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"Sie schuldet dir gar nichts." Ria beugt sich herunter und hebt die Kaffeebecher auf.
" Halt du dich da raus." Armando macht einen Schritt auf uns zu und packt mich unsanft am Arm. " Jacob hat mir erzählt , du willst ausziehen, ja? " Er schiebt sein Kinn nach oben und presst die Kiefer aufeinander. Wenn er wüßte wie lächerlich diese überbetriebene Wut ihn aussehen lässt.
Ich versuche mich aus seinem Griff zu entwinden. Ein paar Studenten beobachten uns bereits. Tuschelnd stecken sie die Köpfe zusammen
" Was geht denn hier ab?" erkundigt sich eine zierliche Frau mit pink gefärbtem Strubbelhaar.
"Geht dich nix an," herrscht Armando. Eine Ader an seiner Stirn ist pochend hervorgetreten.Die pinkhaarige stemmt die Hände in die Hüften."Du hältst dich wohl für besonders cool, was?"
Armando ignoriert sie. Jegliche Form weiblichen Widerspruches überfordert ihn.
Er wird sich daran gewöhnen müssen.
" Ich werde nächsten Monat 19 Jahre alt, Armando. Ihr könnt nicht mehr über mich entscheiden wie es euch gerade passt. "
Till hat sich inzwischen von der Bank erhoben. " Wir studieren zusammen, und ich finde sie sollten sie jetzt loslassen. Erklärt er, als würde ihn diese Tatsache dazu ermächtigen Armando Befehle zu erteilen.
" Till , das ist echt lieb von dir, aber das hier ist eine Sache zwischen meinem Bruder und mir. "
Doch Till schiebt einen Arm zwischen uns und versucht Armando von mir wegzudrängen.Ich spüre das wütende Zittern in der Stimme meines Bruders wie eine herannahende Gewitterfront.
" Zisch ab, du kleiner Scheißer" presst er hervor. Till ist zwar schmal und schlaksig, aber fast ebenso groß wie Armando. Er reckt die Brust und setzt ein herablassendes Grinsen auf.
Scheiße. Das hier wird böse enden.
" Geh jetzt bitte Armando. Wir reden später." Ich lege ihm die freie Hand auf den Arm und er lockert seien Griff ein wenig bevor er schließlich loslässt. Till wirft seinen Kopf zur Seite um eine blonde Strähne zu vertreiben, die ihm die Sicht nimmt.
Ich will nicht das meinetwegen eine Schlägerei veranstaltet wird. Deshalb wähle ich meine nächsten Worte mit bedacht.
" Ich erkläre dir dann alles. Und wenn du willst, kannst du ja im Auto auf mich warten und mich dann zu Stefo bringen, okay?"
Ich weiß, das er das sowieso tun wird. Und er weiß das ich es weiß. Wahrscheinlich ist er mir ohnehin schon die ganze Zeit gefolgt. Ich versuche mir einzureden, das er gelogen hat und das es nicht Jacob war, der mich verpetzt hat. Wenn es so war, würde mich das schwer enttäuschen. Genau genommen wäre es ein verdammt übler Verrat. Einer, den ich ihm leider zutrauen würde. Mein Vater hat mir früh beigebracht das Liebe und Verrat enge Freunde sind. Besonders dann, wenn zwei Personen unterschiedliche Vorstellungen davon haben was Liebe eigentlich ist.
Armando mustert mich mit einer Mischung aus Unwillen und Misstrauen.
" Also gut," bringt er mühsam hervor. " Wann ist der Spass hier zu ende? Er deutet auf das große Backsteingebäude.
Ich nenne ihm die Uhrzeit und er nickt. Noch immer ist ihm der Widerwille deutlich anzusehen, bevor er sich zum Gehen wendet. Natürlich nicht ohne seine Schulter zuvor gegen die von Till zu stossen, der sich alle Mühe gibt nicht zurückzutaumeln. Es ist immer wieder erstaunlich wie seine Wut ihn dazu treibt sich zu verhalten wie ein Kind, obwohl er doch so großen Wert darauf legt das man ihm Respekt zollt.
" Penner" zischt Till. Dann kratzt er sich mit der Hand den Hinterkopf und blickt zu Boden. " Sorry, aber dein Bruder scheint echt etwas..sagen wir mal, speziell zu sein."
" Er ist nicht immer so." Erklärt Ria und geht mit den Überresten der Kaffebecher zum nächsten Papierkorb.
"Nur wenn es um Lonia geht dreht er total am Rad." Sie wischt sich die Hände an einem Taschentuch ab. "Dabei kann er echt süß sein, wenn er will."
Ich verdrehe die Augen. "Ich dachte diese Phase hättest du hinter dir gelassen."
Ria war mal total verschossen in meinen Bruder. Leider hatte er so gar kein Interesse an ihr. Vielleicht weil er in ihr nie etwas anderes gesehen hat, als die beste Freundin seiner kleinen Schwester.
"Armando ist mit Lilly zusammen." Erinnere ich sie. "Und du mit Elias."
"Ja," seufzt sie..." Es ist nur..."
"Ria. Er ist eine absolute Idiota." Scherze ich und muß über meine eigenen Worte lachen.Irgendwie habe ich die Hoffnung, das das Schlimmste bereits überstanden ist. Immerhin hat Armando nachgegeben und ist ohne eine weitere Szene zum Auto gegangen. Ich hatte befürchtet, er würde Till vor versammelter Mannschaft zusammenschlagen und mich dann einfach mitschleifen.
Noch immer lachend verabschieden wir uns voneinander und Till begleitet mich zur nächsten Vorlesung.
"Hey, Pummelchen. Du kannst ja doch fröhlich sein," hallt eine tiefe Stimme über die Köpfe der Mitstudierenden hinweg, die sich Richtung Treppe bewegen.
"Oh nein, komm schnell!". Ohne es zu merken, greife ich nach Tills Hand und ziehe ihn hinter mir her. "Was...?"Stammelt er, während wir uns einen dreisten Weg mitten durch den Pulk bahnen.
Als wir den oberen Treppenabsatz erricht haben, drehen wir uns um. Da unten steht er. Mit finsterer Miene sieht er zu uns hinauf. Ein Typ in schwarz mit roter Mütze auf dem Kopf erscheint neben ihm. Santino beugt sich zur Seite als der Kerl ihm etwas zuflüstert.Dann dreht er sich abrupt um und verschwindet in der Menge.
"Das war mein bescheuerter Mitbewohner," erkläre ich. Erst jetzt bemerke ich, dass wir uns noch immer an den Händen halten. Schnell lasse ich Tills Hand los . "Sorry" murmele ich.
" Schon okay." Seine Wangen sind gerötet, was sicherlich von der Wärme kommt, die sich in der überfüllten Eingangshalle angestaut hat.
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" Soll ich nicht lieber vorsichtshalber warten?" Meint Till nachdem wir das Gebäude verlassen haben und den Parkplatz ansteuern. Er sieht mit zusammengekniffenen Augen zu Armandos schwarzem Mercedes herüber.
" Nein schon okay, er ist immerhin mein Bruder.. "
"Wenn du das sagst. " Er sieht alles andere als überzeugt aus.
"Geht klar. "
Nachdem Till sich verabschiedet hat, blicke ich auf das Handy und scrolle durch die Nachrichten. Jacob hat mir geschrieben. Er will reden. Ich betrachte kurz das Profilbild das uns als glückliches Pärchen am letzen Silverterabend zeigt. Im Hintergrund steht ein Mann in schwarzem Anzug, dessen Augen von einer Sonnenbrille bedeckt sind.Selbst auf Fotos haben mich die Handlanger kaum allein gelassen. Aber wenn ich daran denke wie hart ich mir das Recht erkämpfen musste, mich überhaupt fotografieren zu lassen, beschliesse ich , mich nicht wieder darüber aufzuregen. Ich schliesse den Chat ohne zu antworten und lasse das Handy in meinen Rucksack gleiten.
Meine Beine zittern, als ich das Auto erreiche. Die Strahlen der untergehenden Sonne vertreiben die Gänsehaut die sich auf meinem Körper ausgebreitet hat.
Ich blicke in die Richtung in die Till auf seinem Fahrrad verschwunden ist. Unweit von Armandos Mercedes steht Rias Knutschkugel. Sie wird also warten. Einige Meter weiter parkt noch immer der graue Porsche. Doch das Wageninnere ist, soweit ich das sehen kann, leer.
Irgendwie ist es schön zu wissen, dass Ria mich nicht allein lässt. Auch Tills freundliche Worte und seine Fürsorge, obwohl wir uns gerade mal ein paar Stunden kennen, geben mir Mut.
Ich gehe um das Auto herum und öffne die Tür.
Armando greift an mir vorbei und schliesst die Tür für mich, als ich mich hingesetzt habe. Ich spüre die Kühle des Leders durch meine Jeans dringen als mein Körper sich in den Sitz schmiegt.
Es riecht nach kaltem Rauch und Amrandos würzigem Aftershave.
Er reibt sich mit der Hand über den gepflegten Dreitagebart und starrt durch die Windschutzscheibe auf den Rasen. Dann und wann sind Studenten zu sehen, die in ihre Autos oder auf ihre Räder steigen und davonfahren. Wie ich sie beneide. Ob manche von ihnen auch überfürsorgliche Brüder und Väter haben vor denen sie ständig auf der Flucht sind?
"Was ist mit deiner Hand passiert?"
"Hab mich geschnitten", erkläre ich wahrheitsgemäss.
"Wann und wo?" Er starrt noch immer stur geradeaus.
"Bei Stefo. "Fahre ich weniger wahrheitsgemäss fort. "Mit ist ein Glas heruntergefallen und ich habe versehentlich in die Scherben gegriffen. Beim Aufsammeln."
"Hmhm. Klar."
"War so."Beharre ich. Bevor wir eine Weile in Schweigen verfallen.
"Mein ganzes Leben", wispere ich schliesslich. Zu meiner eigenen Überraschung steigen mir Tränen in die Augen. Armando sieht mich an. Das kalte Funkeln ist aus seinen Augen verschwunden. "Mein ganzes Leben schon beherrscht ihr mich. "
"Lonia..."eine Hand wandert zu seiner Nasenwurzel. Einen Moment presst er Daumen und Zeigefinger dort zusammen. Ein resignierter Seufzer dringt aus seiner Brust.
"Woanders ist das vielleicht so wie du es dir vorstellst, man wird achtzehn und zack.. er schnippt mit den Fingern, ist man erwachsen und kann tun und lassen was man will."
"Aber bei uns laufen die Dinge anders."
Ich wende ihm das Gesicht zu.
Er hat sein Jackett abgelegt. Ich kann sehen, wie sich der Gurt unter seinem Hemd abzeichnet. Der Gurt an dem er die Waffe trägt.
"Das ist alles so krank".
Wieder ein Seufzer. " Ja, das ist es."
Seine Worte überraschen mich.
Wieder reibt er sich die Wange.
Ich beginne eine meiner langen Locken zwischen den Fingern zu zwirbeln.
" Weißt du, Lilly fragt mich machmal, was ich genau mache. Beruflich und so. Aber ich habe es ihr nie richtig gesagt. "
" Ich weiß."
"Die ganzen Dinge. Davon braucht sie nichts zu wissen. Und irgendwann hat sie diese Tatsache akzeptiert."
Wir wissen beide was Armando mit" den ganzen Dingen" meint. Ich lernte die Details früher kennen als mir lieb war.
"Weiß sie auch, dass du irgendwann eine andere heiraten wirst?"
Er betrachtet seine grazilen Hände. Sie sehen aus als, wären sie nur versehentlich an seinem Körper angebracht worden.
"Ja, auch das."
Ich ziehe überrascht die Luft ein.
"Wow. Die Frau muss dich echt lieben , das sie das akzeptiert."
"Das hoffe ich doch."
"Und du, liebst du sie auch?"
Er räuspert sich und wendet den Kopf wieder der Windschutzscheibe zu.
Ein Zeichen, das ich mit meiner Frage eine Grenze überschritten habe.
Mit Armando über Gefühle zu reden, ist so aussichtsreich wie barfuss und ohne Ausrüstung den Mount Everest erklimmen zu wollen.
"Du wirst nicht mit einem fremden Kerl zusammenziehen." Kommt er zur Sache. "Genau genommen wirst du mit gar keinem Kerl zusammen ziehen."
Er hebt mahnend die Hand als ich etwas erwidern will.
"Glaubst du ich würde zulassen das du deine Ehre einfach so wegwirfst nur weil du volljährig bist?"
"Du denkst vielleicht, das wäre alles ganz einfach und logisch. Aber das ist es nicht. Irgendwann wirst du es bereuen."
"Ria zieht auch dort ein."
Er lacht heiser auf.
"Ria ist ein Kind. Genau wie du."
"Ist sie nicht."
"Oh doch. Dieser Typ mit dem sie seit Kurzem zusammen ist, ist ein armer Vixer. Sie ist mit ihm zusammen, weil sie sich in seiner Gegenwart begehrenswert fühlt."
"Armer Vixer, dein Ernst?"Nur mit Mühe kann ich ein Lachen unterdrücken. Das klingt fast als wäre er...eifersüchtig. Oh mein Gott. Wenn das Ria wüßte.
"Seine Eltern sind beide Ärzte und er hat gerade sein Physikum bestanden."
"Das Physikum war gekauft."
Ich kann das Lachen nicht länger zurückhalten. "Und du weißt das, Ja?"
"Egal," fährt er auf. "Du ziehst jedenfalls nicht in diese WG ein und Basta!" Er brüllt jetzt. Doch ich nehme es gelassen. Nur meine Beine zittern ein bisschen.
"Bringt du mich jetzt bitte zu Stefo?"
Ich schiele durch das Fenster zu Rias Wagen.
"Ich weiß das sie da ist.Denkst du ich bin blöd? Ich kenne ihre Tussenkarre." Armandos Stimme ist wieder die Ruhe selbst.
"Dieses Mädchen ist eine Plage. Seit du vierzehn bist hängt ständig ihr zusammen.Sie ist fast noch schlimmer als Jacob. "
"Jacob kenne ich noch viel länger als Ria," erinnere ich ihn.
Wieder das heisere Lachen.
"Ein Glück nur das er so ein Waschlappen ist."
Ich beisse mir auf die Unterlippe. " Das ist nicht wahr. Er..."
"Er ist nur ein Freund von dir nichts weiter. Genau wie Ria." Unterbricht er mich.
"Du täuschst dich. Wir sind zusammen," erinnere ich ihn.
Er startet den Motor. Ein vibrierendes Brummen erschüttert das Innere des Wagens.
"Du weißt gar nicht, was es heißt richtig mit jemandem zusammen zu sein."
"Ach und wer ist daran schuld?" grolle ich. Mein Herzschlag beschleunigt sich vor lauter Wut.
"Du wirst es mir eines Tages danken." Die selbstgefällige Art auf die mein Bruder sein Kinn in die Höhe reckt, erinnert mich so sehr an meinen Vater das ich den Blick abwenden muß.
"Ihr könnt mich nicht einsperren. Ich bin ein freier Mensch. Ihr wisst genau das ihr das nicht länger durchziehen könnt."
"Wir ziehen nichts durch." Armando beschleunigt den Wagen abrupt. Er weiß jedoch, dass er mich damit nicht schocken kann. Schnelle Autos bin ich von Kindheit an gewohnt.
"Das macht Spaß, oder?" Das Lachen lässt ihn ausnahmsweise mal seines Alters entsprechend aussehen. Wie 25 und nicht wie 55.
Ich sage es ihm und er zieht die Augenbrauen zusammen.
"Pass auf was du sagst Schwesterherz. Du willst schließlich was von mir und nicht umgekehrt."
Mein nervöses Herz schöpft Hoffnung.
Wird er am Ende doch nachgeben?
Die Möglichkeit erscheint mir aussichtslos. Trotzdem weiß ich das ich im Recht bin. Und ich werde für dieses Recht kämpfen.
Durch den Rückspiegel sehe ich, dass auch Ria inzwischen losgefahren ist. Hinter ihr dröhnen die Auspuffrohre des grauen Porsche. Mittlerweile bin ich doch etwas neugierig , wem dieser Schlitten gehört.
Ich krame mein Smartphone aus dem Rucksack und schreibe Ria, das ich die Situation im Griff habe.
" Ich bin kein Unmensch, Schwesterherz. Auch wenn es manchmal den Anschein hat," erklärt Armando und beschleunigt nochmal das Tempo des Wagens.
"Dann gib mir eine Chance." Ich knuffe ihn in die Seite.
"Chancen sind eine Lüge." Erklärt er. "Niemand in dieser Welt hat jemals eine Chance."
Ich schiele erneut in den Rückspiegel, aber sowohl Rias Fiat als auch der Porsche sind verschwunden.
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