XVI
Tom Riddle - Gegenwart
Der Himmel hing schwer von Wolken und drohte jeden Moment Regen auszulösen. Unter dem wolkenverhangenen Baldachin versuchte die schwache Sonne durchzudringen - ein vergeblicher Kampf, der das Versprechen eines Regenbogens hervorbrachte.
Tom hegte eine unerklärliche Abneigung gegen Regenbögen.
Ihre grellen Farben und die falsche Hoffnung und das Glück, das sie ausstrahlten, beleidigten sein Empfinden.
Aber vielleicht, überlegte er, könnte Willow in der vergänglichen Schönheit eines Regenbogens Trost finden. Er könnte sie für kurze Zeit von den Schatten befreien, die sie ständig verfolgten, und den gehetzten Ausdruck in ihren Augen durch etwas Gelasseneres ersetzen.
Tom seufzte und fühlte sich zunehmend ratlos. Der Vorfall mit Nott hatte sich vor ein paar Tagen ereignet, und der Slytherin würde die nächsten zwei Wochen auf der Krankenstation liegen - eine Tatsache, die Tom eine seltsame Befriedigung verschaffte.
Dennoch reichte das nicht aus; Nott hatte weitaus Schlimmeres verdient, aber Willow hatte Tom verboten, weitere Quälereien in Erwägung zu ziehen.
Der einzige Lichtblick in dieser Tortur war Willows neu gewonnene Bereitschaft, mit ihm zusammen zu sein. Sie wehrte sich nicht mehr und unterwarf sich gehorsam seiner Autorität.
Theoretisch hätte das befriedigend sein müssen, aber Tom stellte überrascht fest, dass er sich an Willows laute, selbstsichere Präsenz gewöhnt hatte. Es war eine Komplexität, die er nicht leicht entwirren konnte.
Tom seufzte tief und verscheuchte die lästigen Moskitos, die ihn umschwirrten. Der Sommer war eine Jahreszeit, die er meistens verachtete.
Während seine Altersgenossen am schwarzen See schwelgten oder sich auf den weitläufigen Rasenflächen sonnten, suchte er Trost im Raum der Wünsche oder auf dem Astronomie Turm.
Hier gab es wenigstens keine hektischen, sonnenhungrigen Schüler, die nach ihren Badeanzügen suchten oder sich über eine leere Sonnencremeflasche aufregten.
Ein knarrendes Geräusch durchbrach seine Gedanken, und Tom drehte seinen Kopf zur Tür und entdeckte Willow, die an ihm vorbeiging, den Blick nach unten gerichtet, scheinbar ohne seine Anwesenheit zu bemerken.
Sie ging weiter, ihre Schritte führten sie zum Geländer, während sie in den bedeckten Himmel starrte. Vielleicht, so vermutete er, wartete sie auf den Regen, in Erwartung der Chance, einen Regenbogen zu sehen.
Tom erhob sich und trat neben sie. Er bemerkte, dass sie zunächst erschrocken war, aber ihr Verhalten entspannte sich leicht, als sie seine Anwesenheit bemerkte.
Er ärgerte sich über die seltsame Genugtuung, dass sie sich an seine Gesellschaft zu gewöhnen schien, obwohl er eigentlich wollte, dass sie weiterhin Angst vor ihm hatte.
»Wartest du auf den Regenbogen?«, fragte Tom und biss sich im selben Moment auf die Lippe.
Was für eine infantile, sinnlose Äußerung.
»Pardon?« Sie drehte sich zu ihm um, und ihre Überraschung wurde durch ein subtiles Grinsen unterstrichen, das ihre Lippen umspielte. »Nein, ich warte eigentlich nicht auf den Regenbogen«, entgegnete Willow, »aber es klingt angenehmer, als zuzugeben, dass ich auf Regen warte.«
»In der Tat«, räumte er ein.
Tom lehnte sich gegen das Geländer und ließ seinen Blick über das weitläufige Gelände von Hogwarts schweifen.
Auch wenn die Stelle des Schulleiters in seinen Zukunftsvisionen keine große Rolle spielte, so bot sie doch eine Atempause von seinen eher beunruhigenden Ambitionen.
All das würde ihm gehören, und noch viel mehr.
»Ich hätte nie gedacht, dass Nott so etwas tun würde«, murmelte Willow nach einer Weile leise und richtete ihren Blick nun auf ihn. »Er war immer so nett und ziemlich charmant. Ich hätte den Drink, den er mir anbot, ablehnen sollen. Ich war unvorsichtig.«
Tom streckte seine Hand aus und umschloss ihre weiche Hand mit seiner eigenen. Es war ein merkwürdiges Gefühl und obwohl er körperlichen Kontakt normalerweise vermied, ließ er es nun zu.
»Hör auf, dir die Schuld zu geben, Willow. Nott ist ein abscheulicher Manipulator, selbst ich habe seine Fassade nicht durchschaut.«
Sie nickte und senkte ihren Blick auf ihre verschränkten Hände. »Weißt du, ich hätte nie gedacht, dass ich mal hier an deiner Seite stehen würde.«
Tom schwieg und ließ ihre Hand los, während er seinen Blick in die Ferne schweifen ließ.
»Ich bin nicht der, für den du mich hältst, und ich werde es auch nie sein«, sagte er mit rauer Stimme. »Ich gebe zu, dass ich dir nicht die Möglichkeit gegeben habe, dich weise zu entscheiden, und vielleicht habe ich in diesem Moment impulsiv gehandelt, vielleicht aber auch nicht. Ich glaube nicht an das Schicksal oder den Zufall, aber was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass der Moment, in dem wir uns zum ersten Mal wirklich in die Augen sahen, bestimmt war. Es sollte so sein, wie eine Prophezeiung. Aber ich bleibe Tom Riddle, und das wird sich niemals ändern, Willow«, beteuerte er.
»Das brauchst du mir nicht zu sagen, Tom. Das weiß ich bereits«, erwiderte sie, »ich weiß alles, und noch so viel mehr.«
Eine Weile standen sie schweigend nebeneinander und starrten beide in den Himmel. Obwohl sie es nicht zugeben wollten, warteten sie beide insgeheim auf den verhassten Regenbogen.
In Gedanken versunken, spürten sie beide eine unerwartete Behaglichkeit in der Gegenwart des anderen. Willow warf einen verstohlenen Seitenblick auf ihn.
Er trug die Slytherin-Uniform mit einer gewissen Eleganz. Sein Teint war wie immer blass, dunkle Haarsträhnen fielen ihm in die Stirn. Ein kleiner, nicht verheilter Kratzer zierte sein Kinn.
Wie gerne würde sie jetzt durch seine Haare streichen, die Konturen seines Gesichts mit ihrem Finger entlangfahren und ihre Lippen auf seine pressen.
In diesem Moment wurde Willow von einer plötzlichen Erkenntnis aufgeschreckt. Sie wollte es nicht wahrhaben und zog es vor, es zu leugnen und zu vergessen, denn sie hätte nie geglaubt, dass ihr so etwas passieren könnte
Willow Duncan hatte sich in Tom Riddle verliebt - den giftigen, rücksichtslosen und eiskalten Tom Riddle. Sie war sich seines wahren Wesens, seiner Fähigkeiten und der Tiefen seiner inneren Finsternis sehr wohl bewusst.
Vielleicht sogar mehr als er selbst. Als sie ihn mit geweiteten Augen anstarrte, rang sie mit dieser beunruhigenden Erkenntnis.
Sie wollte sie tief in ihrem Bewusstsein vergraben, doch gleichzeitig wie ein kostbares Geheimnis hüten.
Tom, der ihren verwirrten Gesichtsausdruck bemerkte, drehte sich zu ihr um und hob neugierig eine Augenbraue.
Bevor er etwas sagen konnte, schlang sie ihre Arme um seinen Hals und verschloss seine Lippen mit ihren eigenen. Eine Welle leidenschaftlicher Hitze durchströmte seinen Körper, als er seine Finger in ihrem dunklen Haar vergrub und sie näher zu sich zog.
Verloren in ihrer intensiven Umarmung, nahmen sie die Welt um sich herum nicht mehr wahr. Als sie sich schließlich trennten und beide nach Luft schnappten, trat Willow einen Schritt zurück, wohl wissend, dass das, was sie soeben getan hatten, völlig falsch war, und doch hatte es sich unbestreitbar richtig angefühlt.
Sie wandte sich ab, in der Absicht, zu gehen, unfähig, Toms Blick zu erwidern, überwältigt von einem Gefühl der Scham, auch wenn sie nicht genau sagen konnte, woher es kam.
Doch Tom ergriff ihr Handgelenk und hielt sie auf. Als sie sich ihm zuwandte und in seine tiefen, dunklen Augen blickte, wusste sie, dass er sie verstand.
»Ich bin Tom Riddle. Ich kann dich nicht lieben, Willow. Ich kann es nicht und ich werde es niemals können.«
Als sie sich langsam seinem Griff entzog, begann ihre Umgebung zu verschwimmen, als würde sie sie aus der Ferne betrachten. Toms Worte hallten in ihren Ohren wider, und der emotionale Sturm in ihr verstärkte sich.
Erst als sie rückwärts stolperte und gegen die Tür prallte, klärte sich ihre Sicht und ihre tränenverschmierten Wangen verrieten ihren unausgesprochenen Schmerz.
Warum weinte sie? Was hatte sie von ihm erwartet? Liebeserklärungen? Sie wusste, dass das ein unmöglicher Traum war. Tom war unfähig zu lieben, und sie war sich dieser Tatsache bewusst.
Als Willow durch die Hallen und unzähligen Korridore von Hogwarts eilte, auf der Flucht vor sich selbst und diesen verwirrenden Gefühlen, stieß sie plötzlich mit Avery zusammen.
»Es tut mir so leid, ich habe dich nicht gesehen«, murmelte er entschuldigend, aber seine Stimme verstummte, als ihm klar wurde, wen er umgestoßen hatte. In diesem Moment verfiel er in ein betretenes Schweigen, sein Blick durchbohrte sie.
In Averys Augen spiegelte sich ein innerer Kampf wider, ein Kampf darum, seine Instinkte zu unterdrücken, seinen menschlichen Impuls, eine helfende Hand auszustrecken - eine Empfindung, die Tom verachtete.
»Schwäche und Verletzlichkeit werden über dich triumphieren, wenn du dich nicht beherrschst«, hallten Toms Worte in seinem Kopf wider. Sie erinnerten ihn daran, wie Tom sie ausgebildet hatte, indem er ihnen beigebracht hatte, nicht der Empathie oder dem Mitleid zu erliegen.
Er hatte diese Lektion an Leuten wie Rosier und Mulciber demonstriert, indem er sie für ihre vermeintlichen Schwächen bestrafte.
Als Willow zu Avery aufblickte und den Aufruhr in seinen Augen wahrnahm, verstand sie den Grund für ihre Tränen.
Sie weinte nicht nur wegen ihres eigenen Verlusts, sondern auch wegen der Erkenntnis, dass sich Tom schon vor langer Zeit selbst verloren hatte und sie wusste, dass er niemals den Weg zurück finden würde.
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