29 | inomatopeia
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i n o m a t o p e i a
dezember 2018
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Allison || Seufzend ruckele ich an meinem Koffer, der sich in der Absperrung verkrallt hat, die die Gleise von der eigentlichen Bahnhofshalle abtrennt. Natürlich bewegt sich mein Gepäckstück nicht einen Zentimeter. Ich erreiche bloß, dass mir mein Rucksack von der Schulter rutscht.
Bisher habe ich die zweieinhalbstündige Zugfahrt von London nach Manchester ohne Probleme hinter mich gebracht, jetzt gerade bereue ich es doch sehr, dass Harry unsere Fahrgemeinschaft gekündigt hat. Anstatt eines gemütlichen Roadtrips mit ihm in einem seiner geräumigen Autos musste ich mich heute in der Frühe gemeinsam mit vielen anderen in den völlig überfüllten Zug zwingen. Mein einziger Sitzplatz war mein Koffer, weil alle anderen Sitzgelegenheiten der zweiten Klasse vorreserviert waren, was ich mir mit meinem Budget nicht leisten konnte.
Erst die völlig überfüllte Zugfahrt und jetzt stecke ich auch noch mitten im Bahnhofsgebäude fest. Mein Glück hat mich eindeutig verlassen.
Frustriert ruckele ich erneut an meinem schwarzen Rollkoffer, der bereits einige Macken aufzuweisen hat. Das Billiggepäckstück ist nie darauf ausgelegt gewesen, lange Reisen zu überstehen, weswegen es die wenigen Tourbesuche der Vergangenheit, für die ich es ursprünglich gekauft habe, eher schlecht als recht hinter sich gebracht hat.
„Komm schon! Das kann doch jetzt wirklich nicht sein", fluche ich und versuche verzweifelt, meinen Koffer durch die Abtrennung zu ziehen.
Hinter mir räuspert sich jemand vernehmlich und als ich einen Blick nach hinten werfe, stelle ich fest, dass sich bereits eine erhebliche Schlange gebildet hat. Innerlich werde ich direkt zehn Köpfe kleiner, während ich mich auf die Standpauke des Mannes hinter mir vorbereite.
Doch dieser schenkt mir bloß ein kleines Lächeln und hilft mir, mein Desaster zu beseitigen.
„Vielen Dank für ihre Hilfe", meine ich dankbar, als ich mitsamt meines Koffers endlich in der Bahnhofshalle stehe.
„Kein Problem. Frohe Weihnachten wünsche ich!" Der Mann nickt mir einmal zu und verschwindet dann im wuselnden Gedränge. Die Manchester Piccadilly Station ist bekannt dafür, unzählige Menschen pro Tag abzufertigen und die Tage vor Weihnachten ist der Bahnhof noch voller als ohnehin schon.
Einen Augenblick lang sehe ich meinem Retter nach, der mich wieder einmal daran erinnert, weshalb ich die Menschen des englischen Nordens manchmal so viel lieber habe. Ihre Freundlichkeit und Gastfreundschaft sind Eigenschaften, die ich in London viel seltener erlebe. In der Hauptstadt Englands bleiben alle eher für sich, während man in Manchester direkt freundlich aufgenommen wird. Ein Umstand, an den ich mich nach meinem Umzug in den Süden Englands zum Studium erst einmal gewöhnen musste. Mittlerweile liebe ich London aber mindestens genauso sehr wie meine Heimatstadt.
Nachdem ich wieder zu Atem gekommen bin, rücke ich mir meine Umhängetasche zurecht und umklammere den Griff meines Koffers. Dann traue ich mich auf die Rolltreppe, die mich zu den Parkplätzen unterhalb des Gebäudes bringt. Entgegen meiner vorherigen Erfahrung des Tages läuft dieses Mal wirklich alles glatt.
Sobald ich die schwere Eisentür öffne, die zum Parkplatz führt, strömt mir die eisige Luft des Winters entgegen, die mich sofort frösteln lässt. Zu meiner Enttäuschung ist es jedoch bloß kalt, während sich keine Schneeflocke vom Himmel auf die Erde verirrt. Meine Wette mit Helen, dass es Weihnachten schneien wird, wird immer unwahrscheinlicher und ich sehe mich schon verlieren.
Während ich den Parkplatz nach einem bekannten Auto absuche, ziehe ich mir meine Jacke fester zu, um nicht zu erfrieren, bevor die Feiertage überhaupt angefangen haben. Das würde meine Mutter gar nicht witzig finden, die während der Feststage ohnehin schon aufgrund der selbstgemachten Hektik beinahe jedes Jahr einen Herzinfarkt erleidet.
Die Fahrzeuge wandern vor meinem Augen vorbei, rote, blaue, schwarze, aber nirgendwo ist das quietschorangene Auto meines älteren Bruders zu sehen. Er hat mir versprochen, mich abzuholen, aber anscheinend hat er wieder einmal die Zeit vergessen. Mein Fehler, dass ich gedacht habe, jemand meiner Familie würde ausnahmsweise einmal pünktlich kommen.
Frustriert lehne ich mich gegen die Wand und stelle mich auf eine lange Wartezeit ein, in der ich mich in einen halben Schneemann verwandeln werde. Manchester ist um einiges kälter als London und ich hätte auf Helen hören sollen, als sie mir heute Morgen vorgeschlagen hat, einen Schal mitzunehmen. Stattdessen stehe ich jetzt hier mit einer nicht wirklich warmen Winterjacke, die die eisige Kälte nur halbwegs bekämpfen kann.
Meine Hände versuchen gerade mein Handy aus der Tasche zu fischen, als mich mehrmaliges Hupen aufschrecken lässt. Langsam bewegt sich ein schwarzer Wagen mit abgedunkelten Scheiben in meine Richtung, der viel zu teuer für diesen Bahnhofsparkplatz wirkt. Kurz befürchte ich, dass mich die Mafia nun entführen wird, bis ich grüne Augen hinter dem Steuer aufblitzen sehe.
Harrys Harry sind durch eine schwarze Mütze verdeckt und um seinen Hals ist ein riesiger Schal geschlungen, der seine Lippen verdeckt. Selbst seinen Fans wäre er in diesem Auszug wahrscheinlich nicht aufgefallen, aber seine Augen verraten ihn. Diese würde ich überall wiedererkennen, waren sie doch einmal das, was meine Seele zum Strahlen gebracht hat.
Egal welches Outfit Harry auch aus dem Schrank zieht, ich werde ihn immer enttarnen.
Selbst blind würde ich den Jungen mit den lockigen Haaren und den wunderschönen Augen zeichnen können. Jeden Muskel, jede Bewegung, jedes Tattoo hat sich in mein Gehirn eingebrannt, als weigern sie sich, je von mir zu gehen. Als blieb mir keine andere Wahl, seinen Anblick immer und immer wieder vor mir sehen zu müssen.
Nach unserer Trennung damals ist das das Schlimmste gewesen. Ich habe ihn nicht vergessen können, so sehr ich auch wollte. Alles hat mich an ihn erinnert, an den Jungen, der mit Versprechen um sich warf als wären sie kostenlos. Den Herzensbrecher, der sich in den letzten Monaten wieder in mein Herz geschlichen hat.
Harry hupt erneut und das laute Geräusch zerstört die selige Stille um uns herum so schmerzhaft, dass ich zusammenzucke. Es zieht mich zurück in die Gegenwart, auf diesen Parkplatz im Herzen Manchesters, in dem er in seinem Auto sitzt und ich mich direkt daneben befinde, aber in Wirklichkeit hunderte, tausende, unzählige Meilen weit entfernt. Harry ist mir näher als in so vielen Wochen zuvor und gleichzeitig könnte er nicht weiter weg sein.
Das Fenster fährt herunter und er beugt sich in meine Richtung. „Komm schon, Al. Steig ein, bevor meine Glückssträhne reißt und wir fotografiert werden."
„Seth wollte mich abholen."
Harry nickt. „Ich weiß, aber ich habe Drake geschrieben, dass ich das übernehmen werde. Er hat sich für Seth eine Ausrede ausgedacht. Also wirst du gleich behaupten müssen, dass deine Freundin Jill dich gebracht hat."
Ich beiße auf meine Unterlippe, während ich langsamen Schrittes näher träte, unsicher, wie ich reagieren soll.
Er hat mir den Roadtrip nicht direkt versprochen gehabt, aber ich habe mich darauf gefreut und seine Absage hat mich sehr enttäuscht. Doch das will ich ihm nicht zeigen, denn ich will nicht, dass er sieht, wie viel Macht er schon wieder über mich hat. Nicht, wenn seine Liebe sich in Australien befindet, während meine nur einen halben Meter entfernt in einem Auto sitzt.
„Steig ein, Al." Harrys Stimme klingt sanft. Doch schließlich ist es das Lächeln auf seinen Lippen, mein Lächeln, das nur mir gehört, das mich überzeugt, die Beifahrertür zu öffnen und mich zu setzen, während er mein Gepäck im Kofferraum verstaut.
„Ich hätte meinen Koffer auch einladen können", meine ich, als Harry schließlich wieder auf dem Fahrersitz Platz nimmt.
Er grinst mich an. „Hättest du schon, aber du hast heute deinen persönlichen Packesel dabei."
Der Motor des Monstrums erwacht röhrend unter unseren Füßen und dann steuert Harry seinen Porsche zielgerichtet an den anderen parkenden Autos vorbei. Er meidet Blickkontakt zu den anderen anwesenden Personen, doch alle sind ohnehin so sehr mit sich selbst beschäftigt und erwarten Harry Styles nicht in einer Tiefgarage eines öffentlichen Verkehrsmittelcenters, weswegen seine Bemühungen wahrscheinlich gar überflüssig sind.
„Seit wann hast du schon auf mich gewartet?", frage ich Harry mit leiser Stimme, während wir schließlich den Parkplatz verlassen. Ich habe Angst, zu viele Geräusche zu machen. Angst, ihn aufzuschrecken. Angst, dass Harry meinen rennenden Herzschlag hört, der mehr verrät, als ich zu geben bereit bin.
„Seit ein paar Stunden. Ich wusste bloß, dass du heute ankommst, aber nicht wann genau", gibt er achselzuckend zu. „Ich habe Drake gegenüber behauptet, dass ich alles mit dir abgesprochen habe, weswegen ich ihn schlecht nach deiner Ankunftszeit fragen konnte."
Meine rechte Hand dreht am Rädchen des Radios auf der Suche nach einem Lied, das meinen Ansprüchen genügt. Ich bin froh über die Beschäftigung, froh darüber, dass meine zittrigen Finger etwas zu tun haben, sodass sie nicht gegen das Fensterglas klopfen müssen.
„Und da hast du dir gedacht, dass du einfach wartest? Was wäre, wenn mein Zug erst heute Abend eingetroffen wäre, Harry?"
Er weicht meinem Blick aus und atmet tief ein, bevor sein Atem hörbar wieder entgleitet, als würde dieser seine Befreiung und Gefängnis gleichzeitig verkörpern. Starr blickt Harry geradeaus auf die viel befahrene Oxford Road vor uns.
Seine Wimpern werfen lange Schatten auf sein Gesicht und jeder Nerv meiner Finger sehnt sich danach, ihn endlich berühren zu dürfen. Doch das kann ich nicht, denn Harry ist nicht mein, er war es nie und wird es auch niemals sein.
„Dann hätte ich gewartet", murmelt er schließlich leise.
Seine Worte sind es, die sich wieder ein Weg zu meinem Herzen bahnen, langsam und täuschend sanft, sodass ich nicht bemerke, wie sie sich wie Gift in das Gewebe bohren. Sie werden mein Untergang sein, vielleicht heute, vielleicht morgen, vielleicht jeden Tag, und es ist mir egal.
„Ich werde immer auf dich warten, Al."
Seine Worte reißen mir das Herz heraus, lassen eine Hoffnung vor meinen Augen entstehen, die unmöglich ist und so schmerzhaft enden wird. Er zerfetzt mich, zerreißt mich, zerstört mich und ich lasse es freiwillig geschehen, denn seine Worte sind mein Freund, mein Untergang, dem ich entgegenrenne, als wäre er meine Rettung.
Meine Hände umklammern sich gegenseitig, auf der Suche nach Halt in dieser grausamen, herzensbrechenden Welt.
„Solltest du nicht noch in London sein?", frage ich Harry ohne ihn anzusehen.
Wir sitzen nebeneinander und sind dennoch so unendlich weit voneinander entfernt. Die Stille, die Ruhe der letzten Wochen und Monate, sie explodiert in den schillerndsten Farben, die sich dann in Grautöne verwandeln.
Der Knall war so vorhersehbar, doch wir haben beide immer die Augen davor verschlossen und so getan, als würden wir ihn vermeiden können. Er ist unvermeidlich, die Explosion musste kommen und unsere wiedergewonnene Freiheit, bis dahin so leicht und warm, zerfetzen. Sie war zu zerbrechlich und wir haben uns bloß eine Weile vor der Wirklichkeit verstecken können, bevor sie uns eingeholt hat.
„Wieso? Wie kommst du darauf, dass ich noch in London wäre, Al?"
„Du hast mir gesagt, dass wir zusammen nach Manchester fahren würden, schon vergessen? Dann hast du abgesagt, weil du doch nicht konntest. Ich dachte, dass du deswegen noch mehr in London zu tun hast und erst später in die Weihnachtsferien starten wirst, Harry."
Der abgesagte Roadtrip steht für so viel mehr, für all die Versprechen, die Harry bereits in der Vergangenheit gebrochen hat. Er hat Risse hinterlassen und ich bin mir nicht sicher, ob wir sie wieder zusammenkleben können. Gemeinsam vielleicht, doch alleine, während wir beide auf unterschiedlichen Seiten stehen, ist unsere zerbrechliche Freundschaft verloren.
Wir sind verloren.
„Ich bin gar nicht in London gewesen. Ich – Es tut mir leid, Al. Wirklich sehr leid. Ich wäre so gerne mit dir gefahren. Der Roadtrip wäre toll geworden und ich habe mich wirklich darauf gefreut."
Egal wie laut ich das Radio drehe, die Musik in die Freiheit unserer kleinen Endlichkeit entlasse, sie kann das Brechen meines Herzens nicht übertönen, das laut wie eine Sirene in meinen Ohren schrillt.
„Schon okay, Harry", murmele ich und lehne mich gegen die Kühle Fensterscheibe, die mein brennendes Herz dennoch nicht löschen kann. „Du hättest mir bloß vor gestern Abend Bescheid sagen können. Das Zugticket hat nun ein Vermögen gekostet."
Er räuspert sich, doch ich sehe nicht zu ihm herüber. Ich kann nicht, denn ich will nicht, dass er die Enttäuschung in meinen Augen sieht. Es ist meine Schuld, dass ich ihm mein Herz wieder geöffnet habe. Ich hätte wissen müssen, dass er sich irgendwann wieder nicht an eine Vereinbarung halten würde. Das ist nun einmal Harry Styles, der Meister schöner Worte und der Zerstörer der Versprechen. Das wusste ich und dennoch bin ich so dumm gewesen, mich wieder darauf einzulassen.
„Ich gebe dir das Geld wieder, Al."
Ich versuche nach den Worten zu greifen, die mein Inneres nicht loslassen will, ich kämpfe und fasse, klammere, doch sie entgleiten mir immer wieder, schwimmen unter meinen Fingern hindurch, als hätten sie Angst vor der Dunkelheit der Realität, die so grausam sein kann.
Ich gewinne den Kampf, zwinge die Worte dazu, sich zu offenbaren und lege Harry mein Herz vor die Füße, ohne das er es überhaupt mitbekommt. Er ist so wunderbar ahnungslos, versteckt von der Wahrheit, die in meinem Inneren brodelt und immer weiter wächst.
„Nein, du gibst mir nichts wieder. Scheiße, es geht nicht ums Geld, Harry! Das hast du noch nie verstanden. Es geht darum, dass du mich schon wieder sitzen gelassen hast, während ich auf dich gezählt habe und das kann man nicht einfach mit Geld wieder gutmachen. Ich bin nicht käuflich, weißt du?"
Er streckt seine Hand nach meiner aus, doch ich drücke sie vorsichtig wieder auf seine Seite des Autos. Solange wir diese Grenze nicht überschreiten, besteht eine Chance für uns.
„Das weiß ich, Al. Es tut mir auch wirklich leid, aber ich habe dich nicht einfach so versetzt. Ich habe einen Grund gehabt, okay?"
Ich beiße mir auf die Unterlippe, während ich verzweifelt versuche, meine Finger davon abzuhalten, sich nach seinen auszustrecken. Sie sehnen sich so sehr danach, dass es mich innerlich schmerzt.
„Den hast du immer", murmele ich mit gebrochener Stimme.
„Al, sieh mich an. Bitte sie mich an." Seine Stimme fliegt durch das Auto, das so groß und gleichzeitig viel zu klein ist. Sie sucht sich einen Weg über meinen Grenzen hinweg, klettert über meine Mauern und gewinnt den Kampf gegen die Abwehr meines Herzens, die sich mit aller Macht gegen seinen Einfluss verteidigen will.
Ich verliere, er gewinnt. Wieder einmal.
Blinzelnd drehe mich in seine Richtung, nur um festzustellen, dass er mich bereits ansieht. Die Luft zwischen uns flimmert, während all die Geheimnisse zwischen uns herschweben, die wir niemals gänzlich greifen werden. Dennoch sind sie da, immer unter der Oberfläche versteckt, all die Versprechen, Hoffnungen und Enttäuschungen unseres gemeinsamen Lebens.
„Kate und ich sind nicht mehr zusammen. Ich habe mit Kate Schluss gemacht", sagt Harry mit gefasster Stimme, so sicher, als gäbe es gar keine Zweifel.
Mit aufgerissenen Augen starre ich ihn an, während ich versuche, seine Worte zu verarbeiten. „Sag das nochmal, bitte."
Seine Lippen verziehen sich zu einem kleinen, unsicheren Lächeln. „Deswegen musste ich dir absagen. Ich bin nach Australien geflogen, weil man so etwas einfach persönlich machen muss und habe mich von Kate getrennt."
Mein Herz fängt wieder an zu schlagen, zu schreien, zu weinen und ich hasse mich dafür.
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