His brain is squirmin'
Ich sitze neben Scott in dem Auto seiner Mutter und habe meine Hände nervös zwischen meine Oberschenkel geklemmt. Im Radio läuft ein altes Lied, dessen Melodie mir zwar bekannt vorkommt, ich mich aber nicht länger an den Text erinnern kann. Die Scheinwerfer des Autos erleuchten nur spärlich die leere Straße vor uns und die Tatsache, dass ich und Scott uns nun schon seit geschlagenen fünf Minuten anschweigen, lässt mich nervös schlucken. Früher hatten wir uns immer was zu erzählen und wenn nicht, dann war die Stille zwischen uns angenehm. Jetzt jedoch drückt sie wie ein unendliches Gewicht gegen meine Brust und zermahlt mein Gehirn mit nutzlosen Ideen, um ein Gespräch anzufangen.
Sechs Minuten.
„Wann haben die Ghostrider deine Familie erwischt?"
Dankbar für Scotts ruhige Stimme, schließe ich für wenige Sekunden die Augen. Mein schnell schlagendes Herz beruhigt sich und langsam drehe ich mich dem Jungen auf dem Fahrersitz zu. „Gestern Nacht. Kurz vor meinem Anruf." An dieser Stelle halte ich es für wichtig, die Wahrheit zu erzählen. „Und hast du die Ghostrider gesehen?" Im ersten Moment glaube ich, Scott würde mir mit dieser Frage indirekt etwas unterstellen wollen. Doch bereits in der nächsten Sekunde erkenne ich meine eigenen Paranoia. Mein Freund möchte lediglich wissen, ob ich selbst in Gefahr bin. Sie jagen die, die sie sehen können. Dieses Mal verzögere ich meine Antwort. Ich frage mich, ob ich dem Jungen die Wahrheit sagen soll. Doch dann erinnere ich mich an Theos wissende Frage, kurz nach meinem Aufwachen. Seine Stimme hatte so verschwörerisch gelungen, als er feststelle, dass ich wie Gwen den Ghostrider sehen konnte. Also schüttele ich als Antwort auf Scotts Frage leicht mit dem Kopf und kratze mich nervös im Nacken. „Ich habe geschlafen."
Verstehend nickt der Junge neben mir und verfällt erneut in ein erdrückendes Schweigen. Seine Finger klopfen abwechselnd auf das Lenkrad, wodurch ein unruhiges Tippgeräusch entsteht, dass mich noch nervöser werden lässt. Ich habe Angst, dass Scott diese Nervosität bereits riechen kann und daraufhin Schlussfolgerungen zieht, die mich und meine Lügen auffliegen lassen.
„Du hast einen Bruder, oder?"
Verwundert über diese intime Frage schaue ich überrascht auf. Mein Herz macht einen aufgeregten Sprung, als ich feststelle, dass ich dem Jungen gegenüber noch keine Zeit hatte Clay zu erwähnen. Dass er jetzt selbst von ihm weiß, lässt mich hoffen, dass er anfängt sich an mich und meinen Zwilling zu erinnern. „Ja," ich versuche das aufgeregte Zittern meiner Stimme mit einem kurzen Atemzug zu unterbinden, „Woher weißt du das?" Ich erwarte, dass Scott so etwas sagt, wie ich habe da so ein Gefühl. Doch dass er mir mit dem Namen von Theo antwortet, habe ich definitiv nicht erwartet. „Er hat es uns erzählt während du ohnmächtig warst."
Ich öffne den Mund, um etwas einzuwenden, schließe ihn jedoch sofort wieder, als ich mir selbst eingestehe, auf diese Aussage nichts einwenden zu können. Innerlich stelle ich mir jedoch selbst die Frage, wieso Theo den Teenager von meinem Bruder erzählt. „Wie nah wart ihr euch?" Wieder überrascht mich Scott mit einer intimen Frage und blinzelnd richte ich meinen Blick auf den Jungen neben mir.
Auf den Teenager, der normalerweise genau weiß, wie sehr ich und Clay aneinander gehangen haben. Der Junge, der vor den Ghostrider nur noch selten meinen Bruder angesprochen hat, aus Angst mich dadurch erneut zu verletzten. Doch dass er Clay in diesem Moment mit einer solchen bedeutenden Frage ins Gespräch bringt, verschlägt mir für wenige Sekunden die Sprache. Mein Herz macht einen schockierten Zwischensprung, während sich die Gedanken in meinem Kopf überschlagen. Soll ich Scott die Wahrheit sagen? Soll ich ihn anlügen? Nervös knete ich meine Finger und spüre meinen eigenen kalten Schweiß auf meiner Haut. Dann räuspere ich mich und entscheide mich für die Wahrheit.
„Wir waren uns sehr nahe," ich beiße mir auf die Unterlippe, in der Hoffnung dadurch die sich anbahnenden Tränen unterdrücken zu können, „Wir sind Zwillinge, weist du? Wir wussten immer, was der andere sagt. Denkt. Fühlt," in diesem Moment schließe ich für wenige Sekunden meine Augenlieder und eine einzelne Träne löst sich aus meinem Augenwinkel und läuft kochend heiß über meine eiskalte Haut, „Und dann war er plötzlich weg." Meine Gedanken kreisen um Clays Unfall. Wie ich nach dem Hockeytraining vor der Schule auf ihn gewartet hatte und stinksauer war, weil er mich nicht wie versprochen abgeholt hatte. Als auf dem Heimweg dann ein Krankenwagen an mir vorbei raste, hatte ich keinen Gedanken auch nur daran verschwendet, dass vielleicht Clay in ihm liegen könnte. Von dem Unfall selbst hatte ich erst Stunden später erfahren, als mein Vater mich mit Tränen in den Augen Zuhause abholte und wir zusammen ins Krankenhaus fuhren, in dem Clay bereits den Kampf um das Leben verloren hatte.
Bis heute weiß ich nicht, wie die letzten Minuten seines Lebens aussahen.
„Es tut mir Leid."
Scotts sanfte Stimme reist mich aus meinen Gedanken und unter seinen Worten zucke ich leicht zusammen. Denselben Satz hatte er damals auch gesagt. Er hatte die Worte ausgesprochen und mich anschließend fest in den Arm genommen. Ich hatte es für wenige Sekunden zugelassen. Dann hatte ich ihn von mir geschoben und mich schweigend an ihm vorbeigedrückt. Tagelang hatte ich ihn und meine anderen Freunde gemieden, um nicht weitere Entschuldigungen zu hören. Sie jetzt erneut von ihm zu hören, reist mich ruckartig zurück zu dem Tag an dem Clay aufgrund eines unachtsamen Autofahrers sterben musste. „Ich wüsste nicht, was ich tun würde, wenn Stiles einfach weg wäre."
Ich beiße auf meine Unterlippe und hoffe ein schmerzerfülltes Schluchzen unterdrücken zu können. Inzwischen haben sich zwei weitere Tränen aus meinen Augen gelöst und laufen über meine Wange. „Ihr seit beste Freunde." Ich bemerke wie Scott mir einen kurzen Seitenblick zu wirft, bevor er zögerlich antwortet: „Er ist wie ein Bruder für mich."
Der Junge neben mir wendet sich von mir ab und richtet seinen Blick zurück auf die dunkle Straße vor uns. Seine Finger tippen noch immer nervös auf das Lenkrad und das Radio spielt in der Zwischenzeit einen alten Klassiker, denn ich zwar kenne, aber nicht benennen kann. Clay hätte es gekonnt. Er liebte alte Lieder, einer der Gründe weshalb ich das Lied Riders on the Storm schon kannte und Stiles es erkennen konnte, als Lydia in einer Banshee-Vision daraus zitierte.
„Du würdest ihn vergessen."
Meine leise Stimme geht fast in dem Rauschen des Radios und dem beständigen Rattern des Motors unter. Trotzdem ist es für Scott eine Leichtigkeit meine niedergeschlagenen Worte zu hören. Scott schüttelt leicht den Kopf und ich bin überrascht. Er wirft mir erneut einen kurzen Seitenblick zu und mit einer zitternden Hand wische ich mir flüchtig über die Wange, die aufgrund der heißen Tränen nass ist. Ich schmecke ihren salzigen Rückstand auf meinen Lippen und atme tief durch. „Nein," Scott schüttelt bei seinem verneinenden Satz leicht den Kopf, „Ich könnte ihn niemals vergessen." „Die Ghostrider würden dafür sorgen. So wie sie es bei mir geschafft haben. Niemand erinnert sich mehr an mich. Nicht mal meine Familie," ich richte meine Augen aus dem Seitenfenster und versuche somit Scotts aufmerksamen Blick zu entgehen, „nicht meine Freunde. Niemand."
„Hey wir werden dir helfen," seine Stimme ist plötzlich unglaublich sanft und ich versuche erneut die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. „Wir werden deine Familie zurückholen."
Seine Worte reisen mich schlagartig zurück in die Realität. Ich erinnere mich an meine eigene Lüge und somit an die Geschichte, dass nicht ich von den Ghostrider ausgelöscht wurde, sondern meine Familie. Ich blinzele. Eine letzte Träne löst sich aus meinem Augenwinkel, bevor ich tief durchatme und versuche die lähmende Verzweiflung wenigstens für ein paar Sekunden zu vergessen, um meine Tarnung aufrecht zu erhalten.
„Ich glaube ich kann mich nur noch an sie erinnern, weil ich eine Banshee bin."
Scott wirft mir einen kurzen Seitenblick zu und scheint sekundenlang in seinen eigenen Gedanken gefangen. Er nickt nachdenklich vor sich hin, bevor er leise zugibt: „Ja. Diese Vermutung haben wir auch schon." Dann schweigt er und mir wird bewusst, dass die Jugendlichen in meiner Abwesenheit bereits neue Erkenntnisse über die Ghostrider gewonnen haben müssen. Zumindest kann ich mit seiner Andeutung rein gar nichts anfangen.
„Wo wohnst du eigentlich?"
Scott verändert mit nur einer Frage das ganze Gespräch und damit auch gleichzeitig die Stimmung im Auto. Der Jugendliche wirft mir einen verwunderten Blick zu, als würde ihm erst jetzt auffallen, dass er seit zehn Minuten blind durch die Stadt fährt. Denn auch ich hatte ihm völlig vergessen zu sagen, wo er hin fahren muss. Also werfe ich einen kurzen Blick aus dem Fenster, um herauszufinden, wo wir uns überhaupt befinden. Während unserem Gespräch hatte ich der Außenwelt keine Aufmerksamkeit geschenkt.
„Ich wohne...," die Gegend kommt mir unglaublich bekannt vor und dann verstehe ich plötzlich, wo wir sind, „Nur eine Querstraße weiter." Scott biegt ab, noch bevor ich meinen Satz ganz aussprechen kann, als hätte er bereits gewusst, dass ich diese Aussage machen werde. Überrascht werfe ich ihm einen Blick zu, den er nicht weniger verwundert erwidert. Jedoch sagt er nichts. Ich hingegen spüre wie mein Herz einen nervösen Sprung macht und sich kalter Schweiß auf meine Haut legt. Ich richte meinen Blick aus dem Fenster und erkenne in einiger Entfernung das Haus meiner Familie.
Scott hatte uns hier her gefahren, ohne dass er meine Adresse wusste.
Sein Unterbewusstsein hatte ihn hier hergeführt, als könnte sich wenigstens ein kleiner Teil in ihm noch daran erinnern, wie er mich in den letzten Jahren oft Nachhause gefahren hat.
Ich atme tief durch und versuche nicht dem überwältigenden Gefühl der hoffnungsvollen Freude nachzugeben, die in diesem Moment meinen Körper erklimmt. Doch auch wenn ich es leugnen möchte, kommt mir immer wieder nur ein Gedanke zurück in meinen Kopf.
Dass Scott unbewusst mein Haus gefunden hat, könnte ein Beweis dafür sein, dass unsere Freundschaft stärker ist als die Macht der Ghostrider.
Es könnte der Beweis dafür sein, dass der Junge anfängt, sich an mich zu erinnern.
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Guten Morgen liebe Leser. Ich wünsche euch allen ein schönes Wochenende ☀️ ich habe die nächsten Wochen noch frei und hoffe in dieser Zeit fleißig weiterschreiben zu können. Schreibt doch mal in die Kommentare, was ihr euch von/in der Story wünschen würdet.
Lg CoolerBenutzername
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