdeckt wird, das sich ganz langsam löst und herunterrut-
Ich zwinge mich, meinen Tagtraum zu beenden, bevor sich andere Körperregionen darüber freuen können und nicke Niall dann zu, als ich mich an ihm vorbei ins Zimmer schieben will. Doch er hält mich noch kurz am Arm fest. "Eins noch..." Für Niall eher unüblich setzt er einen ernsten Gesichtsausdruck auf. "Stell dich darauf ein, dass seine Stimmung heute eventuell nicht sooo gut ist. Sie hätte heute Geburtstag gehabt." flüstert er. Ich nicke schnell und bedanke mich, dass er mir Bescheid gibt.
Im Zimmer angekommen klopfe ich kurz an die Tür des kleinen Badezimmers, aus dem das Plätschern der Dusche zu hören ist. "Hey, ich bin's!" rufe ich. "Ich hoffe ich störe nicht, ich dachte nur, ich... schaue mal vorbei." Ich höre, wie die Dusche abgestellt wird, bevor er antwortet. "H-Hey... uhm, ne alles gut ich... ich bin auch gleich fertig." - "Mach dir keinen Stress, ich habe Zeit." sage ich noch schnell, bevor ich mich auf sein Bett setze. Die Tüte mit duftenden Croissants darin, lege ich mir in den Schoß und lasse mir einen Moment die Sonne ins Gesicht scheinen, die durchs Fenster auf sein Bett fällt.
Ein paar Minuten später kommt er (leider bereits angezogen), noch mit etwas feuchten Haaren aus dem Bad und sieht mich etwas schüchtern an. Seine Wangen sind noch rosig vom heißen Wasser und generell sieht er einfach unfassbar niedlich aus. Wie ein Babykätzchen, mit dem man nicht mehr aufhören kann, zu kuscheln.
Sein Blick fällt auf meinen Schoß, dann sieht er mich überrascht an. "Du hast Frühstück mitgebracht?" Ich nicke, halte ihm die Tüte hin und sage "Ich glaube, sie sind sogar noch ein bisschen warm." Er holt sich eines der frischen Backwaren aus der Tüte und beißt genüsslich herein. "Danke." nuschelt er dann mit vollem Mund.
"Hast du heute schon was vor?" frage ich, während ich ihn dabei beobachte, wie er sich mit einem Handtuch etwas durch die Haare wuschelt, um sie trocken zu rubbeln. "Uhm..." kurz sieht er nachdenklich aus und blickt auf etwas hinter mir, schluckt schwer und murmelt dann, etwas leiser "Ich weiß nicht... i-ich glaube nicht..." Ich folge etwas zögerlich seinem Blick und lande bei einem Polaroid, das ihn mit einem atemberaubend hübschen Mädchen zeigt.
Grace.
Ich lächle sanft und sage "Ein schönes Bild." während ich es einen Moment betrachte. So leise, dass ich es nicht mal mitbekommen habe, ist er zu mir rüber gekommen und flüstert, mit wahnsinnig traurigem Unterton "Sie wäre heute 21 geworden." Kurz atme ich tief durch, sage dann ruhig "Ich weiß." Von oben sieht er mich an, fragt dann "Niall?" Ich beginne zu lächeln. "Niall." stimme ich ihm zu, weshalb er kurz ganz leicht lächeln muss.
Ich breche die kurze, unangenehme Stille im Raum und sage "Komm, wir genießen jetzt das schöne Wetter!" Etwas unsicher sieht er mich an. "Was hast du vor?" fragt er leise. "...bisschen spazieren gehen, einfach draußen sein." Kritisch beäugt er mich. "Spazieren gehen?" Ich muss schmunzeln. "Ja, komm! Ich hab letztens auf dem Rückweg von Zuhause ne echt schöne Ecke entdeckt." Leise seufzend legt er den Kopf schief. "Ich dulde keine Wiederrede." sage ich streng, lächle ich allerdings sanft an, weshalb er sich geschlagen gibt und die Boots anzieht, die ich ihm hinhalte.
Auf dem Weg hierher hat er hauptsächlich aus dem Fenster gesehen, sich auch nicht dagegen gewehrt, als ich Musik angemacht habe, um die unerträgliche Stille im Auto zu brechen. Auch die ersten Meter an diesem wirklich schönen See hat er kein Wort gesprochen, eher wirkt er die ganze Zeit nachdenklich und... ja, traurig. Auf alles, was ich gesagt habe, hat er nur mit einem Nicken oder leichtem Lächeln reagiert und es bricht mir gerade wirklich das Herz, ihn so zu sehen. Er ist in den letzten Tagen eigentlich so aufgeblüht, ich hatte wirklich das Gefühl, es geht ihm mental etwas besser. Ich gebe diesen Glauben auch nicht auf, heute ist einfach ein... schwieriger Tag.
Aber irgendwie will ich ihn trotzdem auch heute lächeln sehen. Ein ehrliches, ernstgemeintes Lächeln.
"Guck mal! Da bin ich!" grinse ich daher und zeige auf den zweiten, kleineren Regenbogen, der sich über dem Wasser gebildet hat. Etwas irritiert sieht er mich an. "Regenbogen... weil... ich schwul bin und so? Und der ist kleiner als der andere... weißt du... wie ich... weil ich auch kleiner bin, als alle anderen?" Ich sehe zu ihm rüber in der Hoffnung, dass er deswegen zu lachen beginnt. Wenn ich schon mal selbst einen Witz über meine Körpergröße mache, wäre das ja wohl definitiv angebracht, aber stattdessen atmet er schwer aus und lässt den Kopf hängen.
Ich seufze, dann greife ich nach seinem Arm und ziehe ihn auf eine Bank am Wegrand. "Komm, du erzählst jetzt mal ein bisschen." Widerwillig lässt er sich neben mir nieder. "Louis, ich will nicht darüber reden, was passiert ist, das weißt d-" - "Das meine ich nicht." unterbreche ich ihn. "Ich will nicht, dass du traurig bist heute. Es ist ihr Geburtstag, ich finde wir sollten darüber reden, was für ein toller Mensch sie ist." Er sieht mich traurig an. "...war." korrigiert er mich, doch ich schüttle den Kopf. "Nur weil Sie nicht mehr hier neben uns sitzen kann, ist sie nicht einfach verschwunden, Harry. Sie ist immer noch bei dir. Genau da." Ganz leicht berühre ich mit meinem Zeigefinger seine Brust an der Stelle, wo ich sein Herz vermute. Er lässt den Kopf hängen, aber ich sehe das kleine Lächeln trotzdem.
So gefällt mir das schon viel besser.
"Komm, erzähl mir mal ein bisschen was, Harry. Wie ist sie so? Was ist sie für ein Mensch?" Ich lege den Kopf etwas schief und sehe ihn an. Er erwidert meinen Blick und scheint nach ein paar Sekunden zu bemerken, das ich nicht nachgeben werde. Schwer atmet er durch, lässt seinen Blick dann über den glitzernden See schweifen und scheint die richtigen Worte zu suchen. "Lass dir Zeit, Hazza." sage ich und lege meine Hand auf sein Knie. Er sieht kurz darauf herab, bevor er wieder ein kleines Segelboot fixiert, dass gerade am anderen Ufer ablegt. "...das hat sie zum Beispiel oft zu mir gesagt." beginnt er dann leise. "Sie hat mir immer die Zeit gegeben, die ich brauchte, bei allem. Sie war die Einzige, von der ich mich immer verstanden gefühlt habe." - "Sie ist, Harry. Versuch es so zu sagen, als wäre sie noch da, okay?" flüstere ich. Er schluckt schwer und ich sehe, dass ihm die Tränen kommen.
Ich hebe meine Hand von seinem Knie und greife stattdessen nach einer seiner Hände, die er in seinem Schoß nervös knetet. Anders als erwartet zieht er sie nicht weg, sondern schiebt seine Finger zwischen meine und übt einen kurzen Moment Druck auf meine Hand aus. Auch danach lässt er sie nicht los, sondern zieht sie etwas näher an seinen Bauch.
Er lässt es zu.
Zum ersten Mal lässt er wirklich zu, dass ich ihm Halt gebe. Es ist nur eine winzig kleine Geste, ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber es bedeutet so viel. Denn er geht in die richtige Richtung. Endlich tut er einfach, wonach er sich fühlt und nimmt sich, was er braucht.
Und gerade ist das eine Hand, die seine hält und nicht loslässt.
Er zieht seine Lippen zwischen die Zähne und versucht, gegen die Tränen anzukämpfen. Ich rutsche ein Stück näher an ihn, streiche mit meinem Daumen vorsichtig über seinen Handrücken. Dann schüttle ich ganz leicht den Kopf und flüstere "Halt es nicht zurück, Harry. Wenn dein Herz weinen will, dann lass es zu. Es ist okay." Er schließt die Augen und eine erste Träne kullert ihm über die Wange, seine Unterlippe beginnt zu zittern. Noch einmal drücke ich seine Hand fest, er erwidert den Druck etwas stärker, bevor er mit einem leisen "Puh" wieder die Augen öffnet, kurz die Nase hochzieht und dann tatsächlich zu erzählen beginnt.
"Grace wa-" er sieht zu mir rüber. "Grace ist... genau so, wie ihr Name vermuten lässt. Anmutig, gnädig, grazil... Manchmal stolziert sie wirklich geradezu durch die Welt - und verdreht damit jedem Typen im Umkreis von 20km den Kopf." sagt er und musst plötzlich lachen. "Manchmal könnte ich sie-... Wenn sie mich panisch anruft, noch vor der Vorlesung, sagt ich soll sofort herkommen, es gäbe einen Notfall... und dann braucht sie Hilfe, weil sie nicht weiß, welches Paar Schuhe besser zu ihrer Handtasche passt!"
Erneut zieht er die Nase hoch, auch die Tränen kullern noch immer seine Wangen herunter, aber sein Lächeln bei dieser Erinnerung überstrahlt alles andere. "Jedes Mal, wenn sie wieder bockig abhaut, weil ich ihr gesagt habe, dass sie mit diesen viel zu hohen Hacken nie im Leben alle drei Vorlesungen an dem Tag überlebt... jedes Mal kommt sie nach nicht mal 2 Stunden mit Sneakern an den Füßen und einer Tüte Schoko-Kirsch-Donuts in der Hand angedackelt und entschuldigt sich kleinlaut - und wir beide wissen, dass sie es nächste Woche wieder versuchen wird." Grinsend schüttelt er mit dem Kopf und wischt sich eine Träne an der Hose ab, die ihm auf die Hand getropft ist.
Besonders wegen der Anekdote mit seinen Lieblingsdonuts muss ich grinsen. Sie hat sich damit also immer entschuldigt, vermutlich habe ich ihn deswegen damals zum Lächeln bringen können.
Bestimmt eine halbe Stunde erzählt er von all ihren Eigenheiten. Die vielen spontanen Aktionen, die die beiden gestartet haben. Dass sie es geschafft hat, ihn aus dem tiefen Loch zu holen, in das er gefallen ist, als seine Eltern sich nur noch gestritten haben und er geflüchtet ist. Sie war immer für ihn da, in jeder Lebenslage. Ob die Freude über die Zusage zur Clifford, die Nervosität vor der ersten Aufführung, als er die Hauptrolle in der Universitätsversion von Grease bekommen hat, aber auch die Tatsache, dass sie ihn mit Fast Food, Schokolade und Eistee versorgt hat, als seine Depressionen besonders schlimm waren. Sie war genau das, was man sich unter der perfekten besten Freundin vorstellt und ich bin so froh, dass er sie an seiner Seite hatte.
Einen Moment ist es anschließend ruhig, nur sein leises Schniefen und das sanfte Plätschern des Wassers am Ufer vor uns ist zu hören. "Weißt du was, Harry?" Er sieht mich aus roten Augen an. "Ich kann und will nicht für sie sprechen, aber... ich glaube, sie würde nicht wollen, dass du heute traurig bist. Sie würde dich nie traurig sehen wollen, sie würde wollen, dass du glücklich bist."
Nachdenklich sieht er an mir vorbei, bis ich wieder beginne zu reden. "Weißt du... ich rede nicht gerne darüber, aber ich habe ebenfalls vor einiger Zeit wie du einen geliebten Menschen verloren." sage ich leise. Aufmerksam mustert er mich. "Meine Mutter hat vor knapp einem halben Jahr den Kampf gegen den Krebs verloren." flüstere ich und muss schlucken. "Oh..." gibt er leise von sich, er sieht nachdenklich aus. Vermutlich realisiert er nun auch, für wen der Song war, den ich damals vor ihm gespielt habe.
Ich brauche einen Moment, um mich zu sammeln, bevor ich weiter reden kann, in dem nun er meine Hand etwas fester drückt. Plötzlich ist er derjenige, der mir unaufgefordert Halt gibt und ich kann mir das kleine Lächeln deswegen nicht verkneifen.
"Weißt du, was sie immer zu mir gesagt hat?" Ich hebe meinen Kopf und sehe ihn wieder an. "Gib nicht auf. Mach es Schritt für Schritt, Tag für Tag. Es gibt immer gute und schlechte Tage, aber das ist okay. Solange ich hier auf dieser Erde bin will ich sie stolz machen, das habe ich mir geschworen. Sie war immer diejenige, die mich motiviert hat, weiterzumachen, dass ich es doch noch auf die Clifford schaffe. Und jetzt bin ich hier. Ich weiß, dass sie da oben sitzt und vor Stolz platzt." Ich muss grinsen bei der Vorstellung, wie sie sich vor Rührung die Hände vors Gesicht hält, wie immer, wenn ich erfolgreich bin.
"Danke, Louis." sagt Harry dann leise. Sein Blick wandert kurz runter zu unseren Händen auf seinem Schoß, dann wieder hoch zu meinen Augen. "Danke, wirklich. Danke, dass du mir deine Geschichte anvertraust. Danke für all das gerade. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so viel gelacht habe. Ich weiß es wirklich nicht. Aber du hast Recht. So würde sie mich sehen wollen." sagt er und ein kleines, niedliches Lächeln huscht über seine Lippen, als er den Kopf sinken lässt.
Er sieht einen Moment nachdenklich aus, bevor er den Kopf wieder hebt und mir ein paar Sekunden tief in die Augen blickt. Ich hebe den rechten Mundwinkel etwas und lächle ihn schief an, dann löst er plötzlich seine Hand von meiner, um sie mir stattdessen um die Taille zu schieben, den anderen Arm um meinen Nacken zu legen und mich in eine Umarmung zu ziehen. Sofort erwidere ich diese und höre ihn nach kurzer Zeit ganz leise "Danke, Louis." in den Stoff meines Shirts murmeln. Er drückt mich noch etwas fester an sich und atmet tief ein und wieder aus, bevor er ein weiteres Mal "Danke." flüstert.
Noch eine ganze Weile sitzen wir anschließend auf der Bank, beobachten den See, unterhalten uns ein wenig über Belangloses, doch er lässt trotzdem die ganze Zeit über meine Hand nicht los, die er nach der Umarmung direkt wieder in seine geschlossen hat. Ich wünschte, ich könnte mir einreden, darüber nicht unfassbar glücklich zu sein, aber natürlich ist das absolut hoffnungslos. Immer wieder wandert mein Blick auf unsere Hände in seinem Schoß. Meine, die in seiner so unfassbar klein aussieht. So beschützt.
Als müsste er derjenige sein, der mich rettet.
Gerade ist es wieder still zwischen uns und ich schließe einen Moment die Augen, um die Sonne zu genießen, als er ein leises "Oh..." von sich gibt. Ich sehe ihn an, doch sein Blick geht an mir vorbei. "Vielleicht sollten wir uns besser auf den Heimweg machen? Das sieht nicht so gut aus..." Ich folge seinem Blick und sehe direkt was er meint.
Eine riesige dunkle Wolke bahnt sich ihren Weg in unsere Richtung und ich bilde mir ein, sogar eine Regenfront zu sehen, die rasend schnell auf uns zu kommt. "Oh, ja... lass uns besser." Ich will aufstehen und meine Hand zurück ziehen, doch er gibt sie nicht frei.
Er will weiterhin mit mir Händchen halten, ich-
Ohne etwas zu sagen gehen wir also Hand in Hand den See entlang. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er das nur tut, weil niemand außer uns hier ist, aber das ist mir egal. Allein, dass er so offen mir gegenüber ist und quasi zugibt, dass er meinen Halt heute braucht, ist alles, was mir wichtig ist.
Leider kommt das Unwetter schneller näher, als wir dachten, sodass wir plötzlich ein paar Tropfen abbekommen. Ich entdecke in der Nähe einen kleiner Unterstand, unter den ich uns rette. Innerhalb von Sekunden fängt es so stark an zu regnen, dass das Wasser nach kürzester Zeit den leicht abfallenden Weg hinabrinnt. "Wow." sagt Harry trocken, weshalb ich ihn ansehe, bevor wir beide zu Lachen beginnen.
Einige Minuten lang beobachten wir schweigend das Spektakel, bis Harry plötzlich zu schmunzeln beginnt. Fragend sehe ich ihn an, weshalb er "Weißt du, was ich als kleines Kind immer gemacht habe, wenn es so geschüttet hat?" flüstert. Erwartungsvoll blicke ich in sein Gesicht, dass sich zu einem neckischen Grinsen verzieht. "Soll ich's dir zeigen?" Obwohl ich etwas verwirrt bin, was mir dieser kindische Schalk in seinem Blick sagen soll, nicke ich vorsichtig. Sein Blick wandert nach vorn, er atmet noch einmal tief durch, bevor er mir zu meiner Überraschung plötzlich sein Handy in die Hand drückt und... losrennt.
Innerhalb von Sekunden ist er klatschnass, die schönen Locken halten unter der Last des vielen Wassers nicht mehr stand und kleben ihm im Gesicht, während er die Arme ausbreitet und mit geschlossenen Augen den Kopf in den Nacken legt. Mit einer Mischung aus Schock, Bewunderung und absoluter Sprachlosigkeit starre ich ihn mit offenem Mund an.
Sein schwarzes Langarmshirt klebt ihm am Körper, durch den dünnen Stoff kann ich seinen leicht muskulösen Körper, genauso wie all die wunderschönen Tattoos darauf erahnen. Ich bin absolut geblendet davon, wie schön er ist und unfähig, klar zu denken. Er streckt die Zunge heraus und dreht sich einmal im Kreis, bevor er zu lachen beginnt und zu mir rüber blickt.
"Das beste Gefühl der Welt!" ruft er mir entgegen und das Strahlen in seinen Augen ist das wohl schönste, was ich je in meinem Leben gesehen habe. Lachend schüttle ich den Kopf, kann einfach nicht glauben, dass das der gleiche Junge ist, der auf der Hinfahrt noch traurig aus dem Fenster gesehen hat. Aber daran will ich auch gar nicht mehr denken.
Er wirkt glücklich.
Schwer hebt sich sein Brustkorb auf und ab, während er mich anstrahlt, dann plötzlich ruft "Jetzt komm schon!" Einen kurzen Moment zögere ich, bis mir bewusst wird, was er da gerade gesagt hat. Er will mit mir durch den Regen tanzen. Das ist so ziemlich das kitschigste Hollywood-Romanzen-Klischee der Welt aber... ich liebe es.
Also lege ich den Autoschlüssel und mein Handy neben seins auf die Bank hinter mir, atme noch einmal tief durch und trete in den Regen. Er ist viel wärmer, als ich dachte und ich halte einen Moment die Luft an und schließe die Augen, während meine Klamotten von Sekunde zu Sekunde schwerer werden. Langsam, immer noch mit geschlossenen Augen, gehe ich ein paar Schritte auf ihn zu, bis er plötzlich nach meiner Hand greift und mich zu sich zieht. Erschrocken öffne ich die Augen, blicke in seine, bevor er mich einmal im Kreis wirbelt und sich anschließend selbst mit ausgestreckten Armen erneut um die eigene Achsen dreht.
Ich tue es ihm gleich und muss zugeben, dass er Recht hatte. Das Gefühl ist absolut überwältigend, als wäre man frei, losgelöst von allem. Als würde jedes Problem und jede Sorge, die man je im Leben hatte, einfach von einem runtergespült. Minutenlang tanzen wir durch die Gegend, so, wie man sonst nur zuhause tanzen würde, wenn niemand zusieht. Irgendwann lässt er sich einfach auf den Hintern fallen, seinen Oberkörper auf den von der Sonne noch aufgewärmten Asphalt sacken und liegt mit geschlossenen Augen einfach nur da. "Alles gut?" schmunzle ich, doch er nickt direkt. "So gut wie lange nicht mehr." Er dreht den Kopf zu mir und lächelt mich sanft an.
Ich setze mich neben ihn und sehe ihn eine Zeit lang einfach nur an. Er sieht so friedlich aus. Dieses ganz leichte Lächeln auf den Lippen, die Augen geschlossen, ein Bein angewinkelt, eine Hand auf dem Bauch und die andere neben ihm liegen. Irgendwann entscheide ich mich dazu, es ihm gleich zu tun, lege mich auf den Rücken und schließe die Augen.
Als ich meine Hand neben mir ablege, berühre ich dabei ganz leicht seine. Kurz überlege ich, sie etwas zurück zu ziehen, denn ich habe Angst, dass er sich unwohl fühlt, doch dann spüre ich auf einmal, wie sein Finger meinen herauf fährt, auf der Innenseite wieder hinabgleitet und zittrig die anderen folgen lässt. Ich öffne meine Hand etwas, sodass er seine Finger zwischen meine schieben kann.
Keiner von uns beiden sagt etwas, ich grinse dämlich vor mich hin und ignoriere die Angst, dass das für ihn weniger - oder zumindest etwas anderes - bedeuten könnte, als für mich.
Ich weiß nicht, wie lange wir so hier liegen, aber ich bekomme kaum mit, dass der Regen irgendwann weniger wird. Erst als die Sonne wieder durch die Wolken bricht und sich warm auf meinen nassen Körper legt, öffne ich blinzelnd die Augen, wodurch mir etwas bewusst wird.
Harry beobachtet mich.
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3509 Words
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