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12 | interjection

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i n t e r j e c t i o n

juni 2018

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Allison || Die letzten Sonnenstrahlen des Abends malen mir flackernde Muster auf die Haut. Die Punkte tanzen federleicht über meinen Körper und verwandeln ihn in ein sich dauernd wandelndes Kunstwerk, dessen Verständnis niemand ganz begreifen kann.

Ich überschlage die Beine übereinander und rutsche etwas, bis ich eine bequemere Sitzposition gefunden habe. Dabei rutscht mir beinahe das Buch aus der Hand, doch gerade noch rechtzeitig habe ich es wieder fest im Griff, was man von meinem Leben nicht behaupten kann.

In wenigen Wochen stehen meine Abschlussprüfungen an, nach denen ich endgültig keine Studentin mehr sein werde. Doch als ich heute meine Nase wieder einmal in meinen Lernutensilien vergraben wollte, hat Helen mir diese mit sanfter Gewalt entwendet und irgendwo in ihrem Zimmer versteckt.

„Du hast genug gelernt, Ally. Wenn du so weiter machst, bekommst du einen Burnout, bevor du überhaupt einen Job gehabt hast", hatte sie mich sanft getadelt. „Mach eine Pause für heute Abend, morgen kannst du weitermachen."

Ein Teil von mir ist froh darüber, endlich einmal wieder ein paar Stunden durchatmen zu können. Der andere Part würde am liebsten das Zimmer meiner Mitbewohnerin stürmen und auf die Suche nach meinen Lernutensilien gehen. Aber das Unterfangen wäre ohnehin zwecklos, denn Helen hat in weiser Voraussicht ihr Reich abgeschlossen, bevor sie zu einer ihrer unzähligen Partys aufgebrochen ist.

Das Angebot, sie zu begleiten, habe ich dankend abgelehnt und es mir stattdessen auf der Sitznische vor meinem Zimmerfenster bequem gemacht.

Die Sonne knallt trotz der späten Stunde immer noch durch das Glas und verwandelt unsere Wohnung in eine Sauna. Um die Hitze zumindest etwas bekämpfen zu können, habe ich das Fenster weit aufgerissen und genieße die Sonnenstrahlen, die auf meiner Haut tanzen, während ich die Nase in meinem Buch vergrabe.

Die Sitznische und das graue Kissen in meinem Rücken machen diesen Sitzplatz zu meinem absoluten Lieblingsort in unserer Wohnung. Dafür habe ich damals sogar freiwillig das kleinere Zimmer genommen, solange ich diese wunderbare Location zum Lesen gewinnen konnte. Eine Entscheidung, die ich bis heute noch nicht einmal bereut habe. Ich brauche nichts weiter als die Stille und den Zauber, der es mir erlaubt, in fremden Welten abtauchen zu können.

Meine Finger blättern die nächste Seite um und ich sauge die nächsten Worte in mich auf. Ich habe dieses Buch bereits mehr als einmal gelesen, was Helen nie verstehen wird. Die Wörter werden ohnehin immer die gleichen bleiben, behauptet sie. Das weiß ich ebenfalls. Dennoch ändert sich der Sinn der Wörter, die eigene Erfahrung und neue Lebenserkenntnisse können auch bereits bekannte Geschichten in neue Abenteuer verwandeln.

Gedankenverloren trommele ich eine kleine Melodie, während ich erneut versuche, mich in eine gemütlichere Position zu bringen. Ich blinzele leicht, als ich die Seite meines Lieblingsbuches umschlage und dabei durch Zufall direkten Blickes in die Sonne schaue.

Ich versuche die Worte vor meinen Augen aufzunehmen, doch ich bin zu unruhig, um mich wirklich konzentrieren zu können. Den ganzen Tag lang habe ich schon so ein sprunghaftes Gefühl.

Ich habe es als Aberglaube abgetan, doch als es um 20:23 Uhr an der Haustür schellt, weiß ich, dass mein Körper unbewusst etwas geahnt hat, bevor mein Bewusstsein es überhaupt in Erwägung gezogen hat.

Seufzend klappe ich mein Buch zu und lege es dann sorgfältig auf meinen Schreibtisch. Dann schließe ich das Fenster, bevor ich zur Tür gehe, vor der jemand mittlerweile immer ungeduldiger die Klingel drückt. Seufzend reiße ich sie auf.

Vor meiner Wohnung befindet sich Harry Styles, was mich nicht so sehr überrascht wie es wahrscheinlich sollte, wenn man bedenkt, dass wir nach unserem zweiten ersten Date keinen Kontakt gehabt haben. Es hat absolute Funkstille geherrscht.

Harry hat die Hände in seinen Hosentaschen vergraben und bedenkt mich mit einem halben Lächeln.

„Hey, Ally."

„Hey", murmele ich und sehe ihn unsicher an.

Harry sieht nachdenklich auf die gegenüberliegende Seite, auf der meine Nachbarin gerade dabei ist, ihre Söhne einzufangen, um sie ins Bett zu bringen, was mir die Gelegenheit gibt, Harry näher zu mustern. Es sind erst zwei Wochen vergangen, seitdem wir uns das letzte Mal begegnet sind, dennoch kommt es mir vor, als wäre er erneut um einige Jahre gealtert. Ich befürchte, dass den Stress die Schuld daran trifft, der in seinem Leben wohl immer existent sein wird.

Harrys Augen folgen den beiden Jungen, die lachend vor ihrer Mutter wegrennen und seine Mundwinkel zucken amüsiert.

„Meinst du, wir sind als Kinder auch so schlimm gewesen?", fragt er mich und sieht mich wieder an.

Ich schüttele den Kopf. „Ich zumindest nicht."

Harry hebt eine Augenbraue. „Das glaube ich dir nicht, Ally. Du hast einen solchen Dickkopf, das du sicherlich kein einfaches Kind gewesen bist."

Ich grinse ertappt. „Du bist aber genauso ein Dickkopf wie ich."

Eine Tatsache, die uns beide oft über Nichtigkeiten hat streiten lassen. Ich frage mich, ob das ebenfalls wieder so sein wird, wenn wir wirklich Freunde werden sollten. Noch steht eine Freundschaft in weiter Ferne, jedoch ist es zumindest zu einer Option geworden, mit der ich mich im Laufe der letzten zwei Wochen angefreundet habe.

„Darf ich –", Harry räuspert sich und beginnt von vorne, nachdem seine Stimme versagt hat. „Darf ich dich zur Begrüßung umarmen, Ally?" Zögernd sieht er mich aus den grünen Augen an, die ich einmal auswendig kannte. Heute kann ich immer noch in ihnen lesen, dennoch haben sich einige dunkle Flecken dazwischen gemischt. Erfahrungen und Ansichten, die er im Laufe der Jahre entwickelt hat, während ich nicht an seiner Seite gewesen bin.

Harry ist wie ein Buch mit ein paar schwarzen Seiten, von denen ich nicht weiß, ob sie für mich je lesbar sein werden. Vielleicht werde ich immer im Dunkeln über einzelne Textpassagen gelassen werden. Doch das ist in Ordnung so. Denn man muss nicht alles über jemanden wissen, man muss nur seine Essenz verstehen. Und es hat eine Zeit gegeben, in denen Harry und ich uns blind verstanden haben.

Ein Blick hat gereicht und ich wusste, was er dachte.

Ein Zwinkern von mir und er kannte meine Gedanken.

Ich frage mich, ob wir je wieder so weit sein werden.

„Ich schätze schon", entgegne ich schließlich, nachdem ich über seine Frage nachgedacht habe. Es hat einige Sekunden gedauert, denn ich neige nicht dazu, voreilig Entscheidungen zu treffen. Doch Harry hat geduldig auf mich gewartet. Wie immer, wenn ich eine Weile für einen Schritt brauche, während er bereits eine ganze Meile gelaufen ist. Wir sind dennoch immer gemeinsam ins Ziel gelaufen, Hand in Hand. Wir beide gegen den Rest der Welt.

Nun gibt es kein Wir mehr. Aber warten tut er dennoch.

Harrys Mundwinkel zucken erleichtert nach oben, während er mich in eine Umarmung zieht. Sie beginnt zögerlich und leicht steif, weil keiner von uns beiden weiß, was genau angemessen ist. Bei unserer letzten Umarmung hat er mich fast erdrückt und sein Gesicht in meinem Haar vergraben. Heute berühren wir uns kaum, aber dennoch ist es ein Schritt in die richtige Richtung.
Ich zucke kurz zusammen, als mir sein allzu bekannter Geruch in die Nase steigt. Erst jetzt wird mir bewusst, wie sehr ich Harry wirklich in all den letzten Monaten vermisst habe.

Auch während ich ihn hasste, hat ein Teil von mir immer Sehnsucht nach ihm gehabt. Ich schätze, dass es deswegen nur noch schmerzhafter gewesen ist. Einer der Gründe, warum ich so lange gebraucht habe, bis ich nicht bei jedem Foto von ihm in Tränen ausgebrochen bin.

Während Harry mich in seinen Armen festhält, schließe ich kurz die Augen und bilde mir eine Sekunde lang ein, dass sich nichts verändert hat.

Mich überkommt eine Wehmut und ich sehne mich kurz nach alten Zeiten. Doch ich weiß nur zu gut, dass diese Zeiten, die glücklichen Zeiten, schon lange vorbei sind. Und auch nicht wiederkommen werden.

Kaum haben wir uns umarmt, lassen wir uns auch schon wieder los.

„Ich wollte fragen, ob du heute Abend schon etwas vorhast?", fragt Harry mich, als wir wieder etwas Abstand zwischen uns gebracht haben. „Ansonsten würde ich dich gerne entführen."                                                                                    

„Wohin denn?"

Er sieht mich grinsend an. „Das ist eine Überraschung, Ally. Also, bist du dabei?"

Ein Teil von mir würde am liebsten einfach nach drinnen verschwinden. Dort wartet die Vertrautheit meines Buches auf mich. Hier draußen gibt es nur Harry und das Unbekannte. Er ist ein Abenteuer, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob es gut enden wird.

Alles in mir schreit nach Flucht, denn ich bin ein Mensch, der nie Risiken eingeht. Aber ich habe Helen versprochen, mich öfter etwas zu trauen. Das ist der Grund, warum ich nun zustimme. Und vielleicht auch die Tatsache, dass mein letztes Treffen mit Harry mir sehr gut getan hat. Ich habe den Abschluss bekommen, nachdem ich mich seit Jahren gesehnt habe und danach bin ich auf merkwürdige Weise wirklich befreit gewesen.

Helen hatte Recht gehabt, als sie sagte, dass Harry immer schon in der Lage gewesen ist, mich dazu zu bringen, mein Zimmer zu verlassen. Er ist das Versprechen von Spaß und Abenteuer.

„Ich bin dabei", antworte ich schließlich.

Harry sieht erleichtert aus, als hätte ein Teil von ihm Angst gehabt, dass ich ablehne. Unser letztes Treffen mag gut verlaufen sein, die Unsicherheit bleibt jedoch immer noch. Es wird dauern, bis wir wieder vollkommen entspannt in der Gegenwart des Anderen sein können.

„Brauchst du noch etwas aus deiner Wohnung, Ally?"

Ich ziehe meine Schuhe an und stecke meinen Haustürschlüssel in die Hosentasche.

„Ich bin fertig."

„Dann lass uns losfahren", schlägt Harry vor.

Ich wage es nicht, ihn direkt anzusehen und folge ihm zögerlich, während wir zu seinem Wagen herüber gehen. Wie immer öffnet er mir die Autotür und wartet geduldig, bis ich im Auto sitze.

Bei unserem ersten Date damals hat mich das überrascht, weil ich so etwas nie gewohnt gewesen bin. Doch Harry hatte mir mit einem Lächeln versichert, dass er das gerne tut. Außerdem würde ihn seine Mutter sonst der Familie verstoßen, hatte er mit einem Lachen hinzugefügt.

„Willst du die Musik aussuchen?", fragt Harry mich, während er losfährt.

Ein kleines Lächeln legt sich auf meine Lippen, weil wir an diesem Ritual festhalten. „Gerne."

Meine Finger verdrehen den Knopf der manuellen Suche, bis ich einen Song gefunden habe, der mir zuspricht. Aus den hochwertigen Boxen des Autos klingt er nur noch schöner, worum ich Harry immer beneidet habe. Nicht selten habe ich ihn aufgefordert, eine extra Runde zu drehen, nur damit wir ein Lied in voller Länge genießen konnten.

Meine Augen mustern ihn unauffällig, während er mit konzentriertem Blick auf die Straße vor uns sieht. Wie auch schon bei unserer letzten Unternehmung ist er außergewöhnlich unauffällig gekleidet. Nichts erinnert mehr an den Jungen mit den schrillen Outfits. Die dunklen Farben lenken ab und die langen Arme verdecken die Tattoos, wobei er deswegen furchtbar schwitzen muss. Doch unerkannt zu bleiben ist wichtiger.

Mittlerweile ist es fast drei Monate her, seitdem Harry wie aus dem Nichts vor meiner Haustür aufgetaucht ist. Mit kommt es vor, wie eine halbe Ewigkeit.

Vielleicht liegt es daran, dass meine Gedanken andauernd in seine Richtung schweifen und er in meinem Alltag andauernd präsent gewesen ist, auch wenn er sich nicht körperlich in meiner Nähe befunden hat. Ich habe nicht aufhören können, mir den Kopf über seine Absichten zu zerbrechen und die Möglichkeit abzuwägen, ihn wieder in mein Leben zu lassen. Letztendlich habe ich eine Entscheidung getroffen, die ich bis jetzt noch nicht bereut habe.

Jedoch habe ich Recht mit meiner Aussage, dass sowohl Harry und ich nicht einfach sind. Es wird wahrscheinlich nicht lange dauern, bis wir aneinanderstoßen und explodieren. Die Frage ist nur, wer von uns beiden zuerst in die Luft gehen wird.

„Verrätst du mir dann, was dieser plötzliche Überfall soll?" Fragend sehe ich Harry an, der kurz den Kopf in meine Richtung dreht.

„Ich habe heute Abend frei. Einer der letzten Abende, bevor es auf Tour geht. Ich dachte ich mir, dass es dringend Zeit wäre, wieder eines meiner Versprechen wieder gut zu machen", entgegnet er.

„Welches denn?", frage ich ihn neugierig.

Harry schüttelt lächelnd den Kopf. „Lass dich einfach überraschen, okay?"

Ich strecke ihm die Zunge heraus. „Du weißt, wie sehr ich Überraschungen hasse."

„Ich weiß", erwidert Harry mit einem Grinsen im Gesicht. „Ich habe vor dir noch nie ein Mädchen getroffen, das so ungeduldig ist wie du."

Ich fummele an der Musikanlage seines Autos herum, bis ich das nächste passende Lied gefunden habe. Gerade wird ein Indierock-Song gespielt und ich trommele den Takt leise auf dem Armaturenbrett mit.

„Und nach mir?", frage ich leise und verfluche mich daraufhin sogleich wieder. Harry hat Recht, ich bin wirklich ungeduldig und auch mit mehr Neugier gesegnet, als gesund ist. „Du musst nicht antworten, Harry. Ist ja auch egal."

Er mustert mich nachdenklich, während ich mich bemühe, überall  hinzusehen, nur nicht in seine Augen. Der Ausblick zu meiner Linken übt plötzlich eine große Faszination aus, auch wenn dort nur ein paar heruntergekommene Bauten zu sehen sind.

„Nein, auch nach dir nicht, Al", entgegnet Harry schließlich und schenkt mir ein Lächeln. Eines der echten Sorte.

Da war er wieder. Der Name, den ich so eine lange Zeit schon nicht mehr von jemandes Lippen gehört habe. Der Name, der nur ihm vorbehalten war.

Der Name, der mich erinnern lässt.

Er wirft mich zurück in Gedanken an vergangene Zeiten. In Erinnerungen, die ich längst verdrängt hatte.

Ich schließe die Augen, um mich gegen den neuen Strom zu wehren und konzentriere mich auf die Gegenwart.

Was vergangen ist, ist vergangen. Und es wird nicht wiederkommen.

„Wie lange fahren wir noch?", erkundige ich mich schließlich, als ich mich wieder gefangen habe. Mittlerweile hat das Lied erneut gewechselt.

„Wir sind da", entgegnet Harry und parkt das Auto am Straßenrand.

Ich folge ihm aus seinem Wagen und sehe mich um, aber aus ein paar Häuserzeilen sowie einer verlassenen Straße und einem kleinen Spielplatz kann ich nichts entdecken. Einige der Grundstücke werden durch Blumenbeete gesäumt, doch auch diese wirken leicht heruntergekommen. Dieser Teil der Stadt befindet sich in einem Vorort Londons, der zu dieser späten Stunde bereits fast verlassen ist. Nur zwei ältere Männer sitzen auf Gartenstühlen im Vorgarten und unterhalten sich lautstark über die Premier-League-Saison.

„Was wollen wir hier?"

Harry sieht meinen verwirrten Gesichtsausdruck und muss grinsen.

„Warts ab", meint er nur und bedeutet mir dann, ihm zu folgen.

Wir gehen nicht weit, nur ein paar Meter, bis wir mitten auf dem Spielplatz stehen. Dieser ist vollkommen verlassen, denn für Kinder ist es bereits viel zu spät, auch wenn morgen Wochenende ist. Die Sonne geht bereits unter und taucht all die metallenen Spielgeräte in rotgoldenes Licht. Sie glänzen wunderschön und wirken wertvoll, selbst, wenn man bedenkt, dass sie sicherlich bereits uralt sind. Die Dellen und abgeblätterte Farbe auf den Spielgeräten zeugen zumindest davon, dass sie in die Jahre gekommen sind. Dennoch werden sie sicherlich heiß geliebt und das ist wichtiger.

Mit einem Lächeln denke ich an den Spielplatz in der Nähe meines Kindheitshauses in Manchester zurück, den ich regelmäßig mit meinen Brüdern unsicher gemacht habe. In Momenten wie diesen vermisse ich meine beiden Geschwister sehr.

Von einem Augenblick auf den anderen werde ich wieder in die Gegenwart gerissen, als Harry mich ohne Vorwarnung hochhebt. Lachend lasse ich meine Beine baumeln und kralle meine Hände in seinen Pullover, auf der Suche nach Halt.

„Was soll das werden, Harry?", pruste ich, als er sich einmal mit mir im Kreis dreht.

„Wir leben", entgegnet er ernst, doch ich kann das Lächeln hinter seinen Worten hören, auch wenn ich ihn nicht ansehen kann.

Sanft setzt Harry mich vor sich auf die Seilbahn und nimmt dann hinter mir Platz.

Während wir die zehn Meter durch die Luft fliegen, tönt sein Lachen in meinem Ohr und ich kann nicht anders, als mich ihm anzuschließen.

Ich fühle mich frei, während wir von dem einen Ort zum anderen gleiten.

So als existierten nur Harry und ich in dieser kalten Welt, die um uns herrscht.

Immer und immer wieder fahren mit der Seilbahn, benutzen die Wippe, stürzen uns auf das Karussell. Immer und immer wieder laufen wir nebeneinander her und verstehen uns ohne viele Worte.

Mein Lachen vermischt sich mit dem seinem und ich bin wunschlos glücklich.

„Machen wir eine Pause?", erkundigt sich Harry schließlich außer Atem.

„Eine Pause klingt gut", stimme ich nickend zu.

Wir setzen uns auf die Schaukeln und schwingen leicht hin und her, während wir versuchen, wieder Luft zu bekommen.

Zunächst schweigen wir, aber zum ersten Mal ist es kein unangenehmes Schweigen. Dafür ist es zu vertraut.

„Wie lange brauchst du noch, bis du mit deinem Studium fertig bist?", erkundigt sich Harry schließlich.

„Ich schreibe in den nächsten Wochen meine Klausuren und dann bin ich fertig."

„Weißt du schon, was du danach machen wirst?" Ich spüre seinen fragenden Blick auf mir und zucke mit den Schultern.

Meine Füße stoßen sich erneut vom Boden ab und ich schwinge in die Luft. Jedoch folgt der Fall direkt darauf.

„Keine Ahnung. Ich bin so planlos wie nie. Und das macht mir fürchterliche Angst", gebe ich schließlich zu. Das auszusprechen ist nicht einfach, aber Harry ist schon immer ein guter Zuhörer gewesen. „Ich schätze, ich werde mich einfach vom Leben überraschen lassen."

Er schenkt mir ein Lächeln und berührt kurz meinen Arm.

„Panik muss nicht unbedingt immer etwas Schlechtes sein. Die meiste Panik hatte ich damals vor unserem ersten Auftritt als Band. Manchmal zeigt sie einem vielleicht auch nur, was wirklich wichtig ist im Leben", meint Harry nachdenklich.

„Und manchmal ist sie einfach nur beschissen", entgegne ich trocken, was ihn zum Lachen bringt.

Ich stoße mich erneut vom Boden ab und gleite mitsamt der Schaukel durch die Luft. Der Wind wischt mir erfrischend über die Wangen. Er weht die Vergangenheit um die Zukunft und spinnt ein Netz, dem niemand entkommen kann. Ich will es nicht einmal, was es nur noch gefährlicher macht.

„Auf zu einer neuen Runde Seilbahnfahren?", schlage ich schließlich vor.

Harry steht nickend auf und streckt mir dann seine Hand entgegen, um mir hochzuhelfen. Ich nehme sie in meine. „Auf zu einer neunen Runde."

Gemeinsam laufen wir über den Spielplatz und ich bin froh darüber, dass niemand außer uns beiden hier ist. Das gibt dem Ort etwas Magisches, als wäre er nicht ganz Teil unserer Welt. Sondern einer Realität, in denen eine Literaturstudentin und ein Sänger einfach Zeit miteinander verbringen können, ohne dass jemand sich darüber den Mund fusselig redet.

„Nicht das ich mich beschweren würde, aber warum genau sind wir hier?", frage ich Harry schließlich, als wir außer Atem das zwölfte Mal den kleinen Hügel hochlaufen, um erneut mit der Seilbahn zu fahren.

„Ich habe dir mal versprochen, etwas Kindisches und Verrücktes mit dir zu machen. Damals, als ich dich wieder einmal zu einer dieser Awardshows mitgeschleppt habe, die du so sehr hasst. Da habe ich gesagt, dass ich es wieder gut machen würde, in dem wir uns einen Nachmittag einfach noch einmal wie Kinder benehmen und alles andere vergessen", ruft Harry mir in Erinnerung.

Ich weiß noch genau, wovon er redet. Ich trug ein rotes Kleid, das ich gleichzeitig so wunderschön und schrecklich fand. Es stand mir, jedoch bin ich nicht ich selbst gewesen. Es fühlte sich an wie eine Verkleidung, die ich tragen musste, nur um in Harrys Welt gehören zu dürfen. Deswegen hatte ich es auch angezogen, denn es hat eine Zeit gegeben, in der ich alles getan habe, nur um ihm nahe sein zu dürfen.

Wir befanden uns damals im hinteren Teil des Backstagebereichs, während die anderen bereits auf dem Weg zum roten Teppich waren. Dort merkte ich, wie mein Herz immer schneller und schneller schlug vor Panik. Ich realisierte, wie mir alles zu viel wurde. Die Beziehung, die ganze Aufmerksamkeit, das Erwachsenwerden.

Da hatte Harry seine Arme um mich gelegt und mir dieses Versprechen ins Ohr geflüstert. Und mit seinen Worten geschafft, mich abzulenken und wieder zu beruhigen. Seine Stimme hatte die Gabe, mich vergessen zu lassen und die Welt in tausend Farben zu zaubern.

Die Erinnerung lässt ein bittersüßes Lächeln auf meinen Lippen entstehen.

„Ich hatte dieses Versprechen ganz vergessen", gebe ich zu, während wir das Klettergerüst hochklettern und dann wieder runterspringen.

Dabei breite ich die Arme aus, als würde ich fliegen können. Als wäre ich ein Vogel und könnte jeden Moment abheben und nie wieder kommen.

„Ich nicht. Ich habe nichts vergessen, was dich angeht", ruft Harry von oben und zwinkert mir zu.

Dann springt auch er.

Und fällt. Und fällt. Und fällt.

Bis er am Boden aufkommt.

Erst als es bereits vollkommen dunkel geworden ist, machen wir uns auf den Rückweg zu meiner Wohnung. Als Harry sein Auto am Straßenrand parkt, schnalle ich mich ab und will aussteigen, doch er hält mich sanft am Arm fest.

„Warte kurz", murmelt er.

Ich beiße mir auf die Unterlippe, während ich mich frage, welche Wörter als nächstes über seine Lippen kommen werden. Hoffentlich werden sie mich fliegen lassen und nicht auf den Abgrund herunterziehen. Worte haben die Macht, zu heilen und zu zerstören. Sie können Kriege beenden und alles ins Chaos stürzen. Harry hat das nie verstanden, weswegen ich nicht weiß, was nun passieren wird.

„Ich werde in zwei Tagen auf Tour gehen. Aber in ein paar Wochen habe ich ein paar Tage frei." Er schluckt. „Vielleicht können wir uns dann ja sehen, Ally?"

„Vielleicht", murmele ich leise. Das ist alles, was Harry bekommt. Ich werde ihm nichts versprechen. Denn im Gegensatz zu ihm habe ich noch nie leere Versprechungen abgegeben.

Harry sieht dennoch erleichtert aus. Seine Augen leuchten heller als die Straßenlaterne über dem Auto, die den Gehweg in warmes Licht taucht.

„Soll ich dir irgendetwas von der Tour mitbringen?" Fragend sieht er mich an.

„Ein Magnet wäre schön", sage ich im selben Moment, in dem er fragt: „Einen Magneten vielleicht?"
Wir lachen und es hört sich wundervoll an in der Stille der Nacht. Ein Lichtblick in all der Dunkelheit, der Spaß und Leben und Freundschaft verspricht.

„Dann werde ich dir mindestens einen mitbringen", erwidert Harry. „Ich würde es dir ja versprechen, aber du weißt ja –"

„Dass du keine weiteren Versprechen mehr machst, bevor deine Liste abgearbeitet ist?", ergänze ich seinen Satz grinsend.

Harrys Mundwinkel zucken amüsiert nach oben. „Genau."

Ich verabschiede mich mit einer kurzen Umarmung von ihm und steige dann aus. Die Autotür fällt knallend hinter mir ins Schloss und ich bin bereits auf dem Weg zu meinem Haus, als ich mich noch einmal umdrehe. Ich muss noch etwas loswerden, bevor er wieder wochenlang verschwinden wird.

Sanft klopfe ich gegen seine Fensterscheibe und warte ungeduldig, bis er diese geöffnet hat.

„Danke für die Blumen, Harry. Das wollte ich dir letztes Mal schon sagen."

Er sieht mich an und sein Blick ist so intensiv, dass ich versucht bin, wegzuschauen. „Ich sollte wahrscheinlich nicht fragen, aber – Hast du sie weggeschmissen?"

Ich nicke und schüttele daraufhin sogleich den Kopf. „Die ersten ja", gebe ich zu. „Aber die anderen habe ich jede Woche an mein Fenster gestellt, damit ich sie anschauen konnte, bevor ich eingeschlafen bin."
Helen hatte mich deswegen für verrückt erklärt, aber ich habe dabei nicht einmal an Harry gedacht, sondern einfach nur die Blumen zu schätzen gewusst. Gerade die so leicht zerstörbaren Dinge im Leben sollte man festhalten und achten.

Harry räuspert sich. „Darf ich damit weitermachen, Ally? Dir Blumen schicken?"

Ich zögere. „Ich weiß nicht. Ist das nicht irgendwie merkwürdig?"

Er streicht sich durch die Haare. „Dürfen sich Freunde keine Blumen schicken?"

„Wir sind keine Freunde, Harry", erinnere ich ihn mit sanfter Stimme.

„Aber wir könnten es wieder werden."

Ich bleibe ihm eine Antwort schuldig und winke stattdessen bloß einmal. „Wir sehen uns. Vielleicht."

„Ich schicke dir weiterhin Blumen", ruft Harry mir hinterher, während ich zu meinem Haus hinterhergehe.

Das Lächeln auf meinen Lippen kann er nicht sehen, weil ich ihm den Rücken zugewandt habe. Es ist dennoch da. Langsam und dann umso strahlender bahnt es sich einen Weg an die Oberfläche.


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Ihr Lieben,

Es geht weiter bei Promise und damit auch mit Harrys Versprechen.

Irgendwelche Vermutungen, was das nächste Versprechen sein könnte?

Meint ihr, dass Ally und Harry sich so langsam annähern? Oder glaubt ihr, dass noch eine Bombe hochgehen wird?

Bis zum nächsten Mal.

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