Into this house
„Kommst du?"
Ich zucke unter der fragenden Stimme zusammen und überrascht schaue ich auf. Theo lehnt locker in der Autotüre, während Stiles und Liam schon in der Sheriffsstation verschwunden sind. In diesem Moment kann ich gerade noch Liam's dunklen Pullover hinter der zufallenden Glastüre erkennen. „Ich bleibe hier," murmele ich verneinend auf die Frage und vermeide bewusst seinen Blick. Stattdessen starre ich auf meine Hände und auf die schwarze Verfärbung auf meinem linken Handgelenk. Das Narbengewebe hat sich tief in meine Haut gebohrt und automatisch kommen mir erneut Theos warnende Worte ins Gedächtnis. Du wirst langsam zu einem von Ihnen.
Das Zuschlagen der Autotüre lässt mich zusammenzucken und überrascht schrecke ich aus meinen Gedanken. Theo hat sich wortlos von mir abgewandt und steuert mit schnellen Schritten das Polizeirevier an. Auf der Fahrt hatten die drei Jungendlichen mir erklärt, dass sie hier auf den Sheriff - Stiles Vater - treffen wollen. Liam hatte mir unter Stiles missmutigem Blick erzählt, dass die Ghostrider in der Zwischenzeit fast ganz Beacon Hills ausgelöscht haben. Darunter alle Deputy's, die unter der Anleitung von Stiles Vater auf Patrouille nach Überlebenden suchen sollten. Keiner von ihnen ist zurück kehrt - doch selbst diese Nachricht hat mich nicht so erschüttert wie die Tatsache, dass Theo vielleicht recht haben könnte.
Was wenn das Narbengewebe tatsächlich bedeutet, dass ich anfange mich in einen Ghostrider zu verwandeln?
Meine Finger graben sich in den Stoff meiner Hose und ich spüre den Druck, den sie dabei auf meine Oberschenkel auswirken. Ein Brennen zieht sich von meinen Fingerkuppen über mein Bein und ich brauche wenige Sekunden um meine verkrampften Muskeln annähernd entspannen zu können. Die Ghostrider haben dich ausgelöscht. Es gibt dich nicht mehr. Die Stimme von Theo dringt erneut in meinen Kopf und hallt dort nervtötend wieder. Seine Worte prallen an meiner Kopfhaut ab und bilden sich nur wenige Sekunden danach erneut in meinem Gedächtnis. „Aber ich bin doch hier," murmele ich meine eigene Antwort wiederholend vor mich hin, höre im selben Moment jedoch bereits Theos kopfschüttelnde Erwiderung. Du dürstest gar nicht mehr existieren. Ich dürfte gar nicht mehr existieren.
Diese Erkenntnis trifft mich mit voller Wucht. Seit Tagen habe ich keinen Gedanken mehr daran verschwendet, dass die Ghostrider mich ausgelöscht und damit aus der Existenz gerissen haben. Bisher ging es für mich nur darum, Scott und Stiles dazu zubringen, sich an mich zu erinnern, herauszufinden ob ich Theo vertrauen kann und Clays Stimme immer wieder aufs Neue zu hören. Ich hatte in den letzten Tagen keine Sekunde mehr an den Gedanken verschwendet, dass die fehlenden Erinnerungen meiner Freunde bedeuten, dass ich nicht länger existiere. Weder in ihrer, noch in irgendeiner anderen Realität. Was wenn Theo also tatsächlich recht hat und ich anfange, mich aufzulösen?
Du wirst langsam zu einem von Ihnen.
Ich kneife die Augen zusammen und versuche Theos Stimme aus meinem Kopf zu sperren. Doch sie kommt immer wieder und seine Worte schneiden sich tief in meine Kopfhaut. Ein schmerzhaftes Pulsieren macht sich hinter meinen Schläfen breit und als Reaktion darauf kneife ich meine Augenlieder noch fester zusammen. Das schmerzhafte Stechen wird besser, bleibt jedoch als monotones Pulsieren und einem unangenehmen Druck in meinen Augenhöhlen spürbar. Ich atme tief durch und höre erneut Theos warnende Stimme in meinem Kopf.
Du dürftest gar nicht mehr hier sein.
Du dürstest gar nicht mehr existieren.
Ich hebe meine Hand und fange vorsichtig damit an, meine Schläfen zu massieren. Die Berührung meiner kalten Finger auf meiner glühenden Stirn zeigt Wirkung und ich habe das Gefühl, dass meine lauten Gedanken wenigstens für wenige Sekunden zum Schweigen kommen. Ich muss daran denken, wie das schwarze Narbengewebe meine gesunde Haut überzieht und somit anfängt das zu bestätigen, was Theo scheinbar schon seit längerer Zeit vermutet. Du wirst langsam zu einem von Ihnen und langsam glaube ich, dass er Recht hat. Ich selbst habe bemerkt, wie ich anfange den Kontakt zu meinem früheren Leben zu verlieren.
Scott. Stiles. Lydia. Sie alle können sich selbst nach Tagen nicht mehr an mich erinnern und selbst Hayden konnte ich noch keine Erinnerung an mich entlocken. Dabei haben wir jahrelang zusammen Hockey gespielt. Bis gestern, war meine einzige Hoffnung noch Clay. Ich hatte das Gefühl, mit dir reden zu müssen. Für einen kleinen Moment hatte sich jedes Gespräch mit ihm vertraut angefühlt. Als wäre er wieder von den Toten zurückgekehrt und könnte sich erneut an mich erinnern. Warum fühlt es sich so an, als würde ich dich schon Ewigkeiten kennen? Diese Frage hatte mich gleichzeitig beflügelt und im nächsten Moment bereits tief fallen gelassen. Clay hatte unsere tiefgehende Verbindung auch bemerkt, nur war sie für ihn nicht nachvollziehbar. Unheimlich. Er hat versucht eine logische Erklärung für sie zu finden und als ich ihm die Wahrheit angeboten habe, hat er sie von sich gestoßen. Ich frage mich warum. Er selbst hatte das Gefühl, mit mir reden zu müssen. Er selbst hatte mich in den letzten Tagen mehrmals angerufen, um mir zu helfen und mir mit einem Rat beiseite zu stehen. Er selbst muss gewusst haben, dass ich mehr als nur eine neue Freundin bin. Trotzdem hat er sich dazu entschieden, meinen Worten nicht zu glauben.
Mein Blick fällt auf meinen Arm.
Das schwarze Narbengewebe zieht sich in der Zwischenzeit von meiner Handfläche über meinen Handrücken und überzieht mit langen Strichen meine Finger. In der letzten Nacht hat sich die Ausbreitung der Verfärbung radikal verschnellert und ich habe keinen Zweifel daran, dass es an Clays Zurückweisung liegt. Du fängst an dich aufzulösen. Weil sich niemand mehr an mich erinnern kann und ich somit nicht länger existiere. Es gibt dich nicht mehr. Meine Finger graben sich in den Stoff meines Pullovers und ich kann die abgerundeten Kanten meines Handys spüren. Vielleicht sollte ich Clay noch einmal anrufen. Vielleicht könnte ich ihn jetzt davon überzeugen, dass es die Ghostrider tatsächlich gibt. Dass es mich tatsächlich gibt. Sein Vertrauen und seine Erinnerungen könnten mein Überleben bedeuten. Ich sollte es nochmal versuchen.
Meine Finger schweben wenige Zentimeter über dem leuchtenden Display, zögernd ob es tatsächlich eine gute Idee ist noch einmal die Nummer meines Bruders zu wählen. Was wenn er mich noch einmal zurückweist - würde sich das Narbengewebe weiter ausbreiten? Könnte Clay überhaupt verhindern, dass ich immer mehr verschwinde? Während die Gedanken drohen mich zu ersticken, ertönt plötzlich ein lauter Knall und ich zucke zusammen. Laute Stimmen hallen langsam zu meinen Ohren und gerade als ich verwundert nach ihrem Ursprung suchen möchte, werden die Vordertüren des Jeeps aufgerissen. Ein kalter Luftzug dringt ins Auto und mit großen Augen beobachte ich Theo und Liam, die sich mit hektischen Bewegungen auf die Sitze fallen lassen. Theo hat dabei wie selbstverständlich auf dem Fahrersitz Platz genommen, während Liam schweratmend auf den Beifahrersitz gesunken ist.
„Was ist los?"
Meine Stimme klingt zögerlich und verwundert werfe ich einen Blick in Richtung Sheriff Station. Niemand ist zu sehen. Jedoch bemerke ich erst jetzt, dass der Himmel sich schlagartig verdunkelt hat und dicke Regenwolken über uns hängen. Ein heftiger Sturm scheint die Luft erfasst zu haben und ich kann sehen, wie sich die Bäume trotzig versuchen dem stürmischen Luftzug zu widerstehen. „Sie sind hier," bringt Liam zwischen zwei schweren Atemzüge hervor, während Theo versucht den Motor des alten Jeeps zu starten. Sekundenlang setzt er ein, bevor er ratternd erstirbt und ich nahezu die Panik in seinen Augen sehen. Ich frage mich, warum er am Steuer sitzt und nicht etwa Stiles, der mehr Erfahrung mit seinem alten Jeep hat.
Stiles.
„Wo zur Hölle ist Stiles?"
Meine Stimme zittert vor Nervosität und aufgeregt lasse ich meinen Blick zwischen den beiden anwesenden Jungen hin und her schweifen. Theo versucht erneut den Motor des Jeeps anzuschalten, während Liam kurzzeitig versucht mit ihm Blickkontakt aufzunehmen. Während der Motor jedoch ein weiteres Mal ratternd erstirbt, dreht sich Liam zu mir um und antwortet auf meine Frage: „Sie haben ihn erwischt. Ihn und seinen Vater." Mit großen Augen starre ich den Jungen sprachlos an. Ich sehe den dünnen Schweißfilm auf seiner Stirn und die dunklen Haare, die ihm ungemacht ins Gesicht hängen. Seine Brust hebt sich rasend schnell und seine Finger haben sich vor Anspannung in das Armaturenbrett gekrallt. Dann fällt mein Blick ruckartig durch das Seitenfenster zurück auf das Polizeirevier. Der Wind hat die gläsernen Eingangstüren ergriffen und schlägt sie immer wieder gegen die Seitenwand. Blitze zucken grellend hell über das Himmelszelt und mein Herzschlag setzt für einen kurzen Schlag aus.
„Wir müssen ihm helfen."
Ich schüttele fassungslos den Kopf. Vor meinem inneren Auge kann ich meinen besten Freund sehen. Ich sehe Stiles. Wie er mit Panik in den Augen in einer Wolke aus grünem Nebel verschwindet. Mir fällt es schwer, den Gedanken zu verdrängen, dass er in diesem Moment wohl dieselbe Angst verspürt hat, wie ich und plötzlich fühle ich mich in meinem ersten Instinkt bestätigt. Ich muss ihm helfen. Er hätte dasselbe für mich getan. „Charlotte du kannst nicht einfach...," Liam versucht mich verzweifelt aufzuhalten, doch ich bin bereits über die Sitzbank zur Türe gerutscht. Meine Hand legt sich auf den eiskalten Türgriff und ich spüre den wässrigen Schimmer in meinen Augen.
Ich muss ihm helfen.
Jetzt.
Sofort.
„Charley!"
Die strenge Stimme von Theo dringt an mein Ohr und bevor sich meine Finger fester um den Türgriff schließen können, legt sich eine Hand um meinen Oberarm. Ich werde kurzzeitig von meinem Vorhaben abgebracht und lasse meinen Blick zu dem Jungen auf dem Fahrersitz schweifen. Auch ihm hängen die Haare verschwitzt in die Stirn und ich kann seine angespannten Muskeln sehen, die sich unter seiner Haut deutlich abbilden. Er hat aufgehört zu versuchen, den Motor zum Laufen zu bringen, auch wenn ich die Unruhe in seinem Körper sehen kann. Jedoch hat er stattdessen seinen Oberkörper leicht zu mir gedreht und seine Augen mit einer beängstigende Ehrlichkeit auf mich gelegt.
„Er ist weg Charley," Ich kann sehen wie er den Kiefer angespannt zusammenpresst und mir versucht nur mit seinem Blick die Bedrohlichkeit der Situation zu vermitteln, „Weg. Du kannst ihm nicht mehr helfen." Sekundenlang starren wir uns an. Schweigend. Vertraut. Ich habe das Gefühl, dass der Junge versucht mich vor mir selbst zu retten. Doch meine Gedanken hängen noch immer an Stiles. Auch wenn ich weiß, das Theo recht hat. Ich kann dem Jungen nicht mehr helfen. Er ist weg. Theos Blick sagt genau das. Erst Liam's panische Stimme reist uns schlagartig auseinander.
„Theo! Jetzt wäre eine guter Moment um loszufahren."
Der angesprochene Junge unterbricht sofort unseren Blickkontakt. Er richtet seine Augen ruckartig auf Liam, bevor er dessen zeigender Bewegung folgt und einen Blick in den Rückspiegel riskiert. Ich sehe die Spiegelung seiner Augen, die sich in diesem Moment fassungslos weiten.
„Fuck," fluchend richtet er seine Aufmerksamkeit zurück auf den Wagen und hektisch wandert seine Hand zu dem steckenden Autoschlüssel. Seine Finger rutschen zweimal ab, bevor er es schafft, sie zu umfassen und umzudrehen. Währenddessen schreit ihm Liam mehrere Dinge entgegen. In meinem Kopf breitet sich ein lähmendes Pulsieren aus. Der Lärm im Auto wird ausgeblendet und wie betäubt starre ich auf meine zitternden Hände. Das Narbengewebe schimmert schwarz im einfallenden Licht der Straßenlaternen und langsam verkrampfen sich meine Hände. Stiles ist ausgelöscht. Einfach verschwunden. Sie haben ihn erwischt.
„Ja. Los," das laute Jubeln von Liam dringt langsam zu mir durch und ich kann spüren, wie der Junge sich aufgeregt zurück in den Sitz fallen lässt. Im selben Moment kann ich das leichte Vibrieren des Motors spüren, das in der Zwischenzeit das ganze Auto ergriffen hat. Theo hat es geschafft. Ich sehe wie der Junge den Rückwärtsgang einlegt und sich seine Finger fester um das Lenkrad legen. Der Wagen setzt sich ruckartig in Bewegung und ich werde in den Sitz gedrückt. Theo dreht sich leicht zu mir um, beachtet mich jedoch nur mit einem flüchtigen Blick. Dann schweifen seine Augen an mir vorbei und durch das Rückfenster des Wagens. Er scheint das Gaspedal durch zu drücken und der Jeep macht erneut einen ruckartigen Satz zurück. Wir scheinen etwas zu treffen. Ein dumpfer Knall. Eine Erschütterung. Mein Handy rutscht mir aus den Fingern und landet im Fußraum. Theo bremst und ich kann sehen wie das kleine Gerät unter Liam's Sitz rutscht. Gleichzeitig bemerke ich im Augenwinkel, wie sich die beiden Jungen einen kurzen Blick zu werfen. Ein Lächeln bildet sich auf ihren Lippen, bevor Theo den Vorwärtsgang einlegt und mit einem halsbrecherischen Tempo vom Parkplatz rast. Ich werde in den Sitz gedrückt und werfe dem Polizeirevier noch einen letzten wehmütigen Blick zu.
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