XXI
Willow Duncan - Gegenwart
»Wenn ich dir meine Dunkelheit zeigen würde«, flüsterte Tom leise in ihr Ohr, seine Lippen streiften ihre Haut, während er beobachtete, wie sich eine Gänsehaut über ihren Nacken kräuselte, »würdest du mich dann immer noch betrachten, als wäre ich die Sonne?«
Er drückte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stelle genau unter ihrem Ohrläppchen und ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen.
»Selbst wenn ich es nicht wollte, könnte ich nicht anders«, gestand sie, und ihr Blick blieb an seinem hängen. In seinen Augen sah Willow eine Art Magie - düster, dunkel und gespenstisch schön.
Und das machte ihr keine Angst. Sie genoss es.
Tom begegnete ihren intensiven grauen Augen, einer Tiefe, in der man sich leicht verlieren konnte. Er konnte nicht alle Geheimnisse erkennen, die sie verbarg, aber er war sich sicher, dass es viele waren.
Als das aktuelle Lied zu Ende ging und ein neues begann, drehte sich Willow mit großen, unschuldigen Augen zu ihm um.
»Nur ein Tanz, Tom«, flehte sie und ließ ihre Hand über seinen Arm zu seinem Nacken gleiten, um ihn näher an sich zu ziehen. Sie wusste, dass er diese Berührung insgeheim genoss, auch wenn er es nie zugeben würde.
Heute jedoch presste er nur die Lippen aufeinander und schüttelte vehement den Kopf.
Willow stieß ein Seufzen aus, sie konnte sich nicht erklären, warum Tom so wenig Interesse am Tanzen hatte. Hatte er Angst, sich vor allen Leuten zu blamieren? Oder fürchtete er vielleicht, seinen Ruf als souveräner und tadelloser Slytherin zu ruinieren, indem er eine überschwängliche Seite zeigte?
»Keine deiner Vermutungen ist richtig, liebe Willow«, entgegnete er knapp. »Akzeptiere einfach, dass ich das Tanzen nicht ausstehen kann.«
Sie warf ihm einen wütenden Blick zu, frustriert darüber, dass er in ihre Gedanken eingedrungen war. Er hatte ihre Privatsphäre verletzt und sie daran erinnert, dass sie in seiner Nähe vorsichtig sein und ihre Geheimnisse gut hüten musste.
Aber was kümmerte das den furchterregenden Tom Riddle, der glaubte, tun zu können, was er wollte?
»Wage es nicht, noch einmal in meine Gedanken einzudringen, Tom Riddle!«, zischte sie wütend und kniff die Augen zusammen.
In diesem Moment entdeckte sie Avery, der an der Wand neben dem Torbogen lehnte, die Hände in den Taschen und mit trübsinniger Miene beobachtete, wie seine ehemalige Freundin Caroline begeistert mit Malfoy tanzte. Ihn so niedergeschlagen zu sehen, zerriss Willow das Herz.
Obwohl sie ihn nicht gut kannte und es ihr ein Rätsel blieb, warum er sich mit Malfoys Gang abgab, spürte sie, dass er ein aufrichtiger war als alle von Toms Freunden zusammen.
Ohne Tom einen weiteren Blick zu schenken, eilte sie zu Avery hinüber und nahm seine Hand. Dabei spürte sie Toms Augen auf sich gerichtet, und ein seltsames Gefühl der Zufriedenheit überkam sie.
Sie lächelte Avery zaghaft an, der über ihre plötzliche Initiative sichtlich verwirrt schien. Sein Blick blieb an ihren gemeinsamen Händen haften.
»Du scheinst so niedergeschlagen zu sein, dass ich dachte, wir könnten zusammen tanzen, um deine Laune zu heben«, bot sie an und fügte dann mit einem unschuldigen Zwinkern hinzu: »Vielleicht machen wir dabei sogar Caroline ein bisschen eifersüchtig.«
Ein leises, freudloses Lachen entkam Avery, bevor er sich von ihr auf die Tanzfläche führen ließ. Toms Blick hielt ihre Aufmerksamkeit nicht länger fest.
Als die sanften Klänge eines langsamen Liedes die Luft erfüllten, zog Avery Willow näher an sich heran, wobei seine Hand gefährlich tief auf ihrer Hüfte ruhte.
Es fühlte sich beunruhigend an, so intim mit einem von Toms engen Freunden zu tanzen, aber Willow war überzeugt, dass es nur ein Trick war, um die Eifersucht von Tom und Caroline zu schüren.
Doch der Ausdruck auf Averys Gesicht sagte etwas anderes.
Willow bemühte sich, ihr unsicheres Lächeln beizubehalten, und schwor sich im Stillen, nach diesem einen Tanz schnell zu verschwinden. Um Averys hoffnungsvollem Blick zu entgehen, legte sie ihren Kopf auf seine Schulter und kniff die Augen zusammen.
Das war von Anfang an eine schreckliche Idee gewesen, dachte sie, während sie mit ihm tanzte. Eine sehr, sehr schlechte Idee.
Averys warme Hand glitt zärtlich über ihren nackten Rücken, seine Absichten schienen wohlmeinend zu sein. Vielleicht glaubte er, sie würde etwas von ihm wollen. Trotzdem fühlte es sich völlig falsch an, und Willow musste gegen den Drang ankämpfen, nicht ihren ganzen Körper anzuspannen.
Sie atmete tief ein und öffnete die Augen, was sie sofort bereute, als ihr Blick auf die eiskalten blauen Augen von niemand anderem als Nott fiel.
Sie zuckte zusammen; Nott lächelte.
»Ist alles in Ordnung, Willow?«, fragte Avery, dem die Sorge ins Gesicht geschrieben stand. »Du bist blass wie ein Gespenst geworden.«
»Ich, nein, mir geht es gut«, murmelte sie und löste sich mit entschuldigender Miene aus seiner Umarmung. Willow verließ schnell die Tanzfläche und kehrte zu der Stelle zurück, an der sie und Tom zuvor gestanden hatten, aber Tom war nirgends zu finden. Er war verschwunden.
Ihr brach der kalte Schweiß aus, und ihre Hände begannen zu zittern. Ohne sich noch einmal umzudrehen, stürzte sie aus der Halle und irrte durch die hallenden Gänge von Hogwarts.
Sie war sich sicher, dass Tom sich in den Raum der Wünsche zurückgezogen hatte.
Als sie um eine Ecke bog, blieb ihr Fuß an einer Stufe hängen und sie stürzte zu Boden.
Schritte näherten sich von hinten, und sie wagte es nicht, sich zu bewegen, weil sie betete, dass die Schatten sie verschluckten und sie vor ihm bewahrten.
Doch als sie seinen widerwärtig warmen Atem auf ihrer Haut spürte, wusste sie, dass es bereits zu spät war.
»Willow«, flüsterte er, in seiner Stimme lag eine ekelhafte Ehrfurcht, die ihr den Magen umdrehte, »Unsere Begegnung in Hogsmeade war so kurz. Ich hatte die erzählen wollen, wie enttäuscht ich war, als du mich nicht auf dem Krankenflügel besucht hast. Immerhin hat mich dein Geliebter fast zu Tode geprügelt. Komm jetzt, Willow, steh auf. Ich will dir in die Augen sehen.«
Er richtete seinen Zauberstab auf sie und setzte einen ihr unbekannten Zauber ein, der sie zwang, sich zu erheben.
Als sie ihm in die Augen blickte, raste ihr Herz so schnell, dass sie befürchtete, es könnte ihr aus der Brust springen. Panik raubte ihr den Atem, und ihre zitternden Hände verkrampften sich hinter ihrem Rücken.
»Du hast mich ruiniert. Du hast zerstört, wofür ich gelebt habe. Und jetzt wirst du zusehen, wie ich deine Welt in Brand setze«, zischte er.
Er hob seinen Zauberstab und sprach den Cruciatus-Fluch aus, aber Willow konterte ihn mit einem Zauber, den sie gelernt hatte.
Nott versuchte, sein Erstaunen zu verbergen, aber es gelang ihm nicht. Seine Gesichtszüge verzogen sich zu einer hasserfüllten Grimasse, aber dank der unsichtbaren Schutzbarriere, die sie errichtet hatte, konnte er ihr nichts mehr anhaben.
Willow war dankbar, dass sie Toms Rat beherzigt und ihren Zauberstab eingesteckt hatte. Man weiß nie, was einen erwartet und was nicht.
»Du bist krank, Nott. Krank und gestört. Ich hasse dich!«, zischte sie, ihre Stimme zitterte vor Wut.
»Hass macht schwach, genau wie die Liebe. Er macht dich blind und unvorsichtig«, schossen ihr Toms Worte durch den Kopf, aber da war es schon zu spät.
Der Imperius-Fluch traf sie wie ein Blitzschlag. Sie redete sich ein, dass Nott nichts von ihrem verborgenen Schutzschild wusste, und versicherte sich, dass er ihn, wenn er ihn entdeckte, brechen und ihr Leben beenden würde.
»Sieh mich an, Willow«, befahl er.
Widerstrebend öffnete sie die Augen und begegnete seinem Blick. Sein kantiges Gesicht wurde von seinem zerzausten schwarzen Haar umrahmt.
»Küss mich«, forderte er.
»Was?« Ihre Überraschung war nicht gespielt.
»Keine Lust?«, spottete er.
Es spielte keine Rolle, erinnerte sie sich. Es war auf jeden Fall besser, als ermordet zu werden. Sie unterdrückte ihr Zögern, richtete sich auf und presste ihre Lippen auf die seinen.
Die Luft war eisig, aber sein Kuss war noch kälter. Nach einer gefühlten Ewigkeit löste sich Willow von ihm. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen, sichtlich angewidert, aber in seinen Augen glitzerte Gier, als er wieder auf sie herabblickte.
»Jetzt küsse mich, wie du Riddle küsst«, befahl er.
Sie überlegte einen Moment, dann begegnete sie seinem eisblauen Blick und fuhr mit den Fingern an seinen schlanken Oberarmen entlang.
Es widerte sie an und ließ sie fast würgen, aber die Angst vor dem Tod hielt sie zurück. Er wollte testen, wie weit seine Kontrolle über sie reichte, aber es gab noch etwas anderes, das er entdecken wollte, etwas, das mit Tom zusammenhing.
Gezwungenermaßen beugte sie sich noch einmal vor. Sie hatten das gleiche schwarze Haar, ähnliche Wangenknochen. Sie musste nur so tun, als ob.
»Weißt du Willow«, sagte er, als sie sich von ihm löste, »ich war das gute Kind und es hat mir nichts gebracht.«
Sie runzelte die Stirn, unsicher über seine Absichten, aber ein ungutes Gefühl machte sich in ihr breit.
»Ich habe immer Befehle befolgt, genau wie Toms. Ich war ihm gegenüber loyal und bereit, alles für seine Anerkennung zu tun, doch er hielt es nie für nötig, mir auch nur einen Moment seiner Aufmerksamkeit zu schenken. Ich überlegte, ob ich mich von Avery trennen sollte, da er ständig im Rampenlicht stand, aber ein solcher Schritt hätte sofort Verdacht erregt. Ich musste mir einen anderen Plan ausdenken, und so kam ich auf die Idee, Caroline zu verzaubern. Wie du siehst, ist mir das perfekt gelungen; jetzt wirkt er in Toms Augen schwach. Ich stehe kurz davor, meinen rechtmäßigen Platz einzunehmen, und das einzige Hindernis, das sich mir in den Weg stellt, bist du.«
Willow zuckte zusammen, und diese unwillkürliche Reaktion verriet ihre Angst. Nott sah sie mit einem unergründlichen Blick an und seine Lippen verzogen sich zu einem grausamen Lächeln.
»Du bist klug, das muss ich dir lassen. Aber nicht klug genug für mich. Deine Zeit ist zu Ende, Willow. Ich nehme an, du verstehst das.«
Gerade als sie die Augen schließen wollte, um sich ihrem Schicksal zu stellen, durchdrang ein Schrei die Luft.
»Incarcerus!«
Nott stürzte zu Boden, sein Körper war in beschworene Fesseln verstrickt. Seine Augen glühten vor Abscheu, als er seinen hasserfüllten Blick auf Tom richtete.
Willow zitterte, unsicher, ob ihre Angst oder ihre Erleichterung das stärkere Gefühl war, vielleicht auch beides gleichermaßen.
Als Tom sich ihr zuwandte, konnte sie die Intensität in seinem Blick nicht übersehen. Er war voller Wut und Hass und kämpfte darum, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten.
»Lauf«, sagte er, und seine Stimme bebte. »Lauf, und schau nicht zurück.«
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