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e l l i p s i s
juni 2018
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Allison || Neben Harry zu seinem Auto zu gehen, in völliges Schweigen gehüllt, während in unseren Ohren immer noch die Schreie der Konzertbesucher nachhallen, fühlt sich an, als wären wir in einer alternativen Realität angelangt. Schon immer habe ich es geliebt, nach Konzerten diese vollkommene Stille zu spüren, die sich so sehr von all den Emotionen und all dem Adrenalin während des Events unterscheidet.
Auch bei diesem Konzert hatte ich die Ohrenschützer abgelehnt, wie ich es immer schon getan habe, wenn ich Harry auf der Bühne zugesehen habe. Es macht das ganze so viel realer, aber vor allem wunderschöner. Ich wollte nicht auf dieses einzigartige Gefühl verzichten, weswegen ich nun liebend gerne die leichte Taubheit in Kauf nehme, die sich nach den zwei Stunden in dem völlig überfüllten Club eingestellt hat.
Harry hat sein glitzerndes und auffälliges Bühnenoutfit wieder gegen die unauffällige Kleidung ausgetauscht, die er bereits bei der Hinfahrt getragen hat. Während wir gemeinsam über den Parkplatz laufen, mustere ich ihn unauffällig und sehe, dass sein Haar an seiner Stirn festpappt. Eine seiner Locken hat sich aus seiner Frisur gelöst und steht völlig wirr vom Kopf ab, was ihn jünger aussehen lässt.
Er hat ein seliges, glückliches Lächeln auf den Lippen, das mich daran erinnert, wie sehr er seinen Job liebt. Unwillkürlich zucken auch meine Mundwinkel nach oben.
Wir reden kein Wort, bis wir bei seinem Audi angekommen sind und Harry sich unsicher räuspert. Alle anderen seiner Freunde und Familie sind bereits wieder auf dem Heimweg oder befinden sich noch Backstage, wo man ein Buffet aufgebaut hat. Harry jedoch hat mich aus dem Raum gezogen und mir gesagt, dass er andere Pläne für uns hat. Dadurch, dass wir beide uns nun alleine auf dem Parkplatz befinden, wird das unangenehme Schweigen zwischen uns nur noch deutlicher.
Es ist beinahe, als hätte jeder von uns beiden Angst, durch ein falsches Wort den zerbrechlichen Frieden zwischen uns zu zerstören. Ich frage mich, wann sich das ändern wird. Ob es sich überhaupt jemals wieder ändern wird.
Harrys Handy durchdringt die Stille schmerzhaft laut, doch anstatt abzuheben, drückt er den Anruf nach einem kurzen Blick auf das Display weg.
„Du kannst ruhig drangehen", meine ich leise.
Er schüttelt den Kopf und steckt sein Handy wieder in die Hosentasche. „Nein, ich kann auch später zurückrufen."
Erneutes Schweigen legt sich über uns, während wir beide unsicher neben dem Auto stehen. Ich bemühe mich, ihn nicht direkt anzusehen und fokussiere meinen Blick stattdessen auf das Tor, das uns von der Masse draußen trennt. Von dort ist lautes Gelächter zu vernehmen sowie einige freudige Rufe und vor allem das Gefühl, dass Leute einen tollen Abend genossen haben. Harry ist der Grund dafür und das macht mich selbst nach all der Zeit immer noch stolz. Der Junge neben mir hat auch nach all den Jahren noch nicht begriffen, wie glücklich er Menschen machen kann. Es ist eine Gabe, die er immer schon eingesetzt hat, um Gutes zu tun.
Harry räuspert sich erneut und fährt sich durch die Haare, wodurch diese nur noch unordentlicher werden. Ich muss mir ein Grinsen verkneifen.
„Wollen wir los?" Fragend sieht er mich an.
„Ja, gerne", antworte ich, erleichtert darüber, dass er das Schweigen gebrochen hat.
Er öffnet mir die Beifahrertür und wartet geduldig, bis ich eingestiegen bin, bevor er diese wieder schließt. Dann geht er um seinen Audi herum und lässt sich auf den Fahrersitz fallen.
„Du hast immer noch das gleiche Auto", stelle ich fest das Offensichtliche fest, einfach, um die Stille zu durchbrechen, die so drückend wirkt wie ein schwüler Sommer. Mir ist egal, worüber wir reden, solange wir überhaupt ein paar Worte wechseln.
Wir haben schon die Hinfahrt zur Konzerthalle schweigend zurückgelegt und wenn ich noch einmal eine solche angespannte Autofahrt ertragen muss, dann fange ich an zu schreien.
„Ja, daran hat sich nichts geändert", erwidert Harry und macht eine kurze Pause, als wäre er sich nicht sicher, ob er die nächsten Worte nicht lieber verschweigen sollte. Doch schließlich bahnen sie sich leise einen Weg in die Wirklichkeit, als würden sie durch eine lautere Stimme an Bedeutung verlieren. „Wie an so vielem nicht, Ally."
Mir bleibt nicht viel Zeit, um über seine Worte nachzudenken, denn Harry startet den Motor und fährt so ruckartig an, dass ich in den Sitz gepresst werde.
„Himmel, Harry! Wo bitte hast du fahren gelernt?", beschwere ich mich.
Lachend zwinkert er mich zu und fährt dann durch das Tor, welches der Parkplatzwächter netterweise bereits für uns geöffnet hat. Vorsichtig bahnt Harry sich mit seinem Auto ein Weg durch die immer noch strömende Menge, wobei er sich hinter sein Lenkrad duckt, in dem Versuch, nicht erkannt zu werden. Ich beuge mich nach vorne, sodass meine Haare in mein Gesicht fallen und tue so, als würde ich etwas im Fußraum suchen. Dabei bin ich keine Sekunde zu früh, denn gleich darauf ertönt ein hektisches Kreischen, als der erste Fan Harry erkannt hat. Seufzend bleibe ich in geduckter Haltung, bis wir uns endlich in den Verkehr eingefädelt haben und die Schreie leiser werden.
Eine Hand legt sich sanft auf meinen Oberarm und die plötzliche Berührung lässt mich zusammenzucken.
„Du kannst wieder auftauchen, Ally", meint Harry leise.
Erleichtert setze ich mich wieder richtig hin und muss ein paar Mal tief durchatmen, weil mir wie immer schlecht geworden ist, sobald ich beim Fahren nicht nach draußen schauen kann.
„Geht es wieder?" Die leichte Besorgnis in Harrys Stimme ist nicht zu überhören.
„Alles bestens", versichere ich ihm, während er sein Auto geschickt durch den Verkehr lenkt, der sich wie immer in London nur stockend fortbewegt.
„Wo fahren wir eigentlich hin?", erkunde ich mich.
Auf Harrys Lippen entsteht ein spitzbübisches Lächeln, das ihn jünger wirken lässt. „Das ist eine Überraschung, Ally."
Ich verdrehe die Augen. „Du weißt, dass ich für Überraschungen viel zu ungeduldig bin."
Er lacht herzhaft. „Und du weißt, dass ich es liebe, dich genau deswegen mit Überraschungen zu nerven. Du bist süß, wenn du ungeduldig bist."
Ich schlucke und versuche, seinen Worten nicht allzu viel Bedeutung zuzusprechen. „Also bekomme ich nicht einmal einen Hinweis?"
„Wir gehen was Essen", antwortet Harry und hüllt sich dann mit einem dicken Grinsen in Schweigen, als ich ihn weiterhin löchere. Schließlich gebe ich auf, weil ich weiß, dass es keinen Sinn macht. Er ist ein genauso großer Dickkopf wie ich.
Dann verschränke ich meine Beine übereinander und betrachte Harry zögerlich.
Er hat seinen Blick konzentriert auf die Straße gerichtet und seine Stirn kaum merklich in kleine Falten verzogen, wie immer, wenn er etwas – oder jemandem – seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt. Es ist kaum zu sehen, aber ich weiß, worauf ich achten muss. Das ist einer der Dinge, die ich in all den Monaten über Harry gelernt habe.
Nicht über Harry Styles, den Popstar, Teenie Schwarm und Boybandsänger.
Sondern über Harry Styles, den Jungen aus Holmes Chapel.
Ich habe den wahren Harry kennengelernt, denjenigen, den die Öffentlichkeit niemals ganz verstehen wird. Denjenigen, den all seine Fans nie zu sehen bekommen werden, so sehr sie sich auch anstrengen und jeden seiner Schritte zu analysieren zu versuchen.
Vielleicht sind es gerade diese Dinge, die es so schwer machen, ihn zu vergessen.
„Willst du die Musik aussuchen?" Harrys Stimme reißt mich aus den Gedanken.
Ein kleines Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, doch ich verbanne es sogleich wieder. Ich will nicht, dass er sieht, dass mir aufgefallen ist, dass er mich das gleiche gefragt hat, wie bei jeder anderen Autofahrt, die wir zusammen erlebt haben. Es ist im Laufe unserer Bekanntschaft zu einem Ritual zwischen uns beiden geworden.
„Gerne", erwidere ich und durchsuche manuell die Radiofrequenz, bis ich einen Sender gefunden habe, der mir zuspricht.
Im Takt der Musik trommele ich auf das Armaturenbrett und sehe aus den Augenwinkeln, wie Harry mich daraufhin grinsend ansieht.
„Würde ich nicht Zayn begegnet sein, dann wärest du der Musik-abhängigste Mensch, den ich kenne", meint er mit sanfter Stimme.
Ich schweige, denn ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Dies hat er mir bereits schon einmal gesagt. Nach unserem dritten Date, als ich wieder einmal gefühlte Stunden gebraucht habe, bis ich die passende Musik fand.
Das wäre wohl nicht die beste Antwort, deswegen bleibe ich einfach still und fummele am Radioknopf herum, bis ich den nächsten Song gefunden habe, der meinen Ansprüchen genügt.
Keine leichte Aufgabe, denn musiktechnisch bin ich kritischer als die meisten Leute. Jeder Song muss mich direkt in den Bann ziehen, um von mir in die engere Auswahl gezogen zu werden, sonst schalte ich direkt um. Meine Eltern hat dies regelmäßig zur Weißglut getrieben, doch Harry erträgt es seit jeher heldenhaft.
Zufrieden mit dem Lied, das uns für die nächsten Minuten beschallen wird, lehne ich mich in meinem Sitz zurück und klopfe die Melodie mit den Fingern mit. Die Musik macht das Schweigen zwischen uns erträglich, denn sie ist schon immer eine der Leidenschaften gewesen, die Harry und ich teilen.
„Dein Konzert war übrigens wirklich gut", meine ich.
Harry sieht kurz lächelnd zu mir herüber. „Das freut mich wirklich. Ich habe dir einmal versprochen, dass ich dich auf ein Solokonzert von mir mitnehme und das heute Abend ist eine Art Wiedergutmachung gewesen."
Wir schweigen beide, während wir uns die Erinnerung zurückdenken. Harry und ich saßen damals kuschelnd auf dem Sofa in meiner Wohnung. Wir sahen uns Michael Jacksons Konzertfilm This Is It an und irgendwann flüsterte Harry mir ins Ohr, dass ich dabei sein würde, falls er sich irgendwann einmal alleine auf die Bühne wagen würde. Lächelnd habe ich ihm versichert, dass er das schaffen wird, wenn er es denn wirklich wollte. Dann hatte er mich geküsst, so sanft und süß, dass der Film für die nächsten Stunden in Vergessenheit geraten war.
„Deine Schwester war nett zu mir", sage ich schließlich, als das nächste Radiolied beendet ist und ich auf die Suche nach dem nächsten Song gehe.
„Hat dich das überrascht?" Harry lacht. „Gemma mochte dich schon immer. Manchmal sogar mehr als mich."
Ein trauriges Lächeln legt sich auf meine Lippen, weil er mich damit früher andauernd aufgezogen hat. Dabei habe ich immer gewusst, dass es Harry insgeheim gefreut hat, dass ich ein gutes Verhältnis zu Gemma hatte. Seine Familie ist ihm wichtig, weswegen es ihm viel bedeutet hat, dass auch seine Freundin sich gut mit ihnen verstanden hat. Ich hoffe für ihn, dass Kate und Gemma ebenfalls gut miteinander klarkomme.
„Außerdem habe ich meiner Familie erzählt, was passiert ist, Ally. Du musst also keine Angst haben, dass sie dir die Schuld an unserer Trennung geben. Gemma hätte mich am liebsten umgebracht", meint Harry schließlich deutlich leiser.
Ich schlucke. „Harry..."
„Ich weiß, du willst nicht darüber reden."
Er winkt ab und beinahe hätte ich ihm die unbekümmerte Fassade abgekauft. Doch ich kenne ihn gut genug, um auch die leicht angespannten Schultern zu bemerken und seine kaum merklich verkrampften Hände, die das Lenkrad umklammern.
„Zumindest nicht heute", gebe ich zu.
Ich finde das nächste ansprechende Lied und sehe aus dem Fenster, während die Musik auf uns einspielt. Londons Straßen ziehen an uns vorbei und langsam merke ich, dass wir uns in einen der Vororte Londons bewegen, in denen ich früher sehr viel Zeit verbracht habe. Bevor Harry in sein heutiges Haus umgezogen ist, hat er hier mit Louis in einer Wohngemeinschaft gelebt.
Die Menschenmassen auf den Bürgersteigen werden weniger, wobei dennoch einige junge Leute auf dem Weg zu dem angesagten Club in dieser Gegend sind. Dieser ist für seine Eigenart bekannt, nur Personen mit Maske einzulassen, weswegen das Ziel der Leute kaum zu übersehen ist. Ich habe nie viel auf diese Location gegeben, aber Harry hat es dort geliebt, weil er dort in der Masse untergehen konnte. Deswegen bin ich seinetwillen oft dort gewesen.
„Wie geht es Helen?", fragt Harry mich, nachdem wir einige Zeit geschwiegen haben.
„Sie hat sich vor kurzem von ihrem Freund getrennt, ist aber langsam darüber hinweg", meine ich.
In dem Versuch Konversation zu machen, hole ich weit aus und erzähle ihm, dass es Helen wieder gut geht, nachdem sie ihren letzten Typen abgeschossen hat.
„Helen kann froh sein, dass sie ihn losgeworden ist. Der Kerl hat geschnarcht, als wäre er ein Traktor. Das war so laut, dass ich es bis in mein Zimmer gehört habe. Hätte Helen nicht Schluss gemacht, dann hätte ich das für sie getan. Ich hätte es nicht ausgehalten auch nur eine Nacht länger nicht schlafen zu können", beschwere ich mich schließlich, nachdem ich mich in Rage geredet hat. „Ich habe das furchtbare Schnarchen selbst heute noch im Ohr. Das werde ich für den Rest meines Lebens nicht vergessen können."
Harry sieht mich kurz grinsend an, bevor er seinen Blick wieder auf die Straße richtet. Sein Grinsen verschwindet dabei nicht, sondern wird nur noch breiter.
„Der Kerl hört sich doch gar nicht mal so übel an", erwidert er zwinkert. „Wobei es mich überrascht, dass es dich überhaupt gestört hat. Du kannst nachts doch sowieso nicht schlafen. Wie viele Nächte musste ich dir etwas vorsingen, bis du endlich eingeschlafen bist?"
Die Frage, die wahrscheinlich harmlos gemeint war, fühlt sich alles andere als harmlos an.
Über unsere gemeinsame Vergangenheit zu reden, ist merkwürdig. Aber über die Nächte zu reden, in denen wir im gleichen Bett geschlafen haben, ist noch viel schlimmer.
„Bei diesem Kerl hätte jeder Schlafprobleme", weiche ich aus, um nicht auf seine Frage antworten zu müssen. Selbst Harry, der schläft wie ein Toter und in jeder Situation ins Reich der Träume verschwinden kann, hätte bei Helens letztem Freund Probleme gehabt.
„Welchen Namen hat der Typ in eurem Männerbuch bekommen?" Neugierig sieht Harry mich an.
„Rotzender Baumfäller", teile ich ihm mit.
Ein dunkles Lachen ertönt und ich stimme mit ein. Es ist überraschenderweise wirklich angenehm, wieder mit ihm Spaß haben zu können.
„Darf ich meinen Namen erfahren?", fragt Harry schließlich, als wir uns wieder beruhigt haben.
„Wer sagt, dass du einen bekommen hast?", weiche ich aus, weil es nun wirklich peinlich werden könnte.
Harry verdreht die Augen. „Ich bitte dich, Ally. Jeder deiner und Helens Typen ist dort eingetragen. Ich bin da sicherlich keine Ausnahme."
„Dein Name ist nicht gerade freundlich", gebe ich zu.
„Das habe ich mir schon gedacht", entgegnet er trocken. „Aber ich will es trotzdem wissen."
Ich beiße mir auf die Unterlippe, bevor die Worte sich aus meinem Mund lösen. „Du wurdest unter der Kategorie betrügendes Würstchen eingeordnet."
Harry räuspert sich und ich sehe, wie sich seine Finger fester ums Lenkrad wickeln. Die silbernen Ringe heben sich von seiner gebräunten Haut ab, während sie durch das Leder nach oben gepresst werden. Noch habe ich nicht herausgefunden, ob der Schmuck eine bestimmte Bedeutung hat. Während wir zusammen gewesen sind, trug er bloß immer seinen Halsschmuck in Form eines Kreuzes und die Kette mit dem Fliegeranhänger, die er mir nach einigen Monaten geschenkt hat. Diese befindet sich wahrscheinlich noch irgendwo in den Weiten meines Kinderzimmers in Manchester, wo ich sie nach der Trennung hingeschmissen habe.
„Wie geht es den Jungs?", frage ich hastig, um die Situation zu entschärfen.
Harry geht dankbarerweise darauf ein und erzählt mir von den Mitgliedern seiner früheren Band, die mittlerweile ebenfalls alle als Solokünstler unterwegs sind. Dennoch sind sie anscheinend alle immer noch befreundet, wie ich erleichtert feststelle. Das Leben im Showbusiness ist hart, echte Freunde findet man nur selten und es freut mich für die vier, dass sie dennoch immer noch im Kontakt stehen. Schließlich unterhalten wir uns ein wenig über Harrys aktuelle Tour, die in Kürze wirklich starten wird und die Zeit, in der er sein erstes Soloalbum geschrieben hat.
Es ist merkwürdig, davon nur durch Erzählungen zu erfahren, während ich ansonsten immer während des Prozesses live dabei gewesen bin.
„Wir sind angekommen", meint Harry schließlich und erst jetzt merke ich, dass der Motor schon vor einiger Zeit erloschen ist. Unsere Unterhaltung ist so entspannend gewesen, dass ich mich auf nichts anderes mehr konzentriert habe. Während ich jetzt jedoch die Umgebung betrachte, kommt die Anspannung und die Unsicherheit zurück.
Harry hat das Auto am Straßenrand in einer Lücke geparkt, die eigentlich viel zu klein für den Audi sein sollte. Jedoch hat er es schon immer geschafft, sich dennoch in diese kleinen Freiflächen zu quetschen. Um uns herum säumen mehrstöckige Altbauten die Straße, die sehr ehrwürdig wirken. Sie sind wunderbar gepflegt und lassen keinen Zweifel daran, dass Wohnen in dieser Gegend alles andere als billig ist.
Harry steigt aus und setzt sich die Kapuze seiner Jacke auf, in dem Versuch allzu neugierigen Augen zu entgehen.
Ich verlasse den Wagen ebenfalls und folge ihm, bis ich sehe, wo wir gerade hingehen. Wie vom Blitz getroffen bleibe ich stehen und Harry braucht nicht lange, um festzustellen, dass ich nicht mehr hinter ihm hergehe.
Er kommt mit langsamen Schritten zu mir zurück und bleibt an meiner Seite stehen. Unsere Arme trennen nur Zentimeter voneinander und ich bin mir seiner Nähe nur zu sehr bewusst.
Vor unseren Blicken enthüllt sich ein Restaurant, das beinahe unscheinbar wirkt mit der hölzernen Tür und den gelbgestrichenen Holzwänden, die schon einmal bessere Zeiten gesehen haben. Trotzdem strahlt das Gebäude einen ehrlichen Charme aus, der mich schon bei unserem ersten Besuch in seinen Bann gezogen hat. Die Fensterkästen sind mit bunten Blumen geschmückt und das Namensschild über der Tür hängt etwas schief, während die blaue Farbe bereits zum größten Teil abgeblättert ist. Das Restaurant passt so gar nicht zwischen all die großen Bauten, dennoch steht es hier schon seit so langer Zeit, dass es die anderen Gebäude um Jahre überragt. Es ist ein Familienunternehmen, das schon seit vier Generationen mit kulinarischen Köstlichkeiten zu verzaubern weiß.
Doch nicht der Anblick ist es, der mich so sehr aus der Bahn wirft. Es sind die Erinnerungen, die ich mit diesem Ort verknüpfe und die verquere Tatsache, dass ich mich mit Harry hier befinde.
„Hier hatten wir unser erstes Date", sage ich ohne nachzudenken, denn dazu bin ich immer noch viel zu geschockt.
„Ich weiß, Ally", erwidert Harry lediglich.
Als ich ihn ansehe, weicht er meinem Blick aus und findet die Tür des Restaurants plötzlich wirklich interessant.
„Du erinnerst dich noch daran?" Fragend sehe ich ihn an, denn so ganz glaube ich ihm nicht. Ich hätte gedacht, dass er das längst vergessen hätte und wir nur durch Zufall erneut an diesem Ort gelandet wären.
„Natürlich erinnere ich mich. Denkst du etwa, ich hätte mein Gedächtnis verloren oder so?", erwidert Harry vehement.
Ich muss trotz der Absurdität der Situation lachen. „Nein. Es wundert mich nur, schätze ich."
Er mustert mich prüfend. „Ich weiß nicht, was genau du über mich denkst, aber ich glaube, du hast ein völlig falsches Bild von mir, Ally."
„Glaubst du?" Ich beiße mir auf die Unterlippe.
Er fährt sich durch die Haare, die mittlerweile getrocknet sind und sich zu wirren Locken geformt haben. „Ich bin mir ziemlich sicher. Und ich werde daran arbeiten, dieses Bild wieder richtig zu stellen", erwidert Harry.
„Ist das ein Versprechen?", frage ich ihn zögerlich. „Denn ich will nicht, dass du mir ein weiteres Versprechen gibst, was du ohnehin nicht halten wirst."
Harry schüttelt den Kopf, wobei seine Locken durch die Luft wippen. „Nein, das ist kein Versprechen. Ich hab dir genügend Dinge zu leichtfertig versprochen. Ich werde erst einmal damit anfangen, diese abzuarbeiten, bevor ich dir neue Versprechen gebe. Das verspreche –"
„Harry", unterbreche ich ihn seufzend. „Du tust es schon wieder. Du redest, ohne über die Bedeutung deiner Worte nachzudenken."
Harry legt nachdenklich die Stirn in Falten. „In Ordnung. Ich werde das Versprechen nicht aussprechen, aber es zu denken, ist in Ordnung, oder?"
„Ist es das? Ist ein Versprechen weniger wert, nur weil man es nicht in Worte fasst?", gebe ich zu bedenken.
Harry mustert mich aufmerksam. „Sag du es mir, Ally. Du bist die Königin der Versprechen."
„Hör auf, dich darüber lustig zu machen", entgegne ich beschämt.
Er sieht mich mit ehrlichen Augen an und hebt beteuernd die Arme. „Das würde ich nie. Ich weiß, wieso dir Versprechen so viel bedeuten." Ich kann die Wahrheit in seinen Worten erkennen. „Also, was ist nun, Ally? Glaubst du, dass nicht ausgesprochene Versprechen weniger wert sind?"
Ich denke eine Weile über seine Worte nach. Wir müssen ein merkwürdiges Bild abgeben, wie wir wie angewurzelt mitten auf dem Bürgersteig vor dem heruntergekommenen Restaurant stehen.
Der Junge, der Worte verschenkt, als wären sie kostenlos und das Mädchen, das Worten zu viel Bedeutung zumisst.
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Ihr Lieben,
Harry versucht also, sein erstes Date mit Ally zu wiederholen. Meint ihr, dass das glimpflich ausgeht?
Dieses Kapitel ist Ally (@cxrls_) gewidmet, weil du meiner Motivation immer einen Tritt in den Hintern gibst, wenn sie sich gerade mal wieder versteckt hat. Ich danke dir so sehr dafür!
Falls ihr übrigens auf der Suche nach einer ungewöhnlichen und wundervollen Geschichte seid, dann seid ihr bei Ally Buch Citylights auf jeden Fall an der richtigen Adresse ;)
Für mich geht es nächste Woche ins Auslandspraktikum, weswegen ich nächsten Dienstag wahrscheinlich kein Kapitel werde hochladen können. Es wird aber definitiv in der Woche kommen und dann auch regelmäßig jeden Dienstag weiter gehen, weil ich einiges vorgeschrieben habe. Nur damit ihr Bescheid wisst.
Bis zum nächsten Mal!
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