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27.03.2017

Bebend saß sie im Schatten der großen Tanne. In der Ferne durchbrachen die ersten Sonnenstrahlen den Schleier der Dunkelheit, doch dies bedeutete nicht, dass sich die Angst einfach in Hoffnung und Erleichterung verwandeln würde. Noch bevor das Licht den letzten Tropfen Schwärze aufgesogen hätte, würden Sie sie wieder gefunden haben. Dann wäre sie wieder alleine in der dunklen und kleinen Kammer. Sie wusste nicht wie lange sie dort gewesen war. Stunden? Tage? Eine gefühlte Ewigkeit hatte sie vergeblich um Hilfe geschrien und blind die Wände abgetastet. Einsam hatte sie sich in eine Ecke gekauert und auf ihr Schicksaal gewartet. Gewartet darauf, dass sie einer der "Schimmermenschen", wie sie sie getauft hatte, abholte. Nur in kurzen Momenten wie diesen, in denen die Müdigkeit die Oberhand gewann und sie langsam in den Schlaf zu sinken drohte, kamen die schönen aber auch schrecklichen Erinnerungen aus ihren düsteren Verstecken gekrochen.

Sie rückte ein Stück zur Seite um in der schützenden Finsternis zu bleiben, während das Licht wie eine Welle über das Wäldchen rollte und der Natur langsam das Leben einzuhauchen schien. Sie blinzelte zu Boden und schloss dabei ihre Lieder einen Moment zu lang, denn sofort war die Schlaflosigkeit zur Stelle und nagte an ihr. Sie stützte ihren Kopf auf ihren schwachen, schmutzigen Beinen ab und lauschte dem Klang ihres pochenden Herzens.

Sie vernahm ein Lachen. Kinderlachen. Der Klang erfüllte ihre Gedanken und sie sah, über ihre Schulter hinweg, in das fröhliche Gesicht ihrer Schwester. Wind rauschte durch die Blätter und die beiden Mädchen tollten im saftigen Gras. Ihre Schwester streckte den Arm nach ihr aus und berührte sanft ihren Rücken. "Gefangen! Du bist dran!", quickte sie erfreut, machte auf dem Absatz kehrt und rannte los. Ihre lockigen Haare wehten durch die Luft.

Immer noch saß das Mädchen unter dem Baum und hatte die Realität ausgeblendet. Ihre Vorstellung war so lebhaft, so echt, und sie war fest entschlossen diese zur Wirklichkeit werden zu lassen. Sie beschleunigte und lief ihrer Schwester hinterher. Sie fühlte sich unbeschwert und frei. Ein glückliches Lachen entwich ihr. Sie achtete nicht auf ihre Umgebung, konzentrierte sich nur auf ihre Schwester. Plötzlich fing diese an zu schreien, panisch deutete sie hinter sich. Ein Augenblick der Unachtsamkeit und schon war ihre Schwester aus ihrem Blickfeld verschwunden.

Sie spürte eine kalte Hand auf ihrer Schulter. Dann stolperte sie über eine Wurzel, die vor ihr aus dem Boden ragte, prallte auf die Erde und fand sich in der schwarzen Kammer wieder. Ein grelles Licht. Viele "Schimmermenschen" sahen von oben auf sie hinab. Ein stechender Schmerz an ihrem Arm, doch sie konnte sich nicht wehren, sie war festgebunden.

Sie sah einen Mann der wütend die bedrohliche Maschine neben ihr umwarf. Blut das sich auf dem ganzen Boden verteilte. "Sie ist es nicht!", hatte er aufgebracht geschrien und war mit leuchtenden Augen und einem glänzenden Messer auf sie losgegangen. Ein schriller Ton, alles wurde schwarz. Alles tat ihr weh. Sie sah sich selbst, taumelte und befand sich plötzlich in diesem Wald. Rannte, rannte so schnell sie konnte durch das Gestrüpp.

Der eisige Wind und die zahllosen kleinen Äste peitschten ihr ins Gesicht und hinterließen tausende von winzigen Kratzern darauf. Die kalte Luft stach ihr bei jedem Atemzug wie ein Dolch in die Lunge, wodurch ihr das Atmen schwer fiel. Der schlammige Boden schien sie festhalten zu wollen, er zog sie mit, und mit jedem Schritt wurden ihre Beine schwerer. Ihr war kalt, alles schmerzte und ihre Augen brannten, ganz zu schweigen von ihrer Haut, doch sie durfte nicht stehen bleiben, sie musste den Schmerz ignorieren, und am aller Wichtigsten war, dass sie sich auf keinen Fall umdrehte.

Einige Minuten später sank sie im Schutz der Nacht und der alten Tanne nieder. Umschlang ihre Beine, wagte es nicht zu atmen und versuchte keinen Ton von sich zu geben, während das Gebrüll und das Trampeln ihrer Verfolger auf dem Waldboden gemächlich verebbten.

Sie riss ihre Augen auf. Wieder hatten sie die schrecklichen Erinnerungen eingeholt, doch da war noch etwas anderes. Sie hörte eine Stimme und eine Rascheln im Gebüsch, nicht allzu weit entfernt. Reflexartig drückte sie sich fester an den Baumstamm und horchte in den Wald hinein.

"Molly?", rief eine Frauenstimme immer und immer wieder. Sie kam näher und der Klang wurde immer lauter. "Molly wo bist du denn?" Ein Wimmern begleitet von einem erschrocken in die Höhe schießendem Vogel.

Dann knisterten die Äste rechts von dem Mädchen und eine schlanke, blonde Frau mittleren Alters kam fluchend zum Vorschein. Sie trug schwarze Sportklamotten und hielt eine braune Leine in ihrer Hand. Ihr Pferdeschwanz wippte mit jedem Schritt hin und her. "Diese verdammten Brennnessel!", murmelte sie und strich sich über den nackten Knöchel

Ihr Blick schweifte zu dem Mädchen das sich ängstlich in den Schatten gedrängt hatte und unbeirrt auf dem Boden starrte.

Erschrocken atmete die blonde Frau auf. Schnellen Schrittes lief sie zu dem Kind und ging neben ihm in die Hocke.
"Na, wer bist du denn?", fragte sie besorgt,
"Du bist ja ganz schmutzig! Hey keine Angst, ich tu dir nichts!" Sie strich dem Mädchen leicht über den Rücken. "Komm wir stellen uns mal hin!", meinte sie entschlossen und hielt ihr die Hand hin, während sie sich selber aufrichtete.

Zögernd sah das Kind die Fremde an, nahm misstrauisch ihre Hand und stand langsam auf. Geschockt hielt sich die Frau die Hand vor den Mund. "Du bist das Mädchen, das alle suchen!"

Auf einmal war es ihr peinlich so ganz voller Erde und in so einem schlimmen Zustand vor ihrer Retterin zu stehen. Verlegen strich sie über ihr dunkelblaues Kleid. "Mein Name ist Eleina Danson.", hauchte sie kaum hörbar. So lange hatte sie nicht mehr ihre eigene Stimme gehört. Sie klang heiser und verletzt.

Verletzt war sie auch. Nicht nur ihre Haut und ihr Körper, nein auch ihre Seele war zerstört und eine verwundete Kinderseele kann man nicht heilen.

"Carla!", stellte sich die Fremde knapp vor, "Komm ich bringe dich nach Hause!", die Frau griff in Eleinas kleine Hand. Das Mädchen spürte ihre kalten Finger zwischen ihren.

"Deine Hände sind ganz kalt!", meinte sie leise, während die beiden durch das Dickicht hindurchschritten.

"Du hast Recht!", entgegnete Carla, „ist auch ganz schön eisig hier draußen! Du musst bestimmt total unterkühlt sein!", wie um das Gesagte zu bekräftigen, drückte sie ihre Arme an ihren Oberkörper und schüttelte sich kurz.

Nach einigen Minuten erreichten sie eine einsame Landstraße, auf der weit und breit nur ein Auto zu sehen war. Es war ein kleiner, schwarzer Wagen, der etwas Abseits am Straßenrad auf einem kleinen Schotterplatz abgestellt war.

"Da wären wir!" Carla drückte einen Knopf und nachdem die Scheinwerfer kurz aufblitzen öffnete sie dem Mädchen die hintere Tür ihres Wagens.

Vorsichtig stieg Eleina ein, schnallte sich an und ließ ihren Kopf gegen die bereits geschlossene Autotür sinken. Wohlige Wärme machte sich in ihrem geschundenen Körper breit und hinterließ ein angenehmes Kribbeln auf ihrer Haut. Sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Die Fahrertür wurde zugeknallt und das Auto erwachte langsam zum Leben. Ratternd setzte es sich in Bewegung und gab ein gemächliches Brummen von sich. Eleina ließ ihren Blick über die vorbeiziehende Landschaft gleiten, doch bis auf Bäume, Wiesen und vereinzelt ein paar Bauernhöfe war noch kein Anzeichen der Zivilisation zu erkennen. Sie dachte an ihr Heimatdorf Gwen. Den Park, den Fluss, "Villa Kunterbunt" und ihre Eltern die schon glücklich auf sie warteten und sie bald wieder in ihre liebenden Arme schließen würden. Sie hob ihren Kopf und sah sich im Wagen um.

Eine Wasserflasche lag neben ihr, eine zerknüllte lila Jacke zu ihren Füßen. Neben Carla auf dem Beifahrersitz lagen ein Handy und die braune Leine. Die Pupillen des Mädchens weiteten sich.

"Du hast deinen Hund vergessen!", stellte sie erschrocken fest.

"Welchen Hund?", entgegnete die Frau lachend und etwas perplex.

"Rex!", kam es zögernd über Eleinas Lippen.

"Achso!", Carla lachte auf, "ja er ist schon oft abgehauen! Taucht dann aber immer auf mysteriöse Weise auf meiner Veranda auf!"

Carla redete weiter. Über ihren Hund vermutlich, doch Eleina hörte nicht zu, sie saß wie erstarrt auf dem Autositz. Der Hund, nach dem die Frau im Wald gerufen hatte, hieß nicht Rex, er hieß Molly. Das Mädchen blickte auf ihre müden Beine. Kein Ausschlag, keine roten Flecken. Sie war stundenlang durch den Wald gelaufen und war nicht in eine einzige Brennnessel gestiegen. Langsam lehnte sich Eleina zur Seite und erhaschte einen Blick auf die weißen Knöchel der Frau. Auch bei ihr konnte sie nichts erkennen.

Eleina schluckte schwer und spürte wie ihre Hände anfingen zu schwitzen. Reglos saß sie da, hilflos und ängstlich. Carla verstummte und sah das Mädchen durch den Rückspiegel an. In genau diesem Moment trafen einige Sonnenstrahlen auf ihre Haut.

Eleina erzitterte. Sie blickte in schwarze leblose Augen umrandet von porzellanweißer glänzender Haut. Wieso war sie so blind gewesen? Hatte es nicht erkannt? Hatte nicht gemerkt, dass sie gerade in einem Auto saß, zusammen mit Carla, einem "Schimmermenschen".

Sie unterdrückte einen Schrei, doch ihre Entführerin hatte bereits gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Langsam kam der Wagen, mitten auf einer menschenleeren Brücke, zum Stehen.

Noch bevor das Gefährt den endgültigen Stillstand erreicht hatte, öffnete Eleina ihren Gurt, riss die Autotür auf und sprang heraus. Hart schlug sie auf dem Asphalt auf und Blut quoll aus ihrem Knie. Sie raffte sich auf und lief. Sie wusste es war zwecklos, sie würde kein zweites Mal entkommen, doch in diesem Moment war die Hoffnung zu überleben stärker.

Sie war noch keine zwei Meter gekommen da spürte sie kalte Finger, die sich um ihren Hals legten. Sie hustete und spürte wie der Griff stärker wurde. Ihre Füße berührten nun nicht mehr den staubigen Boden und traten unbeholfen in alle Richtungen. Eleina wurde gedreht und sah nun direkt in Carlas tote Augen. Schritt für Schritt ging sie auf den Abgrund zu bis das Mädchen über der Brücke hing.

Eleina schlug um sich und schrie, doch das kostete sie nur Kraft und brachte sie kein Stück weiter. Wieder wurden die eiskalten Finger enger zusammengezogen. Das Mädchen verstummte und versuchte den Griff um ihren Hals zu lösen. Sie rang nach Luft.

"Was hast du mit der Frau gemacht?", stieß sie keuchend hervor.

"Sie liegt wahrscheinlich in dem niedlichen Wäldchen! Schlafend...für immer!", die blonde Frau atmete lang und tief ein, "Ist ein schöner Tag zum Sterben, nicht?"

Jetzt stiegen dem kleinen Mädchen auch noch Tränen in die Augen und kullerten über ihr schmerzverzerrtes Gesicht. Sie konnte das alles nicht begreifen? Was hatte sie ihr getan? Wieso hatte sie so etwas verdient?

"Ich will nicht sterben!", flehte sie wimmernd. Ihre Stimme überschlug sich. Sie schielte hinunter. Einige Meter unter ihr tobte der reißende Fluss, der die Wassermaßen Richtung Norden drängte. Das würde sie niemals überleben. Die Wellen klatschten bedrohlich gegen das schlammige Ufer und begruben einige vor sich hin treibende Äste unter sich.

"Ich würde dich wirklich gerne am Leben lassen", Carla schnalzte mit der Zunge, "...aber du weißt einfach zu viel! Und die Freude deinen kleinen leblosen, nichtsnutzigen Körper zwischen den Fluten versinken zu sehen kann ich mir nicht entgehen lassen!

Sie lachte und der metallische Laut, der dabei entstand, erschütterte Eleina bis ins Mark.

"Ich werde niemandem etwas sagen! Ich schwöre es, Carla!", schluchzte das Mädchen unter Tränen.

Erneut ertönte ein metallisches Lachen "Süß du hast tatsächlich gedacht ich verrate dir meinen Namen."

"Bitte!", hauchte Eleina.

"Keine Sorge! Wir dachten du wärst wichtig für uns, haben gemerkt, dass wir uns geirrt hatten und haben dich bereits ersetzt." Sie wurde ernst. "Und selbst wenn ich dich am Leben lasse, bist du ein zerstörerisches Biest, das beseitigt werden muss!"

"Ich habe niemandem etwas getan!", das kleine Mädchen war verwirrt und in einem neuen Akt der Verzweiflung drangen erneut unzählige Tränen aus ihren bereit rotunterlaufenen Augen.

"Das wirst du aber noch!", erwiderte die Frau streng und legte ihren Kopf zur Seite.

"Ich verspreche, ich werde nie wieder etwas falsches machen.", verzweifelt rang Eleina nach Luft. Dachte ein letztes Mal an ihre Familie, an ihr Zuhause, an die Liebe die sie ihr ganzes bisheriges Leben gespürt hatte und hoffte, dass ihre Peinigerin auch einen Funken Herzlichkeit in sich trug.

Sie lag falsch.

Ein letztes Mal öffnete die Frau ihren Mund. Die hasserfüllte Stimme drang in Eleinas Ohr und vermischte sich mit dem Rauschen des Flusses.

"Oh doch, das wirst du! Du kannst nicht anders",



"...denn du bist ein Mensch!"

Mit diesen Worten ließ sie das Mädchen los.

..........................

"Nein!", mühsam presste Thalia diese Worte hervor, "Ich kenne sie nicht!"

Ihre Hände hatten angefangen furchtbar zu zittern und sie vergrub sie im Stoff ihres
T-Shirts. Langsam wandte sie ihren Blick von dem Foto und richtete ihn starr auf das zischende Flammenmeer. Sie biss sich krampfhaft auf die Lippe um ihre Schluchzer zu unterdrücken. Sie versuchte ihre Gefühle zu verstecken, denn nach dieser Frage konnte sie Johne nur noch weniger trauen. Sie gab sich Mühe all ihre Bewegungen koordiniert und ruhig wirken zu lassen, doch innerlich wusste sie weder was gleich passieren würde, noch war sie ruhig. Sie wollte einfach in Tränen ausbrechen, all die letzten noch so kleinen schönen sowie schrecklichen Erinnerungen an Eleina, die sie gerade eingeholt hatten, wegspülen.

"Schade.", murmelte Johne neben ihr. Er faltete das Bild sorgfältig zusammen und schob es anschließend zurück in seine Hosentasche. Betrübt sah er zu Boden.

Er wirkte ehrlich enttäuscht, dass konnte Thalia aus ihrem Augenwinkel sehen. Sein Gesichtsausdruck war der Selbe wie Thalias, als sie an der offenen Haustür gestanden hatte und plötzlich realisiert hatte, dass Eleina nicht wieder kommen würde. Nie wieder.

Sie biss sich noch fester auf die Lippe. So stark, dass sie befürchtete erneut den Geschmack ihres eigenen Blutes auf ihrer Zunge zu schmecken. Sie schluchzte kurz. Ein abgehakter Laut, der eher nach dem erbitterten Kampf nach Sauerstoff klang, nicht nach Trauer.

"Alles ok bei dir?", fragte Johne einfühlsam.

Thalia blinzelte die Tränen fort. "Ja alles Bestens! Ich müsste mal auf die Toilette.", log sie und setzte ein künstliches Lachen auf.

"Ja klar!", antwortete er etwas verwirrt, "Es ist ein kleiner Anbau draußen ums Eck."

"Danke!" Emotionslos rappelte sich das Mädchen auf und verlor dabei ein wenig das Gleichgewicht. Sofort war Johne zur Hilfe und hielt sie am Ellbogen fest.

"Geht es dir wirklich gut?", er klang besorgt.

"Alles Bestens!", wiederholte sie monoton, obwohl in ihr alles zu zerbrechen drohte.

"Du siehst gar nicht gut aus. Du bist ganz blass! Komm ich helfe dir!"

"Fass mich nicht an!", gab Thalia leise von sich und stieß Johne leicht zur Seite. Sie vertraute ihm nun nicht mehr. Zögernd ging sie ein paar Schritte auf die Holztür zu, während sich Johne wieder vor das Feuer setzte.

Das Mädchen torkelte vorwärts und Tränen sammelten sich in ihren Augen. Sie wollte nicht raus in die Nacht, doch noch weniger wollte sie hier bei Johne, einem Mann den sie gar nicht kannte und der gerade nach ihrer toten Schwester gefragt hatte, bleiben. Sie brauchte einen Ort an dem sie alle Gefühle der letzten Tage los lassen konnte. Sie zog die Holztür auf und frische Waldluft strömte ihr entgegen. Sie trat auf eine kleine Stufe und wurde von der Finsternis empfangen, die sie kurz darauf vollständig umhüllte. Sie ließ ihre Finger von der Türe gleiten und diese fiel daraufhin knarzend und laut ins Schloss. Sie sah in vollkommene Schwärze und dann zum hellen Mond, der immer noch jede ihrer Bewegungen verfolgte. Sie hörte irgendwo einen Bach plätschern und Blätter rascheln. Alles um sie herum schien still zu werden und dann ließ das Mädchen sich von ihren Emotionen überwältigen.

Sie ließ ihren Schluchzern freien Lauf und die erste Träne lief einsam ihre Wange hinab. Die Luft schien dünner und knapper zu werden. Thalia japste nach Sauerstoff. Das Wasser auf ihren Wangen häufte sich und sie merkte wie sie aufgrund der Kälte der Nacht eine Gänsehaut auf ihren nackten Armen bekam. Trotzdem klebten einige Strähnen auf ihrer Stirn und ihr wurde übel.

Sie wagte einen Schritt in das etwas feuchte Gras und ging einen nach dem anderen an der Hauskante entlang und dann um die Ecke. Sie weinte bitterlich und auch ihre Schluchzer verstummten nicht, obwohl ihr davon nur noch übler wurde. An den Fenstern wurde sie schneller um nicht von Johne entdeckt zu werden, doch er saß immer noch am Kamin und wandte ihr den Rücken zu. Mit jedem Schritt nahm der säuerliche Geschmack von Galle, der ihre Kehle heraufgeschlichen kam und sich in ihrem Mund und Rachen sammelte, zu.

Sie beschleunigte und kam dem grauen Betonklotz immer näher, der in der Dunkelheit wie ein riesiger Stein wirkte. Ein Fels der ihr den Weg versperrte. Thalia spürte den Ekel, den der Geschmack auf ihrer Zunge verursachte. Sie riss die kalte, verbeulte Metalltür auf, und stürzte in einen winzigen Raum, gerade groß genug um sich im Kreis zu drehen. Das bleiche Mädchen tastete suchend die Wand ab. Nicht lange, da hatte sie den quadratischen Lichtschalter gefunden, den sie sogleich betätigte. Grelles Licht, an das sich Thalia erst einmal gewöhnen musste, blitzte auf. Silbrig glänzende Wände, eine weiße Kloschüssel, ein Keramikwaschbecken, sowie ein kleiner Spiegelschrank, der darüber angebracht war, kamen zum Vorschein. Doch das Mädchen starrte nur auf die etwas schwankende einsame Glühbirne die trostlos von der Decke baumelte. Eine Glühbirne wie in ihrem Traum, auch wenn diese deutlich heller war. Die Erinnerungen drängten sich wieder an die Oberfläche. Bahnten sich einen Weg in Thalias Magen und machten sich in ihrem Kopf breit.

Es war zu viel für sie. Ehe sie sich versah hatte sie den Toilettensitz aufgeklappt und hing darüber. Der erste Würgreiz überkam sie. Sie atmete schwer und mit jedem neuen Platschen in der Kloschüssel rollte eine Welle der Erleichterung über sie und brachte sie zum Zittern.

Hustend erhob sie sich und spülte alles in die Kanalisation. Thalia wünschte es würde alles so einfach sein. All die Sorgen, die Probleme, die Angst einfach im Klo runterspülen. Mit einem lauten Flutsch würden sie einfach verschwinden.

Zögernd wandte sich Thalia ihrem Spiegelbild zu. Sie stütze sich an der Kante des Beckens ab und blickte in ihre angeschwollenen, blutunterlaufenen Augen. Sie sah schrecklich aus. Schweißgetränkte Strähnen lagen auf ihrer Stirn. Dunkle Augenringe zierten ihr Gesicht. Spucke hing in einem ihrer Mundwinkel, die sie kurz darauf ungeschickt mit ihrer Rückhand abwischte. Ihre Kleidung klebte an ihr und rote Flecken zeichneten sich deutlich auf ihren bleich wirkenden Wangen ab, genauso die glänzenden Schlieren, die die Tränen hinterlassen hatten.

Ohne jeden Grund dachte sie an Eleina und fing unwillkürlich wieder an zu weinen. Schrie leise in sich hinein und schluchzte ihre Seele aus dem Leib. Sie brach kurz auf dem Fliesenboden zusammen, doch nach einigen Minuten rappelte sie sich auf. Eine Stimme in ihrem Kopf begann zu schreien. Es war das angekettete Mädchen, es war Eleina. "Es ist deine Schuld!" Thalia erschauderte.

Sie fasste sich an den Kopf und vergrub ihre Fingernägel in ihren Haaren. Sie wollte, dass das aufhörte, das alles. Sie bewegte ihren Schädel wild hin und her, bevor sie schließlich wieder an ihrem armseligen Spiegelbild hängen blieb. Sie sah in ihr verzerrtes Gesicht. Schob alle Gedanken fort und nahm einen harten Gesichtsausdruck an. Sie wurde durch dieses grausige Bild, das sich ihr bot, wachgerüttelt. Sie hatte einen Entschluss gefasst. So konnte es nicht weitergehen. Die letzten Tage hatte sie immer versucht ihre Probleme mit ihren Tränen zu ertränken, doch damit war jetzt Schluss. Sie würde der Angst, der Verzweiflung und der Hilflosigkeit nicht mehr gehorchen. Sie würde sie ein für alle Mal abschütteln. Wo war das Mädchen von früher? Wo war die mutige Thalia Danson? Entschlossen trocknete sie ihre Tränen und versuchte ihre zerzausten Haare so gut es ging zu bändigen. Sie würde da raus gehen und jetzt verdammt noch mal herausfinden was hier eigentlich los war. Ab jetzt würde sie stark sein, nicht mehr weinen, das hatte sie in den letzten Tagen viel zu oft getan.

Sie zupfte ihr Oberteil zurecht, spülte ihren Mund aus und war gerade dabei ihrem Gesicht mit dem erfrischend kalten Wasser wieder etwas Farbe einzuhauchen, als sie plötzlich ein Geräusch wahrnahm. Sofort hielt sie inne, fuhr mit einem Zipfel ihres T-Shirts über die nasse Haut, um diese zu trocknen, und lauschte. Ein dumpfes Klopfen. Es war etwas weiter weg und kam wahrscheinlich von der Haustüre. Neugierig drückte sie die Klinke herunter und zwängte sich, nachdem sie wieder blind nach dem Lichtschalter gesucht hatte, durch den gerade entstandenen Spalt. Behutsam und so leise es ging verließ sie den tristen Betonwürfel und lief leichtfüßig zu dem Fenster, das durch das schwache Feuer, das innen brannte, einen hellen Kontrast zu der sonst Schwarzen Welt hier draußen bot. Schon aus der Ferne erkannte sie Johne, der sich auf die Tür zubewegte. Es hatte also tatsächlich geklopft. Das bedeutete aber auch, dass hier noch jemand war. Wahrscheinlich jemand den Thalia gar nicht kannte. Ob Freund oder Feind, sie wollte wissen wer der Besucher war, der zu so später Stunde noch von Haus zu Haus schlich. Vielleicht würde sie so auch ihrem Ziel näher kommen und endlich herausfinden was hier eigentlich los war und was das Ganze mit Eleina und vielleicht sogar ihrem Tod zu tun hatte.

"Bist du das?", hörte sie Johnes Stimme gedämpft und leise. Thalia musste sich große Mühe geben um auch nur ein Wort zu verstehen.

Sie drängte sich seitlich an das Fenster und presste sich gegen das wohlduftende, raue Holz. Ihre Wange berührte es und durch ihre seitliche Lage hatte sie einen guten Blick auf die Tür, wobei man das Mädchen nur bei genauerem Hinsehen erkennen konnte.

Johne bekam keine Antwort. Stille. Einige Sekunden vergingen und nur das Zirpen der Grillen aus dem Unterholz war zu hören. Seine Hand ruhte auf dem Griff doch sein Blick fixierte die Fensterscheibe. Er versuchte einen Blick auf den Anbau zu erhaschen, doch dieser blieb an Thalia hängen. Er kniff seine Augen etwas zusammen, um sich sicher sein zu können, dass das Mädchen tatsächlich dort stand. Er hob leise seinen gespreizten Zeigefinger und hielt in sich vor dem Mund. Sie verstand und wusste, dass sie jetzt keinen Mucks von sich geben durfte.

Erneut erklang Johnes kräftige Stimme. Diesmal etwas genervter und lauter als davor. "Wer ist da?"

Noch einmal keine Antwort. Stille. Dann tat sich etwas. Johne zog die schwere Tür auf und diese öffnete sich wieder mit einem lauten unangenehmen Knarzen. "Hallo Johne!", kam es von einer ruhigen Stimme.

"Was machen sie hier?", gab Johne entsetzt und wütend zurück. Thalia hörte nun beide Stimmen klar und deutlich. Johnes Gesichtsausdruck konnte das Mädchen nicht mehr sehen, doch die Person, der diese Worte galten, guckte sie direkt ins wunderschöne Gesicht. Es war eine Frau. Ihre dunkle Haut schimmerte etwas im schwachen Lichtschein des Feuers und ihre stark gekräuselten Haare waren nach oben gekämmt und befestigt. Es wirkte wie ein kleiner schokobrauner Kreis der auf ihrem Hinterkopf thronte. Sie blickte finster und ernst drein. Elegant senkte sie die große Kapuze, des schwarzen Mantels, den sie über den Schultern hängen hatte. Darunter befand sich ein silbrig schimmerndes Gewand.

"Möchtest du mich nicht hereinbitten?"

Diesmal war es Johne der keine Antwort gab.

"Was wollen sie?", fauchte er.

"Du bist zurück", fing die Frau nach einer kurzen Pause an zu sprechen, "Dafür gibt es doch sicher einen Grund! Und es wäre klug von dir, wenn du mir diesen erläutern würdest!"

"Sollten sie nicht eigentlich fliehen? Ihr gesamtes Gefolge ist eingesperrt. Oder wie ich vermute tot! Ich bin noch frei, gehöre nicht zu ihren Dienern und bin ihnen gegenüber daher zu gar nichts verpflichtet."

"Du solltest mir danken!", entgegnete sie erzürnt.

"Wofür!", Johnes wütende Stimme hallte durch die Hütte und das Mädchen das alles belauschte hielt die Luft an.

"Wofür!", wiederholte er, "Dafür das sie alles zerstört haben? Dafür, dass sie mich, meine Familie, und das Leben aller hier zerstört haben?" Seine Emotionen kochten über.

In einer winzigen Sekunde blickte die Fremde kurz beschämt zu Boden um dann mit ihrer Hand gegen das Holz zu drücken, das Johne ihr gerade unfreundlich vor ihrer Nase zuschlagen wollte, während er ein grimmiges "Gute Nacht" murmelte.

Thalia war verwirrt. Weshalb war er so sauer auf diese Frau? Und was hatte sie getan? Langsam bekam sie in ungutes Gefühl und es schien als würde es kälter werden. Eine Gänsehaut fuhr über ihren Körper und das Mädchen wagte es erneut Luft zu holen, gab sich dabei jedoch alle Mühe nicht ein noch so leises Geräusch zu produzieren. Die Spannung war unerträglich, wie in einem packenden Film, dessen Ende man unbedingt herausfinden will.

"Ich weiß das du nicht allein bist!", zischte die Frau, "Wen hast du hergebracht?"

Thalia merkte wie Johne nervös wurde und auch sie selber bekam schwitzige Hände.

"Wieso?", kam es über seine Lippen.

"Das Selbe könnte ich dich fragen!", erwiderte die Fremde streng.

"Es ist niemand hier! Sie bekommen Wahnvorstellungen. Werden langsam labil.", diese Worte sagte er, als hätte er Mitleid mit der Frau. Er hob seinen Zeigefinger und machte kreisende Bewegungen über seiner Schläfe.

Die Fremde knurrte und trat ohne Vorwarnung einen Schritt in die Hütte hinein. "Du wagst es nicht mich anzulügen.", sie wurde lauter, doch ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

Johne fing an mit der linken Hand, die auf der Holztür ruhte und der Fremden verborgen blieb, wilde Zeichen zu formen.

Zuerst stellte er Daumen und Zeigefinger in einen 90° Winkel. Dann formte er mit dem Zeige- und Mittelfinger ein Dreieck, stellte es dann einmal um und zuletzt drehte er die Finger noch ein Stück, sodass es aussah wie eine Schere. Nun wiederholte er diese Gesten, immer und immer wieder.

Thalia war überfordert und etwas eingeschüchtert von der mysteriösen Frau, die sie anscheinend suchte und wie es aussah keine guten Absichten hatte. Obwohl sie sich eben auf der Toilette noch geschworen hatte solche Emotionen nicht mehr zuzulassen, musste sie sich eingestehen, dass sie etwas Angst bekam.

Verzweifelt starrte sie auf Johnes Hand und versuchte die Zeichen zu deuten.

"Wenn du etwas weißt, musst du es mir sagen!" Der Holzboden knackte, als sie einen weiteren Schritt in den Raum trat und Johne ungeschickt und unweigerlich zurückwich.

Der Blick der fremden fiel auf das Feuer, die Decke davor, die Tasse und schließlich auf Thalia, die erschrocken einen Satz vom Fenster weg machte. Nichts tat sich. Vielleicht hatte sie die Frau gar nicht gesehen?

Sie stellte sich Johnes linke Hand nochmal vor, ließ die Symbole noch einmal Revue passieren und da kam ihr der erleuchtende Gedanke. Es waren Buchstaben.

L...

Sie hörte die Fremde brüllen.

A...

"Da ist sie!"

U..

Das letzte was Thalia sah, war wie Johne im nächsten Augenblick sein Taschenmesser zückte, aufklappte und in die Seite, der für einen kurzen Moment überrumpelten Frau, stach. Diese brach keuchend zusammen, als Johne die nun blutverschmierte Klinge wieder herauszog.

F...

Lauf!

Das Mädchen beschleunigte und rannte durch das knöchelhohe Gras, bis sie zwischen den Bäumen verschwand und von der Dunkelheit verschlungen wurde. Der Mond über ihr war fort und damit auch das letzte bisschen Licht. Unter ihr knisterten das Laub und die dünnen Äste, die sie zertrat. Thalia lief immer weiter und blendete ihre schmerzenden Wunden und grausigen Gedanken aus. Sie wollte einfach nur weg.

Ein unachtsamer Moment.

Ein im Weg liegender Stein.

Und schon lag Thalia auf dem Boden. Prallte auf den kalten Untergrund, genauso wie sie es davor nur in ihren Gedanken getan hatte.

Sie hörte Rascheln, Schritte.

Jemand hockte sich neben sie.

Ihre Platzwunde begann schrecklich zu pochen, doch bevor sie in die Bewusstlosigkeit abdriftete, drang der wohlige Duft von Vanille in ihre Nase und hüllte sie vollkommen ein.




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