007
Gedankenverloren knibble ich an diesem seitlichen Plastikteil meines Kullis herum, von dem niemand weiß, wie es heißt, bis es plötzlich abbricht. "Fuck." murmle ich und werfe die zwei Einzelteile auf meine Unterlagen. "Meine Güte, ich weiß zwar nicht, was Euch beiden für eine Laus über die Leber gelaufen ist, aber könnte Ihr eveeeentuell zumindest versuchen, Euch zu beteiligen? Ich hab auch keinen Bock bei dem Wetter hier drin zu sitzen, aber je mehr Ihr mitmacht, desto schneller sind wir mit den Scheiß durch." Julie, die von Prof. Calder zur Projektleitung ernannt wurde, sieht genervt zwischen Harry und mir hin und her.
"S-Sorry, ich war kurz in Gedanken, Julie." sage ich schnell und rutsche auf meinem Stuhl wieder etwas nach oben, um mich aufrecht hinsetzen zu können. Mein Blick wandert rüber zu Harry, der gezwungenermaßen direkt neben mir sitzen muss, da ich den Raum erst nicht gefunden habe und es der einzige noch freie Platz war. Er sieht auch mich kurz an, bevor er tief durchatmet, dann seinen Blick von mir abwendet und "Ich würde mich mit den frühesten Aufnahmetechniken beschäftigen? Wenn das für alle okay ist...?" Sein Blick wandert durch die Runde, die neben Julie und mir noch aus 2 weiteren Studenten besteht. Alle nicken, weshalb er wieder zu mir rüber sieht. "Für dich auch, Louis?" sagt er leise und freundlicher, als ich erwartet hatte.
Nach unserem... nennen wir es 'Gespräch' vor 3 Tagen hat er mich einfach stehen lassen. Er war der festen Überzeugung, dass auch ich ihn irgendwann fallen lassen würde und natürlich hat er mich auch die letzten Tage nicht näher an sich herangelassen. Die Tatsache, dass wir dem gleichen Projekt zugeteilt wurden, zwingt ihn allerdings dazu, Zeit mit mir zu verbringen und sich zu verhalten, als hätte es diese Nacht nie gegeben. Harry ist zwar unter anderen Leuten ein sehr ruhiger Mensch, aber stets freundlich, hilfsbereit und zuvorkommend. Solange niemand vorhat, seine Schutzhülle durchbrechen zu wollen, bekommt auch niemand mit, was in ihm vorgeht.
"Ja klar, wie du magst." entgegne ich und lächle ihn zaghaft an. Kurz sieht er aus, als würde er überlegen, das Lächeln zu erwidern, wendet sich dann aber wieder Julie zu. "Okay, möchtest du dann den 2. Teil übernehmen, Louis?" fragt sie daraufhin. Nickend nehme ich den Vorschlag an. Wir klären noch ein paar weitere organisatorische Dinge, bevor Julie den nächsten Termin mit uns ausmacht und dann ihre Sachen packt.
"Sieht man Einen von Euch heute Abend auf der Verbindungsparty?" will sie dann wissen. "Wahrscheinlich gucke ich mit Liam und Niall mal vorbei, ja. Die beiden wollten auf jeden Fall hin." antworte ich. "Und was ist mit dir Harry?" Ich bin überrascht, dass sie ihn überhaupt fragt. Harry erscheint nie auf einer der Partys, vermutlich hat er keine Lust, ein Zusammentreffen mit Simon oder seinen Jungs zu riskieren. Außerdem ist er laut Niall ja auch 'nicht mehr so gesellig.' Offenbar sieht man meinem Gesichtsausdruck an, was ich denke, denn Harry mustert mich kurz mit hochgezogener Augenbraue, lächelt Julie dann freundlich an uns sagt "Eventuell schaue ich mal vorbei."
Ich bin mir sicher, dass er das nur aus Höflichkeit sagt, erwische mich aber bei dem Gedanken, dass ich es doch irgendwie schön fänd', ihn heute Abend noch mal zu sehen.
Leider wird es bei diesem Wunsch bleiben, denn Harry wird sicherlich nicht dort auftauchen.
"Na, bist du gedanklich wieder bei ihm?" höre ich Liams Stimme neckisch neben mir. Wir haben, genauso wie Niall über den Nachmittag beide keine Vorlesungen und uns deshalb bei dem guten Wetter in den Unipark gelegt. Er ist wirklich schön, hat viele gemütliche, ruhige Ecken und ist durch das hohe Alter der Uni voll von alten Bäumen und dichten Büschen.
Die 'Clifford' ist eine jahrhundertealte, hochangesehene Universität und durch die begrenzte Studentenzahl ist es nahezu unmöglich, einen Platz zu bekommen. Ich hatte es bereits letztes Jahr versucht, aber bin leider abgelehnt worden. Meine Mutter hat mich allerdings gottseidank motiviert, mich das Semester über so anzustrengen, dass ich es eventuell schaffe, zum 2. hierher zu wechseln - als tatsächlich die Zusage kam, habe ich minutenlang nicht aufgehört, vor Freude durchs ganze Haus zu hüpfen. Ein Abschlusszeugnis von der Clifford öffnet dir alle Türen dieser Welt.
"Bei wem?" Bevor ich antworten kann, bohrt sich Nialls neugieriger Blick in mein Gesicht. "Harry." grinst Liam breit. "Blödsinn!" entgegne ich schnell, doch Niall rastet natürlich direkt komplett aus. "Waaaaarte! Wir reden hier von dem Harry? Von meinem Mitbewohner Harry? Von Harry Styles, dem Lockenkopf? Dem Typ, der sich mit mir das-" - "Niall, es reicht! Ja, Liam redet von diesem Harry. Er denkt, ich würde was von ihm wollen..." murre ich. "Tust du auch." fügt Liam trocken hinzu. "Aaaaah, warte?! Ist es das, was neulich Nacht passiert ist? Ihr hattet was miteinander, oder?" Niall stupst mich mit vielsagendem Grinsen an.
Ich wünschte, es wäre so...
"Quatsch, dann wäre er ja wohl nicht so aufgelöst gewesen." wirft Liam ein. "Wer weiß, vielleicht war es so ein einschneidendes Erlebnis." - "Er ist schwul, Niall. Ich glaube kaum, dass ihn das so aus der Bahn wirft, etwas mit einem Mann zu haben." sagt er mit hochgezogener Augenbraue. "Vielleicht ist was schief gegangen? Ich meine, es waren beide verletzt, vielleicht sind sie beim Rummachen gestolpert und gefallen und dann war die Stimmung im Arsch." lässt Niall uns an seinen Gedanken teilhaben. "Blödsinn, man ist doch nicht so durch den Wind, nur weil man beim Rummachen unterbrochen wurde..." Ich unterbreche diese Diskussion über mein Liebesleben mit einem "...äh halloooo, ich sitze direkt neben Euch." und fuchtle von ihren Gesichtern her. "Tschuldigung, aber wenn du uns nicht erzählen willst, was passiert ist, müssen wir halt spekulieren." sagt Niall und hebt ratlos die Hände.
"Das ist nicht so einfach, wie du dir das vorstellst, ok?" sage ich und sehe ihn ernst an. "T-Tut mir Leid, ich wollte das nicht ins Lächerliche ziehen..." sagt er kleinlaut und legt mir entschuldigend die Hand auf die Schulter. "Schon ok." murmle ich und rupfe ein Büschel Gras aus der Wiese. "Ok, anderes Thema: Wir gehen heute Abend aber auf die Verbindungsparty, oder?" sagt er dann. "Klaaar! Die Partys von den Alphas sind berühmt berüchtigt, wir müssen uns da sehen lassen." sagt Liam mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass ich kotzen möchte. "Ich gehe doch nicht nur auf eine Party, um da gesehen zu werden..." sage ich entgeistert. "Ja, naja... nein, so meinte ich das nicht, aber die sind wirklich immer richtig gut. Glaub mir, du wirst es lieben. Die Stimmung ist ungeschlagen." sagt er etwas weniger laut. "Ja, ich komme ja mit aber ich finde dieses 'Sehen und gesehen werden' Konzept einfach bescheuert." - "Ja... ist es ja auch... irgendwie." sagt er, aber ich kaufe ihm das nicht ab. So selbstsicher Liam auch oft wirkt, ich weiß wie wichtig es ihm ist, was die Leute über ihn denken.
Ein paar Stunden später finde ich mich auf einer der vielen braunen Ledersofas im Verbindungshaus der Alphas wieder, das natürlich so richtig klischeehaft ein altes Herrenhaus aus dem 17. Jahrhundert und verdammt protzig ist. Anders als man beim Namen der Verbindung erwarten könnte, wird hier Toleranz großgeschrieben und es hängt sogar eine große Regenbogenflagge über dem alten Kamin. Es gibt mehrere offen-schwule und bisexuelle Mitglieder und jeder, der es wagt, sich darüber negativ zu äußern wird mit sofortiger Wirkung und auf Lebenszeit verbannt und zu keiner Party mehr zugelassen. Ich kann nicht bestreiten, wie sympathisch mir diese Verbindung von vornherein ist - und das ist in der Vergangenheit nicht oft vorgekommen.
Mit einem der schwulen Mitglieder, sein Name ist Jamie, unterhalte ich mich nun schon seit einer ganzen Weile ziemlich gut. Er ist wirklich mega sympathisch und extrem gutaussehend, genauso wie ich ziemlich tattoowiert und etwas größer als ich, dunkelblond und hat einen ziemlich definierten Körperbau. Normalerweise würde ich voll auf ihn anspringen, aber er schafft es nicht, Harry komplett aus meinem Kopf zu verdrängen. Ich kann nicht aufhören, ihn mit ihm zu vergleichen und die Tatsache, dass er in den meisten Punkten verliert, lässt mich erneut realisieren, das Liam leider Recht hat.
Ich bin Harry mehr verfallen, als mir lieb ist.
Als Jamie uns gerade etwas Neues zu trinken holt - mir etwas Unalkoholisches, da ich noch immer auf starken Schmerzmitteln bin und die Party gerne lebend verlassen möchte - lasse ich meinen Blick durch den Raum wandern. Liam steht ein paar Meter weiter weg und unterhält sich angeregt mit Danielle, auf die er schon länger ein Auge geworfen hat. Er wimmelt das zwar immer ab, aber ich weiß, dass er sie vielleicht etwas mehr mag, als er zugeben will. Die Herzchenaugen, wenn er sie ansieht, sind nicht zu übersehen. Ich grinse vor mir hin, während ich die beiden einen Moment beobachte und mein Herz macht einen kleinen Hüpfer, als ich sein glückliches Lächeln sehe, während sie sich lachend an seine Brust fallen lässt.
Mein kleiner, süßer Hundewelpe...
Ich lasse meinen Blick weiter durch den Raum schweifen und bleibe an einer Person hängen, die etwas planlos durch den Flur stolpert. Kurz bilde ich mir ein, dass er mir bekannt vorkommt, als er sich am Türrahmen festhält, um nicht vorne über zu kippen. Dann hebt er schwer schnaubend den Kopf und ich blicke in Harrys glasige Augen.
Warte... Er ist wirklich hergekommen?
Kurz kneift er die Augen zusammen und fixiert mich mit seinem Blick, scheint allerdings nicht mehr so viel erkennen zu können, denn er atmet noch einmal schwer aus, dreht sich dann weg und fällt fast über seine eigenen Füße, als er versucht, seinen Weg durch den Flur fortzusetzen. Ohne darüber nachzudenken stehe ich auf und will ihm folgen, als mich jemand am Arm festhält. "Hey, willst du mich etwa einfach sitzen lassen?" fragt Jamie mit sanftem Grinsen. "Ich... ähm... es tut mir wirklich Leid, Jamie! Ich hab gerade einen... Freund von mir gesehen und ich glaube, ihm geht es nicht so gut, ich denke, ich sollte besser nach ihm sehen..." sage ich und schaue ihn entschuldigend an. Es tut mir wirklich Leid, denn ich will ihn nicht einfach so stehen lassen, das hat er nicht verdient. Aber ich habe gerade wirklich Angst um Harry, ich kann nicht so tun, als wäre nichts. "Oh, du bist ja lieb! Hier wären viele Leute froh, solche Freunde zu haben. Geh ruhig, wir sehen uns bestimmt nochmal wieder, kümmer' dich um deinen Freund!"
Kurz bin ich überrascht, wie verständnisvoll er reagiert und fühle mich dadurch noch schlechter, dass er vermutlich nie eine Chance bei mir haben wird. Weil ich gerade allerdings keine Zeit dafür habe, muss mein schlechtes Gewissen warten. Ich lege ihm noch einmal dankbar die Hand auf den Rücken, bevor ich mir den Weg durch die vielen Menschen bahne, um den Flur zu erreichen. Dort angekommen sehe ich Harry am anderen Ende, wie er durch die Tür zum Garten taumelt. Durch seinen offensichtlich recht hohen Pegel ist er nicht besonders weit gekommen, obwohl der Flur fast menschenleer ist, was mich gerade echt freut, obwohl ich mir wahnsinnig Sorgen mache, dass er so besoffen zu sein scheint.
Schnellen Schrittes folge ich ihm in den Garten, wo er sich auf den Boden fallen lässt und mit dem Kopf auf seinen Armen, die er um seine Beine geschlungen hat, erneut schwer durchatmet. Es ist ziemlich dunkel hier draußen, nur eine kleine Laterne beleuchtet den Hof. "Harry?" sage ich vorsichtig, als ich mich ihm nähere. Er hebt träge den Kopf und blinzelt ein paar mal, bis er mich erkennt. "Lou, lass mich in Ruh- in Ruhe." nuschelt er und lässt den Kopf wieder auf seine Arme fallen. Aber ich denke nicht dran, ihn hier einfach betrunken seinem Schicksal zu überlassen. Weil ich viel Erfahrung mit besoffenen Menschen habe, weiß ich, dass es keine gute Idee ist, jemanden damit zu konfrontieren, dass er zu viel getrunken hat, weshalb ich es mit gut zureden und etwas guter Laune versuche.
Ich lasse mich neben ihm nieder und sage leise "Hast du mich gerade 'Lou' genannt?", stupse ihm dabei sanft in die Seite. "Lou-Loueeh, lass mich'n Ruhe. So be-besser?" lallt er und sieht mich an wie ein bockiges Kind.
Wie niedlich er dabei aussieht, ich könnte ihn auffressen...
"Ach, alles gut, du darfst mich auch gerne Lou nennen." sage ich und lächle ihn an. Er versucht angestrengt aufzustehen, was ihm mit kleinem Ausfallschritt auch gelingt. Er tapst ein paar Schritte weiter, murmelt dabei "Lass mich doch 'nfach- einfach alleine besoffn sein, du musst nich' immer n'Heldn spiel'n..." Obwohl er sich immer noch anhört, wie ein bockiger kleiner Junge, wirkt er nicht wirklich sauer. "...juckt doch sonst auch n-niemanden, wie's mir geht." Er hält sich an der Laterne fest und kneift die Augen zusammen, lässt seine Stirn gegen das kalte Metall kippen.
Ich stehe ebenfalls auf und gehe zu ihm rüber. "Du weißt, dass das nicht stimmt, Harry. Und du weißt auch, dass du mich so schnell nicht loswirst." sage ich schmunzelnd. "Ich versteh' nich', warum du nich' einfach aufgib's, Louis. Tu doch nich' so, als wär'ich dir wirklich wichtich oder 'son Scheiß'..." Wäre es nicht so traurig, was er da sagt, wäre es ja echt süß, wie er versucht, eine graden Satz zustande zu bringen. Ich drehe vorsichtig seinen Kopf mit beiden Händen zu mir, weshalb er leicht die schweren Augen öffnet. "Tut mir Leid, aber ich tue nicht nur so. Du bist mir wirklich wichtig." sage ich und blicke dabei tief in seine Augen. Kurz bildet sich eine kleine Falte zwischen seinen Augen und er schnaubt mich schwer an.
Wow, er ist wirklich verdammt betrunken, was hat er denn alles in sich reingeschüttet?
Vorsichtig lasse ich sein Gesicht los und versichere mich, dass er ohne mich stehen kann, als er die Laterne loslässt. "Ach hör do'auf..." murmelt er und hebt schwach die Hand, um sie in meine Richtung fallen zu lassen, als wollte er abwinken. "Nein, Harry. Ich höre nicht auf. Ich habe das ernst gemeint, dass ich dich nicht aufgeben werde." - "Halt doch'n Mund..." brummt er und packt sich mit zugekniffenen Augen an den Kopf. "Harry, bitte, ich will-" Er lässt mich den Satz nicht beenden, denn er - ich weiß nicht wo plötzlich so viel Energie herkommt - stolpert mir entgegen, packt meine Hände und drückt mich an die Hauswand hinter mir. Ich halte die Luft an.
Was- Was zur Hölle passiert hier gerade?!
"Ich hab gesagt, du sollst 'n Mund halten..." raunt er mich an, bevor er seine Lippen ungestüm auf meine drückt.
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2391 Words
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