32 | allusion
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a l l u s i o n
dezember 2018
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Harry || Nachdem ich Ally und mir jeweils eine Tasse Früchtetee geholt habe, nehme ich neben ihr auf dem Sofa Platz, wobei ich einiges an Abstand halte. Am liebsten würde ich sie an mich ziehen und nie wieder loslassen, aber das steht mir nicht zu, weswegen ich bloß meine Tasse mit zuckenden Fingern umklammern kann. Meine Hände wollen den Abstand so dringend überwinden, dass es mich schmerzt.
Eine Weile schweigen wir einvernehmlich, während Ally weiterhin den Raum bestaunt, der ihr persönliches Weihnachtswunder ist. Meines hat blaue Augen, engelsblonde Haare und sitzt atmend neben mir.
Ihr Atem ist so leise, dass ich ihn kaum hören kann. Aber wenn ich mich darauf konzentriere, dann ist er das persönliche Lied meines Lebens. Wenn man nicht auf ihn achtet, übersieht man den Zauber so leicht, doch in Momenten wie diesen ist mir die Wahrheit nur allzu bewusst.
Wenn es nach mir gehen würde, dann könnte ich den Rest meines Lebens neben Ally auf diesem Sofa sitzen und einfach ihrem Atem lauschen.
„Wo sind Anne, Gem und Michael hingefahren?"
Ally ist die erste von uns beiden, die die Stille durchbricht, doch es tut der behaglichen Stimmung keinen Abbruch. Wir haben schon immer miteinander schweigen können, genauso, wie wir seit jeher über alles reden konnten. Ally ist eine Wundertüte, manchmal sind ihre Worte unter einer Eisschicht verdeckt und wollen nicht zum Vorschein treten, an anderen Tagen kann sie gar nicht genug von ihnen Leben schenken.
„Die drei besuchen meine Großmutter."
Sie verzieht mitleidig das Gesicht, wobei ihre Nase niedliche Falten bekommt, die mich zum Grinsen bringen. „Die Armen."
Ich lache herzhaft. „Wem sagst du das? Ich bin mehr als froh, dass ich nicht mitfahren musste."
Ally dreht sich in meine Richtung, sodass sich nun kleine Kerzenflammen in ihren Augen spiegeln und sie erscheinen lassen wie das Meer während eines Sonnenuntergangs. Keine Farbe ist wirklich greifbar, viel zu schnell haben sie sich schon wieder in einen anderen Ton verwandelt.
„Wie bist du davon gekommen?" Neugierig sieht sie mich an.
„Ich habe meine Großmutter daran erinnert, dass ich letztes Jahr ein ganz schlechter Enkel war und ihr nicht genügend Parfüm gekauft habe. Daraufhin hat sie mich ausgeladen und ich habe so getan, als würde mich das schrecklich enttäuschen, während ich am liebsten vor Freude geschrien hätte", erzähle ich grinsend. „Du hättest Gemmas Gesichtsausdruck sehen müssen, weil sie nicht auf die Idee nicht gekommen ist."
Ally nimmt einen Schluck Früchtetee, bevor sie die Weihnachtstasse wieder auf dem Küchentisch abstellt. Erst jetzt fällt mir auf, dass auch diese zu dem selbstgemalten Service gehört, das Gemma und ich gebastelt haben. Doch Ally kennt ohnehin fast jeden Teil von mir, weswegen es mir nicht peinlich ist. Wir haben viel zu viel gemeinsam erlebt. Sie hat mich durch meine Höhepunkte begleitet und meine schlimmsten Momente, in denen ich nichts weiter konnte, als weinend in ihren Augen zu liegen. Da muss ich mich nicht für ein paar Strichmännchen schämen.
„Nicht falsch verstehen, Harry, aber ich bin wirklich froh, dass wir nicht mehr zusammen sind, denn so komme ich auch an dem Besuch vorbei. Deine Oma wusste in jeder Minute an mir herumzumeckern."
„Großmutter", meine ich augenverdrehend. „Du weißt doch, wenn man Oma sagt, fühlt sie sich emotional nicht distanziert genug von mir."
Ally neben mir fängt an zu prusten, wobei sie sich fast an ihrem Tee verschluckt. „Natürlich. Wie konnte ich das bloß vergessen?"
„Meine Großmutter ist eine durchweg liebenswerte Person."
„Sie hat mich übrigens gehasst", merkt Ally an. Kurz mustere ich sie besorgt, bis ich mir sicher bin, dass sie das nicht verletzt. Doch es ist einfach nur eine Tatsache, die sie nie an sich herangelassen hat.
Es ist schlimm genug gewesen, dass viele meiner Fans mit unserer Beziehung nicht einverstanden waren und Ally das sehr beschäftigt hat. Da hätte ich darauf verzichten können, dass meine Oma sie ebenfalls nicht ausstehen kann, doch leider ist das Leben kein Wunschkonzert.
„Meine Großmutter hasst jeden. Selbst mich", meine ich. „Abgesehen von ihrer Katze Uschi natürlich."
Ally neben mir bricht erneut in Gelächter aus. „Die hatte ich ganz vergessen."
„Wie kannst du dieses Monster vergessen, Al?" Entsetzt starre ich sie an. „Sie ist der Schreck aller Katzen."
Nachdenklich betrachtet sie das Winterwunderland, in dem wir uns befinden. Dabei rutscht ihr eine Haarsträhne aus ihrem geflochtenen Zopf, was sie jünger wirken lässt, als sie eigentlich ist. Manchmal vergesse ich einen Moment, dass sie nicht mehr siebzehn ist und ich nicht mehr der Junge, der ihr Herz in den Händen halten durfte.
„Weißt du was, Harry? Ich glaube, manchmal verdrängt man die schlechten Dinge einfach, damit sie die guten nicht überschatten können. Das ist eine Art Selbstschutz, damit man genügend Platz hat, um die schönen Seiten des Lebens abzuspeichern."
Einige Augenblicke lasse ich mir ihre Worte durch den Kopf gehen, bevor ich zustimmend nicke. „Vielleicht hast du Recht."
Sie stupst mich grinsend an. „Ich habe immer Recht."
Lachend stupse ich zurück, wodurch wir irgendwie einen Kitzelkrieg auslösen, der uns schließlich außer Atem und mit roten Köpfen, aber vollkommen glücklich, wieder in gesundem Abstand nebeneinander sitzen lässt.
„Aber was ist, wenn man zu viele schöne Momente erlebt, Al? So viele, dass man gar nicht alle behalten kann?", greife ich unser vorheriges Thema wieder auf.
Ich habe es schon immer geliebt, mit dem Mädchen neben mir zu philosophieren, denn sie denkt auf wundervolle Weise so anders als die meisten Personen, die mir bisher im Leben begegnet sind. Von allen hat sie am meisten Einfluss auf mich gehabt.
„Dann kann man froh sein, diese überhaupt erlebt zu haben", bestimmt sie.
Ich lächele sie an. „Es wird Zeit, einen weiteren schönen Moment zu erleben."
Sie runzelt verwirrt ihre Stirn, was ein Grinsen in meinem Gesicht entstehen lässt. „Dachtest du wirklich, ich hätte dich nur wegen deines Weihnachtsgeschenks heute hierher gelockt?"
„Du hättest mir gar nichts schenken brauchen, Harry."
„Ich weiß, Al", antworte ich ihr ehrlich. Sie ist noch nie jemand gewesen, der auf Materielles wertgelegt hat. Das habe ich immer zu schätzen gewusst und es ist schön zu sehen, dass sich das auch in den vergangenen Monaten nicht geändert hat.
Mit einem Lächeln auf den Lippen stehe ich vom Sofa auf und ziehe Ally dann ebenfalls auf die Beine. Sie folgt mir in die Küche, wo sie neugierig ihren Blick über die Utensilien wandern lässt, die ich heute Morgen bereits vorbereitet habe.
Ihre Finger umfassen eines der Ausstechförmchen und begutachten es so genau, dass man denken könnte, es handele sich um ein kompliziertes Experiment. „Welches Versprechen genau willst du hiermit wieder gut machen?"
Ich stelle mich neben sie und nehme ihr vorsichtig den Ausstecher wieder aus der Hand. „Ich habe dir jedes Mal in der Weihnachtszeit versprochen, dass wir gemeinsam einen ruhigen Nachmittag verbringen und Plätzchen backen. Irgendwie hatte ich mit der Band aber immer so viele Termine und Stress, dass wir das nie hinbekommen haben. Also holen wir das jetzt nach."
Sie nickt zustimmend und reicht mir dann einen Klumpen des Plätzchenteigs. Wir rollen unsere jeweilige Portion mit der Kuchenrolle aus, bevor wir mit dem Ausstechen beginnen.
Dabei arbeiten wir größtenteils schweigend, während uns leise Weihnachtslieder aus dem alten Radio besudeln, das meiner Mum schon in ihrer Kindheit gehört hat. Es ist groß und sperrig, hat sich aber dennoch immer schon einen Platz in der Küche gesichert. Auch als meine Eltern noch zusammen waren, hat das Radio jedes Mal seinen Ort in der Küche bekommen, egal wie sehr das meinen Vater auch ärgerte.
„Wir hatten immer schöne Weihnachten, oder?", durchbreche ich schließlich die einvernehmliche Stille zwischen uns und sehe zu Ally herüber, die neben mir so sehr auf das Ausstechen konzentriert ist, dass sie ihre Zunge seitlich herausstreckt, wie so oft, wenn sie sich hundertprozentig einer Aufgabe widmet. Ich grinse leicht.
„Die besten überhaupt", bestätigt sie mit einem breiten Lächeln. „Ich habe es immer geliebt, dich für ein paar Tage ganz für mich zu haben, ohne dass du irgendwo hin musstest."
Am liebsten würde ich ihr versichern, dass sich das in Zukunft ändern wird, aber das wäre eine Lüge, die sie nicht verdient. Ich werde immer in meiner Arbeit eingespannt sein, das ist der Fluch dafür, dass ich dem Beruf nachgehen kann, den ich liebe. Meistens stört es mich nicht, aber in Momenten wie diesem werde ich daran erinnert, wie viel mehr Zeit ich ansonsten mit meinen Liebsten verbringen könnte. Doch heute ist kein Tag für schlechte Gedanken, dafür ist er bisher viel zu schön.
„Erinnerst du dich noch an das Weihnachten, wo dein Bruder Drake sich in die Portion Nachos gesetzt hat, Al?"
Sie lacht ihr helles Lachen, das wie Musik in meinen Ohren ist. „Natürlich. Seine ganze Hose ist voller Käsesoße gewesen und er hat sich geweigert, aufzustehen, bis er sich umziehen konnte."
„Er ist schon immer sehr eitel gewesen", stimme ich zu.
Augenverdrehend sieht sie mich an. „Da kenne ich noch einen."
Gespielt schockiert halte ich mir das Herz. „Gar nicht war."
Ihre Mundwinkel zucken nach oben und im nächsten Moment trifft mich eine kleine Teigkugel mitten in den Haaren.
„Ally! Ich habe meine Haare vorhin erst gewaschen."
Lachend zwinkert sie mir zu. „Vermutung bestätigt. Du bist sehr wohl eitel."
Grummelnd bewerfe ich sie ebenfalls mit einer Teigkugel, was sie zum Kreischen bringt. Als ich erneut auf sie zielen will, läuft sie lachend weg und ich sprinte ihr hinterher, bis ich sie eingefangen habe. Lachend drehe ich sie durch die Luft, während sie die Arme um meinen Hals wirft. Ich bin mir nicht sicher, ob sie es aus Angst davor macht, dass ich sie fallen lasse, was ich ohnehin nie tun würde. Aus welchem Grund auch immer es geschieht, ich genieße den Augenblick einfach und bin einen Moment lang wunschlos glücklich.
Danach widmen wir uns wieder unseren Plätzchen, wobei Ally schließlich grinsend auf meine Weihnachtsengel deutet, von denen die meisten bereits einen Flügel verloren haben.
„Irgendetwas stimmt da nicht."
„Sie sind nur Halbengel und zur anderen Hälfte Teufel, weswegen sie nur einen Flügel haben. Das ist alles Absicht gewesen", argumentiere ich stur.
Sie beißt sich auf die Lippe, um nicht in Gelächter auszubrechen. Ich kenne sie zu gut, um auch das sehen zu können und es amüsiert mich wider Willen. „Nichts für ungut, Harry, aber du bist wirklich nicht der beste Bäcker."
Ich lache. „Das hat Kate auch immer gesagt, aber es kann ja nicht jeder ein Meisterkoch sein, oder?"
Ihre Miene wir schlagartig ernst und sie mustert mich besorgt, doch ich brauche einen Moment, bis ich verstehe, was der Grund dafür ist. Es ist das erste Mal seitdem ich Schluss gemacht habe, dass ich wirklich mit Ally darüber rede. Bisher haben wir das Thema erfolgreich umschifft, aber wir können nicht immer so weiter machen.
„Wie geht es dir wegen der Trennung, Harry?", fragt Ally mich mit sanfter Stimme.
Ich zucke mit den Achseln. „Nicht wirklich schlecht, was wahrscheinlich furchtbar ist", gebe ich zu leise zu. Ich will den Worten nicht zu viel Bedeutung verleihen, aus Angst, dass sie Ally vertreiben werden.
Sie sieht mich nicht an, sondern fixiert stattdessen auf den ausgerollten Teig vor ihr. „Die Trauer kommt sicherlich noch."
Auch ich steche weiter Weihnachtsplätzchen aus, froh über die Ausrede, warum ich sie nicht direkt betrachten muss.
„Nein, das glaube ich nicht", murmele ich schließlich. „Ich fühle mich eher befreit, seitdem Kate und ich nicht mehr zusammen sind. Gott, ich bin so ein Arschloch, Al."
Ihre Hand legt sich sanft auf meine. Was eigentlich als beruhigende Geste gemeint sein sollte, bringt jeden Nerv in meiner Haut zum Zucken. Sie ist wie warmes Wasser, dessen Temperatur so langsam erhöht wird, dass ich nichts mitbekomme, bis ihre Berührung mich schließlich bis ins Innerste verbrennt. Das Schlimmste ist, dass sie es nicht einmal realisiert.
„Du kannst nichts für deine Gefühle, Harry."
Ich schlucke. „Aber für meinen Antrag. Den hätte ich erst gar nicht machen sollen."
„Warum hast du es dann getan?" Jetzt sieht Ally mich direkt an, doch zum ersten Mal seit Ewigkeiten kann ich nicht in ihren Augen lesen. Ich sehe sie, doch gleichzeitig sehe ich sie nicht mehr wirklich. Es macht mich verrückt, nicht zu wissen, woran sie gerade denkt.
„Weil Kate immer mehr darauf gepocht hatte und unsere Beziehung ohnehin immer schlechter lief. Ich dachte, der Antrag würde unsere Beziehung retten", gebe ich seufzend zu.
„So funktioniert das nicht. Das ist genauso sinnlos wie der Gedanke, dass Kinder Beziehungen retten können."
Ich schnaube. „Das weiß ich jetzt auch, aber den Fehler habe ich dennoch gemacht."
Ally drückt aufmunternd meine Hand. „Versuche es positiv zu sehen. Zumindest wirst du den Fehler kein zweites Mal mehr machen."
Sanft löse ich meine Hand aus ihrer und beginne, ein weiteres Plätzchen auszustechen, um meine Finger davon abzuhalten, Ally einfach in eine Umarmung zu ziehen und sie zu küssen. „Sicherlich nicht. Wenn ich das nächste Mal irgendwem einen Antrag mache, dann werde ich es wirklich wollen."
Ich verschweige ihr, dass sie das einzige Mädchen ist, bei dem ich überhaupt je ernsthaft darüber nachgedacht habe. Die Wochen vor unserer Trennung, wenn ich sie während einer der wenigen Nächte, die uns vergönnt waren, in meinen Armen halten durfte und sie schlief, da habe ich mir gewünscht, dass es immer so bleiben könnte. Stundenlang hatte ich darüber nachgedacht und schließlich hatte ich einen Entschluss gefasst.
Ich hatte vor, ihr die Ewigkeit zu versprechen, doch dann hatte ich unsere kleine Unendlichkeit durch einen Fehler zerstört, der uns beide über den Abgrund stieß. Statt eines Rings am Finger schenkte ich Ally am Ende ein gebrochenes Herz.
Es schmerzt so sehr, überhaupt daran zu denken und es wird ohnehin nichts bringen, es ihr mitzuteilen. Es reicht, wenn einer von uns beiden leidet.
Ich presse einen kurzen Moment die Augen zusammen, um die Erinnerung zu verdrängen, doch sie kämpft, als wollte sie mit aller Kraft am Leben bleiben. Schließlich gewinne ich und reiße die Augen wieder auf.
„In zwei Wochen wird unsere Trennung bekannt gegeben und wir werden von den Zeitungen zerrissen werden. Das wollte ich Kate nie antun", murmele ich kraftlos und lasse mich auf einen der Küchenstühle fallen.
Ally setzt sich neben mich. Sie ist mir so nah, dass ich die Sommersprossen auf ihren Wangen sehen kann, die selbst im Winter nie ganz verschwinden. Sie ist meine Wärme selbst in der kältesten Jahreszeit.
„Ach was. Spätestens nach zwei Wochen haben alle die Trennung schon wieder vergessen und stürzen sich auf den nächsten Skandal. Ihr seid schließlich nicht die ersten, die eine Verlobung lösen. Das haben schon massig Leute getan", meint Ally in dem Versuch, mich aufzumuntern.
Frustriert fahre ich mir durch die Haare, wobei ich hinterher einige Teigkrümel zwischen meinen Fingern hängen habe, die sich seit unserer Teigschlacht dort festgesetzt haben.
„Wieso fahren alle eigentlich so darauf ab, wenn es zwei Personen schlecht geht? Gibt es nichts Wichtigeres, worüber man schreiben könnte?"
Ally zuckt mit den Achseln, während sie eine Weile schweigend eine Antwort sucht. „So sind die meisten Menschen eben, Harry. Erinnerst du dich an unsere Trennung? Da habe ich mein Gesicht auch noch drei Wochen lang auf jeder Zeitschrift neben deinem sehen dürfen."
Ich seufze laut. „Du weißt gar nicht, wie leid mir das tut, Al. Wenn ich gekonnt hätte, dann hätte ich dich aus dem Wahnsinn vollkommen rausgehalten."
Sie dreht sich in meine Richtung und schenkt mir ein trauriges Lächeln, das mir das Herz bricht. Wieder und immer wieder.
Meine Großmutter behauptet, Menschen hätten gar kein Herz, das zerstört werden kann. Mein Opa mütterlicherseits ist immer der Meinung gewesen, dass ein Herz so sehr brechen kann, das man daran untergeht. Doch mittlerweile habe ich gelernt, dass beide Unrecht hatten. Denn ich besitze ein Herz, das jemanden einmal so sehr geliebt hat, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte. Außerdem habe ich festgestellt, dass mein Herz nicht nur einmal brechen kann, sondern immer wieder erneut, als wäre ein kleines Messer in ihm, das sich immer weiter in das Fleisch hineinbohrt und mich innerlich ertrinken lässt.
„Ich weiß, wie sehr es dir leid tut, denn ich kenne dich", flüstert Ally so leise, das ich nicht sicher bin, ob diese Worte überhaupt für mich bestimmt sind. Vielleicht mussten sie auch einfach einmal in die Freiheit entkommen, weil sie Ally sonst in den Abgrund gezogen hätten. „Aber das ändert nichts daran, dass die ständige Präsenz unserer Trennung damals wahrscheinlich das Allerschlimmste an Allem war, Harry. Denn ich wollte dich einfach nur vergessen und über dich hinwegkommen. Stattdessen musste ich dein Gesicht überall sehen und es hat mich umgebracht."
Ihre Worte lassen alte Wunden aufreißen, die ich längst vergessen hatte. Doch Erinnerungen lassen sich nie gänzlich löschen. Manchmal verstecken sie sich hinter Schleiern, in der Dunkelheit, nur um dann in den unpassendsten Momenten wieder an die Oberfläche zu kommen.
Mir ist es nicht anders gegangen als ihr damals, doch während Ally vergessen wollte, habe ich mich an jedes einzelne Foto von ihr in den Zeitschriften geklammert, weil ich sie so immerhin sehen konnte. Bei jedem Foto hat mein Herz so sehr geschmerzt, dass ich es mir am liebsten aus der Brust gerissen hätte.
„Ich wollte dich damals so sehr hassen, Harry. Aber selbst das ging nicht, weil ich dich doch irgendwie immer noch geliebt habe", murmelt Ally leise.
Mein Herz stockt, bevor es umso schneller wieder anfängt zu schlagen. Es kämpft mit meinem Verstand, meinem Gewissen, doch letztendlich muss ich die Frage einfach stellen, um nicht dem Wahnsinn zu verfallen. Nichts ist schlimmer, als sich immer nach dem Was wäre wenn zu fragen.
„Wie lange hat es gedauert, bis du damit aufgehört hast, Al? Mich zu lieben?" Die Worte fliegen wispernd über meine Lippen. Sie sind ein Sturm, der unter einer sanften Brise getarnt ist. Doch seine Kraft kann mein Herz zum Einstürzen bringen.
Ally weicht meinem Blick aus, während ich verzweifelt versuche, ihn zu halten. „Ich weiß es nicht mehr, Harry."
Ich höre ihre Worte und weiß direkt, dass es sich um eine Lüge handelt. Viel zu gut kenne ich sie, um mich davon täuschen zu lassen. Das einzige was ich nicht verstehe, ist, ob sie mir diese Unwahrheit erzählt, um mich nicht noch mehr zu verletzen. Denn vielleicht hat sie mich nie wirklich geliebt, während sie mein Alles gewesen ist und ist nun nur zu nett, um mir das nicht ins Gesicht zu sagen.
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