19
Der Don erwartet dich bereits. Es ist dieser eine Satz, der meine Gedanken beherrscht, als der Riese mit den Aknenarben mich zu einem Seiteneingang führt.
Würzige Waldluft steigt mir in die Nase. Irgendwo bellt ein Fuchs. Fast könnte man die Atmosphäre als idyllisch bezeichnen, und wäre ich nicht so aufgebracht, hätte ich mich bestimmt wie Jane Eyre persönlich gefühlt.
Aber das hier ist keine Charlotte Bronte Romanze, und Sonny ist auch nicht Mr. Rochester. Mr. Rochester mag Jane zwar belogen haben, aber es geschah aus Liebe. Santino hingegen hat meine dumme Kleinmädchenschwärmerei ausgenutzt um mich ans Messer zu liefern. An seinen Don.
Davon bin ich überzeugt. Warum sonst hat er mir vorhin so abrupt den Rücken zugewandt? Ich kann nicht anders, als diese Geste als Verrat zu deuten. Vielleicht, weil mir die Empfindsamkeit gegenüber jeglicher Illoyalität in die Wiege gelegt wurde.
Ich versuche die würzige Waldluft so tief es geht in meine Lugen strömen zu lassen, als eine Welle von Übelkeit mich ergreift. Mein Begleiter hämmert mit der Faust gegen die Tür. Seine Haut ist an den Knöcheln aufgeplatzt und offenbart das rötliche Fleisch.Schon spüre ich den bitteren Geschmack von Magensäure auf der Zunge.
"Wer ist da?"
"Capriccio, du Idiot!" Bellt mein Begleiter und die Tür wird einen Spalt breit geöffnet. Sekundenlang schwebt ein ängstliches Jungengesicht im Türspalt. Ein Fußtritt von Capriccio lässt den Jungen nach hinten taumeln.
Wir steigen über den armen Teufel hinweg und Capriccio versetzt auch mir einen Stoß. Zitternd blinzle ich in das schummrige Licht eines staubigen Kronleuchters. Der Raum scheint etwas wie eine Küche zu sein. Über einem schweren schmiedeeisernen Herd in der Ecke hängen zahlreiche Töpfe , Pfannen und Kellen von der Decke. In der Mitte steht ein großer Tisch an dem ein paar Männer sitzen.
Ihre Gesichter sind vollkommen ausdruckslos. Einer von ihnen trägt eine Augenklappe , er ist der einzige, der sein Gesicht zu einem winzigen Lächeln verzieht als unsere Blicke sich treffen.
"Setz dich hin!"Carpriccio deutet auf einen Stuhl am äussersten Rand des Tisches. Ich bleibe lieber stehen," bringe ich hervor, und hoffe verzweifelt darauf, dass ich diesen Raum schleunigst wieder verlassen darf. Jetzt, in diesem Moment, bereue ich alles was ich getan habe um von der Familie loszukommen. Ich habe sie auf verhängnisvolle Weise unterschätzt und das trotz all der schrecklichen Dinge, die ich dank ihr erlebt habe. Ohne Amos schützende Hand über meinem Kopf bin ich ein Niemand. Ein dummer, kindischer Niemand. Doch ich werde nicht einknicken. Sie werden mich nicht brechen.
"Du setzt dich jetzt da hin!" Capriccio packt mich am Schopf. Ich stöhne auf vor Schmerz als er mich zu dem Stuhl zerrt. "Hinsetzten!"
Alles in mir widerstrebt sich diesem Befehl. Doch der brennende Schmerz meiner Kopfhaut und die wachsende Übelkeit tragen einen vorübergehenden Sieg davon und ich gehorche. Widerwillig lasse ich mich auf der kalten hölzernen Fläche des Stuhls nieder.
"Das werden Sie bereuen. " Drohe ich. "Mein Vater ist Il Greco. Wissen Sie, wer Il Greco ist? Er verwandelt erwachsene Männer in brüllende Kleinkinder, wenn sie ihm nicht gehorchen!"
Ein plötzlicher Selbsthass überkommt mich und steigert die Übelkeit, als ich unwillkürlich an Enzo denken muß . Mühevoll unterdrücke ich das vertraute Würgen.
Ich schlucke mehrmals. Der Typ mit der Augenklappe mustert mich, während alle anderen es vermeiden mich anzusehen.
"Wir wissen wer du bist. Carlo hat uns stets über dich auf dem Laufenden gehalten." Donnert Capriccio voller herbalassender Schadenfreude.
Ich beisse mit auf die Zunge. Carlo. Natürlich: Carlo-Santnio. Ich war blind für eine Wahrheit die direkt vor meinen Augen lag. Jetzt bloss nicht anfangen zu heulen, hämmert es in meinem Kopf. Alles, nur das nicht. In diesem Moment fällt mein Blick auf die Tischmitte . Ein Topf steht da, in dem mehrere durchsichtige Päckchen zu sehen sind, in denen weißes Pulver schimmert.
Kokain. Das war ja klar. Angewidert wende ich den Blick ab.
Doch Capriccio hat meine Reaktion bereits bemerkt."Tu nicht so. Du kennst das Zeug doch seit deiner Kindheit. "
"Geht dich nichts an," presse ich hervor.
"Soll ich dich ein bisschen damit füttern?" Er bleckt die gelben Zähne zu einem dümmlichen Grinsen.
" Friss es selber!" Zische ich.
Er kommt auf mich zu.
"Sag das nochmal , Apollonia-Philomena Greco." Er spricht meinen Namen mit solcher Verachtung aus, das ich mich beschmutzt fühle von der Art wie er ihn in den Mund nimmt. Sein heisser Atem streift mein Gesicht. Er riecht nach Tabak und irgendetwas Fauligem.
Sonny, ein Verräter! wispert mein wild hämmerndes Herz, während das Unterbewusstsein schweigt. Seine Umarmungen, die Art wie er mich geküsst hat, das Beschützergetue... Alles Lüge! Schmerz und Wut liefern sich einen erbitterten Wettstreit, durchbohren zeitgleich mein Herz und lassen alle anderen Gefühle verblassen.
"Du solltest dir mal die Zähne putzen, Pickelfresse!"zische ich. Der Mut der Verzweiflung hat etwas Berauschendes. Dafür brauche ich kein Kokain. Ein gebrochenes Herz reicht völlig aus. Capriccio kommt mir so nahe, dass ich die großen Poren zählen kann, die die Aknekrater in seinem Gesicht umgeben.
Die braun gesprenkelten Augen verdunkeln sich vor Hass und das nächste was ich spüre, ist ein sengender Schmerz, der sich augenblicklich in ein dumpfes Hämmern verwandelt, als ich zusammen mit dem Stuhl nach hinten kippe und die Hände auf meine Wange presse.
"Montanaro! "Poltert eine Stimme voller Verachtung. Ich spüre, wie mich jemand am Arm berührt. Man versucht mich zum Aufstehen zu bewegen.Doch der Schmerz ist zu groß, ich drehe mich zur Seite und krümme mich auf dem Boden wie ein halb zertretenes Insekt. Irgendwann, als das Pochen zu einem weniger schmerzhaften Stechen verblasst, richte ich mich auf und wische etwas Feuchtes von meiner Oberlippe, ohne weiter darauf zu achten, dass es sich um Blut handelt.
Es ist der Typ mit der Augenklappe , der mich am Arm festhält , bevor ich nach hinten taumele. Der Raum wird abwechselnd kleiner und größer. Die Gesichter der Männer am Tisch verschwimmen zu dunklen in die Länge gezogenen Pfützen. Dennoch nehme ich wahr, das sie mich anstarrren. "Das hättest du nicht tun sollen," wispert Augenklappe mit einer bedrohlichen Gelassenheit in der Stimme , die schlimmer ist als jeder Schrei.
"Sag mir nicht, was ich tun oder lassen soll, Einauge. Du bist immer noch ein einfacher Assoziierter. Also sperr dein Scheißmaul nicht so weit auf. Andernfalls stopfe ich es dir mit deinen eigenen Eingeweiden, bis du nach deiner Mama rufst."
"Geht schlecht mit vollem Mund," versetzt Augenklappe trocken.
"Komm Apollonia. Ich bringe dich jetzt auf dein Zimmer," wendet er sich an mich, als spreche er mit einem verwundeten Tier, welches er auf der Landtrasse entdeckt hat und auf das sich bereits die ersten Wölfe stürzen wollen.
"Der Don hat befohlen, dass sie zuerst hier warten soll," herrscht Caprriccio. Doch Augenklappe führt mich zum Ausgang , und lässt mir den Vortritt in einen schummrigen Flur mit ausgetretenem Steinfussboden . "Das wird ihm nicht gefallen!" grollt Carpriccio , doch in seiner Stimme schwingt Unsicherheit. Achtlos fällt die Tür hinter uns ins Schloss und Stille umgibt uns.
"Ich zeige dir dein Zimmer, okay?" Er reicht mir ein Stofftaschentuch und deutet auf mein schmerzhaft pochendes Gesicht. Doch als ich das Tuch an die Wange lege, schiebt er meine Hand sanft zur Seite, sodass es meine Nase berührt. Als ich auf den Stofffetzen blicke, ist er voller Blut. Erst jetzt sehe ich, dass auch das T Shirt des Verräters von blutigen Flecken gesprenkelt ist.
Santino. Sein Name erzeugt ein dumpfes Stechen in der Herzgegend. Ich kneife die Augen zusammen, als ich sorgsam einen Fuß vor den andere setze.
"Capriccio wird das nicht wieder tun ,"versichert Augenklappe. Ich erwidere nichts. Übelkeit und Schmerz haben mich verstummen lassen. Die abrupte Wut hat sich verflüchtigt. Ich hoffe, das man mich gleich allein lässt, damit ich in Ruhe meinen Tränen freien Lauf lassen kann.
Er führt mich eine schmale Wendeltreppe hinauf in einen weiteren Flur, der breiter ist als der untere und mit dem hellen Teppich und den Wandleuchten wesentlicher freundlicher wirkt.
"Hier ist dein Zimmer". Wir stehen vor einer grauen Metalltür, die nicht zum Ambiente des Flurs passt. Augenklappe führt mich in das Zimmer. Ich strecke die Arme aus wie eine Blinde, während ich den Raum betrete. Augenklappe hastet zu einem an das Zimmer angrenzenden Raum, offenbar das Bad. Als er wiederkommt reicht er mir ein frisches Tuch. Das andere nimmt er mir ab und lässt es in der Tasche seiner Jeans verschwinden. Offenbar hat er keinerlei Berührungsängste mit anderer Leute Blut. Ich wische mir mit dem feuchten Zellstofftuch über das Gesicht und stöhne auf vor Schmerz , als ich zu stark über Augen und Nase reibe. Doch die feuchte Kälte zeigt sofort Wirkung.
Augenklappe führt mich zu einem Sessel. Er lässt mir Zeit. Und ganz langsam erholt sich mein Blick von der Wucht des Schlages und die Umgebung wird wieder klarer erkennbar. Einzig ein beharrlicher Schwindel bleibt zurück .
Zu meiner Verwunderung ist "mein Zimmer"sehr groß und bereits hell erleuchtet. Ein altmodischer Kronleuchter verströmt ein angenehmes Licht, welches auf ein Sofa , ein riesiges Bett mit einem Vorhanggestell und einen Schminktisch fällt. Der Boden ist mit weichem Teppich ausegelegt und die offenbar recht großen Fenster sind von Vorhängen bedeckt. Allem Anschien nach denselben, die das Bettgestell schmücken. Verwundert stelle ich fest, dass neben dem Schminktisch der Hogwards Rucksack sowie meine beiden Reisetaschen liegen. Das Handy! Ich muss das Handy finden! Schiesst es mir durch den Kopf. Zuletzt lag es in der Mittelkonsole vom Porsche des Verräters. Oder habe ich es in den Rucksack getan? Ich erinnere mich nicht mehr.
"Woher wußten sie, dass dies hier mein Zimmer ist?" bringe ich hervor. "Ich dachte...,"der Satz bricht ab, als mir klar wird, das alles, was ich dachte zu einer Lüge geworden ist. Ich dachte das Falsche. Weil ich einem Fremden vertraut habe. Jedes Kleinkind ist klüger als ich. Um das zu realisieren brauche ich nichtmal die Stimme meines Unterbewusstseins.
"Naja." Augenklappe richtet sich auf und beginnt im Zimmer auf und ab zu gehen. Im Gegensatz zu den übrigen Männern, welchen ich begegnet bin, trägt er Jeans und ein hellgraues Hemd unter dem sich ein Pistolenhalfter abzeichnet.
"Ich bin eigentlich nicht befugt, Ihnen Auskünfte zu erteilen," erklärt er sachlich. Er bleibt stehen und verschränkt die schlaksigen Arme vor der Brust." Ich bin gewissermassen noch in der Ausbildung," gibt er zu.
"Verstehe. Aber mein Zimmer dürfen sie mir zeigen? " Näsele ich, während ich mir das Tuch unter die Nase halte.
"Eigentlich sollte das Capriccio machen. Ich habe mitbekommen wie er mit dem Don darüber sprach wo du untergebracht werden sollst."
Ich nehme das Tuch herunter, als mir ein Gedanke kommt." Warum haben sie mich verteidigt?"
"Instinkt." Er sieht mich abrupt an. "Nichts weiter. Ein richtiger Mann schlägt keine Frau. Und ein richtiger Mann greift ein, wenn so etwas dennoch geschieht. Carppccio wird dafür bezahlen. Und das weiß er auch. "
"Lassen sie mich einfach gehen." Meine Finger kneten das feuchte Tuch .
Augenklappe wiegt den Kopf. Ein Lächeln ziert das kantige Gesicht.
"Sie sind keine Gefangene, auch wenn für sie gerade alles danach aussieht."
"Der Don bezeichnet Sie als seinen Gast. Oder sagen wir mal, als den Gast seines Sohnes."
"Sein Sohn ist ein Verräter," meine Stimme droht zu brechen.
Das Tuch in meinen Händen ist inzwischen zu kleinen Fetzen zerfallen, die am Stoff meiner Jogginghose hängen bleiben.
Augenklappe öffnet gerade den Mund um zu einer Antwort anzusetzen, als ein leises Klopfen ertönt.
Ohne abzuwarten öffnet jemand die Tür und eine Frau mit blonden Haaren steckt den Kopf durch den Spalt.
"Ich habe sie vergeblich in der Küche gesucht. Doch die Männer haben mir erklärt das Mädchen sei auf ihr Zimmer gebracht worden," berichtet sie atemlos. "Don Andolini erwartet sie bereits."
Don Andolini. Der Name in dem Frankenstein Buch war krakelig geschrieben. Doch nun ergibt alles einen Sinn. Carlo-Santnio Andolini. Santino ist nicht bloß ein Mafiosi. Er arbeitet nicht nur für einen Don. Nein, er ist der Sohn eines Don. Und zwar der Sohn von Don Andolini. Papas verhasstem Erzfeind. Dem Mann, der ihm einst etwas angetan hat von dem niemand bei uns zuhause sprechen durfte. Selbst Armando ,Stefano und ich wissen bis heute nicht was es war, das die Freundschaft der beiden Männer in blutigen Hass verwandelte . Aber eines steht fest: Für diesen Mann bin ich sicherlich alles andere als ein erwünschter Gast. Augenklappe lügt. Ich sollte von nun an niemandem mehr trauen außer mir selbst.
"Komm," Augenklappe tritt neben den Sessel, doch ich weise ihn zurück als er mich am Arm ergreifen will.
"Danke, es geht schon."
Die hellen Augen der Frau weiten sich, als sie mein Gesicht mustert. Augenklappe eilt erneut ins Bad und reicht mir einen frischen Lappen. "Leg das nochmal auf deine Nase," befiehlt er.
Ich gehorche, doch als ich festellte das der Blutfluss versiegt ist, stecke ich das Tuch in die Hosentasche. Es tut kaum noch weh, lüge ich.
Ich darf keine Schwäche zeigen, nicht in diesem Haus.
"Deine Wange schwillt immer mehr an," Augenklappe verzieht mitleidig den Mund. "Genug!" Mahnt die Blonde. "Wir müssen jetzt gehen."
Augenklappe verabschiedet sich und die Frau, die sich mit Namen Alina vorstellt führt mich zu einer marmornen Treppe. Schweigend steigen wir die Stufen hinauf, bis wir vor einer Tür stehen bleiben, welche von zwei Männern in Anzügen flankiert wird. Einer der beiden Anzugträger öffnet die Tür, ohne die Position seines Körpers zu verändern und Alina begleitet mich in das Audienzimmer des Don.
Er sitzt an einem Schreibtisch, um den zahlreiche Katzen herum lümmeln. Die meisten von ihnen sind nackt. Absurderweise frage ich mich, ob sie geschoren wurden oder von Natur aus kein Fell haben. Ich tippe auf Letzteres.
Irritiert steige ich über ein paar der Tiere hinweg, die faul auf meinem Weg herum liegen und lasse mich in dem Sessel nieder, auf den er wortlos deutet.
Im Licht einer Bogenlampe neben einem abgewetzten Ledersofa erkenne ich eine Gestalt, welche mich mit großen Augen ansieht. Die Kiefer sind stark hervorgetreten, die Hände zu Fäusten geballt, während er fassungslos mein Gesicht anstarrt. Offenbar hat er nicht damit gerechnet, dass sein Vater mich empfangen würde. Warum sonst sollte er mich anstarren, als hätte ich mich soeben in eine Ausserirdische verwandelt?
Der Verräter. Hastig wende ich den Blick ab. Als ich mir auf die Unterlippe beiße, um die lästigen Tränen zu unterdrücken schmecke ich Blut auf der Zunge.
"Endlich lerne ich dich kennen," erklärt eine heisere Stimme und ich blicke direkt in die tiefgrauen Augen von Don Andolini.
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