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Bei dem köstlichen Duft nach Tomaten und geschmolzenem Käse , der mir sofort in die Nase steigt, als ich das Bad verlasse, läuft mir das Wasser im Mund zusammen.
Ich zupfe an den Enden des T-Shirts herum, bevor ich die Küche betrete. "Oh, das.."
Der Rest des Satzes verschwindet im Nirvana meiner durcheinanderwirbelnden Gedanken und meines viel zu schnell klopfenden Herzens. Santino ist gerade dabei zwei Teller auf den Tisch zu stellen. " Na endlich. Das hat ja gedauert. " Sein Blick wandert an meinem Körper auf und ab und verdunkelt sich einen Moment . "Die weiten Klamotten stehen dir. Und wie gut, das du ohnehin nichts darunter zu verbergen hast." Meint er und nimmt eine Auflaufform aus dem Ofen.
"Du bist doch nur neugierig." versetze ich.
"Ach komm schon. Ich weiß doch längst wie nervös ich dich mache. " Santinos Lächeln liefert sich einen Wettstreit mit dem amüsierten Funkeln seiner Augen.
Erst jetzt bemerke ich, das ich noch immer den unteren Saum des T-Shirts zwischen den Fingern knete. Sofort lasse ich den weichen Stoff los.
Mein neuer Vermieter deutet auf einen der beiden Stühle," setz dich." Er verteilt den duftig dampfenden Inhalt der Aufflauform auf unseren Tellern und stellt sie dann zurück in den Ofen. Gierig starre ich auf die Nudeln, die vom Saft der Tomaten blaßrora gefärbt sind.
Ich kann mich nicht mehr beherrschen, greife nach dem Besteck und fange sofort an zu essen. "Hmm," entfährt es mir.Die Kirschtomaten müssen montanlang von der Sonne verwöhnt worden sein, so süsslich und pikant wie sie schmecken. Ein weiteres "Hmm" entringt sich meiner Brust. Bei gutem Essen war ich noch nie fähig, meine Begeisterung zurückzuhalten. Ich bin eben ein absoluter Genussmensch. Ein Hauch Wehmut überkommt mich, als ich an Donatas pausbäckiges Lachen denke, wenn ich ihre Künste auf diese Art gelobt habe.
Zu meiner Überraschung kommentiert er mein genussvolles Gebaren nicht mit einer gemeinen Bemerkung , sondern beobachtet nur ,wie ich eine weitere viel zu große Ladung der köstlichen Nudeln in meinem Mund verschwinden lasse. Ein Lächeln zupft kaum merklich an seinen Mundwinkeln. Okay, er macht sich also doch über mich lustig. Doch er ist immerhin anständig genug es mir nicht zu zeigen.
"Wein?" Er hebt die Flache nach oben. Ich nicke zögerlich. "Aber nur ein bisschen. Nicht das du, naja..die Situation ausnutzt," stammle ich halbherzig grinsend. Er legt den Kopf schräg und zieht die Augenbrauen zusammen. "Bild dir bloß nix ein, Pummelchen."
Ou Ou. Mühevoll unterdrücke ich ein entnervtes Stöhnen. Wieder einer, der sich bei jedem falschen Wort in seiner Ehre gekränkt fühlt. Wie leid ich es doch bin, ständig genauestens überlegen zu müssen was ich sage.
"Ich bin nur nett und höflich, das ist alles." Fährt er fort. Das dunkle Grau seiner Augen funkelt verächtlich, daran kann auch der Kerzenschein nichts ändern, der eine Romantik vortäuschen soll, die es zwischen uns niemals geben wird.
Ich kaue schweigend. Das Geräusch des Weins, den Santino in das Glas gluckern lässt, erinnert mich an Armando . Sofort greife ich nach dem Glas und nehme einen großen Schluck von der überraschend lieblichen Flüssigkeit zu mir.
Es macht sich unmittelbar bemerkbar, das dies der erste Moment in meinem Leben ist, in dem ich Alkohol trinke. Eine angenehme Wärme breitet sich in meiner Brust aus und in meinem Kopf macht sich ein leichtes Schwindelgefühl bemerkbar. "Grauburgunder," verkündet Santino eine winzige Spur freundlicher und deutet auf die Flasche, als ich das Glas bereits geleert habe. Der Anflug von Stolz in seiner Stimme hat etwas rührendes, das eine absurde Flatterhaftigkeit in meiner Magengrube auslöst.
"Warum überrascht mich das nicht", kichere ich von plötzlichem Übermut befallen.Santino sieht mich stirrunzlend an und rollt mit den Augen, als ich immer noch nicht aufhöre zu kichern.
"Na Super. Ich hätte es wissen müssen."
"Was?"
"Dein erstes Mal?"
Ich erröte und schlucke die Nudeln, die ich mir soeben in den Mund geschoben habe , so abrupt herunter, das ich einen Hustenanfall erleide.
Santino steht auf und reicht mir ein Glas Wasser. "Hier! Trink das." Mit einem verlegenen Lächeln nehme ich das Glas an mich und wische mir die Tränen mit dem Saum des Shirts ab, die während des Kicheranfalls über mein Gesicht gelaufen sind. Dabei vergesse ich ganz, dass ich darunter nur den hässlichen fleischfarbenen BH trage. Erst als ich sehe, wie Santinos schockierter Blick auf Höhe meiner Brüste verharrt, bemerke ich meine Unachtsamkeit.
"Oh, "Schnell lasse ich das T-Shirt sinken. " Sorry."
"Ich bin satt," verkünde ich, als die Dunstglocke des Schweigens, die sich über uns gesenkt hat mir zu unangenehm wird . Zwischen Santinos Augen hat sich eine Zornesfalte gebildet.
" Du gehst jetzt besser ins Bett. Die Zahnbürste lege ich dir auf das Waschbecken.Und noch was: Bitte benutze nie wieder ihre Sachen. "
"Was?" Stammle ich. "Aber.. ich dachte."
"Was? Was dachtest du?" Er stellt die Teller klirrend auf den Rand der Spüle und stützt sich mit dem Rücken zu mir auf der Anrichte ab. Seine Arme sind so angespannt das die Adern hervortreten.
"Das Papas verwöhntes Mädchen sich alles nehmen kann was ihr vor die Nase kommt?Dachtest du das?"
"Nein..ich..also. "Ich muss mir große Mühe geben, nicht heulend aus der Küche zu rennen. Aber diese Genugtuung werde ich ihm nicht geben. Ich hole tief Luft, will meine Worte mit bedacht wählen, wie immer wenn ich es mit jähzornigen Menschen zu tun habe, doch ich bin dazu nicht länger fähig. Der Faden an dem meine Geduld hing, existiert nicht mehr. Er hat sich im Laufe des Abends aufgelöst.
"Was weißt du schon von meinem Vater? Brause ich auf.Er ist kein lieber netter Daddy aus dem Bilderbuch dem sein Töchterchen über alles geht, wie du zu glauben scheinst.Er ist ein skrupelloser Verbrecher. Und ich bin ihm vollkommen egal. Der einzige Grund, warum er nicht will das ich ausziehe ist der, das ich die Ehre unseres Blutes beschmutzen könnte."
Er verharrt noch einen Moment in seiner angespannten Haltung, dann dreht er sich langsam um. Sein Gesichtsausdruck ist noch immer seltsam verbissen, doch er weicht meinem Blick aus. Beinahe habe ich das Gefühl, als wolle er sich entschuldigen, ohne zu wissen wie sowas überhaupt geht.
Doch Sekunden später trifft er etwas in mir, von dem ich bisher nicht wusste das es existiert.
"Was ich dir jetzt sage, Pummelchen, erkläre ich dir nur ein einziges Mal. Aber es verliert niemals seine Gültigkeit.Egal was passiert. Ich habe lediglich nach Leuten gesucht, die diese WG mit mir teilen um die Miete zahlen zu können. Nichts weiter. Wenn ich eine Frau zum Vögeln brauche, nehme ich mein verdammtes Handy und rufe eine meiner vielen Bekanntschaften an. Ganz einfach. Und vor allem unkompliziert. Und du...," er mustert mich voller Verachtung, bevor er mir die folgenden Worte ins Gesicht speit. "Und du, bist absolut gar nicht der Typ Frau, den ich jemals in so einem Fall anrufen würde!"
"Schlag es dir also aus dem Kopf das zwischen uns jemals etwas laufen wird, okay?"
"Wie kommst du darauf das ich das will? Ich habe einen Freund," erinnere ich ihn, als ich endlich meine Stimme wieder gefunden habe.
Er will etwas entgegnen, überlegt es ich dann anders und deutet stattdessen auf das Wasserglas. "Trink das aus." Morgen nehme ich dich mit zur Uni. Danach kannst du deine Sachen holen und mit deiner Freundin zusammen hier einziehen. Alles wie besprochen. Dieser Abend heute hat nie stattgefunden. Und wenn, dann hatte er keinerlei Bedeutung."
"Aber ich dachte, ich bin heute schon eingezogen," maule ich kindisch. Die Müdigkeit und Santinos hasserfüllte Worte fordern ihren Tribut.
Santino räumt die Teller in die Spülmaschine und stellt sie an. Ich versuche nicht auf das Spiel seiner Muskeln zu achten, die deutlich unter dem engen T Shirt zu erkennen sind. Er hat ja sowas von Recht, auch die Stimme meines Gewissens kennt keine Gnade.
"Ich finde dich nichtmal attraktiv," lüge ich. "Kein bisschen. Wie kommst du nur dazu das Gegenteil zu glauben?"
Ruckartig schiebe ich den Stuhl zurück und merke nichtmal, wie das Möbelstück hintenüberkippt. Am liebsten würde ich vor lauter Wut irgendetwas in diesem Raum zerstören.
Mein Blick wandert zu dem Weingals.
Ich greife nach der Flasche, die noch immer auf dem Tisch steht und schenke mir etwas davon ein, bevor Santino es verhindern kann. "Gib das her!" Er versucht mir das Glas aus den Händen zu ringen. "Du hast genug, Pummelchen."
" Vaffanculo!" Brülle ich. "Und hör auf mich Pummelchen zu nennen!" Ich hebe das Glas so ruckartig an, das ihm der Wein ins Gesicht schwappt.
Santino umklammert meinen Arm und zieht mich an sich. Mit der freien Hand wischt er sich über das Gesicht das jetzt ein teuflisch-jungenhaftes Grinsen ziert. Der Blick seiner grauen Augen bohrt sich in meinen. Mein Atem hat sich bereits verräterisch beschleunigt und die Willenskraft hat sich in eine Ecke zurückgezogen und die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und schliesse die Augen. Sekundenlang spüre ich die Wärme seines Körpers, der sich an mich schmiegt, spüre wie sein Minzeatem meine Lippen streift.Ich schäme mich vor mir selbst, so sehr wünsche ich mir in diesen starken Armen zu verweilen, die jetzt vor einer Wut zittern, die ich selbst entfacht habe. Gerade als sich meine Lippen zu einem erwartungsvollen Spalt öffnen ,lässt er mich so abrupt los, das ich seitlich nach hinten taumele. Mit beiden Händen stütze ich mich auf den hölzernen Beinen des umgekippten Stuhls ab.
" Hab ichs doch gesagt. " Presst er hervor und eilt aus dem Zimmer.
" Du hättest mir ja nicht auflauern und mich abholen brauchen , Cretino !" Brülle ich.
"Du wärst doch sowieso hierhin gekommen! Wo solltest du schliesslich sonst hin?" Höhnt er und ich höre wie die Badezimmertür ins Schloss fällt und kurz darauf die Dusche ihre Arbeit aufnimmt.
Ich richte mich auf und greife nach der Weinflasche. Doch Santino hat sie bereits in der Spüle entleert.
Okay, schiesst es mir durch den Kopf. Das war er dann wohl. Der demütigendste Moment meines Lebens.
Ich war ja so furchtbar naiv.
Als ich endlich höre, wie Santino die Tür zu seinem Schlafzimmer schliesst, schleppe ich mich aus der Küche. Beim Sturz auf den Stuhl muß ich mir irgendwie den Fuß verdreht haben. Bei jedem Schritt saust ein stechender Schmerz durch das Gelenk. Im Badezimmer liegt die versprochene Zahnbürste. Die Luft ist noch gesättigt vom herben Duft eines Männerduschgels der den verräterischen Geruch des Rosenwasserkonzentrates erfolgreich überlagert hat. Mein Blick wandert zu den Tiegeln auf der Ablage. Es gibt also eine Frau die er liebt. Anders lässt sich seine Wut darüber, das ich ihre Sachen benutzt habe nicht erklären. Wahrscheinlich ist sie tatsächlich seine Ex. Andernfalls wäre sie ja schließlich hier. Oder nicht? Und warum sollte er Frauen zum Vöglen anrufen, wenn er noch mit ihr zusammen wäre?
Ich drehe den Wasserhahn auf und wasche mir solange das Gesicht mit eisakltem Wasser, das ich die Wirkung des Alkohols kaum noch spüren kann. Dann putze ich mir die Zähne und suche humpelnd das Zimmer auf, das ab jetzt mein neues Zuhause sein wird.
Unterwegs fische ich mein Handy vom Sofa. Ich will die Nachrichten checken, aber das Display bleibt schwarz. Akku leer. Seufzend werfe ich es zurück auf das Sofa.
Mein Zimmer liegt im Halbdunkel. Lediglich ein Streifen Mondlicht erhellt die Holzdielen und einen Teil des Bettes. Hinter dem Fenster ragt die dunkle Mauer des entfernten Waldrandes auf. Zu meiner Verwunderung liegt frisches Bettzeug auf der bezogenen Matratze.
Er ist nur höflich, wispert meine innere Stimme schadenfroh.
Er ist sowieso ein Arsch, erkläre ich und schlage die Decke aus, bevor ich darunter krieche, die Augen schliesse und versuche den pochenden Schmerz in meinem Fussgelenk zu ignorieren.Zeitweise wird er so stark das ich überlege Santino um eine Schmerztablette zu bitten. Doch dann erinnere ich mich an seine gemeinen Worte und das verächtliche Gelächter. Dankbar nehme ich zur Kenntnis wie die Müdigkeit die Oberhand gewinnt und gleite in einen unruhigen Schlaf. Er wird die altbekannten Alpträume mit sich bringen. Im Gegensatz zu vielen anderen Dingen sind sie eine verlässliche Konstante in meinem Leben.
Die Schuld daran, dass ich vergessen habe die Tür abzusperren, werde ich später meinem schmerzenden Fuß in den Schuh schieben.
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