20
Ich habe schon Vieles über Don Andolini gehört.
Er war so etwas wie die Schreckensgestalt, der Unhold, meiner Kindheit.
Don Andolini, so meinte Donata, sei ein Wiedergänger, eine Art Katzenmensch, ausgestattet mit neun Leben, von denen bereits vier verbraucht wären.
Stets trage er eine Hasenpfote bei sich, die er als Kind einem Hasen abgeschnitten hatte, der mit den Hinterläufen in eine der Fallen geraten war, welche zur Zeit seines ersten Lebens überall im Wald lauerten.
Über seine vier Tode gab es natürlich ebenfalls jede Menge Legenden.
Eine besagt, dass er dem Tod das erste mal durch Gift zum Opfer fiel, welches seine Eingeweide in einem qualvollen Prozess ganz langsam auflöste. Sein Herz, so sagt man, sei niemals wieder komplett hergestellt worden. Auch nicht, als er das fünfte Mal zum Leben erwachte.
Nun sitze ich dieser Drudengestalt gegenüber, und verspüre kaum Angst. Auch nicht als seine Hand an das kantige Kinn fährt und es nachdenklich berührt, als überlege er bereits welche Todesart die geeignetste für mich sei.
Immer wieder schiele ich verstohlen zu dem Verräter hinüber. Jedesmal ruht sein Blick bereits auf mir. Angespannt und verhasst starrt er mich an. Eine eisige Gänsehaut breitet sich auf meinem Körper aus. Wie kann man sich so sehr verstellen? Sein wahres Gesicht bekomme ich erst jetzt zu sehen. Aber wenn ich ehrlich mit mir selbst bin, würde ich am liebsten zu ihm laufen und ihn bitten mit mir zusammen einfach nur wegzulaufen. Ganz egal ob er mich verraten hat oder nicht. Aber ich will nicht ehrlich zu mir sein. Vielmehr ist es von nun an meine Aufgabe, mein Selbst vollkommen zu verändern. Solange, bis mein kindisches verknalltes Ich nichts als eine traurige Erinnerung ist.
Ich schlucke hörbar, als Don Andolini seine Mundwinkel zu einem frostigen Lächeln hebt, welches seine Augen vollkommen unberührt lässt. Die Ähnlichkeit mit seinem Sohn ist frappierend. Ich betrachte meine Hände, auf denen noch der blasse Schleier meines eigenen Blutes zu sehen ist.
"Sieh mich an!" Herrscht Andolini. Doch ich starre weiter auf meine Hände. Beginne zu versuchen, den blutigen Schleier wegzureiben.
"Vater, lass ..."
"Halt den Mund Carlo! Du hast bereits genug Schaden angerichtet!"
Schaden angerichtet? Überrascht blicke ich auf. Wieder treffen sich unsere Blicke.
Doch diesmal ist es Santino, der zuerst wegsieht.
" Apollonia" Spricht Andolini mich erneut an, während ich fortfahre meine Hände zu bearbeiten. "Du hast Angst. Und ich kann das verstehen." Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, wie er eine umfassende Geste mit den Händen macht."Mein Sohn bringt dich auf dieses Schloss mit den fremden Männern in schwarzen Anzügen, und lässt dich einfach so mit ihnen allein."
Ich sehe Capriccio vor mir. Seine wutverzerrte Fratze, die Faust die mich mitten ins Gesicht trifft. Einen Moment überläuft es mich kalt, als mir klar wird, dass ich vielleicht für immer entstellt bin. Was wenn der Wangeknochen gebrochen ist? Ich berühre die pochende Stelle mit den FIgnerpitzen. Die Haut fühlt sich taub und gleichzeitig geschwollen an. So, wie sich die Unterlippe anfühlt, wenn man eine Spritze vom Zahnarzt bekommen hat.
"Ich habe keine Angst." Höre ich mich sagen.
"Warum traust du dich dann nicht, mich anzusehen?"
Ich hebe den Kopf. Andolinis Lächeln wird breiter.
"Na siehst du , Apollonia . Ist doch halb so schlimm , nicht wahr?" Nachsichtig wiegt er den Kopf. Mir fällt auf, dass sein Haar keine Spur von Grau zeigt. Im Licht des Kronleuchters liegt auf den dunklen Locken derselbe karamellfarbene Ton wie bei dem Verräter. Bis auf die zahlreichen Knitterfalten auf Stirn und Wangen gleicht er seinem Sohn so sehr, dass ich erneut den Blick abwenden muß.
" Ich möchte gehen, " krächze ich.
Andolins Augenbrauen wandern in die Höhe . Er dreht den Kopf in Richtung seines Sohnes.
"Hast du gehört Carlo? Sie möchte gehen."
Doch Santino schweigt. Es kostet mich große Mühe ihn nicht mehr anzusehen. Denn ich weiß, dass ich es nicht mehr lange schaffen werde, die Tränen zurückzuhalten, wenn ich seine verächtliche Mine ein weiteres Mal zu sehen bekomme.
"Wo gedenkst du denn hinzugehen, Apollonia?" Fragt Andolini mit vor Sarkasmus triefender Stimme.
Ich lasse meinen Blick über die Katzenhorde schweifen. Eine hat begonnen an meinem Bein entlang zu streichen.
"Zurück zu meinem alten Zuhause." Die Katze scheint sich um mein Bein wickeln zu wollen. Ich spüre wie ihr Schnurren an meiner Wade kribbelt.
Dein altes Zuhause ist kein besonders sicherer Ort für dich. Nicht nachdem du den Consigliere, oder sagen wir besser, den ehemaligen Consigliere , deines Vaters vor den Kopf gestossen hast.
Ich schweige. Ein Fisch mit geschlossenem Mund kann niemals auf einen Angehaken beißen.
Andolini beginnt eine der Katzen zu streicheln, welche es sich auf seinem Schoß bequem gemacht hat. Gemächlich gleiten seine langen Finger über die hellrosa Haut. Es muß sich um ein besonderes Exemplar handeln, denn ein juwelenbesetztes Lederband ziert den faltigen Hals.
"Es wundert dich sicherlich nicht mehr, dass ich die Details inzwischen kenne."Fährt er fort.
"Mein Informant hat sehr zuverlässig gearbeitet. Wenn ich auch manches Mal den Eindruck hatte, das er sich zu sehr von seinen Emotionen leiten liess."
"Nicht wahr Carlo?" Erkundigt er sich bei seinem Sohn ohne ihn anzusehen.
Der Verräter gibt ein verächtliches Zischen von sich.
Wahrscheinlich wegen der Unterstellung er habe irgendwelche Emotionen für mich gehegt.
Wenigstens ergeben die Gemeinheiten, die er mir Anfangs an den Kopf geworfen hat nun einen Sinn. Wortfetzen prasseln auf meinen Verstand ein: Verzogene kleine Göre, ...weiß nicht wie man einen Mann dazu bringt sie zu vögeln...
" Wie ich schon sagte, du bist unser Gast und kannst gehen, wann immer du willst. Aber bedenke die Konsequenzen die daraus resultieren würden. Du brächtest nicht nur dich in Gefahr, sondern auch Jene, die dir etwas bedeuten. Dein Bruder, Armando zum Beispiel. Er war gezwungen auf die Matratzen zu gehen. Deinetwegen."
Mein entsetzter Blick erfüllt ihn mit offensichtlicher Genugtuung.
" Ja, du hast richtig gehört" Seine Finger fangen an, mit dem Lederband zu spielen.Die Katze dreht vorwurfsvoll den Kopf und springt mit einem Satz von seinem Schoß.
"Er hat einen Polizisten umgelegt. Es war kein Verlust. Zumindest nicht aus unserer Sicht.Der verdammte Bulle war geschmiert. Von Raffael Mancuso. Er sollte dich entführen, und zwar bei einer Verkehrskontrolle. Und was mich besonders daran ärgert ist, dass das Schwein meinen Sohn wahrscheinlich umgebracht hätte. Aus diesem Grunde bin ich deinem Bruder , sagen wir mal, wohl gesonnen."
Bei dem Wort Schwein zucke ich merklich zusammen. Einen Augenblick habe ich das Gefühl, dass Andolini es bemerkt hat. Sein linkes Augenlid flattert . Verärgert streicht er sich mit der Hand darüber. Er sieht plötzlich müde aus.
"Wie dem auch sei. Der geschmierte Bulle ist tot. Was gut ist. Aber die Position deines Vaters ist geschwächt. Nicht nur steht er ohne Consigliere da, sondern er hat auch seinen wichtigsten Mann verloren. Deinen Bruder."
Ich presse die Lippen zusammen.Amo? Auf den Matratzen?Ich kenne diesen Begriff. Auf die Matratzen geht man , wenn man ein unsägliches Verbrechen begangen hat, eines, dass nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in den Kreisen der Familie für weitreichende Konsequenzen sorgt. Es kann Jahre dauern bis die Lage sich so weit beruhigt hat, dass man in das alte Leben zurückkehren kann, sofern es dann überhaupt noch existiert. Die "Matratzen" befinden sich an einem geheimen Ort. Man kampiert gewissermassen dort. Dabei ist man von einigen Wise Men und Assoziierten umgeben, die ebenfalls an der Sache beteiligt waren. Piccotti und Freunde der Familie versorgen die Exilianten mit Nahrungsmitteln . Weiterer Kontakt zur Außenwelt ist streng untersagt. Oft sind die Matratzen weit weg. In einem anderen Land. Oder auf einer nicht allzu fernen Insel im Mittelmeer. Beim Gedanken an diesen Ort verspüre ich beinahe etwas wie Heimweh. Einen Moment ist mir, als könne ich das Kitzeln warmer Sonnenstrahlen auf der Haut spüren, während eine salzige Brise sich mit dem Duft von Zitronen und warmem Sand mischt.
"Dein Vater ist geschwächt. Und er weiß das. Amo ist nicht länger verfügbar und sein Consilgliere hat sich gegen ihn gewandt. Er arbeitet jetzt nicht mehr für ihn, sondern für einen skrupellosen Verbrecher, der sein Geld mit Menschenhandel und Drogen verdient."
Ich lache auf. "Und womit, Don Andolini," ich lege all meine Verachtung in meine Stimme, "verdienen Sie ihr Geld? Ich habe das Koakain gesehen. Sagen sie mir nicht, dass es ungestreckt ist. Jeder der es zieht wird elendig daran verrecken wie eine erbärmliche Kanalratte." Meine Wut ist so groß ,dass ich den Angelhaken bereitwillig die Haut meiner Lippen durchbohren lasse.
Der Don klatscht in die Hände."Na endlich kommt sie zum Vorschein. Die Tochter ihres Vaters." Er nickt mit amüsierter Anerkennung. Dann beugt er den Oberkörper vor.
"Was ich dir anzubieten habe, Apollonia ist nichts anderes als ein Handel," erklärt er ohne auf das Kokain einzugehen.
"Ich biete dir Sicherheit und noch dazu einen gewissen Schutz."
"Im Gegenzug erklärst du dich bereit, bei deinem Vater, nennen wir es mal, ein gutes Wort für mich einzulegen. Er kann ja so verdammt stur sein, der alte Mann. In Anbetracht der Entwicklungen bin ich meinerseits bereit, die Vergangenheit, wenn auch nicht zu vergessen, sie zumindest ruhen zu lassen. Du weißt ja sicherlich, das wir einst eng befreundet waren. Es war eine schöne Zeit, die wir hatten. Und ich werde sie immer in meinem Herzen tragen." Er greift sich theatralisch an die Brust.
"Sie haben gar kein Herz," presse ich hervor. "Jeder weiß das."
Ein Schatten verdunkelt seine Züge und er hebt die Hand, wie um mich zum Schweigen bringen zu wollen.
"Die Cuppola duldet es nicht, wenn ein Don geschwächt ist. Es könnte deinen Vater das Leben kosten. Ich habe einen guten Draht zur Cuppola. Die Informationen können über Leben und Tod deines Vaters entscheiden."
"Sie bluffen doch nur," zische ich. Doch insgeheim denke ich bereits über die Alternativen zu seinem Angebot nach. Es sind nicht gerade viele, und ich muß zugeben, dass er recht hat. Ich würde nicht nur mein eigenes Schicksal herausfordern, sondern auch das der Menschen, die mir Nahe stehen. Allen voran das meines Vaters und Stefanos. Nicht zu vergessen Jacob , Ria und vielleicht sogar das von Ylvi und Till. Auch wenn wir uns noch nicht besonders gut kennen.Einmal habe ich Ylvi bereits in Gefahr gebracht. Mich schaudert beim Gedanken daran, was auf dem Konzert noch alles hätte passieren können.
"Ich will darüber nachdenken, unter einer Bedingung. " Höre ich mich sagen.
" Ich will dem da..." Ohne ihn anzusehen deute ich auf den Verräter... "so wenig wie möglich begegnen. Am besten gar nicht. "
Andolini räuspert sich. "Das liesse sich einrichten, Apollonia." Seine Mundwinkel zucken, als hätte er Mühe ein Lächeln zu unterdrücken.
"Er hat dich sehr verletzt nicht wahr? "
Ich schlucke.
" Und ich möchte kommen und gehen wann und wie ich will."
Er schafft es nun nicht mehr, das Lächeln zurückzuhalten.
"Natürlich. Allerdings solltest du akzeptieren, dass du niemals vollkommen allein dabei sein wirst. Aber das ist ja keine neue Situation für dich." Er fährt sich mit der Hand über das kantige Kinn.
"Du kannst das Abendessen auf deinem Zimmer einnehmen. Alina wird es dir bringen. Ein Fahrer bringt dich morgen früh zur Universität und holt dich anschliessend wieder ab."
Ich höre wie der Verräter scharf die Luft einsaugt.
Sein Vater hebt die Hand . "Carlo, ich weiß, das dies nicht in deinem Sinne sist, aber du musst es akzeptieren. Mit der Wut der Frauen ist nicht zu spassen." Er kichert leise.
"Aber Vater..."
"Schweig!" Donnert Andolini so abrupt das ich zusammenzucke.
" Das wäre dann vorerst alles. " Er nickt mir zu.
Ich nicke ebenfalls und schiebe meinen Stuhl zurück. Aus reiner Unachtsamkeit flackert mein Blick hinüber zum Sofa. Hastig weiche ich dem Blick des Verräters aus. Dabei erregt eine der Katzen meine Aufmerksamkeit. Sie ist wesentlich dicker als die anderen . Und sie ist die einzige mit Fell. Im Licht der Bogenlampe schimmert es orangerot. Mein Herz macht einen Satz. "Garfield." Wispere ich. Kein Zweifel, das ist er. Ich bin sicher, es gibt nicht viele von dieser Sorte Katze.
"Wie bitte?" Der Don beugt sich vor. Sein rechter Ellbogen ist auf die Armlehne gestützt und die Hand schwebt neben seinem Kinn in der Luft.
"Der Kater."Ich deute auf das Tier, das so dick ist, dass man die Beine kaum erkennen kann. Wo haben sie den her?"
Der Don sieht sich zu dem Tier um.
"Ach der." Er winkt ab. "Gehört meiner Frau. Sie liebt dieses fette Vieh. Der Tierarzt meint, er würde sich wohl bald die Radieschen von unten ansehen, weil er so fett ist. Morgen hat sie einen Termin mit ihm in der Praxis. Zum Herzultraschall."
"Wo haben sie ihn her?" Will ich wissen.
Andolini hebt die Brauen.
"Ich meine, wo haben sie ihn gefunden?" Beharre ich.
Die Brauen ziehen sich verärgert zusammen. "Was weiß denn ich?! Lungerte hier rum, draussen vor dem Tor."
Er mustert mich einrindglich."Du solltest dich besser etwas ausruhen. Seine Stimme wird eine winzige Spur sanfter. " Alina begleitet dich auf dein Zimmer."
"Der Kater gehört ihnen nicht. Er gehört den Schwiegereltern meiner Freundin!" rufe ich mit zitternder Stimme.
Ich nähere mich dem apathischen Tier "Garfield, "wispere ich behutsam. Als er seinen Namen hört blickt er auf, lässt dann aber den schweren Kopf wieder sinken. Auf den grünen Augen liegt ein glasiger Schimmer.
"Geh jetzt! " Donnert Andolini. Die Sanftheit hat seine Stimme wieder verlassen.
Mit einem letzen Blick auf Garfield wende ich mich um und gehe zur Tür, wo Alina mich bereits erwartet.
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Sobald Alina mich auf mein Zimmer gebracht hat und die Wange vorsichtig mit einer kühlenden Salbe bestrichen hat, die angeblich verhindern soll, dass sie weiter anschwillt, lasse ich mich auf das Bett sinken. Nun könnte ich endlich meinen Tränen freien Lauf lassen, doch stattdessen liege ich einfach nur da und starre an die holzvertäfelte Zimmerdecke.Erst nach einer Weile raffe ich mich auf um im Hogwarts Rucksack nach dem Handy zu suchen.
Zu meiner Verwunderung liegt mein Handy tatsächlich darin. Offenbar hat Andolini seine Worte ernst gemeint und ich bin so etwas wie sein Gast. Wäre ich eine Gefangene, wäre es sicherlich das erste gewesen was man mir abgenommen hätte. Aber vielleicht ahnen sie auch, dass es niemanden gibt der mich aus dieser misslichen Lage befreien kann.Ich schlucke, als ich an unseren Deal denke, doch rückblickend wird mir klar, dass ich immer wieder so entscheiden würde. Mir bleibt momentan einfach nichts anderes übrig.
Doch die Demütigung , ausgelöst durch den Verräter und der Gedanke an Armando und Lilly lösen eine seltsame Empfindungslosigkeit in mir aus, die schlimmer ist als jeder Schmerz. Offenbar hat mein Bruder dem Verräter ebenso vertraut wie ich. Schließlich hat er mir selbst empfohlen, mich stets von ihm begleiten zu lassen.
Ich wähle Amos Nummer und lausche dem Feizeichen. Aber wie erwartet meldet sich niemand.
Resigniert rufe ich Stefano an, der sogar abnimmt, mir jedoch mitteilt, dass er sich gerade in den Proben befindet und nicht sprechen kann, bevor er mich überhaupt erzählen lässt wo ich bin. Er werde sofort nach den Proben zurückrufen, beteuert er nur und legt auf.Fassungslos starre ich mein Handy an.
Mit einem tiefen Seufzer mache ich mich daran, meine Taschen auszupacken und sie im großen Kleiderschrank gegenüber dem Bett zu verstauen. Immer wieder lässt mein Verstand dabei die Ereignisse des Tages Revue passieren. Es ist so viel passiert , dass ich das Gefühl habe, in einem meiner Alpträume gefangen zu sein. Ohne Chance jemals wieder daraus zu erwachen.
Ich zucke zusammen als es an der Tür klopft. "Abendessen!" Verkündet Alinas hohe Stimme. Ich öffne die Tür und sie kommt mit einem Tablett herein, dass beinahe größer ist als sie selbst und auf dem ein Topf, Teller und ein paar Schalen stehen. Als sie das Tablett auf einem kleinen Tisch unweit des Bettes abstellt, erkenne ich eine Auswahl an Gemüse , Obst sowie einen Laib Schinken, Pizzabrötchen, Butter, Oliven und mehrere Scheiben Brot. Augenblicklich beginnt mein Magen zu knurren. Aus ihrer Schürzentasche nimmt Alina das in eine Serviette gewickelte Besteck und reicht es mir. "Passte nicht mehr aufs Tablett." Sie kneift mir ein Auge zu. Ich muß ihr Recht gegen. Das Tablett ist wirklich übervoll. Neben dem Essen stehen noch zwei Kannen sowie ein Glas und eine Tasse.
"Versuch erstmal in Ruhe anzukommen."
Ich habe keine Ahnung was ich darauf antworten soll ,und setzte mich wortlos an den hölzernen Tisch.
" Ich weiß, du machst dir Sorgen um deinen Bruder und um seine Freundin. Aber glaube mir , wenn ich dir sage, am Ende wird alles gut." Ich unterdrücke die sarkastische Bemerkung, die mir auf der Zunge liegt. Alina reicht mir die Karaffe mit dem Tee. "Probier den Mal, der ist wirklich gut."
Vielleicht will der Don dich verfgiften. Meldet sich die Stimme meines Unterbewusstseins aus der Versenkung.
Selbst wenn. Erwidere ich in Gedanken und beobachte wie Alina mir den rötlichen Tee in die Tasse giesst.
Ein süsslicher Duft strömt mir in den Nase.
"Du kannst auch Kakao haben. "Erklärt sie und deutet auf die andere Kanne. "Hat Carlo-Santino angeordnet. "Er sagt du liebst Kakao."
Carlo-Santnio. Der Name klingt so fremd. Vielleicht ist es der Name seines wahren Ichs. Carlo. Wie der fiese Carlo Rizzi aus dem Paten. Genauso gemein und hinterhältig. Schade, dass ich beschlossen habe, nicht mehr mit ihm zu reden. Sonst hätte ich ihm gerne erzählt, wie sehr er mich an diesen Typen erinnert. Aber was würde das ändern? Er hat kein Gewissen, zumindest nicht, was mich anbetrifft.
" Sagen sie ihm, es geht ihn nichts mehr an, was ich liebe und was nicht. Er ist ein Verräter."
Mir fällt etwas ein. Ich deute auf das Türschloss. Ich hätte gerne einen Schlüssel. Alina schüttelt den Kopf. "Don Andolini möchte nicht, dass sie ihr Zimmer abschliessen. Er versichert ihnen jedoch, dass sie beruhigt schlafen können. Niemand wird sie stören."
"Sehr beruhigend", murmele ich vor mich hin und habe das Gefühl, dass ich vielleicht gleich doch noch weinen kann, der Gedanke an die schlaflose Nacht welche vor mir liegt, wird mir dabei sehr behilflich sein.
"Es gibt da noch etwas," meint Alina zögerlich, "es betrifft Carlo-Santino..." Sie richtet das Stirnband, welches ihre blonden Locken aus der Stirn hält und sucht meinen Blick. "Ich möchte jetzt essen," unterbreche ich sie spitz.
"Gut. Dann lassen sie es sich schmecken." Zögernd erhebt sie sich . Doch an der Tür verharrt sie sekundenlang als wolle sie noch etwas sagen.
"Gute Nacht Apollonina ,"meint sie schließlich und lässt mich endlich allein.
Nach zwei Scheiben Brot mit Butter, Schinken und ein paar Oliven, welche ich nur mühsam und unter ziehenden Schmerzen kauen konnte, beschliesse ich erstmal eine ausgiebige Dusche zu nehmen. Doch als ich das Bad betrete und die riesige Eckbadewanne erspähe, beschließe ich meinen Plan zu ändern. Am Badewannenrand stehen diverse Badezusätze und ich gehe stark davon aus, dass ich sie diesmal benutzen darf ohne Ärger auf mich zu ziehen. Einen Moment muss ich an Santinos Schwester denken. Der Gedanke versetzt mir einen seltsamen Stich im Herzen. Aber wahrscheinlich hat er sie bloß erfunden um mich zu erweichen und schneller gefügig zu machen.
Ich kann es nicht vermeiden, in den Spiegel über dem Waschbecken zu blicken.
Zu meinem Leidwesen muß ich feststellen, das es noch schlimmer ist als ich dachte. Ich werde sämtliche Makeup-Reste zusammenkratzen müssen um die grünblau geschwollene Wange zu kaschieren. Ganz zu Schweigen von dem schmalen aber tiefen Riss in der Unterlippe.
Ich drehe das Badewasser auf und setzte mich auf den Rand, nachdem ich mich für einen Badezusatz mit Rosenextrakt und Lavendel entscheiden habe. Gedankenverloren beobachte ich das einlaufende Wasser das sich langsam mit einer Mischung aus Rosa und Lila färbt. Der liebliche Duft beruhigt meine aufgewühlten Nerven.
Der Effekt verstärkt sich, als ich mich in das heiße Wasser gleiten lasse und sich eine wohlige Gänsehaut auf meinem Körper ausbreitet. Mit Erfolg verdränge ich sogar für einige Momente die grausigen Bilder, die mein inneres Auge mir immer wieder präsentiert.
Das Wasser hat sich bereits merklich abgekühlt, als ich die Wanne verlasse und mich in eines der großen flauschigen Badetücher wickle . Da ich mir auch die Haare gewaschen habe, wickle ich ein weiteres kleines Handtuch als Turban um meinen Kopf und ziehe ein Nachthemd aus dem Kleiderschrank. Es ist das Einzige. Ich hatte nicht wirklich geglaubt ,dass ich tatsächlich mehrere Nächte hier verbringen würde.
Bevor ich ins Bett gehe, sortiere ich noch meine Unterlagen für die Uni. Leider werde ich meinen Stolz außer Acht lassen müssen und den Hogwarts Rucksack morgen nochmal mitnehmen. Ich werde sofort morgen einen neuen kaufen. Aber zuvor muß ich noch zur Bank und schauen was mein Konto so hergibt. Wenn mein Vater mir doch noch den Geldahn zugedreht hat, habe ich ein Problem. Naja, zumindest werde ich die nächsten Tage nicht obdachlos sein.
Mit diesen Gedanken schlüpfe ich unter die Bettdecke. Als ich das Licht gelöscht habe, ist es mir eindeutig zu dunkel und ich öffne die Vorhänge neben dem Fenster an der Bettseite.
Die leuchtende Scheibe des Mondes steht am sternenübersäten Himmel. Gut so. Vollmond ist von Vorteil, wenn man es vermeiden will einzuschlafen. Vielleicht sollte ich ein bisschen lesen, aber dann fällt mir ein, dass ich alle mein Bücher in der WG zurückgelassen habe.
Aus Mangel an Alternativen versuche ich mich auf den Gedanken an den morgigen Tag in der Uni zu konzentrieren. Dabei muss ich unwillkürlich an Ylvi denken. Mein Herz macht wieder einen Satz. Garfield. Er ist hier! Ich greife nach dem Handy auf meinem Nachttisch und öffne den Chat mit meiner neuen Freundin.
Doch dann fällt mir ein das es vielleicht keine gute Idee wäre, ihr zu schreiben, dass Garfield hier ist. Wenn sie herkäme könnte sie sich in Gefahr begeben. Andolini ist zu allem fähig.Und Ylvis Mann ist immerhin sowas wie ein Rockstar. Wenn die Gelegenheit günstig ist, werde ich mir den Kater schnappen und zurück zu Ylvis Schwiegereltern bringen.
Seufzend öffne ich meine Spotify Playlist, schiebe meine AirPods in die Ohren, und schliesse die Augen. Der Vollmond wird mich vom Einschlafen abhalten. Als ich mich auf die Seite drehe und die Müdigkeit meine Lider dennoch immer schwerer werden lässt, gestatte ich mir das Gefühl, dass zwei starke Arme mich halten und mir tröstliche Worte zuflüstern um die Schweinswölfe aus den Träumen fernzuhalten. Santino. Nur noch dieses eine Mal gestatte ich mir den Gedanken an ihn. Ab Morgen werde ich ihn aus meinem Kopf und Herzen verbannen. Er wird Luft für mich sein.
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Ein tiefer Schrei und ein platschendes Geräusch lassen mich im Bett auffahren. Die Dämmerung ist bereits angebrochen. Über den Baumwipfeln ist das rötliche Leuchten der aufgehenden Sonne zu sehen. Mit rasendem Herzen sitze ich da und lausche.
"Vielleicht Teil eines Alptraums," murmele ich vor mich hin und ziehe die längst verstummten Air Pods aus den Ohren. Mein Handy ist aus. Achtlos lege ich es auf den Nachttisch und gehe zum Fenster. Ich bin tatsächlich eingeschlafen. Egal wie sehr ich mich bemühe , den Kampf gegen den Schlaf habe ich noch nie gewonnen.Er ist ein zu unbarmherziger Gegner.
Der Blick nach unten verrät mir, dass das Schloss von einem Wassergraben umgeben ist. Kleine Blätter treiben wie winzige Augen auf der dunklen Wasseroberfläche .
Vielleicht sollte ich aufstehen und mich erkundigen, wann der Fahrer mich zur Uni bringt.
Nachdem ich mir nachlässig die Zähne geputzt habe, unternehme ich einen Versuch die inzwischen blaue Wange zu kaschieren. Das Resultat ist eine Schicht Make up, die sich als dunkler Fleck vom Rest der Wage im wahrsten Sinne des Wortes abhebt. Die bläuliche Verfärbung des Nasenbeins ist hingegen leichter zu kaschieren. Die Unterlippe lasse ich unangetastet. Ich will keine Narbe riskieren und die Wunde an der Luft heilen lassen. Zur Not könnte ich behaupten, ich wäre gestürzt. Wer mich kennt , kennt auch meine Neigung zur Tollpatsichgkeit.
Trotzig ziehe ich meinen fleischfarben BH mit passender Utnerhose an und denke an Santinos erschrockene Miene, als er den BH zu Gesicht bekommen hat. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht. "Ich hasse ihn!" murmle ich vor mich hin. Nichts ist so widerlich wie sein niederträchtiger Verrat. Denn das ist er, ein Verräter. Ganz sicher. Geistesabwesend ziehe ich ein langärmliges Kleid mit Blumenmuster und dazu eine schwarze Strumpfhose an und greife nach meiner Kordjacke, um das Zimmer zu verlassen. Dabei fällt mir auf, dass das Tablett nicht mehr da ist und ein unangenehmes Ziehen erfasst meinen Magen.
Der Gedanke, das jemand im Zimmer war, als ich geschlafen habe, ist mehr als beunruhigend. Aber immerhin bin ich noch am Leben. Dennoch werde ich mir irgendwie den Schlüssel besorgen müssen.
Ich trete hinaus auf den hell erleuchteten Flur . Mein Weg führt mich zur Wendeltreppe. Irgendwo muß doch der Dienstbotentrakt sein. Dort könnte ich nach Alina oder dem Fahrer suchen. Ich verdränge bewusst den Gedanken an Caprricio, doch es gelingt mir nicht ganz.
Ein Mann im schwarzen Anzug kommt mir entgegen. "Guten Morgen Fräulein Greco," er nickt mir zu. Bevor ich mich erkundigen kann, wer mich zur Uni fährt hastet er an mir vorbei.
Ich zucke die Schultern und beschliesse zum Parkplatz zu gehen um dort zu warten.
Eine weitere Wendeltreppe führt mich in das Erdgeschoss zu der gläsernen Tür durch die Santino am Abend zuvor gegangen ist. Der Anzugträger, der mir vorhin entgegen kam hat sich dort postiert und mustert mich fragend.
"Ich warte draussen, "erkläre ich.
"Wie sie meinen." Entgegnet er kalt. Ein weiterer Anzugträger kommt hinzu. Er nestelt an seinem Pistolenhalfter herum und beachtet mich nicht weiter.
Ich ziehe die Jacke enger um meine Schultern, als ich die steinerne Treppe herabgehe. Beim Gedanken daran, wie Santino mich hier ein paar Stunden zuvor urplötzlich allein gelassen hat, wird mir übel. Ebenso wenn ich daran denke was kurz davor passiert ist.
Um mich abzulenken belschliesse ich ein bisschen um das Schloss herum spazieren zu gehen, bis der Fahrer kommt ,der mich zur Uni bringen soll. Mein Weg führt an der niedrigen Steinmauer vorbei, welche den Wassergraben umgibt.
Ich bin bereits kurz davor meinen Rundgang zu beenden und zum Parkplatz zu gehen, als etwas meine Aufmerksamkeit erregt.
Da treibt etwas im Wassergraben. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein vom Wasser geblähtes Bündel schwarzer Kleidung.
Ich bleibe stehen und beuge mich über die Mauer. Ein Schrei entfährt meiner Kehle, als ich sehe das es sich nicht mit um ein Bündel Kleider, sondern um einen menschlichen Körper handelt . Voller Entsetzen starre ich in das aufgedunsene von bläulichen Beulen entstellte Gesicht von Capriccio.
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