017
"Uuuuh, aufregend!" raunt Niall mir zu und zappelt auf seinem Sitz hin und her. Vielleicht war es für meine eigene Aufregung nicht besonders clever, mich neben ihn zu setzen? Ich versuche ihn zu ignorieren und richte meinen Blick nach vorn, wo nun Sophia die Bühne betritt.
"Einen wunderschönen guten Abend wünsche ich Euch! Anders als sonst möchte ich vorab kurz ein paar Worte loswerden. Denn, ebenfalls anders als sonst, präsentieren wir Euch heute keine Interpretation eines bekannten Stückes, sondern etwas, das wir selbst geschrieben, inszeniert und auf die Bühne gebracht haben. Es ist ein Musical, dass zum Nachdenken anregen sollte und ich hoffe, Ihr nehmt Eure eigene, kleine Message mit. Und nun wünsche ich Euch viel Spaß mit 'put a price on emotion'." Unter Applaus verlässt sie die Bühne, die daraufhin wieder komplett dunkel ist.
Dann kehrt Stille ein.
Ein Klavier setzt leise ein, flackerndes Blaulicht durchbricht die Dunkelheit auf der Bühne, eine Person liegt dort, regungslos auf dem Boden. Ich kneife die Augen zusammen um sie zu erkennen und mich durchfährt eine Gänsehaut, als ich ihn erkenne.
Harry.
Und noch bevor er das erste Wort gesungen hat, erkenne ich den Song. Er ist von James Arthur, eins der wohl ehrlichsten Lieder, dass er je geschrieben hat. Und plötzlich fürchte ich, die nächsten 45 Minuten könnten verdammt schmerzhaft werden. Für Alle in diesem Theater. Aber vor allem für mich, denn ich weiß Dinge über Harry, die sonst niemand weiß.
Der Song handelt von Angst, Depressionen, Panikattacken.
Und ich bin nicht sicher, ob ich das aushalte, ohne zu weinen. Denn bereits jetzt ist der Kloß in meinem Hals unerträglich. Ich atme noch einmal tief ein und wieder aus, soweit das imaginäre Seil um meine Brust es zulässt, bevor er zu singen beginnt.
»Laying in the silence, waiting for the sirens, signs, any signs I'm alive still.
I don't wanna lose it, I'm not getting through this.
Hey, should I pray? Should I pray? To myself? To a God? To a saviour who can unbreak the broken, unsay these spoken words, find hope in the hopeless.
Pull me out of the train wreck.
Unburn the ashes, unchain the reactions, I'm not ready to die, not yet
Pull me out of the train wreck.«
Seine Stimme ist so... voller Schmerz, er klingt so unfassbar verzweifelt, dass ich anfangs nicht mal realisieren kann, wie gut der Gesang eigentlich ist. Obwohl er so verletzt klingt, ist sie kraftvoll, stark. Und das, obwohl er liegt und dadurch deutlich schwieriger die benötige Luft dafür bekommen müsste.
Als würde es ihn unfassbar viel Kraft kosten, richtet er sich während der zweiten Strophe auf und schleppt sich zur Vorderkante der Bühne. Er hält sich eine Hand ans Herz, krallt sich in sein Shirt und fällt zur Bridge auf die Knie, alles bricht aus ihm heraus, sein Blick ist verletzt, absolut verzweifelt schreit er nahezu die Wörter in die Menge.
»You can say what you like 'cause see, I would die for you!
I, I'm down on my knees and I need you to be my God, be my help, be a savior who can unbreak the broken...«
Der letzte Refrain ist fast nur noch ein Schluchzen, gepaart mit verzweifelten Hilfeschreien, die zum Ende hin immer leiser werden, bevor er flackernd die Augen schließt und vorn über kippt. Das Klavier klingt leise aus und es wird erneut dunkel.
Absolute Stille herrscht im Raum und niemand traut sich, auch nur ein Geräusch zu machen. Ich scheine nicht der Einzige zu sein, der Rotz und Wasser heult, denn vereinzelt ist ein Schniefen oder das Rascheln einer Taschentuchpackung zu hören. Ich traue mich nicht, mich umzusehen, mir ist bewusst, dass Liam und auch Niall mitbekommen müssen, wie aufgelöst ich bin. Kommentarlos nimmt letzterer meine Hand, legt sie mit seiner verschränkt in seinen Schoß und streicht mir sanft mit dem Daumen über den Handrücken.
Tatsächlich bin ich überrascht, dass gerade er das tut, denn ich muss gestehen, dass ich bei ihm nicht mit so einer Geste gerechnet hätte. Eventuell weiß er doch mehr über Harrys Vergangenheit und das, was er mitmacht?
Mit dem Ärmel der freien Hand wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht und atme zittrig durch. Ich hatte Angst, weinen zu müssen, ja. Weil ich das bei jedem Theaterstück, jedem Musical, das ich bisher gesehen habe, getan habe, denn ich reagiere auf gut gespielte Szenen und beeindruckenden Gesang immer sehr emotional. Aber das ich bereits nach dem ersten Lied so komplett am Ende bin - und das überragende Talent nicht mal der Hauptgrund dafür ist - damit hatte ich absolut nicht gerechnet.
Auf der Bühne erscheint, an die Rückwand projiziert, ein simpler Schriftzug.
"2 weeks earlier."
Eine Szene, stattfindend in einem Esszimmer, offenbar eine Mutter mit ihren 2 Kindern, eines davon Harry. Es wirkt, wie ein ganz normales Familiendinner, bis die Tochter, welche Gemma heißt, fragt, ob "Dad heute gar nicht mitisst." Die Mutter sieht beunruhigt aus, wimmelt die Frage allerdings damit ab, dass er noch arbeitet, erst nach Hause kommt, wenn die beiden bereits im Bett sind. Harry redet die ganze Szene über nicht, nickt seiner 'Mutter' nur liebevoll lächelnd zu, als sie ihn fragt, ob es ihm schmeckt. Er rührt noch einen Moment länger in seiner Suppe herum, bis die Szene plötzlich einfriert.
Das Licht nimmt ein dunkleres Blau an, die Essensszene wird etwas in den Hintergrund gerückt, während er aufsteht und zu leisen Gitarrenklängen erneut leise zu singen beginnt.
»I've been beaten and broken and tread upon, I was made to feel stupid when I was young
And they say no is the answer to the temptations, but when those demons come rushing, nowhere to run.
Sometimes I feel nothing at all, sometimes I want someone to hold
Sometimes I carry on, just to stumble down once more
Sometimes I... I wanna fall.«
Die Musik stoppt, er sieht noch einen Moment in die Ferne, dreht dann den Kopf zurück in Richtung des Tisches, bevor er tief ausatmet, sich langsam zurück an den Tisch setzt und weiterisst. Das Licht taucht die Bühne wieder in einen warmen Ton und die pausierte Szene wird fortgeführt, als wäre nichts passiert. Harry führt anschließend noch ein Gespräch mit seiner Mutter über die Schule, das es genauso an jedem anderen Familientisch hätte geben können. Alles wirkt ganz normal, er lächelt, wirkt fröhlich, lacht an einer Stelle sogar. Doch nicht nur die eben 'außerhalb der Zeit' stattgefundene Szene gibt einem das Gefühl, dass Einiges hier nicht stimmt.
Auch wenn es neben Harrys Solosongs noch ein paar weitere gibt, in denen die Stimmung gut ist, verläuft das Stück weiter im ähnlichen Schema. Es gibt viele Szenen im Leben von Harry (das ganze Stück über wird er nicht einmal mit seinem Namen angesprochen, der Charakter ist quasi 'Identitätslos'), die immer wieder pausiert werden, sodass man Einblick in seine Gefühlswelt bekommt - die wie erwartet leider nicht fröhlicher wird.
Nein, stattdessen wird es von mal zu mal schmerzhafter.
In einer Szene, in der er mit seiner Mutter einen Anzug für den Schulball aussucht, friert die Szene ein und er singt ein paar Zeilen eines Billie Eilish Songs.
»If "I love you" was a promise, would you break it, if you're honest?
Tell the mirror what you know he's heard before: I don't wanna be you, anymore.
Hand, hands getting cold, losing feeling is getting old
Was I made from a broken mold?
Hurt, I can't shake, we've made every mistake.
Only you know the way that I break...«
Besonders schmerzhaft in diesen kurzen, eingeschobenen Szenen ist der Wechsel seiner Mimik. Sobald er 'in seinen Gedanken' ist, sieht er so gebrochen aus, so tieftraurig, doch in dem Moment, in dem das Licht von dem düsteren Blau zu einem warmen Gelb wechselt, klart sein Blick auf, nichts ist zu sehen, von all dem, was in ihm vorgeht.
Abgesehen von der wahnsinnig guten schauspielerischen Leistung, die niemand in diesem Raum bestreiten würde, ist es vor allem das, was ich in meiner Brust fühle.
Schmerz.
Eine weiter Szene zeigt, wie 'Harry' versucht seine Mutter zu trösten, nachdem sein Vater stark alkoholisiert ausgerastet ist und die halbe Einrichtung zertrümmert hat. Wieder wird das Licht gedimmt, seine Mutter wortwörtlich am Boden zerstört, beobachtet er sie mit schmerzverzehrtem Gesicht.
»You wear the burden, world on your shoulders, babe
So let me hold the weight, I know you're hurting
Deep as the coldest pain, but this is the order sayin'
I'm gonna show you everything's alright
End of the tunnel, there is always light, You're in the middle of the darkest night
I know you're hurting, whenever you look at me with those, those sad eyes
I'm gonna dry your sad eyes, I'll make it right, so don't cry
I'm gonna dry those sad eyes, I'll make it right«
Obwohl sein Charakter mit seinen eigenen Problemen mehr als überfordert zu sein scheint, versucht er noch, die Last seiner Mutter für sie mitzutragen. Es deutet sich an, dass er unter all dem zusammenzubrechen droht, doch niemand scheint zu sehen, wie es ihm geht.
Kurz vor Ende des Stücks, als sein Vater erneut handgreiflich geworden ist und er mit ansehen musste, wie dieser seine Mutter misshandelt, rennt er davon.
»Walkin' out of town, lookin' for a better place.
Something's on my mind, always in my head space.
But I know some day I'll make it out of here, even if it takes all night or a hundred years.
Need a place to hide, but I can't find one near.
Wanna feel alive, outside I can't fight my fear.
Isn't it lovely, all alone?
Heart made of glass, my mind of stone
Tear me to pieces, skin and bone
Hello, welcome home.«
Kraftlos sackt er auf einer Parkbank zusammen, alles scheint hoffnungslos, als gäbe es keine Chance mehr für ihn. Ein leises Schluchzen ist zu hören und bei genauem Hinsehen wird mir bewusst, dass er das nicht nur spielt - er weint wirklich. Ob das an seinem unfassbar guten schauspielerischen Talent liegt, oder ob es echte Tränen sind, die ihn aufgrund der Szene übermannen... darüber möchte ich eigentlich gar nicht nachdenken.
Der leise Klang einer sanften E-Gitarre setzt ein und eine junge Frau betritt die sonst leere Bühne. Ich bin mir sicher, es ist kaum jemandem hier im Raum aufgefallen, dass sie bereits vorher oft im Hintergrund stand. Sie schien keine wichtige Rolle zu sein, sie wirkte wie ein Statist. Aber, warum auch immer, sie ist mir von Anfang an irgendwie aufgefallen...
Sie ist das Einzige, das die dunkle Stimmung auf der Bühne erhellt, als sie langsam auf ihn zugeht. Ganz leicht ist das gleiche Blaulichtflackern zu erahnen, wie zu Beginn.
Ein letztes Mal beginnt er leise zu singen.
»It's just a spark, but it's enough to keep me going
And when it's dark out, no one's around, it keeps glowing
And the salt in my wounds isn't burning any more than it used to
It's not that I don't feel the pain, it's just I'm not afraid of hurting anymore
And the blood in these veins, isn't pumping any less than it ever has
And that's the hope I have, the only thing I know that's keeping me alive.
Gotta let it happen«
Während die E-Gitarre noch ein wenig weiter spielt, wird es auf der Bühne immer dunkler. Die junge Frau hockt vor ihm, sie wirkt wie ein Schutzschild, wie sie ihre Arme um ihn schließt, ohne ihn zu berühren. Als die beiden Personen kaum noch zu erkennen sind, leuchtet erneut die weiße Schrift im Hintergrund auf.
"Depressionen sind eine anerkannte, nachweisbare Krankheit. Viele Menschen leiden darunter, ohne dass ihre Mitmenschen davon wissen. Einige Betroffene wissen nicht mal selbst, dass Depressionen der Grund sind für das, was sie fühlen. Du weißt niemals, was in einem Menschen vorgeht. Urteile nicht vorschnell."
Dann wird es erneut komplett dunkel. Sekunden vergehen, in denen eine andächtige Stille herrscht, bevor die Halle erneut erleuchtet wird. Der gesamte Cast steht bereits an der Vorderkante der Bühne und hält sich an den Händen, Harry in der Mitte. Obwohl er lächelt, sieht man seinen geröteten Augen an, dass er geweint hat. Und es tut weh, ihn so zu sehen.
Ohne zu zögern, steht nun der gesamte Saal auf und schenke ihnen einen Ohren betäubenden Applaus. Und der ist wirklich mehr als verdient. Nicht nur, so ein schwieriges Thema zu behandeln, sondern auch die unfassbar gute Umsetzung und die schauspielerische Leistung, nicht nur von Harry, sondern genauso vom Rest der Truppe, war mehr als überwältigend.
Für eine Sekunde finden Harrys Augen meine und alles um mich herum verschwimmt zu einer unwirklichen, weit entfernten Welt. Es fühlt sich an, als würde niemand sonst in diesem Saal merken, wie traurig seine Augen eigentlich sind, dass das Lächeln auf seinen Lippen nicht echt ist. Schnell löst er seinen Blick und verneigt sich mit den anderen, bevor der Vorhang sich langsam schließt.
Noch immer etwas durch den Wind stehe ich anschließend mit den Anderen im Vorraum. Alle diskutieren über das Stück, die Message dahinter und wie sie wohl auf die Idee gekommen sind. Ich halte mich zurück, in der Hoffnung, mir nichts anmerken zu lassen, denn ich habe da so eine Vermutung...
Was mir allerdings das Herz aufgehen lässt, ist wie vor allem Liams Teamkollegen in den höchsten Tönen von Harrys Talent reden. "Ich muss gestehen, ich hätte nicht gedacht, dass er so gut ist." meint Dave mit entschuldigendem Blick. "Oh, du hast noch was anderes mitbekommen, als Tessa in den Hotpants?" zieht Niall ihn auf, weshalb selbst der Angesprochene lachen muss. "Sie war ja nicht immer im Bild." räumt er ein, bevor er das Gespräch wieder weg von der halbnackten Tessa und hin zu Harry lenkt.
"Nein, mal im Ernst. Ich hab mich einfach nie großartig mit ihm beschäftigt. Ich muss zugeben, ich wusste nicht mal, dass er Schauspiel studiert, bevor mir Liam von dem Stück hier erzählt hat. Aber... wo steckt der Superstar denn überhaupt, der Rest des Casts ist doch auch schon hier vorn angekommen?" Sein Blick wandert rüber zum Objekt seiner Begierde, die mit Sophia und 2 weiteren Freundinnen an einer Bar gegenüber steht - und ebenfalls zu ihm rüber sieht. Etwas muss ich schmunzeln, als ich sehe, wie der riesige, breit gebaute Mann leicht rosige Wangen bekommt.
Wie Niall sagen würde: I already ship it, ich gebe ihnen 1 Monat.
"Wenn es um Harry geht-" will Niall gerade ansetzen, doch ich kann ihn rechtzeitig stoppen, bevor er vor all den Leuten weiter Gerüchte verbreiten kann. "Ich schaue mal nach ihm..." murmle ich dann, bevor ich mich auf den Weg nach hinten mache. Auch wenn ich es mir nicht anmerken lassen habe, mache ich mir nach diesem Stück wirklich etwas Sorgen um ihn. Bevor ich allerdings die Tür zum Backstagebereich erreiche, werde ich am Arm zur Seite zu gezogen.
Sophia sieht mich an und flüstert "Er ist draußen, er meinte, er wollte etwas an die frische Luft." Ich nicke und verschwinde dann durch den Seiteneingang nach draußen.
Langsam schließe ich die Tür hinter mir, um ihn nicht zu erschrecken. Er sitzt auf meiner Mauer, allerdings mit dem Rücken zu mir, sodass er in Richtung des Uniparks schauen kann. "Hazza?" flüstere ich, weshalb er zwar kurz zusammenzuckt, sich dann aber langsam zu mir umdreht. Die roten Augen sind fast verschwunden, er hat also hier draußen wohl nicht nochmal geweint, weshalb mir ein riesiger Stein vom Herzen fällt. "Darf ich mich zu dir setzen, oder magst du lieber alleine sein?" versichere ich mich, doch er schenkt mir direkt ein sanftes Lächeln und nickt.
"Ist alles ok? Da drin suchen schon alle nach dem 'Star der Stücks'." sage ich mit etwas neckischem Unterton. Er seufzt leise. "Ich weiß... deshalb sitze ich hier." Ich brumme verstehend. "Es ist dir zu viel Aufmerksamkeit, oder?" Ohne die Augen von dem Eichhörnchen vor uns zu lösen, nickt er. "Ich weiß nicht, ich mag es einfach nicht, wenn mich alle ansehen und über mich reden..." murmelt er und lässt dann den Blick auf die nervösen Hände in seinem Schoß sinken. "Kann ich verstehen..." sage ich. Kurz herrscht Stille, dann räuspere ich mich und flüstere "Darf ich dir denn persönlich sagen, wie atemberaubend gut du warst?"
Leise schmunzelt er. "Wenn du weniger übertreibst, dann ja." Leise seufze ich auf. "Harry, ich übertreibe nicht. Du warst wirklich unfassbar gut da oben. Frag Niall, ich habe ihm all seine Taschentücher geklaut." Zum ersten Mal seit ich hier sitze sieht er mich richtig an. "Du hast geweint?" fragt er überrascht. "Von Anfang bis Ende." - "Oh..." Ich sehe ihn schlucken, als er wieder nach vorn sieht.
Ich habe das Gefühl, dass ihm das irgendwie unangenehm ist, deshalb schiebe ich schnell "Ich bin aber auch ziemlich nah am Wasser gebaut..." hinterher. Ich sehe ihn lächeln, als mein Handy vibriert. Und nochmal. Und nochmal. Genervt hole ich es aus meiner Hosentasche, obwohl ich eigentlich gerade Harry meine ganze Aufmerksamkeit schenken will. Er hebt ebenfalls den Kopf weshalb ich "Niall..." murmle. "Er will wissen, ob es dir gut geht, er macht sich Sorgen..." Etwas überrascht sieht er rüber zu mir. "Echt?" Er sieht ernsthaft gerührt aus, was mich fast traurig macht. Es scheint für ihn wirklich total abwegig zu sein, dass sich jemand um ihn sorgt...
Ich nicke, sage "Klar, er ist immer besorgt, wenn er das Gefühl hat, es geht dir nicht gut." Nachdenklich fokussiert er einen Punkt neben mir, während ich Niall frage, ob es vorn immer noch so voll ist, wie vorhin. Er bestätigt daraufhin, dass nur noch unsere kleine Gruppe da und der Großteil der anderen Leute mittlerweile verschwunden sei.
Und das Dave es geschafft hat, zu Tessa rüber zu gehen, nachdem alle ewig auf ihn eingeredet haben - das musste der Ire gesondert hervorheben.
Süßer Idiot.
"Niall fragt, ob wir wieder reinkommen möchten, es sind wohl außer uns alle weg..." Etwas nervös kaut er auf seiner Lippe herum. "Wer ist denn 'uns'?" Ich lächle ihn an und erkläre "Niall, Liam und Danielle, Stan und seine Freundin und... ein paar aus Liams Team." Bei meinen letzten Worten zieht er etwas irritiert die Augenbrauen in die Höhe. "Sie wollten wissen, warum Liam Samstagsabends nicht mit Feiern gehen konnte und als er ihnen gesagt hat, wo er hingeht, waren sie so neugierig, dass sie alle mitkommen wollten." Ich sehe, dass er nervös an seinen Fingern herumfummelt. Er scheint Angst zu haben, sich dieser Menge an 'beliebten' Studenten zu stellen.
Vorsichtig lege ich meine Hand auf seine Schulter, weshalb er seinen Kopf zu mir dreht. "Sie sind wirklich lieb und waren alle mehr als begeistert. Mach dir wegen denen bitte keine Sorgen, ok?" Zögerlich nickt er, doch ich merke, dass er sich nicht wirklich sicher fühlt.
"Wir müssen nicht reingehen, wir können auch einfach nach Hause gehen, wenn du magst..." sage ich, damit er merkt, dass ich ihn zu nichts zwingen will. Doch er schüttelt den Kopf und steht auf. "Nein, ich... schon ok, ich will nicht immer wegrennen..." murmelt er. Ich folge ihm zur Tür und halte ihn noch einmal kurz am Arm fest. "Du rennst nicht weg, wenn du Situationen vermeidest, in denen du dich unwohl fühlst. Es ist selfcare, Dinge die dich unglücklich machen, aus deinem Leben zu verbannen. Es ist vollkommen ok, sich selbst schützen zu wollen, ok?"
Einen Moment hält er inne und sieht mich nachdenklich an. Dann nickt er kaum sichtbar, bevor er nach der Türklinke greift und sie langsam öffnet. "Wenn es dir zu viel wird, sag mir bitte Bescheid, okay?" flüstere ich, als ich ihm nach drinnen folge, woraufhin er leise "Danke" murmelt und mich sanft anlächelt.
"Ach guck mal an, wen haben wir denn da?" Niall entdeckt uns als Erster und grinst uns freudig an, als wir uns zu Liam stellen. Charlie, der Quarterback aus Liams Team und somit klischeegemäß der Typ, mit dem jeder befreundet sein will, um 'cool' zu sein, dreht sich zu uns. Ich sehe deutlich, wie Harry zusammenzuckt, als er ihn ansieht und seine gesamte Körperhaltung strahlt pure Angst aus. Ich komme einen kleinen Schritt näher, in der Hoffnung, dass er sich sicherer fühlt, wenn er merkt, dass ich 'hinter ihm stehe' Und tatsächlich scheint er sich etwas zu entspannen.
"Harry!" Wieder zuckt der Angesprochene kurz zusammen, als Charlie ihm schwungvoll die Hand auf die Schulter legt. "Warum wusste ich nicht, dass du so gut da oben bist?" Er lächelt ihn freundlich an, was Harry allerdings nicht hilft, seine Schockstarre zu lösen. Liam bekommt das mit und eilt ihm zur Hilfe. "Vermutlich, weil du außer Football nichts im Kopf hast, du Idiot!" lacht dieser, woraufhin ein anderer seiner Teamkollegen grinsend "...und Cheerleader! Vergiss die Cheerleader nicht, Payno." hinzufügt. Verlegen kratzt ihr Kapitän sich am Kopf "...ja, ich muss zugeben, da ist vielleicht was dran." gibt er grinsend zu. Er dreht sich erneut zu Harry und sagt "Aber ernsthaft, Styles. Ich bin wirklich beeindruckt. Vielleicht sollte ich öfter mal hier im Theater vorbeischauen..."
Harry atmet zittrig ein, weshalb ich ihm reflexartig die Hand auf den Rücken lege. Die Luft, die er wieder herauslässt, ist deutlich weniger nervös und auch seine Rückenmuskulatur entspannt sich etwas unter meiner Berührung. "Ich-" leise räuspert er sich. "...Danke, freut mich zu hören." Stolz lächelt Charlie ihn an, als hätte er ihm gerade das beste Kompliment der Welt gemacht. "Aber..." Der Lockenkopf schluckt erneut. "Du kennst meinen N-Nachnamen?" Leise lacht Charlie auf, bevor er den Kopf schief legt. "Wir waren auf der gleichen Highschool, natürlich weiß ich, wie du heißt, Harry Edward Styles." Sanft stupst er ihm mit der Faust gegen die Schulter.
Edward? Er hat einen Zweitnamen? Harry Edward Styles... wie schön das klingt.
Als mir bewusst wird, dass ich ihn verknallt von der Seite angrinse (Niall war so lieb, mich darauf mit hochgezogener Augenbraue und breitem, dämlichen Grinsen aufmerksam zu machen), löse ich schnell mein Starren und nehme langsam meine Hand von seinem Rücken.
Verdammt, habe ich ihm gerade wirklich in Gedanken versunken über den Rücken gestreichelt? Hoffentlich war ihm das nicht unangenehm oder er denkt, ich würde ihn befummeln wollen... Also... nicht, dass mir nicht danach wäre, aber...
"Ich... ja, ich weiß, aber... ich dachte irgendwie immer..." Sichtlich nervös stammelt Harry vor sich hin, weshalb ich mich spontan dazu entscheide, meine Hand doch wieder an seinen Rücken zu legen. Ich hoffe einfach, er nimmt das nicht falsch auf.
Erneut schenkt der breitgebaute Footballer ihm ein Lächeln. "Nur weil wir nicht viel miteinander zu tun hatten, warst du nicht automatisch Luft für mich, Harry. Eigentlich fand ich dich immer ganz cool, ich mochte deine Graffitis echt gerne." Verwirrt blinzelt er ihn an. "M-Meine Graffitis?" Schmunzelnd nickt Charlie. "Ja, deine Graffitis, Styles. Insgeheim wusste die ganze Schule, dass die hauptsächlich von dir waren und nicht von Zayn. Man musste nur mal seine und deine Kunstprojekte vergleichen, um zu sehen, dass er den alleinigen Ruhm nicht verdient hatte. Aber ich verstehe, dass du dich lieber im Hintergrund gehalten hast..."
Stumm nickt Harry und blickt verlegen auf seine Füße. Etwas leiser setzt Charlie dann erneut an. "Ich... hab oft überlegt, was zu sagen... wirklich. Aber... ich bin ehrlich, ich war ein Schisser. Es ist einfacher, mit- anstatt gegen den Strom zu schwimmen, weißt du... es tut mir leid."
Auch wenn ich nicht genau weiß, wovon er redet, kann ich eins und eins zusammenzählen.
'Vielleicht, weil er schon immer so war?'
Nialls Worte geistern mir erneut durch den Kopf und in Kombination mit Charlies macht es plötzlich Sinn.
Harry war wohl scheinbar wirklich 'schon immer', oder zumindest schon zu Highschoolzeiten, diese Person, die nicht so richtig 'dazu gehört hat'. Ich will gar nicht wissen, wie viele Jahre er schon unter Mobbing, Ausgrenzung und Einsamkeit leiden muss.
Wie kaputt er innerlich sein muss...
Schnell drehe ich den Kopf zur Seite und beiße mir auf die Lippe, versuche mich irgendwie abzulenken - denn es tut weh. Er ist so ein liebenswerter Mensch, aber er scheint so in der 'Opferrolle' gefangen zu sein, dass er für Arschlöcher wie Simon ein gefundenes Fressen ist.
Liam merkt sofort, dass etwas mit mir nicht stimmt, denn er dreht den Kopf zu mir und sieht mich besorgt an. Ich schüttle nur ganz leicht den Kopf, doch er hat das Gespräch ebenfalls mitbekommen und versteht direkt was los ist. "Er hat jetzt dich, Louis." flüstert er beruhigend in mein Ohr. Doch ich schüttle erneut den Kopf. "Das ändert nichts an dem, was war..."
Bevor er darauf etwas erwidern kann, erweckt wieder das Gespräch zwischen Harry und Charlie meine Aufmerksamkeit. "Schon okay, muss es nicht..." murmelt der Mann neben mir, doch Charlie widerspricht ihm direkt. "Doch, muss es. Nur Zuzugucken, ist genauso schlimm, wie mitzumachen. Und ich will, dass du weißt, dass es mir wirklich leid tut, okay?" Harry ringt sich ein Lächeln ab und nickt, gibt ein leises "Okay..." von sich. "Ich hab einfach nicht drüber nachgedacht, was das mit-" - "Charlie." Liam durchbohrt ihn mit seinem Blick und schüttelt leicht den Kopf, als der Quarterback hochsieht. Er scheint einen Moment zu brauchen, bis er versteht, wie unangenehm Harry das Gespräch ist, verstummt dann allerdings mit einem gekünsteltem Lächeln.
Harry neben mir lässt seinen Blick ziellos durch den Raum wandern, scheint sich irgendwie ablenken zu wollen, damit es dem Rest der Runde nicht auffällt. Er bleibt an mir hängen und sieht plötzlich besorgt aus. "Alles okay?" flüstert er. "Du siehst so blass aus, geht's dir gut?" Stumm nicke ich, schlucke den imaginären Kloß herunter und frage stattdessen "Bei dir auch?" Er lächelt mich zaghaft an - es ist ein echtes, das kann ich mittlerweile genau erkennen - und nickt.
Ich löse schnell meine Hand, die noch immer auf seinem Rücken liegt, und murmle "So-Sorry, wenn das zu-... ich hatte irgendwie das Gefühl, du-..." doch er schüttelt lächelnd den Kopf und flüstert bloß "Danke."
Kurz verliere ich mich in diesem wunderschönen Lächeln, kehre erst in die Realität zurück, als Harry plötzlich den Kopf nach vorn dreht. "Also?" Dave steht, vielleicht etwas zu dicht neben Tessa, plötzlich wieder vor uns und sieht uns mit fragendem Blick an. Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass ich in meiner Harry-Trance nicht mitbekommen habe, worum es geht, sondern sehe einfach wie die anderen in die Runde. "Weiß nicht, wer hat denn alles Bock mitzukommen?"
Ah, es scheint also darum zu gehen, noch etwas zu unternehmen... oder so.
Fast alle nicken zustimmend, woraufhin Tessas Blick auf Harry fällt, der sich nervös von innen auf die Wange beißt. "Was ist mit dir, Harry?" Sichtlich überfordert sieht er durch die Runde, doch bevor er antworten kann, fügt Dave hinzu "Ja, du musst mitkommen! So, als Star des Stücks." Wieder merke ich, wie unangenehm ihm die Aufmerksamkeit ist, denn sein Lächeln ist alles, aber nicht echt. "Nicht nur das. Hauptrolle und Autor!" Sein Blick huscht zu Sophia, die diese Info gerade verkündet hat. Er schüttelt mit ernstem Blick den Kopf, doch sie legt ihren schief. "Sei nicht immer so bescheiden, Harry. Ich finde, du solltest stolz darauf sein, so kreativ zu sein."
So gerne ich mich über das Lob für ihn freuen würde, ich fürchte, er hat nicht besonders viel Kreativität aufwenden müssen, um sich die Szenen auszudenken...
"Du hast das komplette Stück alleine geschrieben?" Charlie schaut ihn beeindruckt an. Verlegen schüttelt Harry den Kopf. "Nein, ich... der Rest der Theatercrew hat auch dazu beigetragen..." Wie gerne würde ich ihn einfach aus dieser Situation zerren können, aber Sophia scheint seinen Blick eben nicht im Ansatz verstanden zu haben. "Etwas 'dazu beigetragen' ist eventuell minimal übertrieben. Alles, was wir getan haben, ist das Ende abzuändern." Leise höre ich Harry neben mir flehend Sophias Namen sagen, doch sie hört ihn nicht. "Warum, was war denn vorher anders?" will Charlie wissen. Sie schmunzelt, bevor sie weiterredet. "Wir haben die Frau hinzugefügt. In Harrys Version gab es sie nicht. Unsere kleine Dramaqueen hier hatte es anders geplant, aber wir wollten irgendwie eine hoffnungsvolle Botschaft vermitteln..." Nervös fummelt Harry an seinem Ärmel herum, versucht belustigt zu schauen, doch er meidet meinen Blick.
Als Sophias nächste Worte mich daraufhin wie einen Dolchstich ins Herz treffen, weiß ich auch warum er es nicht schafft, mich anzusehen.
"Wir anderen fanden es dann aber doch etwas zu überdramatisiert, den Hauptcharakter am Ende Selbstmord begehen zu lassen."
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4672 Words
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