21
Man kann problemlos behaupten, ich sei Einiges gewohnt. Doch Capriccios aufgedunsene Fratze und die blicklosen Augen, welche durch mich hindurchstarrten, sollten mich noch lange verfolgen. Seine zerbeulte Visage mischte sich unter die Gesichter all der anderen, die es sich zur Gewohnheit gemacht haben mich in den Nächten heimzusuchen.
"Scheißeee! Was ist passiert?" Tills fassungslose Miene lässt mich wissen, dass die Make-Up Strategie nicht von Erfolg gekrönt wurde.
"Wer zum Teufel war das?"
"Bin gestolpert. "Lüge ich wieder mal, in der lächerlichen Hoffnung meinen Kommilitonen damit zum Schweigen zu bringen.
" So langsam wirst du mir unheimlich. Echt ey."Entgegnet er misstrauisch. Das war dein Bruder stimmt's? Dieser Armano. " Verächtlich verzieht er das Gesicht.
"Armando", verbessere ich ihn und spüre einen Klos im Hals. Es ist erst wenige Tage her, dass er hier an der Uni auf dem Rasen stand um mich abzuholen, aber es kommt mir vor, als sei inzwischen eine ganze Ewigkeit ins Land gezogen. Und nun weiß ich nichtmal, ob ich ihn jemals wiedersehen werde.
"Nein. Amo würde mich niemals schlagen," versichere ich wahrheitsgemäß.
" Und wer war es dann?" Beharrt Till.
"Niemand." Ich bin gestolpert, wie schon gesagt.Bin auf die Wange gefallen. War ganz blöd das Ganze."
" Oh Mann, entweder du bist echt supertollpatschig oder du nimmst irgendein blödes Arschloch in Schutz, das es mit Sicherheit verdient hat mal ordentlich die Fresse poliert zu bekommen."
Er beugt sich herunter und mustert mein Gesicht genauer. Sein Kaugummiatem streift über meine Haut.
"Überhaupt siehst du aus, als hättest du gerade eine Leiche gesehen oder so."
Wenn du wüsstest wie recht du damit hast, antworte ich innerlich.
"Ich möchte jetzt nicht weiter darüber reden,okay?" Erkläre ich stattdessen.
Beim erneuten Gedanken an die Leichen, die mit ihren erbleichten Gesichtern meinen Weg pflastern, wird mir schon wieder übel. Begierig warten sie jeden Abend darauf, dass ich einschlafe, um mich in meinen Träume besuchen zu kommen. Ich wünschte, ich könnte sie allesamt vergessen. Doch das werden sie niemals zulassen. Sie sind Teil meiner Geschichte geworden, zusammen mit all den Dingen, die hätten sein können wenn es mich nicht geben würde. Es ist ihre Art der Rache, mich auf diese und viele andere Arten heimzusuchen. Ich fürchte den Tag, wenn sie wieder zum Leben erwachen. Aber das ist unmöglich. Tot ist tot. Oder nicht?
"Hey, Apollonia. Ist schon okay. Wenn du drüber reden willst, ich bin da, ja?" Till knufft mich freundschaftlich in die Seite.
"Okay." Erleichtert stoße ich die Luft aus. Wenn er noch länger nachgebohrt hätte, wäre ich wahrscheinlich ausgerastet. Mein Nervenkostüm habe ich längst verloren. Ich bin jetzt quasi nackt und hoffe nur noch, dass niemand es bemerkt.
"Wo ist eigentlich deine Freundin?" erkundigt sich der Kommilitone. Der misstrauische Unterton hat seine Stimme noch immer nicht verlassen.
Ich zucke die Schultern. "Hatten Streit. Ich werde jetzt erstmal von einem Verwandten hergebracht." Wieder eine Lüge. Wie leicht mir diese fadenscheinigen Worte über die Lippen gehen. Fast glaube ich all die Unwahrheiten selbst, die ich seit meiner frühen Kindheit von mir gebe.
Das Lügen ist Teil meines Lebens. Weil ich ein Kind der Mafia bin. Das Kind eines Teufels . Genau wie der Verräter. Aber an ihn darf ich schon gar nicht denken.Denn entgegen allem, was ich mir einzureden versuche ,tut es weh von dem Menschen verraten worden zu sein, den man...verdammt nein, nicht dieses Wort. Soweit werde ich mich nicht erniedrigen. Nichtmal in Gedanken.
Ich bin jedenfalls froh, dass wir uns heute morgen noch nicht begegnet sind. Ausser Capriccios Leiche und den beiden Handlangern habe ich heute morgen nur noch Augenklappe zu sehen bekommen. Er kam angerannt als ich am Burggraben stand und hat mir die Hand auf die Augen gelegt, wie um mir einen Anblick zu ersparen, der sich längst in mein Inneres hineingefressen hatte. Ich weiß nicht ,wie lange ich einfach dastand und die Leiche anstarrte, aber irgendwann hat Augenklappe mich in die verhasste Kokainküche gebracht und mir dort einen Tee zubereitet, um mich dann zur Uni zu fahren. Mein Schrei, so erklärte er mir, sei ihm durch Mark und Bein gegangen. Ich lies den Vorwurf umkommentiert und wunderte mich nur, dass ich das Schreien offenbar damals im Schweinestalll doch nicht ganz verlernt habe.
Doch natürlich kann ein heißer Tee nicht über den Anblick einer im Wasser treibenden Leiche hinwegtrösten. Auch nicht, wenn der Tote wie Augenklappe betonte, eine widerliche Kanalratte gewesen sei.
Jetzt sitzt mein persönlicher Beschützer in dem silbergrauen Mercedes am Rande des Parkplatzes und wartet bis ich hier Feierabend habe. Er wird zwischendurch das Auto verlassen. Ich habe gesehen, dass er Raucher ist. In der Mittelkonsole lag eine Packung Lucky Strike . Vielleicht wird er beim Rauchen ein bisschen herumlaufen und die Umgebung ausser Acht lassen. Ich habe früh gelernt, diese Momente zu nutzen. Nicht das ich vorhabe zu fliehen, denn wo sollte sich schliesslich hin. Aber ich verspüre nicht die geringste Lust, sofort nach der Uni an den Ort zurückzukehren, an dem der Verräter lebt und an dem ich soeben noch eine Leiche entdeckt habe.
"Guten Morgen;" Lonia. Der zynische Klang von Rias Stimme reisst mich aus meinem Gedanken.
Ein verächtliches Grinsen ziert ihr von Foundation bedecktes Gesicht. "Na, wie lebt es sich bei deinem Santino? Ich hoffe ihr zwei genießt eure gemeinsame Zeit. Endlich könnt ihr ganz für euch sein."
Als sie meine geschwollene Wange sieht gefriert das sarkastische Lächeln.
"Oh mein Gott, Lonia!" Eine grazile Hand wandert zu dem geöffneten Mund. "War...war er das?"
Es ist vollkommen klar wen sie mit "er" meint.
Till legt die Stirn in Falten. Ein junger Mann hastet an uns vorbei und rempelt ihn an. "Steht nicht im Weg rum. Quatschen könnt ihr später," zischt er. Weitere Studenten eilen kopfschüttelnd an uns vorbei, zwängen sich in Richtung des längst übervollen Eingangs.
Die Gewissheit, mich in dieses Getümmel stürzen zu müssen, steigert die Übelkeit so sehr,dass ich befürchte jeden Moment meinen Mageninhalt in aller Öffentlichkeit offenbaren zu müssen. Verdammt, ich brauche Vomex A. Und zwar dringend.
" Es ist alles ganz harmlos, lüge ich ein weiteres Mal. Wir reden in der Pause, okay?"
Sie nickt nur stumm, ohne den Blick von meinem Gesicht abzuwenden.
"Hast du von Amo gehört? Oder von Lilly?" Erkundigt sie sich dann.
"Nein."
"Ich hoffe es geht Amo gut," murmelt sie. "Das hoffe ich auch." Sekundenlang sehen wir uns an. Es scheint fast, als wolle sie noch etwas sagen, doch dann wendet sich abrupt ab und verschwindet im Getümmel, bevor Till und ich ihr folgen, um gemeinsam in die erste Vorlesung zu gehen. Anglistik. Mein Favorit. Normalerweise. Doch der Blick des Professors und vereinzelter Komillitonen, die bei meinem Anblick zu tuscheln beginnen, rauben mir das letzte bisschen Willenskraft. Das stechende Ziehen, welches sich in meiner linken Gesichtshälfte ausbreitet, macht es nicht besser. Als der Schmerz unerträglich wird, suche ich die Toilette auf und reisse einige Tücher aus dem Papierspender, um sie mit kaltem Wasser zu befeuchten und auf die Wange zu legen.
Es ist mir egal, dass ich damit die Neugierde nur noch schlimmer machen werde. Ich könnte notfalls behaupten, mir wären die Weisheitszähne gezogen wurden.
"Fräulein Greco. Ist alles in Ordnung bei Ihnen?"erkundigt sich der Prof als ich die Tür hinter mir schließe und den Saal betrete. Till zuckt die Achseln und sieht mich entschuldigend an. Sofort lasse ich das Tuch an meiner Wange sinken. "Möchten Sie nachher in mein Büro kommen?"Der Prof mustert mich über seine randlose Brille hinweg. Ich habe ihn noch nie ein privates Wort an einen der Studenten richten hören. Für mich war dieser Mann jenseits der Vierzig immer eine Art Syrrogate, ein seelenloses Wesen, nur dazu da Wissen zu vermitteln.
"Nicht nötig ," erkläre ich. "Habe am Freitag die Weisheitszähne gezogen bekommen. Das Ganze hat sich etwas entzündet."
Er nimmt die Brille ab. "Und dann kommen Sie hierher? Besorgen Sie sich ein Attest und legen Sie sich ins Bett. "Bevor das ," er deutet mit der Brille in der Hand auf mein Gesicht, "nicht auskuriert ist, will ich Sie hier nicht mehr sehen."
Till macht Anstalten aufzustehen. "Darf ich sie begleiten?"
Der Prof nickt. "Von mir aus."
"Und jetzt Ruhe. Er setzt seine Brille auf und verwandelt sich wieder in den seelenlosen Syrrogate, als er fortfährt, die englische Klassik mit dem Werk zeitgenössischer Autoren zu vergleichen.
Ich hoffe inständig das Till davon absehen wird, mich bis zum Parkplatz zu begleiten. Wenn er und Augenklappe aufeinandertreffen, wird das nichts als unangenehme Fragen zur Folge haben.
Doch meine Sorgen erweisen sich als unbegründet. Denn der Mann, der da auf einer der Bänke im Pausenhof sitzt, mustert Till mit einem so bedrohlichen Blick, das dieser abrupt stehen bleibt.
"Dein Mitbewohner," wispert er. "Ja, egal," entgegne ich mit rasendem Herzen. "Ich komme schon zurecht. Danke das du dich so um mich..."mir fällt kein passendes Wort ein.."sorgst," beende ich den Satz schliesslich. " Kein Ding. Aber du schuldest mir noch eine Erklärung. Von wegen Weisheitszähne und so."
Ich nicke, höre jedoch kaum zu. Alles in mir krampft sich zusammen, als der Verräter sich erhebt und auf uns zukommt.
"Du kannst ruhig gehen", haspele ich. Doch Till steht einfach nur da und starrt den Verräter an, der jetzt neben mir steht. Seine Nähe löst wie immer ein warmes Kribbeln unter meiner Haut aus. Als gehe eine Art Schwerkraft von ihm aus, die meinen Körper wie selbstverständlich in seine Nähe zieht. Aber ich werde diesem Gefühl nicht mehr nachgeben. Der Verrat wiegt zu schwer.
"Hast du nicht gehört," zischt der Verräter, "du kannst jetzt gehen."
Till räuspert sich , dann sieht er mich fragend an und ich nicke. "Wenn was ist , ich bin da", erklärt er und zieht sein Handy hervor. "Kannst du mir deine Nummer geben?Dann kann ich dich anrufen und du hast Meine." Ich krame nach meinem Handy, welches ich heute Morgen in den Rucksack gesteckt habe und diktiere ihm meine Nummer. Dabei kann ich den Blick des Verräters auf uns spüren. Till steckt sein Handy ein und geht zurück in das Gebäude. "Bis dann," ruft er tonlos bevor die Glastüren sich hinter ihm schließen.
" Hast du jetzt also schon eine Neuen , Ja?"
Ich tue ,als höre ich ihn nicht und setze mich schweigend in Bewegung.
"Hey?" Er schließt mühelos zu mir auf. "Ich hab dich was gefragt!"
Wut brandet in mir auf, der rasende Herzschlag hat das Pochen meiner Gesichtshälfte verstärkt, was meiner Stimmung nicht gerade zuträglich ist. Abrupt bleibe ich stehen.
" Verschwinde einfach, okay? Zwischen uns war nie was, also hör auf dich wie ein eifersüchtiger Arch zu benehmen!"
"Eifersüchtiger Arsch?" Seine Mundwinkel zucken. "Du brichst mir das Herz. Adonis hat mir so viel besser gefallen."
"Pah,"ist alles was ich hervorginge. Das warme Kribbeln, welches sich beim Blick in seine grauen Augen verstärkt hat, ärgert mich.
Ich beschleunige meine Schritte und eile Richtung Parkplatz.
"Lonia!" Ruft er hinter mir her. "Warte doch! Ich kann dir das erklären." Abrupt bleibe ich stehen und drehe mich zu ihm um. "Okay, dann erkläre mir doch mal, wie man seine Mitbewohnerin mit einem Fremden narbenübersääten Riesen zurücklassen kann, obwohl man ihr versprochen hat sie beschützen zu wollen?"
Natürlich ist es diesem Kerl wieder mal gelungen, mich dazu zu bringen, meine Würde zu vernachlässigen. Schliesslich kann ich sehr gut auf mich selbst aufpassen. Oder nicht? Als Antwort auf diese Frage präsentiert mein Unterbewusstsein mir das Bild des erbosten Raffael, kurz bevor er mir eine Schusswaffe in den Rücken presst, nur weil ich so dumm war, allein ein Konzert aufzusuchen.
Eine Gruppe Studentinnen kommt aus einem Nebeneingang . Sie kichern , während eine Blondine mit perfekt sitzendem Pferdeschwanz lautstark Sprachnachrichten abspielt. Das Kichern verstummt, als sie uns sehen.
Eine von ihnen löst sich aus der Gruppe. Ein Ziehen fährt in meine angeschlagene Magengrube als ich erkenne, wer sie ist. Sie hat ihre rote Haarpracht zu einem Knoten auf dem Kopf zusammengebunden, was sie noch größer wirken lässt, als sie ohnehin schon ist.
"Santino!" zetert sie . Was machst du denn hier draußen? Schwänzt du schon wieder eine Vorlesung?" Ihr hasserfüllter Blick streift meinen Körper. "Ach so verstehe, du fühlst dich jetzt also doch zu der verzogenen unvögelbaren Göre hingezogen, was? Ist das der Grund warum du so plötzlich nicht mehr auf meine Nachrichten reagierst?"
Mit verschränkten Armen bleibt sie vor uns stehen. Ihre tiefausgeschinttene Bluse offenbart eine milchweisse sommersprossige Haut und den Ansatz ihrer flachen Brüste. Sie ist eine ekelhafte Vogelscheuche, schießt es mir durch den Kopf.
"Martha." Der Verräter verdreht die Augen. "Lass Lonia in Frieden!"
Einen Moment erinnere ich mich daran, wie er mich verteidigt hat als sie mich als Schlampe beschimpfte.
Warum nimmt er mich schon wieder vor ihr in Schutz, wenn ich ihm egal bin?
Ein Flattern schwebt durch meine Enigeweide und bringt mein Herz zum Stolpern. Habe ich ihm Unrecht getan? Nein, niemals. Das war nur Teil seiner Strategie, ganz sicher.
"Oh, wie süß, Lonia! Sieh an. Ich dachte du findest sie lächerlich."
"Du irrst dich. Der Sizilianer hebt das Kinn. In seinen grauen Augen spiegelt sich das Tageslicht. "Ich finde sie nicht lächerlich." Der Blick senkt sich auf die dunklen Schuhspitzen. "Es ist nämlich so. Ich ..." Sekundenlang sehen Martha und ich ihn abwartend an. Er fährt sich mit der Zunge über die Lippen und runzelt angestrengt die Stirn. "Ich..wiederholt er, doch dann bricht er erneut den Satz ab. "Ach, verschwinde einfach Martha, okay?" Sie schleudert den Kopf nach hinten als müsste sie eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht vertreiben. "Nichts lieber als das , du dämliches Arschloch. Ich habs nicht nötig dir hinterherzulaufen!"Keift sie.
Ich wende mich ab und nutze die Gelegenheit zur Flucht nach vorn. Doch als ich den Parkplatz erreicht habe, ist Augenklappes silbergrauer Mercedes nirgends zu sehen.
Als ich mich umsehe ist Martha verschwunden. Nur der Verräter steht da und blickt mir nach. "Ich fahre dich!" ruft er und kommt schon wieder auf mich zu.
Fieberhaft überlege ich, was ich tun soll. Dann kommt mir ein Gedanke. Ich wollte Lilly besuchen. Vielleicht ist sie inzwischen wieder bei Bewusstsein und kann mir etwas über Armando verraten.
Aber ohne Fahrtmöglichleit werde ich Stunden brauchen, bis ich das Krankenhaus erreicht habe. Wenn sie überhaupt dort liegt. Vielleicht hat man sie auch in eine Spezialklinik weiter weg gebracht.
Wie schäbig von mir , das ich nicht längst daran gedacht habe sie zu besuchen. Und selbst jetzt erscheint mir der Gedanke mehr ein passabler Grund das Schloss zu meiden, als wirkliches Interesse an ihrem Wohlergehen. Wer bin ich, über andere so hart zu urteilen?
"Bitte, Lonia." Der Verräter berührt mich am Arm. Die Geste ist so schüchtern, das ich gegen meinen Willen eine sanfte Nachsicht empfinde.
"Ich habe das doch nur für dich getan," wispert er. "Weil ich..."wieder bricht der Satz ab." Weil du was?" Erkundige ich mich.
"Mich an deinen Vater ausliefern wolltest?Du hast mich einfach allein gelassen!" Meine Stimme verwandelt sich in ein erbärmliches Piepsen.
Der Verräter fährt sich mit einer Hand über das Gesicht. Seine grauen Augen glänzen.
"Ich weiß, und glaub mir, ich werde mir das niemals verzeihen."
"Hör doch auf!" zische ich und reisse mich los.
"Wo willst du denn hin? "
"Ich werde Lilly besuchen. Amos Freundin. Auch wenn es dich nichts angeht."
"Ich bringe dich dorthin , ja?" beharrt er. "Nunzio ist anderweitig beschäftigt."
Ich brauche ein paar Sekunden bis ich begreife, dass Nunzio der richtige Name von Augenklappe ist.
"Auch egal. Ich komme zurecht," ich beginne zu laufen.
Doch der Verräter hält mühelos Schritt. "Jetzt hör mir doch mal zu, du kleine dickköpfige Principessa!"
Unnachgiebig hält er mich fest, während meine Versuche ,mich aus seiner Umarmung zu befreien, immer halbherziger werden.
"Lonia," fleht er . "Bitte sei mir nicht mehr böse , ja? Ich sterbe sonst. Wirklich."
"Das hat du verdient!"Nuschele ich in den Stoff seines dunklen Pullovers ." Ich werde nicht nachgeben," erkläre ich. Sicher nicht, füge ich in Gedanken hinzu. Auch nicht, wenn mir der vertraute Duft seines Aftershave in die Nase steigt und die Hormone alles in mir vollkommen durcheinander wirbeln, als wäre ich nicht beinahe 19 sondern 14 und somit mitten in der Pubertät.
"Doch Kleines, das wirst du," wispert er und fährt mir mit der Hand über das Haar.
"Hast du diesen Kerl umgebracht?"
Ich spüre wie sein Körper sich anspannt. Sein Herz schlägt schnell. Doch der Sizilianer schweigt.
"Darf ich dich zu dieser Lilly fahren?" fleht er stattdessen.
"Nein," beharre ich und löse mich mit aller Kraft aus der Umarmung.
"Es sei denn, du sagt mir, ob du diesen Fiesling umgelegt hast oder nicht?"
"Kleines," er zuckt die Schultern. "Du kennst die Antwort doch längst."
"Nein kenne ich nicht," lüge ich.
"Ja , verdammt" presst er mit hasserfüllter Miene hervor. "Ich wars und zwar aus demselben Grund, aus dem ich auch den anderen Kerl...du weißt schon." Er sieht sich um, als habe er Angst jemand könne uns hören. Doch wird sind vollkommen allein. Lediglich ein paar Krähen stolzieren auf der Suche nach Essensresten auf dem Hof umher.
"Denkst du denn, ich hätte das getan, wenn ich dich an meinen Alten ausliefern wollte? Wenn du mir egal wärst?"
Er betrachtet seine Hände. Die rötlichen Knöchel der linken Hand. Er ist offenbar Linkshänder. Er hat seine Faust für sich sprechen lassen. Dabei hätten ein paar Worte der Mahnung es auch getan. Ja, vielleicht liegt ihm wirklich etwas an mir. Aber was spielt das für eine Rolle? Der Sizilianer ist ein Mörder, wie mein Vater. Verdammt!
" Er hat gesagt, du wärst sein Informant ."
"Apllonia, Kleines. Ich bin nicht sein Informant. Ich habe ihm nur von diesem Mancuso Arschloch erzählt. Die ganze Situation dargelegt. Damit er versteht. Und das tut er. Er ist bereit, uns zu helfen. Wenn auch nicht ganz uneigennützig. Er ist immerhin mein Vater."
"Aber...du hast mich allein gelassen. Einfach so. Wie soll ich dir jemals vertrauen können?"
" Was soll ich denn noch alles tun? Ich kann es nicht rückgängig machen. Hilflos breitet er die Arme aus.
"Ich dachte die passen einfach nur auf dich auf. Ich wusste nicht, dass sie sich so verhalten. Und glaub mir sie werden allesamt dafür bezahlen. "
"Es war Capriccio, der mich geschlagen hat. Niemand sonst." erkläre ich. "Und nein, du hättest ihn nicht umbringen sollen. Jetzt habe ich ein weiteres Menschenleben auf dem Gewissen." Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern.
"Alles was ich will, ist dich beschützen, okay? Und ich habe dich alleine gelassen, weil mein Alter mich sehen wollte. Er hat mir versichert, das dir nichts passieren wird. Doch dann kamst du in sein Audienzzimmer, mit der aufplatzen Unterlippe und der blutverkrauteten Nase und hast mich vollkommen ignoriert."
Ich will etwas einwenden. Ihm sagen das ich ihm nicht glaube, und das er ein Lügner ist. Aber sein Blick bohrt sich in Meinen und alles in mir wird von diesem verletzlichen Ausdruck eingenommen. Es ist hoffnungslos. Ich werde mein Leben sehr früh verlieren. Wegen ihm. Und dann wird dieser Ausdruck für immer seine Augen zieren. Ich wünschte ich könnte ihn dann noch immer sehen. Aber Tote sehen nichts mehr. Sie starren in das große finstere Nichts hinein. Für immer.
"Ich wollte mit dir reden, aber dann habe ich mir gedacht, dass es besser ist, dich erstmal in Ruhe zu lassen. Außerdem war ich unfassbar wütend auf diese...diese Ratte."
Er senkt den Blick, eine leichte Röte überzieht seine Wangen.
"Ich wollte nach dir sehen, letzte Nacht, als du schon geschlafen hast. Ich habe es einfach nicht ausgehalten, dich alleine in dem fremden Zimmer zu wissen. Am frühen Morgen bin ich gegangen. Du hast gewimmert im Schlaf, vor Schmerzen. Ich bin dann raus aus dem Zimmer geradewegs in den Dienstbotentrakt. Da saß die Ratte am Tisch und drehte sich ne Kippe. Ich habe mir nichtmal die Mühe gemacht ihn zur Rede zu stellen. "
"Verstehe" murmele ich und bin dankbar das er mir die Details erspart.
"Kleines. Es waren nur ein paar Stunden ohne dich, aber trotzdem. Ich vermisse deine Nähe, deine unbeholfene Art, die schlechten Witze und dieser verwunderte Ausdruck auf deinem Gesicht , jedesmal wenn du mich ansiehst."
Er atmet tief ein und aus. Sein Blick verharrt auf den Schuhspitzen. Ich spüre die Überwindung, die ihn diese Worte gekostet haben .
Also war er derjenige, der mein Tablett weggeräumt hat. Und nun wird mir auch eine Sache klar. Santino hat mich in der Nacht umarmt, das war kein Traum. Er war bei mir. Das ist verdammt creepy. Aber zu meiner Verwunderung macht der Gedanke mir kein bisschen Angst.
"Wenn ich dir erlaube, mich zu Lilly zu fahren, heißt das nicht das ich dir vergebe, okay?" Höre ich mich sagen.
Das Gesicht des Sizilianers hellt sich auf. "Okay."
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